Die Frühlingskampagne: die Operation Moro

Broschüre

Ansätze des revolutionären Aufbruchs in Italien – von den 70er-Jahren bis… in die Zukunft Geschichte und Analyse des bewaffneten Kampfes in Italien

Autoren: Kommunistische Revolutionäre, in der kämpfenden Illegalität geschrieben
Herausgeber: Kommission für eine Rote Hilfe International (Zürich-Brüssel)

1. deutsche Auflage: Sommer 2012
Übersetzung: Marco Camenisch
Auszug: Kapitel 10 auf den Seiten 26-31

10. Die Frühlingskampagne: die Operation Moro

Auch nach so langer Zeit bleibt die Operation Moro ein eindrücklich und kraftvoller Angriff von anerkannter geometrischer Potenz. Er erforderte ein enormes Niveau an Organisation und Entschlossenheit, aber auch ein grosse Stärke des politischen Projekts und eine sehr weitsichtige Vision. Es war ein Einfall mitten in die bürgerliche Politik, als die gerade im Begriff war, eine grossangelegte Operation zu gebären, nichts weniger als die „Nationale Solidarität“. Es war die erste Regierung, die gegenüber der externen Beteiligung der revisionistischen Partei13 offen stand. Im Rahmen des Projektes ihrer graduellen Kooption ins bürgerliche Regierungssystem. Nichts weniger, weil ihr Inhalt eine Verschärfung der bürgerlichen Gegenoffensive gegen die Klasse war, die Voraussetzung für die grossen produktiven und gesellschaftlichen Restrukturierungen, der stattlichen und militärischen Durchdringung der Klasse im Rahmen der Tendenz zum imperialistischen Krieg. Vom Gesichtspunkt der RevisionistInnen her war es die Voraussetzung für den von ihnen herbeigesehnten „historischen Kompromiss“, das Ende ihrer formell kommunistischen Verkleidung und die endgültige Ankunft in der bürgerlichen politischen Klasse, im Dienste der kapitalistisch-imperialistischen Maschinerie.

Voraussetzungen, die schon dermassen weit fortgeschritten waren, dass der US-Patron das Experiment mit Wohlwollen bedachte. Und wir erinnern daran, dass Moro, als Mann des Vatikan, das heisst der anderen schlechthin reaktionären Macht, ebenfalls für das Projekt war. So warf die KPI sofort ihre ganze, damals bedeutende Kraft in den Dienst der Konterguerillafront und übernahm die Mobilisierung der Strassen, der Streiks (die meist nicht so richtig gelangen) und der schmutzigen Spionage- und Polizeiarbeit in den Fabriken und Quartieren.

Sie hatten Angst, eine Riesenangst. Plötzlich hatten sie das Ausmass der Kraft und Verwurzelung der „bewaffneten Partei“ begriffen. Denn, jenseits der dichten Schicht der Medienlügen, wussten sie genau, dass es unmöglich wäre, dieses Niveau ohne die entsprechende Unterstützung aus dem Volk zu erlangen. Als nach den grossen Verhaftungen und den Justizrekonstruktionen der Ereignisse, die „objektiven“ Tatsachen bekannt wurden, sagten diese folgendes aus: Vom Dutzend der direkt an der Geiselnahme Beteiligten war die Mehrheit in den Untergrund gegangene militante ArbeiterInnen (einige anerkannte Avantgarden) und ein Teil davon war aus den revisionistischen reihen ausgetreten. Das aussagekräftigste Beispiel ist Mario Moretti, ehemaliger Fabrikdelegierter der SitSiemens in Mailand, einst mit der zweitgrössten Stimmenanzahl gewählt… solche GenossInnen kamen nicht vom Mars! Und ein weiterer bedeutender politisch-ideologischer Aspekt war: die Mehrheit dieses Dutzendes waren hochrangige AnführerInnen der Organisation. Es war die Anwendung der marxistischen Prinzipien der Einheit zwischen Handarbeit und intellektueller Arbeit, die marxistische Verantwortlichkeitsethik.

