Erneuter Gerichtstag und (noch) keine Entscheidung für Mumia Abu-Jamal

Seit knapp 37 Jahren sitzt der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal im US Bundesstaat Pennsylvania für einen unbewiesenen Mord in Haft. Aus Anlass seines Haftjahrestages werden am kommenden Sonntag, dem 9. Dezember Kundgebungen und Proteste in zahlreichen Städten und Ländern stattfinden (u.a. in Berlin http://www.mumia-hoerbuch.de/demonstration.htm#Aufrufkundgebung09122018berlin). Heute war bereits der 8. und vermutlich letzte Gerichtstag einer knapp zwei Jahre andauernden Anhörungsphase um die Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens von Mumia. In den 1980ern hatte Bezirksstaatsanwalt Ron Castille sich persönlich dafür eingesetzt, alle zum Tode verurteilten Gefangenen in Philadelphia hinrichten zu lassen. Einige Jahre später wurde er zum Revisionsrichter gewählt und saß Fällen vor, in denen er zuvor als Staatsanwalt involviert war, u.a. dem von Mumia Abu-Jamal. Selbst in der oft befremdlich anmutenden Rechtsauffassung der USA ist so ein Vorgang rechtswidrig. So kassierte der Oberste Gerichtshof der USA 2016 eines seiner vielen Urteile als Revisionsrichter gegen Terrance ‚Butter‘ Williams (https://www.supremecourt.gov/opinions/15pdf/15-5040_6537.pdf) und ordnete eine Neuverhandlung an. Kurz darauf reichte Mumia Abu-Jamal ebenfalls einen Antrag auf Wiederholung seines Revisionsverfahrens ein, über den seitdem am Revisionskontrollgericht von Philadelphia unter dem Vorsitz von Richter Tucker verhandelt wird.
Der heutige Gerichtstag begann mit Turbulenzen, denn er war bis vergangenen Freitag gar nicht bekannt, zumindest nicht der Verteidigung von Mumia Abu-Jamal. Es besteht jedoch die Vermutung, dass die Gegenseite früher davon Bescheid wusste. Die Polizei-Lobbyorganisation Fraternal Order of Police (FOP) und Justizangehörige füllten die ersten Reihen des Gerichtssaals und ließen wie schon so oft zuvor wenig Raum für Angehörige von Mumia Abu-Jamal. Die FOP setzt sich seit Jahrzehnten für die Hinrichtung des Journalisten ein, der vor seiner Festnahme einer der bekanntesten Kritiker von Polizeigewalt und institutionellem Rassismus in den Medien des Bundesstaates war.
Am vergangenen Freitag, den 30. November 2018 besuchte Rechtsanwältin Judith Ritter Mumia Abu-Jamal im Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine Ahnung davon, dass es heute, am 3.12.2018 eine weitere Anhörung geben würde. Denn bei der letzten gerichtlichen Anhörung am 29.10.2018 hatte Richter Tucker für heute zwar seine Entscheidung, aber keine öffentliche Verhandlung angekündigt. Folglich konnten Mumia und seine Anwältin sich nicht darauf vorbereiten. Von der Anhörung erfuhr Anwältin Ritter erst am Freitag nach ihrer Rückkehr vom Haftbesuch gegen Ende des Werktages.
Revisionskontrollrichter Tucker fragte die Verteidigung von Mumia heute früh im Gerichtssal, ob es noch andere als die ohnehin schon vorgebrachten Beweise für die Rolle des früheren Staatsanwaltes und späteren Richters Castille in dem umstrittenen Revisionsverfahren gäbe. Rechtsanwältin Judith Ritter antwortete ihm, dass sie vor einigen Tagen bereits einen Brief an ihn gesandt habe, in dem es um ein Auskunftsersuchen (Right To Know = RTK) an eine staatliche Behörde über die Korrespondenz des früheren Senatoren Fisher mit Staatsanwalt Castille ging. Fisher und Castille hatten sich in den späten 1980ern stark für die Durchführungen von Hinrichtungen im US Bundesstaat Pennsylvania eingesetzt. Allerdings seien diese Briefe bis jetzt nicht übergeben worden.
Die Verteidigung von Mumia Abu-Jamal machte daher heute keine weitere Eingabe vor Gericht. Revisionskontrollrichter Tucker fragte, ob sie zusammen mit Mumia irgendwelche weiteren Eingaben oder inhaltlich neuen Auseinandersetzungen anstreben würden. Rechtsanwältin Ritter verneinte dies, kündigte aber die Möglichkeit von ergänzenden Anhängen zu bereits verhandelten Punkten an. Richter Tucker erklärte daraufhin, nun anhand der seit ca. 2 Jahren zusammen gekommenen Unterlagen eine Entscheidung fällen zu wollen. Wann das passieren werde, liess er offen.
