„Ein Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“

Babak

Wir gehören zur einer Generation von Menschen, deren Geschichte eigentlich aus Erinnerung besteht. Dies kommt selten in unserer Welt vor.
Für die von uns, welche Repressionen, Unterdrückung, Verhaftung, Folter und Massaker durch die Islamische Republik erlebt haben, ist Erinnerung die Geschichte dieses Landes.
Das regierende Regime im Iran tut sein Bestes, um die Erinnerungen aus unseren Köpfen, den der Überlebenden dieser Katastrophen, zu löschen. Genau in einer solchen Situation wird es immer wichtiger, dass die Erinnerungen von Augenzeugen aufgezeichnet werden. Auch die körperlichen Verletzungen einzelner oder von Gruppen müssen aufgezeichnet werden, sobald diese Menschen die Folterkammern verlassen können.

Erinnerungen geben der Geschichte einen Sinn. Eine Erinnerung in den Köpfen Vieler wird Geschichte und hat auch eine lehrende Funktion. Fehlende Erinnerung kann missbraucht und so die Geschichte verändert werden. Autoritäre versuchen mit aller Kraft ihre Wahrheit in der Geschichte zu ersetzen. Sie sind die Unterdrücker unserer Erinnerungen. Ich glaube, dass das Gefängnis der schlimmste Ort der Welt ist, so sind Erinnerung an diesen Ort kaum zu ertragen und Erzählungen davon erfreuen niemanden. Es ist schwer diese Albträume zu erzählen.

Meine guten Freunde haben mir geholfen einen kurzen Ausschnitt davon in Worte zu fassen. Auch haben Sie mich ermutigt im Gefängnis zu schreiben. Die Dokumentation der Straftaten des Islamischen Regimes hat mich ebenfalls dazu ermutigt. So habe ich mich dazu entschlossen über die Tage zu schreiben, in denen ich Gefangener einer modernen Struktur des Staates war – genannt Gefängnis. Ich hoffe, dass alle ideologischen und traditionellen Gefängnisse, sowie auch die modernen durch einen nie aufhörenden Kampf zerstört werden.

Ich heiße Babak, geboren wurde ich in einem Dorf in Kurdistan. Die harten und wunderschönen Berge haben mich Not und Freiheit gleichzeitig gelehrt. Die Felder waren voll von einfachen und hart arbeitenden Menschen.
Zweifellos ist die Geschichte Kurdistans eine der seltsamsten in der ganzen Welt. Gerade im zeitgenössischen Jahrhundert, in der Geschichte des Kampfes um Freiheit, der vielfältigen und reichen Kultur und dem Wandel in jedem unterdrückendem System. Beeinflusst von dieser Atmosphäre, wandte ich mich der Philosophie und den Politikwissenschaften zu und begann diese zu studieren. 2015 wurde ich verhaftet, weil ich mich mit einigen kurdischen politischen Aktivisten an der Universität von Teheran getroffen habe.
Sie waren in ziviler Kleidung unterwegs – die meisten politischen Gefangenen wurden von ihnen verhaftet. Gemäß der Iranischen Verfassung war die Verhaftung meiner Freunde und von mir illegal. Wir haben nicht gegen ein Gesetz verstoßen. Die Verhaftung und das Verhör hatten keinerlei legale Grundlage.
Wir trafen uns in der Nähe eines Buchhandels, nahegelegen der Teheraner Universität. Polizisten in ziviler Kleidung kamen und drängten uns in einen schwarzen Wagen. Wir bekamen Augenbinden auf. Ich war verwirrt. Ein Polizist schlug auf einen meiner Freunde ein und sagte in einem herabwürdigendem Ton: „Ihr Kleinen wollt es doch so, das System verändern“ und lachte. Das Auto fuhr los, ich fragte wohin wir fahren und sagte, dass wir nichts gemacht haben, auch dass ich Schriftsteller sei und fragte, was das alles hier soll. Als Antwort erhielt ich ein „Halts Maul, verräterischer Marxist und Verschwörer. Uns ist alles klar“. Wir wurden in das Evin Gefängnis verbracht, ein Gefängnis für politische Gefangene, in eine kalte Zelle, denn es war fast schon Winter. Ich und fünf weitere Menschen, drei meiner Freunde und zwei weitere Menschen waren in dieser Zelle. Ich möchte gar nicht von dem Zustand der Zelle sprechen. Ich war in dieser Nacht sehr verwirrt, meine Freunde und ich sprachen miteinander über die Situation bis in die Morgenstunden. Einer meiner Freunde rauchte die ganze Nacht, sodass ich Kopfschmerzen bekam und nicht einschlafen konnte.