55 Tage dauerte das Tauziehen bis zum letzten Vorschlag des Gefangenenaustauschs. Dies war nicht das Ziel der Operation, sondern die Minimalbedingung für die Gewährung einer Grosszügigkeitsgeste nämlich die Aufhebung des gegen den Präsidenten der DC erlassenen Urteils.

Dieser Angriff war von solcher Stärke – mit dermassen überraschender Dimension – dass er den politischen Rahmen und die Entwicklung des Klassenkampfes durcheinander brachte. Innerhalb der revolutionären Bewegung bestätigte er die Hegemonie der BR und verlieh ihnen eine unübertroffene Autorität und einen nie da gewesenen Ruf. Er enthüllte alle Mängel und Unvollkommenheiten der anderen Richtungen und Organisationen, alle wurden vertikal von diesem Erdbeben erschüttert, oft brachen die auseinander, ein Teil indem sie sich zuerst eng mit den BR dialektisierten und sich dann in diese integrierten. In den folgenden Monaten konnten sie nach sehr selektiven Kriterien massiv GenossInnen anwerben, neue Fronten eröffnen und das Voranschreiten intensivieren. Das brachte das subjektivistische Milieu in grosse Schwierigkeiten, wegen dessen grosser Distanz bezüglich der Vorstellung des revolutionären Prozesses. Betroffen waren vor allem die beharrlichen BewegungsbefürworterInnen. In ihrer engstirnigen Verteidigung der Bewegung als wäre sie ein eigenes Gärtlein, in ihrer Theorie und Praxis der „Getrenntheit“, in ihrer Unfähigkeit, einen Prozess in Etappen und mit einer Strategie und Taktik zu begreifen (sie brüteten schon die Theorien über das Ende der Politik und den unmittelbar subversiven Wert des sozialen Antagonismen aus), begannen sie gegenüber den BR Groll zu entwickeln, da diese schuldig waren „ihr schönes Spielzeug kaputt zu machen“: die Bewegung.

Auf Massenebene verbreitete sich die Wahrnehmung, dass es zwei Wege gebe: sowohl der parlamentarisch-institutionelle der KPI als auch der revolutionäre der BR (Soweit wir Marktuntersuchungen vertrauen schenken wollen… Einige Monate danach führte das Espresso (ein Wochenblatt) unvorsichtigerweise eine Umfrage durch, die Anonymität gewährleistete, in der ca. 10% der Befragten aussagten, sie würden – wenn möglich – für die BR „stimmen“. Diese Info wurde eiligst aus dem Verkehr gezogen und die armen Journalistinnen gingen ein grosses Risiko ein.)

Aber wie sooft der Fall, äussern sich gerade auf dem Höhepunkt einer Entwicklung auch deren Widersprüche, die grundsätzlichen Grenzen. Grosse Sprünge erfordern auch die grosse Fähigkeit, deren Tragweiten zu beherrschen, um sie zu konsolidieren, um unter den neuen, günstigeren, aber anspruchsvolleren Bedingungen weiterzukommen. Und leider sahen die BR in dieser Hinsicht ihre eigenen Grenzen und Fehler nicht nur nicht, sie wurden für sie in gewisser Hinsicht zur Falle, in die sie tappten. Die Fehler in der Analyse der Phasen und der Modalität der kapitalistischen Krise vervielfachten sich im politischen Durcheinander, in das die Aktion Moro das Regime das Regime gestürzt hatte. Aber wenn das Regime auch in grossen Schwierigkeiten steckte, so war es jedenfalls nicht im Begriffe auseinander zu fallen, und es hätte ausgereicht die von den bürgerlichen Parteien auf die Strasse mobilisierten grossen Menschenmengen mit grösserer Objektivität zu betrachten.