Diese Entscheidung kann nun also jederzeit fallen, aber es gibt auch keinerlei zeitliche Begrenzung. Tucker ist allerdings sehr gut mit dem Fall vertraut, denn er war auch an dem Präzedenzfall von Terrance ‚Butter‘ Williams (https://www.supremecourt.gov/opinions/15pdf/15-5040_6537.pdf) beteiligt, auf dessen Ergebnis ja Mumias Antrag auf ein neues Revisionsverfahren aufbaut. Damals verkündete Tucker seine Entscheidung innerhalb weniger Wochen.
Es könnte also sein, dass die Entscheidung über die Neueröffnung des Revisionsverfahrens in die Ferienzeit fällt. Besonders bei einer negativen Entscheidung wäre das eine mögliche Vorgehensweise. Denn so sei weniger öffentlicher Protest zu erwarten, erklärte eine Gerichtsbeobachterin nach der Verhandlung vor Mumias Unterstützer*innen auf der Strasse vor dem Gerichtsgebäude. Allerdings sehe sie juristisch nicht, wie Mumias Antrag auf ein neues Verfahren abgewiesen werden könne. Zwar sei nur ein Bruchteil der Beweise über die widerrechtlich durch Castille sabotierte Revision in dieser Anhörung zur Sprache gekommen, aber auch diese wenigen Beweise und Indizien seien eindeutig. Es ist deutlich, dass der frühere Staatsanwalt Castille bereits persönlich und maßgeblich in Mumias Fall involviert und voreingenommen war, bevor er Jahre später als Richter im gleichen Fall der Revision vorsaß. Ronald Castille hätte sich an diesem Fall gar nicht beteiligen dürfen.
Die Beobachterin ging auch noch mal auf die Haltung der aktuellen Staatsanwaltschaft ein, die inzwischen von Larry Krassner geleitet wird. Krassner hatte 2017 als Kandidat verschiedener Strafrechtsreformgruppen und Black Lives Matter erfolgreich für das Amt des Bezirksstaatsanwaltes von Philadelphia kandidiert, um das repressive und rassistische Strafrecht zu reformieren. Seine Behörde hat sich jedoch entgegen besserem Wissen der Beweislage seit Frühjahr 2018 aktiv an die Seite der FOP gestellt und die Forderung nach einer Wiederaufnahme des Revisisonsverfahrens von Mumia Abu-Jamal abgelehnt. Diese Haltung ist extrem verwunderlich, weil die gleiche Staatsanwaltschaft in weniger bekannten Fällen eine progressivere Position vertritt, die u.a. im Herbst 2018 auch zur Freilassung von zwei seit 40 Jahren inhaftierten Gefangenen der MOVE Organisation geführt hatte. Wenn wir uns jedoch vor Augen halten, dass es das höchste Gericht der USA war, dass den Terrance ‚Butter‘ Williams‘ Fall (https://www.supremecourt.gov/opinions/15pdf/15-5040_6537.pdf) aufrollte, liegt es auf der Hand, dass aufgrund des vergleichbar gelagerten Interessenskonfliktes von Castille im Fall von Mumia ebenfalls neu verhandelt werden muss. Warum ein zur Strafrechtsreform angetretener und in der Wahl sehr erfolgreicher Kandidat Krassner diesen simplen Sachverhalt nicht erkennen mag, löst Unverständnis und Fragen nach den Motiven aus.
Trotz nur zweitägiger Vorbereitungszeit waren heute früh erneut etliche Unterstützer*innen von Mumia zum Gericht gekommen. Da nur wenige von ihnen in den Gerichtssaal hinein gelangten, weil der bereits vorher größtenteils von der Polizei besetzt war, veranstalteten sie vor dem Gebäude eine Kundgebung für die Freilassung des afroamerikanischen Journalisten.
In Philadelphia setzen Unterstützer*innen in diesen Tagen ihre Aktionen für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal fort (https://mobilization4mumia.com/new-events/). Auch in New York, Mexico City, Haiti, Paris, London, Frankfurt am Main und Berlin sind Proteste für Sonntag, den 9. Dezember 2018 angekündigt. In Berlin treffen sich Mumias Unterstützer*innen um 14 Uhr vor der US Botschaft am Brandenburger Tor unter der Losung „FREE MUMIA – Free Them ALL!“ (http://www.mumia-hoerbuch.de/demonstration.htm#Aufrufkundgebung09122018berlin)

2007 erschien auf Indymedia ein ausführlicher Hintergrundartikel zu Mumia Abu-Jamals Verurteilung, in dem sein ursprüngliches Strafverfahren und Todesurteil untersucht wird: „Mumia Abu-Jamal – 26 Jahre Kampf um Freiheit“ – Indymedia 2007 http://de.indymedia.org/2007/11/200552.shtml

In der Sache kämpft Mumia bis heute darum, dass dieses Unrecht aufgehoben und er endlich frei gelassen wird.