Brief zur Situation im Evin-Knast

Dieser Brief erreichte uns, während Yashar noch inhaftiert war. Er wurde kürzlich entlassen.

November 2016

Ich, Yashar Darolshafa, bin ein linker marxistischer Aktivist. Am 4. November 2009 wurde ich während einer Demo festgenommen, für 19 Tage festgehalten und am 7. Februar 2009 drangen Beamte der Sicherheitsbehörde bei uns Zuhause ein und nahmen meine Mutter, meinen Bruder und mich fest. Dann verbrachte ich 34 Tage im Knast. Die meisten unserer Verhöre gingen um die linke Zeitung Namens „Sarpitsh“ (übersetzt: jemand der sich gegen das Gesetzt wiedersetzt), die ich und meine Freunde ein Jahr lang veröffentlicht hatten. In meiner Anklageschrift stand „Marxistisches Gedankengut, Propaganda gegen die Islamische Republik und Teilnahme an Demonstrationen“. In erster Instanz wurde ich zu sieben Jahren und in zweiter Instanz zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seit November 2012 sitze ich meine Strafe im Evin Knast ab. Die ersten drei Jahre meiner Haft hatte ich gar kein Freigang, nur im vierten Jahr wurde mir dreimal Freigang gewährt.
Während der Ereignisse 2009 wurden vielen Leute im Iran festgenommen, verurteilt und eingekerkert. Der Evin-Knast ist in der Geschichte der gegenwärtigen politischen Partizipation ein historischer Ort, da berühmte politische Aktivisten bzw. Widerstandsgruppen zu Pahlavi-Zeiten und der Islamischen Republik dort festgehalten wurden, aus diesem Grund bleibt Evin in Erinnerung der politischen Aktivisten.
Im Evin hat eine neue Ära begonnen. Diese neue Ära hat im Sommer 2009 angefangen und ging bis Mai 2016. 2010 war das dunkelste Jahr in dieser Ära, es wurden fünf Gefangene erhängt. Ab November 2012, also genau die Zeit als ich eingekerkert wurde, gab es wegen politischen Meinungsverschiedenheiten unerträgliche Spannungsverhältnisse unter den Gefangenen, aber auch wegen Konflikten zwischen Gefangenen und Gefängniswärtern. Die wichtigsten Fronten in den ideologischen Konflikten der Gefangenen gegeneinander spielen sich zwischen den „Linken“ und den „Reformisten“ (2009 wurden viele reformistische Politiker verhaftet und nach Evin gebracht) sowie anderen Gruppierungen (nationalistisch-religiöse, Pan-Iranisten oder Demonstranten der Wahlgegner) ab, die mehr zu den Reformisten tendierten.
Die Erfahrung aus dieser Zeit war für mich wie eine Universität, wobei ich verschiedene Facetten des Opportunismus und das dreckige Leben der Bourgeoisie aus der Nähe kennengelernt habe. Ich und meine Freunde haben in dieser Zeit auf mindestens drei Ebenen gegen die Hegemonie von rechten Reformisten im Knast Widerstand geleistet.
1.) Versuch von demokratischen Regeln bezüglich des Zusammenlebens im Knast.
2.) Versuch von gemeinsamen Protesten gegen die Probleme im Knast (schlechte Qualität des Essens, Behandlung der Erkrankten und der hohen Preise von Lebensmitteln.)
3.) Die Praxis der Ideologischen Kämpfe beinhaltet die Auseinandersetzung mit dem Stift (theoretische Auseinandersetzung), mündliche Diskussionen und das Organisieren von Veranstaltungen wie „Tag der Arbeit“ oder ein Widerstands-Theater im Knast.
Die Linken im Evin-Knast waren der gemeinsame Feind. Um sie zu verdrängen, haben die Reformisten mit anderen Gruppen, mit denen sie eigentlich keine Gemeinsamkeit hatten, kooperiert wie z.B. mit den Monarchisten und nationalistisch-religiösen Gruppen. Die haben sogar mit den Gefängniswärtern zusammengearbeitet. Als meine Freunde nach und nach entlassen wurden, war ich der einzige Linke im Evin-Knast. Deswegen war ich nicht mehr fähig, im Rahmen einer Gruppe Widerstand zu leisten und zu kämpfen. In der zweiten Hälfte von 2014  habe ich entschieden, dass ich still bleibe und auf jede Form von Medien-Präsenz verzichte, da ich dachte, das Aktionismus in so einer Stimmung nur ein Idol in den Medien schaffen würde. Von daher habe ich in der zweiten Hälfte von 2014 sowohl studiert und recherchiert als auch kritische Essays über die grüne Bewegung und das Überdenken der Erfahrungen des Knastlebens geschrieben. Im Vergleich zu unserer vorherigen linken Generation, waren wir keine Mittglieder einer Partei oder einer breiten linken Bewegung; wir wurden nicht als Parteimitglieder eingekerkert. Aber ich bin der Meinung, dass ich mit meinen Freunden eine Gruppe von Vertretern linken Gedankenguts war. In der letzten Zeit im Evin-Knast hatten wir ein ausgezeichnetes Zeugnis von Widerstand gegen Diktatur und Opportunismus.