Ein bedeutender Teil der Gesellschaft stand zur Verteidigung des Systems auf: Das konnte nicht einfach als ein Staat abgetan werden, der sich nur noch gewalttätig aufrechterhalten konnte! Das wurde zum schwerwiegenden Einschätzungsfehler, der sich negativ auf die strategische Entwicklung auswirken würde.

Tatsächlich wurde die Parole „Beschleunigung des Überganges zum regelrechten Bürgerkrieg“ ausgegeben.

Und, in seinem Inneren das Movimento Proletario die Resistenza Offensiva – MPRO – Proletarische Bewegung des offensiven Widerstands – als grundsätzlicher Gesprächspartner in der Dialektiv Partei/Masse.

Nun war das MPRO das Gewebe der bewaffneten Zellen, der kleinen Organisationen auf lokaler Ebene plus die SympathisantInnen, die ihren Beitrag leisten wollten, aber das Ganze widerspiegelte eher die „kämpfenden Kräfte“ und nicht die eigentliche Klassenbewegung in ihrer Tiefe und ihrem Ausmass. Diese Kräfte waren in ihrer Gesamtheit sicher noch nicht zum Übergang zu den Waffen bereit. Andererseits bestand die grosse Intelligenz der BR und anderer KKO vormalig im Verständnis für verschiedene Bewusstseins- und Klassenorganisationsebenen und der Praxis einer Dialektik zwischen diesen. So entwickelten sie ein strategisches Projekt, das die Zeiträume und Sprünge des Reife- und Beteiligungsprozesses zu beachten imstande war. Nun aber irrten sie sich massiv in Bezug auf die Phasen und gingen von einer Überstürzung dieser Bereitschaft aus, von der Massen-Reife.

Dabei gingen einige fundamentale Bezüge unter, wie etwa die leninistische Definition der „revolutionären Situation“, die den subjektiven Faktor wohl erfordert – die Existenz einer Organisation, die, wie die BR, schon die Eigenschaften einer Partei besitzt oder zumindest als solche agiert – aber das genügt nicht. Es sind auch objektive Faktoren nötig: die Tiefe der wirtschaftlichen und politischen Krise des Regimes, eine bedeutende Verschärfung der Lebensbedingungen des Volkes, so dass das Ganze darin resultiert, dass sowohl unten als auch oben man weder so leben kann noch will wie früher. Bedingungen also, die für einen allgemeinen Bruch, für eine ausserordentliche Aktion zur radikalen Veränderung in die eine oder andere Richtung günstig sind.

Wahrscheinlich ist die Schlüsselfrage, der wichtigste politische Knotenpunkt, der auf diesem Höhepunkt der revolutionären Offensive offensichtlich wurde (gerade weil plötzlich ein aussergewöhnliches Potenzial bestand und es an diesem Punkt entschieden war, welche Richtung eingeschlagen würde), dass sich in der Praxis, im Ausnahmezustand, die grundsätzlichen Eigenschaften des strategischen Aufbaus offenbarten. Dazu zählten auch die nicht deklarierten, unterschwelligen, aber dennoch einflussreichen Eigenschaften. So kamen Defekte des Eklektizismus und des Mechanizismus zum Vorschein, insbesondere in der Übertragung des Modells des „Langandauernden Volkskrieges“.

Dieses Modell war vor allem aus den chinesischen, vietnamesischen und lateinamerikanischen Erfahrungen hervorgegangen und die Bezüge wurden als sakrosankt begriffen, obwohl sie nicht mechanisch übertragbar waren (falls denn irgendein Prinzip es überhaupt je sein kann), insbesondere nicht auf die Sozi-Ökonomie der imperialistischen Metropolen. Darin bestand das grosse Verdienst und die grosse Beschränkung! Das Verdienst, einem revolutionären Ansatz Konkretheit verliehen zu haben und hier, im Herzen des imperialistischen Systems, den grossen Massenkämpfen und der revolutionären Bewegung eine echte Perspektive gegeben zu haben – Und solches erlaubte den ernsthaften Angriff auf den Revisionismus (in der Tendenz um ihn zu besiegen), und zeigte einen Ausweg aus dem inkohärenten extraparlamentarischen Sumpf (der zudem immer parlamentarischer wurde) und aus einem wortgewaltigen und theoretischen MLM14-ismus – und das Verdienst, diesen Weg erneut im organischen und folgerichtigen Zusammenhang mit den Dynamiken der realen internationalen kommunistischen Bewegung eingeschlagen zu haben.

