[Aktivist*innen vom March for Freedom]
2 1/2 Jahre nach dem internationalen March for Freedom sind sechs Asylrechts-Aktivist*innen in Luxemburg-Stadt angeklagt. Während eines friedlichen Aktionstags am 5.6.2014 war es in Luxembourg zu einem massiven Gewalteinsatz der Polizei und Festnahmen gekommen. Nun wird den Angeklagten „geplante bewaffnete Rebellion“ vorgeworfen.
Beim selbstorganisierten March for Freedom liefen ca. 100 Aktivist*innen von Mai bis Juni 2014 mehr als 500 km von Straßburg nach Brüssel. Um gegen die europäische Migrations- und Asylpolitik und für Bewegungsfreiheit zu protestieren, überquerten sie friedlich 6 EU-Landesgrenzen und organisierten Aktionstage in mehreren Städten, sowie ein einwöchiges Protestcamp in Brüssel. Die Forderungen waren die Abschaffungen des EU-Grenzregimes, der Dublinregelungen, sowie von Abschiebungen, Residenzpflicht und Lagern.
In Luxemburg hatte eine Delegation von Geflüchteten um Mitsprache bei der EU-Innenministerkonferenz gebeten, in welcher unter anderem die Bekämpfung von Migration durch die sogenannte „Task Force for the Mediterranean“ auf der Agenda stand. Dem friedlichen Protest wurde daraufhin ein massiver Polizeieinsatz entgegengesetzt. Mit Reizgas, Schlagstöcken und Hunden ohne Maulkorb gingen die Beamt*innen auf die Protestierenden los. Eine Aktivistin wurde von einem Hund gebissen und mehrere Teilnehmende erlitten Verletzungen durch Reizgas und Schläge. Auch Polizist*innen wurden durch ihr eigenes Reizgas verletzt und wollen dies den Aktivist*innen anlasten. 13 Teilnehmende wurden festgenommen. Einige wurden anschließend auf der Wache misshandelt und rassistisch erniedrigt.
Der Einsatz brachte der Luxemburger Polizei heftige Kritik im eigenen Land ein. Auf direkte Anordnung des Luxemburger Innenministeriums wurden alle Verhafteten wenige Stunden später entlassen und konnten ohne weiteres das Land verlassen. Luxemburger Jurist*innen kritisierten den „unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt“ seitens der Polizei. Ein Untersuchungsausschuss des Innenministeriums befasste sich daraufhin mit dem Einsatz.
Mehr als 2 Jahre nach dem Vorfall, kurz vor Ende der Verjährungsfrist, erhob die Staatsanwaltschaft dann Anklage gegen uns. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher Verstoß gegen Art. 269 des Luxemburger StGB (geplante bewaffnete Rebellion), zudem noch einzeln Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Widerstand. Der von der Staatsanwatschaft gewählte Zeitpunkt der Anklage machte eine Gegenklage unmöglich. Aus Angst vor negativen Kosequenzen, inbesondere für Beteiligte ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, hatten wir dies vorher unterlassen.
Am 5. und 6. April fand in Luxemburg der Gerichtsprozess statt. Sechs Aktivist*innen waren vorgeladen, vier von uns sind vor Gericht erschienen. Nachdem der erste Termin für die Gerichtsverhandlung wegen fehlender arabischer Übersetzung vertagt worden war, gab es bei diesem Termin zu mindest eine Ketten-Übersetzung.
Die Vorwürfe gegen uns konnten auch in der Gerichtsverhandlung nicht glaubhaft bestätigt werden. Die Polizei hatte weder am Ort des Geschehens, noch an den Festgenommen Waffen festgestellt. Auch auf einem Video sind keinerlei Übergriffe auf Polizeibeamt*innen zu sehen. Was auf dem Material jedoch zu sehen ist: Polizist*innen, die Protestierende brutal Treppen hinunter stoßen und schleifen; wie die Polizei Pfefferspray gegen Protestierende einsetzt, die friedlich hinter einer Absperrung stehen, und wie unorganisiert die Polizei agierte. Die Aussagen der Polizist*innen im Zeugenstand blieben sehr vage. Sie konnten die angeblichen Straftaten weder detailliert beschreiben, noch den Angeklagten zuordnen. Einem Polizeizeugen schien es dabei weniger um die Vorwürfe und Geschehnisse in Luxemburg zu gehen, als darum vom Blog des March for Freedom zu zitieren und dort dargelegte Positionen zu verunglimpfen. Einige Polizist*innen forderten Schadensersatz und wollen insgesamt 19.200 Euro von uns. Aus Angst vor ansteckenden Krankheiten, z.B. HIV, hätten manche Polizist*innen starke Medikamente genommen, von welchen sie bis heute traumatisiert wären.
Das Plädoyer unserer Anwältin war gut und kämpferisch, meinten die Leute, die eine gute Übersetzung hatten. Der Staatsanwalt konnte an diesem Tag nicht mehr reden, er hielt sein Plädoyer am folgenden Tag in unserer Abwesenheit, 18 Monate Haft und 2.000€ Strafe für jede*n Angeklagte*n.
Wir sind nicht die Einzigen, die für ihr Engagement für die Rechte von Migrant*innen und Geflüchtete staatlicher Repression ausgesetzt sind. Vor allem in Bayern wird zur Zeit gegen Priester*innen, die Geflüchteten zum Schutz vor Abschiebungen Kirchenasyl gewährt haben, strafrechtlich ermittelt. Auch gegen eine Inititaive im Wendland, die eine Telefonkette eingerichtet hat, um Proteste gegen Abschiebungen zu organisieren, wird ermittelt. Fluchthelfer*innen werden überall in Europa wegen „Schlepperei“ angezeigt. Hausprojekte von Geflüchteten in Griechenland werden brutal geräumt und die Bewohner*innen auf die Straße gesetzt. In Ungarn werden Asylsuchende per Gesetz nach ihrer Ankunft in Gefängnissen interniert.
Das Europäische Migrationsregime wird durchgesetzt, mit Mauern und Stacheldraht, Polizeigewalt und Gesetzen, aber auch durch die Justiz. Die Gewalt und Repression trifft dabei immer mehr alle, die sich für ein Leben in Würde und Gerechtigkeit einsetzen. Menschen, die die Rechte, die ihnen eigentlich zustehen, einfordern oder die wie wir Gebrauch von ihrem Recht nach Meinungs- und Demonstrationsfreiheit machen, sehen sich mit kostruierten Vorwürfen konfrontiert. Eine Diskussion über unsere politischen Forderungen wird so umgangen. Unser Protest wird kriminialisiert und soll mundtot gemacht werden.
Wir brauchen Solidarität in unserem Kampf. Für Freiheit und unsere Rechte zu kämpfen ist unser gutes Recht! Wir warten jetzt auf das Urteil in den nächsten zwei Monaten. Wir sind froh, dass der Prozess vorbei ist. An dieser Stelle wollen wir uns bei allen bedanken, die uns bisher und soweit solidarisch begleitet und unterstützt haben.
Solidarität ist unsere Waffe