Zur Situation der organisierten Linken im Iran

AG Mittelost-Recherche

Im Iran gab es von Dezember 2017 bis Januar 2018 großflächige Proteste, welche in der Stadt Mashad begonnen haben und sich auf ungefähr 80 große und kleine Städte ausbreiteten. Auch wenn es unterschiedliche Parolen in verschiedenen Städten gab, waren die Forderungen der Protestierenden einheitlich gegen die wirtschaftliche Situation, die Armut, gegen die sog. „Reformer“ und auch gegen die gesamte Regierung. Die Proteste und die Forderungen spitzten sich schnell zu. Es gab mehr als 4000 Verhaftungen, von denen ein Großteil noch in Gefangenschaft ist. Von einigen gibt es bis heute keine Informationen über ihren Verbleib. Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben ungefähr 30 Menschen während der Proteste oder im Gefängnis ermordet, dies sind allerdings die Zahlen der Regierung, nach inoffiziellen Angaben ist die Zahl deutlich höher.
Zu diesem aktuellen Thema ist einiges geschrieben worden. Wir wollen uns mit diesem Artikel etwas näher mit der Rolle der Linken in diesen Protesten beschäftigen. Um dies näher zu erläutern, reicht es nicht aus zu schauen welche Rolle die Linken jetzt spielen, sondern es muss auf die Geschichte der islamischen Republik und ihre Repressionen gegen linke Strukturen im Allgemeinen geschaut werden. In einer anderen Ausgabe werden wir auch den Schwerpunkt des Textes auf die Arbeiterinnenbewegung legen.

Revolutionszeit

Während der Revolution 1979 waren die Linken bereits organisiert. Es gab auch schon zur Schah-Zeit Repressionen gegen Linke und Kommunistinnen. Nach der Revolution gingen die Repressionen weiter. Es fanden Massenverhaftungen und Hinrichtungen statt. Diese fanden ihren Höhepunkt in dem Massaker gegen inhaftierte Linke und Kommunistinnen 1988, wo es in den Gefängnissen zu Massenhinrichtungen kam. In diesen Jahren voll Angst und Schrecken wurde versucht, jede oppositionelle Stimme zum Schweigen zu bringen. Eine Atmosphäre der Angst wurde geschaffen, in der den Überlebenden nur die Wahl blieb, marginalisiert im Iran zu leben oder ins Exil zu gehen. Dies hatte zur Folge, dass die kommunistischen Organisationen zerstört wurden oder vom Exil aus weiter versuchten, auf verschiedenen Ebenen ihre Kämpfe fortzusetzen. Die Schwächung als Folge der Repressionen traf alle Gruppen.
Im Iran gab es keine Möglichkeit mehr sich zu organisieren. Jede Form sich zu organisieren wurde von der Islamischen Republik unterbunden. Dies zeigte sich in der Frauenbewegung, Arbeiterinnenbewegung und studentischen Bewegung. Die Universitäten, Schulen und Arbeitsstätten, welche sich bisher in einer linken Hegemonie befanden, unterlagen nun der Kontrolle des Staates und Geheimdienstes.
Die Zerschlagung der Linken in all ihren Kampfgebieten führte logischerweise dazu, dass die Organisationen nicht mehr handeln konnten und von der politischen Bildfläche verschwanden.
Zusätzlich lenkte der Iran-Irak Krieg von innenpolitischen Themen ab.

Kuye-Daneshgah

1999 fanden die ersten größeren Proteste nach der Revolutionszeit statt, die Studentenproteste (Kuye-Daneshgah). Sie begannen in Studierendenwohnheimen in Teheran. Die brutale Niederschlagung dieser Proteste führte zu größeren Protesten an der Universität und auch auf der Straße. Von anfänglich einigen Hunderten wuchs die Zahl auf mehrere Tausende an.
Es gab viele Verhaftungen. Die Reaktionen und Aussagen Khatamis, welcher bis dahin als Reformer galt und die Hoffnung auf Verbesserung für einige Teile der Bevölkerung bedeutete, bewiesen nun, dass mit ihm keine Lockerungen kommen würden. Demonstrationen wurden untersagt. Gesetzesverschärfungen wurden eingeführt, welche auch das Versammlungsgesetz betrafen. Offiziell wird von 5 Toten gesprochen, ungefähr 70 Personen gelten immer noch als vermisst.
2002 gab es studentische Zeitschriften, welche links waren bzw. verschiedene linke Strömungen erkennen ließen. Dies war zu der Zeit neu; neu war ebenfalls, wie offensichtlich das stattfand. Es gab zuvor auch schon Magazine, die linke Themen behandelten, aber taten sie dies weniger offensichtlich. Sie versuchten es zum Beispiel über den Umweg einer intellektuellen Literaturzeitschrift. Diese Zeitschriften konnten die Atmosphäre des kritischen Denkens wieder erschaffen und somit die Wiedergeburt eines linken Diskurses ermöglichen.