Die Grenze lag darin, dass auch eklektische Elemente und „Jugendlichkeit“ enthalten waren, durch die Tatsache sich dermassen schnell vor einem dermassen anspruchsvollen Kampf befunden zu haben. Mit dem Zwang, inmitten der gut nachvollziehbaren Schwierigkeiten, alles auf dem Terrain lernen zu müssen. Das war der Preis, den es zu bezahlen galt. Jene, die an die Revolutionen nach Lehrbuch glauben und daran, dass die perfekte Vorbereitung der Ideologie und der politischen Linie genügen würde, können ruhig den Beruf wechseln (sie würden so weniger Schäden anrichten, da sie von der Sorte sind, die den Kampf aufgeben, sobald er schwer und kompliziert wird und ihrer kleinbürgerlichen Anmassung nicht mehr entspricht: eine Sorte, die wir in Italien, genau wie in anderen historischen Erfahrungen, antreffen können.)

Die Beschränkung bestand also vor allem in der Anwendung einer strategisch linearen und aufsteigenden Entwicklung, die an einem gewissen Punkt zur Summe von organisatorischen und operativen Handlungen wurde, und das unter Vernachlässigung der notwendigen Überlegungen zur Phase, zu den Qualitätssprüngen, aber auch zu den Kontinuitätsbrüchen und Verlangsamungen. Das heisst: obwohl es möglich war sich auf damals günstige Kräfteverhältnisse und eine bedeutende Verankerung in der Klasse zu stützen, bestand keine „revolutionäre Phase“, oder genauer, keine „Phase des revolutionären Umsturzes“. Und darum weisen wir nochmals auf die obgenannten von der leninistischen Formulierung definierten Eigenschaften hin: der eingeschlagene Weg, wenn auch der richtige, hätte besser auf verschiedene Phasen hin angepasst, kalibriert und entwickelt werden müssen. Eher als eine Beschleunigung der Offensive wäre wahrscheinlich die Konsolidierung der Resultate innerhalb der Klasse wichtiger gewesen, und das durch die Neudefinierung der politisch-militärischen Präsenz in Bezug auf die Phasen der Auseinandersetzung und der Reifung der revolutionären Krise.

Und an diesem Punkt waren alle dazu notwendigen Kräfte und Fähigkeiten da: es war noch der Moment der bewaffneten Politik, nicht des erklärten Kriegs!

Das hätte aber eine größere „Distanz“ zu den Ereignissen erfordert, einen Schritt rückwärts machen, um den theoretisch-strategischen Aufbau zu sammeln, zu vertiefen und zu systematisieren. Die mitgeschleppten eklektischen Elemente wären zu berichtigen und dafür die leninistische Matrix, die an diesem Punkt wichtig gewesen wäre, zu vertiefen gewesen, da sie Mittel zur Analyse der Phasen und Definition der Ziele gibt – die politisch-militärische Kraft war ja auf einem sehr hohen Niveau, das eine gewisse offensive Ebene gewährleistete, gesichert.

Hingegen setzte sich die Eskalation durch.

78 war die Wende zur Kriegslogik. Quantitativ gab es mehr oder weniger dieselbe Anzahl Brand- und Sprengstoffanschläge (etwa hundert) und Knieschüsse (etwa zwanzig), indessen wurden die Stürmungen/Durchsuchungen selten (bloss vier, und auch das ist ein Zeichen der Wahl der Ausrichtung), während die Exekutionen zum Zentrum der Offensive wurden (gar 28, während es vorhergehenden Jahr insgesamt 10 waren und davon ein Teil als Ergebnis zufälliger Zusammenstöße).