Wir wussten nicht wo genau wir uns befanden und wofür wir verhaftet worden sind. Am nächsten Morgen, wurde jeder von uns aus der Zelle geholt und verhört. Sie hielten mir die Augen zu und nach einigen Minuten stand ich in einem Raum mit einem Tisch und einem Vernehmungsbeamten. Der Vernehmer forderte mich dazu auf, mich selbst vorzustellen und sagte, dass er einen Fall vorliegen hat. Er hatte eine Akte und sagte, dass alle wichtigen Details, alles was mir vorgeworfen wird, welcher Partei und Gruppe ich angehöre und alle meine Aktivitäten in dieser Akte aufgeführt seien. Er wollte mich einschüchtern, mir Angst machen und sagte beispielsweise, dass er alles über mich wisse und blies das Ganze auf. Mir gefiel es nicht wie er mit mir sprach, er verspottete und herabwürdigte mich.

Alle meine Gedanken sind beeinflusst von Gefühlen über die armen und beraubten kurdischen Menschen, nicht von irgendwelchen kurdischen Parteien oder marxistischen Ideen. Der Vernehmer zeigte mir nun Bilder von meinen Freunden und mir an der Universität von Teheran und sagte, dass einer meiner Freunde in Kontakt mit kurdischen Gruppen der Patriotischen Union Kurdistans steht. Und mir wurde nun das Gleiche vorgeworfen. Das ist eine übliche Praxis von Gefängnisverhören im Iran, um einem verschiedene politische Verbrechen anzuhängen. Am zweiten Tag des Verhörs, zeigte mir der Vernehmungsbeamte ein Papier auf dem stand, dass einer meiner Freunde in der Autonomen Region Kurdistans war und fragte mich, wann ich dort gewesen bin. Er sagte „Erzähl es mir und gestehe was es mit der KDP zu tun hat. Erzähle! Gestehe!“ Er wiederholte sich. Ich wurde nervös, da ich nichts mit der KDP zu tun hatte. Ich sagte dem Vernehmer, dass er kein Mensch sei, sondern nur Werkzeug in den Händen des Systems. Dieses dreckige Spiel zog sich eine ganze Woche .

