Interview mit dem Roten Aufbau zu ihrer Kriminalisierung

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Redaktion: Für was steht der Rote Aufbau?

Roter Aufbau: Angefangen haben wir als Schüler:innengruppe 2009 mit einem Bildungsstreik gegen Kürzungen in diesem Bereich. Bis 2015 traten wir als Rote Szene Hamburg auf und waren hauptsächlich im Themenfeld Antifaschismus aktiv. Damals kam es zu einem Bruch mit der klassischen Jugendgruppenpolitik und wir wollten gesellschaftlich relevante Politik entwickeln jenseits der linksradikalen Szene. Daher haben wir uns nicht nur umbenannt in den Roten Aufbau Hamburg, sondern versuchen seitdem eine Arbeit zu entwickeln, welche sich zwar in kommunistischer Tradition sieht, diese aber auf die heutige Zeit anwenden will. Dies heißt in erster Linie den wissenschaftlichen Sozialismus nicht als etwas abgeschlossenes zu begreifen und in die Analysen vor 150 Jahren unsere aktuelle Gesellschaft zu zwängen, sondern ihn als etwas Lebendiges und im stetigen Prozess zu begreifen. Häufig wirken Kommunist:innen aus ihrer Zeit gefallen, ein Verein zwischen Tradition und Folklore. Wir sind überzeugt davon, dass der Kommunismus aktuell ist und wir diese Welt mit den Werkzeugen des Marxismus analysieren müssen, um uns in die heutigen Klassenkämpfe nicht nur zu integrieren, sondern sie voranzutreiben und letztendlich diese Verhältnisse revolutionär zu überwinden. Wenn man uns in eine Schublade zwängen wollte, dann müsste man schon eine neue Schublade schaffen, wir würden uns wohl als moderne Marxist:innen-Leninist:innen begreifen.

Marx hat richtig analysiert: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“
Wir versuchen eine Praxis zu entfalten, die versucht in kleinen Schritten die Theorie anzuwenden und gegebenenfalls auch sie zu korrigieren. Dabei orientieren wir uns auch an den Theorien Antonio Gramscis bezüglich der Organisierung von Gegenmacht in höher entwickelten kapitalistischen Gesellschaften. Uns ist also wichtig, nicht nur in der heutigen Sprache, mit den aktuellen Medien und den konkreten Themen unserer Zeit die Menschen abzuholen, sondern sie auch langfristig zu organisieren und eine gewisse Verbindlichkeit zu und letztendlich ein Bewusstsein zu schaffen.

Nach G20 haben wir uns außerdem der bundesweiten Plattform Perspektive Kommunismus angeschlossen, weil wir glauben, dass wir unsere Kräfte bündeln müssen, um noch schlagkräftiger zu werden. Wir meinen das mit der Revolution schon ernst und daran arbeiten wir im Kleinen mit unseren Genoss:innen schon im Hier und Jetzt.

Wie und warum wird gegen euch ermittelt?

Wenn man es kurz beantworten möchte, dann weil der G20-Gipfel in Hamburg nicht so verlief, wie sich die Herrschenden es vorgestellt haben. Medial war der Protest und auch in seiner militanten Form sehr präsent, daher werden eben Sündenböcke geschaffen. Wir waren medial und auch vor Ort sehr wahrnehmbar und sollen nun die Zeche zahlen.
Hierzu versucht die Staatsanwaltschaft ein Konstrukt zu schaffen von einer kriminellen und einer terroristischen Vereinigung nach § 129 und § 129 a. Dabei stehen konkrete Tatvorwürfe im Raum, aber es zeigt sich auch eine Gesinnungsjustiz. Man wirft uns ähnlich wie der KPD vor, die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen zu wollen und möchte die vermeintlichen Mitglieder daher strafrechtlich verfolgen. Dabei fährt der Staat ziemlich große Geschütze auf, aktuell gehen wir davon aus, dass sie uns etwa sechs Monate mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln durchleuchtet haben. Am 31. August 2020 haben sie dann mit mehreren hundert Einsatzkräften 28 Objekte bei 22 Beschuldigten und zwei sogenannten „drittbeteiligten Personen“ durchsucht. Die Vorwürfe sind bei allen Betroffenen der Razzien individuell recht unterschiedlich gelagert und die Querverweise zwischen ihnen teils sehr verworren. Die Vorwürfe reichen von der Teilnahme an Demonstrationen, einem Urlaub in Frankreich, Bagatelldelikten, Graffiti bis hin zu 17 Vorwürfen inklusive der Zurechnung militanter Aktionen. Aus zusammenhangslosen Ereignissen und Kontakten wird versucht, das Bild einer organisierten und international vernetzten militanten Gruppe zu konstruieren.