Um besser zu verstehen hier im Detail:

    • Ausser Moro trafen die BR auch seine fünf Leibwächter der Sondereinheiten
    • den Richter Riccardo Palma, hoher Verantwortlicher der Gefängnispolitik für die Sonderknäste
    • den Feldwebel der DIGOS Rosario Berardi, Verantwortlicher der Konterguerilla in Turin
    • den Gefängniswärterunteroffizier Lorenzo Cotugno, berüchtigter Schläger im Knast Le Nuove von Turin
    • den Vizekommandanten der Gefängniswärter von San Vittore in Mailand, Di Cataldo, Verantwortlicher des Gefängnisspitals, d.h. der zahlreichen direkten oder indirekten Morde an gefangenen wegen Pflegeverweigerung oder der Deckung der Gewalttätigkeiten durch falsche ärztliche Bescheinigung
    • den Chef der DIGOS von Genua, Antonio Esposito
    • den FIAT-Direktor, Pietro Coggiola, bei Lancia von Chiasso
    • den Magistraten Girolamo Tartaglione, hoher Verantwortlicher der Gefängnispolitik beim Ministerium in Rom
    • die zur äusseren Bewachung der Knäste abgestellten Carabinieri Lanza und Porceddu bei den Nuove von Turin (mit den Hochsicherheitsknästen zusammen gegründete Sondereinheit)

Die anderen KKO trafen

    • den Chef des Betriebsschutzes von FIAT Carmine de Rosa in Cassino (ehemaliger Offizier der Carabinieri) durch die Formazioni Comuniste Combattenti – Kampfende Kommunistische Einheiten (PL nahe)
    • den Polizeibeamten Fausto Dionisi während einem misslungenen Ausbruchsversuch eines Kommandos von PL bei den Murate von Florenz
    • den Notar G. Spighi, aufgrund seiner Reaktion während einer Enteignung, von Lotta Armata per il Comunismo – Bewaffneter Kampf für den Kommunismus
    • den Vollzugs-Offizier Antonio Santoro, berüchtigter Schläger in Udine, Proletari Armati per il Comunismo – bewaffnete Proletarier für den Kommunismus
    • den Heroindealer Giampiero Cacioni in Rom, Guerriglia Comunista – Kommunistische Guerilla
    • den Kriminologen Alfredo Palella im Knast Pozzuoli, PL
    • den Heroindealer Maurizio Tucci in Rom, Guerriglia Comunista
    • den Heroindealer Giampiero Grandi in Mailand, Squadre Proletarie – Proletarische Einheiten (im Dunstkreis von PL)
    • den Staatsanwalt von Frosinone Callosa, seine beiden Leibwächter der Polizei Pagliei und Rossi, FCC, im Gefecht fällt auch der genosse Roberto Capone
    • den Heroindealer Sabaudi Vaturi in Rom, Guerriglia Comunista
    • in einem weiteren Angriff gegen andere Heroindealer fällt wegen einem Fehöer Enrico Donati in Rom und GC, wie es sich als Revolutionäre gehört, übernehmen die Verantwortung für den Fehler

