Information zum Urteil des 2. Strafsenats (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichtes (OLG) Düsseldorf vom 17.04. 2023 gegen Veli T.
Az.: III – 2 StS 1/22
19.04. 2023
Roland Meister, Rechtsanwalt
Veli T. wurde wegen Mitgliedschaft in der DHKP/C, die als ausländische terroristische Vereinigung gem. §§ 129 a/b StGB angesehen wird, zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Als „Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer“, die durch die Strafverfolgungsbehörden zu vertreten ist, werden 4 Monate als vollstreckt angerechnet, so dass die Strafe im Ergebnis 1 Jahr und 8 Monate ist. Die Strafe wurde weiterhin zur Bewährung ausgesetzt.
Eine genauere Bewertung des Urteils seitens der Verteidigung wird noch folgen.
Allgemein kann man sagen, dass Veli T. lediglich für die Inanspruchnahme demokratischen Rechte und Freiheiten verurteilt worden ist, die für sich alle nicht strafbar sind. Konkret wird ihm insbesondere die Teilnahme an Kundgebungen, Demonstrationen (so sogar der Alevitischen Gemeinde Deutschlands), Veranstaltungen und Konzerten (so von Grup Yorum) sowie die schlichte Nutzung der sozialen Medien vorgeworfen. In einer sog. „Gesamtschau“ verwandeln sich diese öffentlichen Aktivitäten sodann in die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ und werden somit strafbar.
Willkür und mehr oder weniger auch einem Gesinnungsstrafrecht wird damit Tür und Tor geöffnet. Dies unterstreicht, dass es allein deshalb bereits dringend erforderlich ist, dass die §§ 129 a/b StGB abgeschafft werden.
Die oppositionelle Tätigkeit von progressiven Kräften in Deutschland gegen das diktatorische Erdoganregime in der Türkei wird seitens der Bundesregierung (deshalb Erteilung einer sogenannten Verfolgungsermächtigung zur Verfolgung angeblicher Aktivsten der DHKP/C, PKK oder TKP/ML) und der Strafverfolgungsbehörden (Bundesanwaltschaft/BKA/Generalstaatsanwaltschaften/LKAs/Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene) als bedrohlich für die Interessen Deutschlands und die Zusammenarbeit mit dem Erdoganregimes eingeschätzt. Entsprechende Kräfte werden deshalb – teils seit Jahrzehnten – überwacht, observiert und verfolgt und bei Anklageerhebung in der Regel durch die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte verurteilt.
Im Strafverfahren gegen sich hat Veli T. zusammen mit seinen Verteidigern deutlich gemacht, dass die §§ 129 a/b StGB gegen Grundprinzipien einer demokratischen Verfassung verstoßen, dass die Erteilung der Verfolgungsermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz willkürlich ist, dass im Ergebnis Feindstrafrecht praktiziert wird und es nicht angeht, dass das faschistische türkische Erdoganregime als ein „schützenswertes Objekt“ behandelt wird. Im Zusammenhang mit den in Kürze anstehenden Wahlen in der Türkei wird damit zumindest objektiv dem türkischen Erdoganregime in die Hände gespielt.
Dem Staatsschutzsenat ist bekannt, dass das Verfahren in Deutschland ein entsprechendes Strafverfahren in der Türkei gegen Veli T. nach sich ziehen und seitens der Türkei die Auslieferung von Veli T. beantragt werden wird, wie es in ähnlich gelagerten Verfahren – so gegen die frühere Vorsitzende der Anatolischen Föderation – der Fall war.
Veli T., der wegen seiner linken und alevitischen Grundeinstellung seit langem von den deutschen Strafverfolgungs- und Geheimdienstbehörden beobachtet und verfolgt wird, der in der Türkei bei einem Besuch inhaftiert und gefoltert wurde und als Gefangener in der Türkei den Angriff schwer bewaffneter Soldaten am 19. Dezember 2000 auf die politischen Gefangenen in 20 Gefängnissen miterlebt hat, machte auch in seinem „letzten Wort“ deutlich, dass er sich nicht einschüchtern lässt und sich weiter gegen Rassismus und Faschismus und die politische Verfolgung fortschrittlicher und revolutionärer Kräfte in der Türkei einsetzen wird. (siehe dazu Auszüge aus seiner Erklärung vor Gericht im Gefangeneninfo 445, März 2023 – https://political-prisoners.net/gefangeneninfo-445/20444/ und Interview mit Veli T. in http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0214.html )
Veli T. und seine Verteidigung hatten Freispruch beantragt. Dem kam der Staatsschutzsenat nicht nach. Aufgrund seiner in drei Teilen abgegeben Prozesserklärung und einer insgesamt offensiven Verteidigung wurde das Urteil im Ergebnis zur Bewährung ausgesetzt, verschiedene Anklagepunkte eingestellt und die gerügte überlange Verfahrensdauer, die Prinzipien eines fairen Strafverfahrens widerspricht, im Urteil ausdrücklich berücksichtigt. Bei der Urteilsverkündung war der Gerichtssaal im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichtes Düsseldorf gut durch Angehörige und Freundinnen und Freunde von Veli T. gefüllt. Während des gesamten achtmonatigen Verfahrens wurde er solidarisch unterstützt.
Auch im Hinblick auf viele bereits laufende bzw. neu eingeleitete §§ 129 a/b – Verfahren gegen angebliche Angehörige von DHKP/C, PKK oder TKP/ML ist das Urteil so eine Aufforderung, die Aktivitäten zur Abschaffung der §§ 129 a/b StGB, für die Freilassung der wegen der §§ 129 a/b StGB in Haft befindlichen politischen Gefangenen, was auch die wegen § 129 StGB inhaftierte Antifaschistin Lisa E. einschließt, für die sofortige Rücknahme der Verfolgungsermächtigungen des Bundesministeriums der Justiz gegen die DHKP/C, PKK und TKP/ML für eine Stopp der Waffenlieferungen an die Türkei und für ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit mit dem diktatorischen Regime in Ankara fortzusetzen und zu intensivieren.