Wie liefen die Hausdurchsungen ab?

Dies war auch unterschiedlich; bei manchen Betroffenen haben sie geklingelt und bei anderen sind sie mit Sondereinsatzkräften mit Maschinenpistolen morgens in die Wohnung gestürmt. Da sich die Vorwürfe gegen eine Vielzahl von Personen richten, glauben wir, dass alle Hamburger SEK Einheiten ausgeschöpft waren, sonst hätten sie vermutlich bei allen die Türen eingetreten. Nach der sogenannten Sicherung kommen dann die jeweiligen ermittelnden „normalen“ Polizisten und durchsuchen dann die jeweiligen Wohnungen. Bei einem Genossen, haben sie dann z. B. den Fußboden in der ganzen Wohnung zerstört, bei anderen haben sie auch entgegen ihrer Befugnisse die Räumlichkeiten von Mitbewohner:innen ins Visier genommen. Sie haben sämtliche Technik, politische Schriften oder auch Terminkalender mitgenommen. Viele von uns haben auch zweieinhalb Jahre später noch nichts wiederbekommen. Wir gehen davon aus, dass der Umfang einfach so groß ist, dass sie mit der Auswertung nicht hinterherkommen. Außerdem ist die Justiz in Hamburg parallel durch die sogenannten „Anchro-Verfahren“ erheblich überlastet.

Was gab und was wird an Solidarität geben?

Uns ist es wichtig, immer wenn solche Schläge vom Klassenfeind kommen, am gleichen Tag auf der Straße darauf zu reagieren. Daher gab es am selben Tag noch eine spektrenübergreifende Spontandemonstration mit mehr als 600 Menschen. Schön war es zu sehen, dass in vielen Städten Solidaritätsaktionen stattgefunden haben. Es gab dann auch noch eine Solidaritätserklärung, welche von vielen Gruppen unterzeichnet wurde. Der Repressionsschlag gegen uns erfolgte in Mitten der Corona-Pandemie. Die generelle Unsicherheit spiegelte sich dann auch in der Solidaritätsarbeit wider: Klassische Veranstaltungen oder Soli-Events konnte man nicht einfach organisieren. Es zeigt sich aktuell, dass der Staat uns mit einer langandauernden Kriminalisierung und Überwachung zermürben will. Daher ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf diesen Fall auch zweieinhalb Jahre nach der ersten Großrazzia aufrechtzuerhalten. Dafür wird nun auch eine bundesweite Veranstaltungsreihe organisiert.

Gibt es schon Prozesstermine?

Wie schon beschrieben, ist die Auswertung wohl noch nicht abgeschlossen und wir gehen davon aus, dass sie immer noch weiter ermitteln. Die Befugnisse der Repressionsorgane durch den Vorwurf § 129/a sind sehr weitreichend, daher werden sie wohl noch längere Zeit gegen uns ermitteln und den betroffenen Personenkreis immer mehr ausweiten. Daher kann man schon sagen, dass sie eigentlich durch Umwege nahezu die ganze radikale Linke in Hamburg dadurch durchleuchten können. Auch unsere Familienmitglieder geraten durch diese Ermittlungen ins Fadenkreuz der Behörden. Der Vater eines Betroffenen verkauft Olivenöl, daraus haben sie dann den Anfangsverdacht eines international agierenden Drogenrings gemacht und auch den Vater beobachtet. Man kann aktuell nicht absehen, ob sie es irgendwann einfach im Sande verlaufen lassen oder ob sie noch weitere Repressionsschläge tätigen werden. Wenn sie die Rondenbarg-Prozesse erneut aufrollen und vor Gericht bringen, kann man sicherlich davon ausgehen, dass sie uns damit auch weiter kriminalisieren werden und anders herum auch für diese Verfahren Erkenntnisse aus den Ermittlungen gegen uns nutzen werden.