Ich hatte ihm nichts zu sagen und auch keine Informationen über meine Freunde. Ich sollte auspacken – das ist das traurigste was ich meinen Freunden antun könnte. Nach einigen Tagen sagte der Vernehmer, dass ich gestehen soll etwas mit den kurdischen Gruppen, welche gegen die Islamische Republik sind, zu tun zu haben, oder ich lande für sehr viele Jahre im Gefängnis, meine Familie wird bedroht werden und meine Brüder verlieren ihre Arbeit. Sie drohten meine Familie zu belästigen. Ich hatte zu Nichts Zugang, weder zu einem Anwalt, noch zu sonst irgendeiner Person Nach 7 Nächten, lehnte ich mich gegen die Zellenwand und schlief ein. Sie schlugen gegen die Wand, sodass ich wieder wach wurde. Sie wollten, dass ich übermüdet werde und den Fokus verliere. Sie ließen mich 72 Stunden lang nicht schlafen. Sie wollten mich brechen, damit ich etwas gestehe, was ich nicht gemacht habe. So ging es eine ganze Woche weiter, jede Nacht. Mit dieser psychischen Folter wurde ich psychotisch. An einem Tag hatte ich so schlimme Kopfschmerzen, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Ich griff den Vernehmer an, sodass sie mich schlugen, um mich unter Kontrolle zu bringen. Sie schlugen mich eine ganze Stunde lang bis ich das Bewusstsein verloren habe. Bei einem Verhör in den Sicherheitsgefängnissen der Islamischen Republik, sind die Vernehmungsbeamten darauf aus, die Gefangenen nervös zu machen, um deren Aufmerksamkeit zu erhalten. Ich glaube, dass es der 8. Tag des Verhörs war, als der Vernehmer mir wieder die gleichen Papiere vorlegte, wie am ersten Tag. Dort waren die Bilder von meinen Freunden und mir. Er sagte, dass ich ein politischer Aktivist sei und nun zugeben sollte, dass ich als Marxist andere Studenten gegen die Islamische Republik mobilisieren wollte und eine Kundgebung gegen die Islamische Republik am Tag der Studenten abhalten wollte. Er beschuldigte mich, auf einer Plattform einiger linksgerichteter Parteien Kurdistans veröffentlicht zu haben. Er sagte, dass meine Freunde und ich politisches Bewusstsein an Studenten vermitteln wollen. Der Vernehmer drohte mir permanent und sagte, dass er so was nie wieder zulassen würde. Er droht mir, dass ich in eine andere Zelle muss, in eine Zelle in der gefährliche Häftlinge untergebracht seien. Er wollte auch, dass ich meinen Freunden einen Brief schreibe, in dem ich darüber berichte mit der Komala-Partei in Verbindung zu stehen und das meine Freunde in den Irak gegangen seien. Er sprach auch von der Kurdisch Kommunistischen Partei, der KKP. Mehr als drei Stunden lang machte der Vernehmer solche Anschuldigungen gegen mich, sagte, dass ich das Gefängnis nie wieder verlassen werde. Er sagte auch, dass er ein Gedicht an der Universität in Teheran gelesen hatte welches genau so politisch sei, wie mein linkes Gedankengut. Nur wenige meiner Gedichte und Artikel kritisieren den Staat im Umgang mit den armen Menschen im Iran und in Kurdistan, doch diese waren nun ein Beweis gegen mich. Der Vernehmer sagte, dass er meine ganze Familie belästigen wird. Er meinte sogar, dass, wenn ich eine Partnerin haben sollte, er sich darum kümmern wird, dass sie mich vergisst. Sie versuchten meine Gefühle zu verletzen und mich zu bedrohen. Ich fragte nach einem Anwalt oder der Möglichkeit mit meiner Familie zu sprechen, sodass Sie eine Kaution für mich zahlen können. Aber wieder wurde mir entgegnet, dass er niemandem zu mir lassen würde. Es soll keiner wissen wo ich bin und auch niemand Kontakt von Außen zu mir herstellen können. Das Schlimmste, was er sagte war, dass er es nicht zulassen würde, das jemals jemand von meiner Situation erfahren wird. Ich war richtig verärgert. Dann legte der Vernehmer mir ein Papier und einen Stift hin und befahl mir zu gestehen, sonst darf ich auch diese Nacht nicht schlafen. Dieser Druck machte mich richtig wütend. Ich wollte den Vernehmer wie einen Wurm zerquetschen, aber ich konnte einfach nichts machen. Einer der schlimmsten Momente meines Lebens trat ein, als man mich zwingen wollte etwas gegen einen meiner Freunde zu schreiben. In diesem Moment merkt man wie grausam dieses politische System ist und wie es die Menschlichkeit unterdrückt. Ich musste an meine Mutter denken, die schon älter ist – wenn sie nur wüsste, wie aufgebracht ich in diesem Gefängnis sitze, was wird aus meiner Familie? Was, wenn sie bedroht werden? All diese Gedanken griffen meinen Verstand wie ein Sturm an. Und der Vernehmer erniedrigte mich weiter mit seinen Worten. Am achten Tag nach meiner Verhaftung entschied ich mich in den Hungerstreik zu treten. Dies war mein Widerstand gegen die Gefängnisbedingungen, und zwar ohne jedes Verbrechen. Ich saß nun im Gefängnis und konnte mit niemandem Außerhalb kommunizieren. Die Vernehmungsbeamten, setzten mich unter Druck und bedrohten mich. Sie sagten zu mir, dass sie mich für die nächsten 10 Jahre inhaftieren werden, dass sie das Gericht dazu bringen werden, mir 10 Jahre Haft auf zu erlegen. All dieser Druck hat meinen Verstand und meine Seele geschwächt.