Was diese Chronologie deutlich macht, ist ein klarer politischer Unterschied: während die anderen KKO, obwohl ihre Ziele richtig sind, eine partielle Dimension als eine Art verlängerter bewaffneter Arm der Bewegung nicht überwinden konnten (die beachtliche Kampagne gegen die Todeshändler inbegriffen), haben wir im Falle der BR die Anwendung einer regelrechten Strategie, einer Offensive, die das Kapital und den Staat in ihren grundlegenden Institutionen trifft, und es zeichnet sich eine allgemeine Vision und ein Programm für die gesamte Klasse ab, was sich schon im theoretischen Aufbau manifestierte. Erstere beschränken sich auf diesen Begriff von „Gegenmacht“, ein Begriff, der sich in allen geschichtlichen Erfahrungen als inkonsistent und kraftlos erwiesen hat und die Klasse in ein defensivistisches Verhalten gezogen hat, dessen Schicksal die Niederlage ist oder das in anderen Fällen vom Kompromiss zu Kompromiss geführt hat, zu Formen der Wiedergewinnung für den institutionalisierten Reformismus wie zum Beispiel der Weg der ZapatistInnen in Mexiko. Oder sie suchten nach neuen revolutionären Ansätzen (in Anbetracht der Abwege der sozialistischen Länder), gerieten aber schnell auf unsichere Pfade, wo der Eklektizismus, der Abenteurertum und der Konfusionismus sie schliesslich zur Kapitulation führte und diese war sehr wohl „total“. So der Fall insbesondere bei PL, die später praktisch en bloc kapitulierte und das bei den meisten nach nur einem Jahr Knast, und ihre wichtigsten VertreterInnen recycelten sich am Ende in den Mäandern der neuen pazifistischen Bewegung.

Die Zweiten produzierten im Versuch voranzuschreiten Texte und auch Theorie, aber in der Wiederaufarbeitung des roten Fadens der Kontinuität mir der revolutionären Geschichte des Jahrhunderts, kritisch ja, aber ohne diese hochnäsige Verachtung, die die kleinbürgerliche Tendenzen von Militanten unterscheidet. Ihre Texte waren gut verständlich und stellten die ganze Bandbreite an Fragen, womit eine Auseinandersetzung notwendig ist, wenn wir „die Revolution“ wirklich „machen“ wollen. Die Resolution der Strategischen Führung vom Februar 78 bleibt immer noch ein Bezugspunkt und ein sehr nützlicher Text für die Militanten, die sich heute die Frage der Proletarischen Revolution in den imperialistischen Ländern stellen (letzthin haben die Geheimdienste, die immer die Entwicklungen im revolutionären Lager ausspionieren, in einem Interview die grosse Qualität des Textes anerkannt, vor allem die Vorwegnahme gewisser Erscheinungen wie die weltweite Ausdehnung (Globalisierung), die internationale Strukturierung der Produktion, die Machtkonzentration in der Exekutive, ihre Konzentrierung in transversalen und okkulten Strukturen, die Tendenz zum imperialistischen Krieg, Vorwegnahmen, die den institutionellen Parteien jener Zeit nicht einsichtig waren und die sie als Delirium bezeichneten.)

Abgesehen von diesen Unterschieden, war der Weg der Militarisierung der Auseinandersetzung jedenfalls schon eingeschlagen: fast alle KKO, obwohl sie von den eben beschriebenen unterschiedlichen Voraussetzungen ausgingen, sahen den Übergang zum erklärten Krieg in greifbarer Nähe und meinten, dass der Klassengegensatz nun auf den militärischen Aspekt reduziert sei, mit einem kapitalistischen System, das jegliche soziale Legitimation verloren habe und ausschliesslich durch rohe Gewalt überleben könne.

Die ersten Monate des Jahres 79 würden zu den ersten groben Fehlern führen.

 


Kürzel von Organisationen

BR Brigate Rosse – die roten Brigaden

KPI PCI

KKO Kämpfende Kommunistische Organisationen, Sammelbegriff

DIGOS Spezialeinheit der Polizei, Konterguerilla

PL Prima Linea – erste Linie oder Front

MLM Marxismus-Leninismus-Maoismus

 


Begriffserklärungen:

Carabinieri: Polizeikorps, das Teil des Militärs ist

Magistrat: bezeichnet einen hohen Beamten oder Staatsfunktionär

 


Fußnoten der Broschüre:

13 PCI (Partito Comunista Italiano) Italienische kommunistische Partei

14 „emme-ellismo-maoismo“ Verballhornung von MLM