Und wie geht ihr damit um?

Die Situation ist sehr schwierig, die Repression schreckt natürlich Leute ab. Außerdem steht für uns persönlich viel auf dem Spiel. Neben dem ganzen finanziellen Aufwand durch Anwälte, Verdienstausfälle oder beschlagnahmte Technik ist es natürlich auch eine Belastung, ständig im Fokus der Behörden stehen zu können. Gedanken daran, dass die einen beschatten, die persönlichen Telefonate abhören, Nachrichten mitlesen und den Internetverlauf durchforsten, begleiten einen ständig. Sie könnten uns einfach wieder auf der Arbeit aufsuchen oder in die Wohnung stürmen, die Technik mitnehmen und einen dann quasi wieder auf Null setzen. Als Struktur versuchen wir kollektive Lösungen zu finden, dies ist aber schwierig, wenn Repression die Leute entpolitisiert. Unsere Reaktion kann nur sein, allen Betroffenen unsere Hilfe und Solidarität anzubieten, die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Fall zu richten und zu versuchen, eine gesellschaftliche Relevanz zu erreichen. Denn schlussendlich wird uns genau das weitergehend schützen können. Deshalb haben wir beschlossen uns als Gruppe auch nicht aufzulösen; weder werden wir das Feld räumen noch werden wir in der Antirepressionsarbeit versinken. Als Kommunist:innen verteidigen wir unsere Vergangenheit und auch unsere Zukunft, deshalb werden wir auch keine Unschuldskampagne fahren.

Könnt und wollt ihr die gesamte Repression gegen euch gesamtgesellschaftlich einschätzen?

Vor etwa einem Jahr haben die aktuell stark betroffenen Strukturen von Repression in Stuttgart, Frankfurt, Berlin, Leipzig, Weimar und Hamburg ein Thesenpapier herausgebracht. Darin haben wir formuliert, dass die Zielsetzung eine Schwächung der Bewegung durch Ausspähung, Einschüchterung und Spaltung ist. Langfristig soll eine kollektive Selbstverteidigung der Bewegung in einer krisenbehafteten gesellschaftlichen Situation unterbunden werden. Sie kämpfen gegen uns mit harten Bandagen, nicht weil sie glauben, dass eine Revolution bevorsteht und wir diejenigen Kräfte wären, die sie anführen. Trotz unserer Unterschiede in Theorie und Praxis, eint die betroffenen Strukturen, dass wir in einem antagonistischen Verhältnis zu dem Bestehenden stehen. Man will uns durch die Maßnahmen zeigen, dass der Staat uns auf dem Zettel hat, aber auch der Bevölkerung verdeutlichen, dass diese Gesellschaft alternativlos ist. Von staatlicher Seite wird deutlich gemacht, dass lediglich staatstragendes und sich in dieses System integrierendes politisches Verhalten geduldet wird und legitim sein soll. Der Charakter des repressiven Vorgehens wird durch den Generalbundesanwalt als explizit politischen Akteur verkörpert. Um in dessen Fokus zu geraten, kann es reichen, politisch widerständig zu denken und zu handeln. Es wird unter anderem durch das Konstrukt vermeintlicher, besonders gefährlicher Anführer:innen versucht, eine Spaltung und Entsolidarisierung innerhalb der emanzipatorischen Bewegung zu erzeugen. Deshalb muss die Solidaritätsarbeit sich gerade darauf richten, dieser Spaltung entgegenzuwirken. Wir stehen mit unseren Genoss:innen, die von dem Staat als Linke und Revolutionär:innen angegriffen werden und verteidigen sie trotz inhaltlicher Unterschiede, denn getroffen hat es Einzelne, gemeint sind wir Alle!

Mehr Infos zu unserem Fall:
www.gemeintsindwiralle.de
www.roter-aufbau.de