Der Hungerstreik begann. Ich hatte nun eine Woche lang nichts mehr gegessen, nur wenig Wasser zu mir genommen. Am ersten Tag der zweiten Woche bekam ich Magenblutungen. Sie erlaubten mir zwei Tage lang nicht einen Arzt zu sehen. Nicht mehr zu schlafen und zu essen fühlte sich an als wäre ich ein toter Mann. Ich hatte auch keine Informationen über meine Freunde. Ich war einen Tag lang in der Gefängnisklinik und hatte starke Bauchschmerzen, dort wurde mir gesagt, dass ich am nächsten Tag wiederkommen soll. Dann brachten sie mich wieder in meine Zelle und ließen mich für eine weitere Woche nicht mehr raus.

Es interessierte mich nun kaum was mit mir geschieht. Nur die Besserung der Lebensverhältnisse der armen Menschen im Iran und Kurdistan haben mich weiterhin beschäftigt. Es war mentale und körperliche Folter für mich. Nach einem Monat im Gefängnis, gelang es ihnen immer noch nicht irgendein ein Geständnis von mir zu erhalten. Nach 33 Tagen sah ich nun etwas Licht – mit der Hilfe von Freunden wurde mein Fall zum Strafgericht gegeben. Die Vorwürfe gegen mich – Kontakt mit kurdischen Gruppen und das Mobilisieren von kurdischen Studenten, waren haltlos. Kurz gesagt, reichen diese Vorwürfe nicht mal, um mich eine Stunde festzuhalten und zu befragen. 33 Tage – die schlimmsten meines Lebens. In diesen Tagen fand wahrscheinlich meine intellektuelle Geburt statt. Ich realisierte in was für einem System ich lebe und wie politische Systeme unschuldige Menschen unterdrücken um ihre Macht zu erhalten. Einer der schlimmsten Behandlungen von Gefangenen die, die Islamische Republik durchführt, ist das Erniedrigen durch Vernehmungsbeamte. Ich erinnere mich genau, was sie mir sagten als ich im Hungerstreik war. „Stirb, du bist ein Parasit für die Gesellschaft, lasst ihn sterben“ und viele weitere Beschimpfungen die ich während des Verhörs zuhören bekam, die ich hier jedoch nicht nennen kann. Ich sah meine Freunde nie wieder. Einer von ihnen wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, von einem Anderen haben wir nie wieder etwas gehört. Eineinhalb Jahre später sagten sie uns, dass er Selbstmord in Haft beging. Wir wissen, dass es sehr stark war. Wir wissen aber nicht, was tatsächlich mit ihm passiert ist – wir wissen nur, dass die Islamische Republik lügt. Seine Familie steht unter sehr starkem Druck und konnte nicht von Medien befragt werden. Eine arme, bäuerliche Familie, die von niemandem unterstützt wurde.

Fünf Jahre sind nach diesen schrecklichen Tagen vergangen und manchmal wache ich Nachts auf und denke , dass diese Zeit im Gefängnis mich verändert hat, mich stärker gemacht hat. Nur kann ich nicht mehr wie ein normaler Mensch sein, und schlafe meist mit Kopfschmerzen ein.

Vielleicht ist nichts davon für die Menschen von Bedeutung, die nie für Gerechtigkeit und eine bessere Welt ins Gefängnis gegangen sind. Und für Mütter, die ihre Kinder nie wiedergesehen haben.

Ich bitte all die, die diesen Text lesen, für Freiheit, Gefühle, Gerechtigkeit und Liebe zu kämpfen. Ich will sagen, dass man Regierungen nicht erlauben darf Überhand über die eigene Seele zu bekommen. Lebt in Liebe zueinander.

Es lebe die Freiheit und lang lebe die Erinnerung an Yadegar und Farzad Kamangar!