Neue Organisationen gründen sich

Am 7. Dezember 2005 gab es nun zum ersten Mal eine organisierte Beteiligung linker Studierender an der Kundgebung zum Tag der Studierenden (am 7.12.1953 wurden unter dem Schah Pahlavi drei Studenten von der Polizei erschossen) in Teheran. Hier zeigte sich zum ersten Mal nach Jahren eine organisierte linke Struktur. Bisher wurde dieser Jahrestag nur von Regimetreuen und später von Reformisten organisiert. Es folgten einige von Linken organisierte Aktivitäten.
2006\2007 waren die Linken nun organisiert. Zuvor fand eine Demonstration von Frauen statt, um gegen diskriminierende Gesetze gegen Frauen zu protestieren, die eine Million Unterschriften Kampagne (Change for equality) bildete sich nach dieser Demonstration. Es gab innerhalb der Linken im Iran keine einheitliche Meinung dazu, an diesem Protest teilzunehmen.
Gegen Ende 2006 wurde die „radikale Linke“ (chape-radikal auch chape-azadi-khah va barabari-talab) sichtbar. Sie hatte sich gut organisiert und trat öffentlich in Erscheinung. Vor allem am Tag der Studierenden waren sie sehr stark vertreten. Es entstanden nun auch offiziell in der Zeit zwei neue Gruppierungen. An der Universität gründete sich ein Frauenkomitee, welches eine große Veranstaltung zum 8. März organisierte. Hier zeigte sich die Geschlossenheit und Stärke der Linken im Iran und brachte den internationalen Frauenkampftag nun an die Oberfläche.
Nicht außer Acht zu lassen war die Bedeutung der Blog´s zum Verbreiten der Ideen von Gruppen und Einzelpersonen. Die Präsenz der Linken im Internet war deutlich zu spüren. Die islamische Regierung versuchte, dies mit technischen Mitteln zu unterbinden. Vereinzelt fanden auch Verhaftungen statt.
Im Dezember 2007, am Tag der Studenten, gab es zum ersten mal keine Zusammenarbeit zwischen den linken Studierenden und den Liberalen und anderen wie bisher.
Die proletarische Linke und die radikale Linke wollten eine eigene Kundgebung und Demonstration. Einige Tage vor der Kundgebung wurden von diesen beiden Gruppen wichtige Leute verhaftet, ca. 30 Personen. Während der Demonstration nochmal einige weitere. In einer zweiten Welle wurden nochmal einige verhaftet. Eine kämpferische Kundgebung hat aber trotzdem stattgefunden.
Es gab Suspendierungen von der Universität. Der Geheimdienst und der Nachrichtendienst hatten so viele Informationen über die Aktivitäten, Strukturen und Mitgliederinnen. Es gab viele Kontrollen und Verhöre, der Geheimdienst war sehr aktiv. Aufgrund der Repressionen und auch durch die Informationen, welche durch die Verhöre und Folter erlangt wurden, war die gesamte Idee, linke Organisationen zu gründen, zunichte gemacht worden.
Dies alles schwächte die Linke, soweit, dass eine Organisation nicht mehr möglich war. Einige Studierende verließen das Land. Die Repressionen führten aber auch zu Sympathiebekundungen anderer Studierender, welche auch an Demonstrationen für die Wiederaufnahme der suspendierten Studierenden teilnahmen. Es schien so, als wäre der Diskurs der linken Studierenden erkannt worden.

Die Deutungshoheit in falschen Händen

Bis 2009 konnten die Linken sich nicht neu organisieren. Die grüne Bewegung entstand. Es war 2009 offensichtlich, dass die Linke keine große Rolle mehr spielte, ihr Diskurs war nicht zu erkennen in den Protesten. Die Reformisten hatten es geschafft in den Monaten dieser Bewegung, die Proteste zu entradikalisieren. Sie distanzierten sich von allen radikalen Strömungen. Obwohl die Inflation hoch war, die Armut gestiegen und Repressionen gegen die Arbeiterinnen immens waren, war es in dem Diskurs der grünen Bewegung nicht präsent. Die Belange der Arbeiterinnen waren kein Thema für die Reformisten. Die Linke hatte sich gespalten. Einige waren der Meinung sich diesen Protesten anzuschließen, Moussavi zu wählen, andere verweigerten sich weiterhin den Reformisten. Es folgten wieder Verhaftungen, auch von Linken. Es wurde vielen verboten ihr Studium fortzusetzen. Wieder gingen viele ins Exil. Die Hegemonie der Opposition war zur Hegemonie der Reformisten geworden. Die Reformisten, welche in der Amtszeit von Khatami schon für das Volk an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten, hatten nun, in der Amtszeit von Ahmadinedjad wieder Aufwind bekommen. Ihr Diskurs war wieder aktuell und bot für viele eine vermeintliche Opposition. Besonders nachdem Karoubi und Moussavi unter Hausarrest gestellt wurden. Das Konzept der Reformisten wird von der islamischen Republik bewusst genutzt, um radikaleren Strömungen gar nicht erst die Möglichkeit zu geben den Diskurs zu bestimmen. Die Reformisten entradikalisieren den Diskurs ständig und lenken dadurch von den tatsächlichen Missständen ab.

Aktuell

Es entstand langsam eine neue Generation von Linken. In den Protesten jetzt zeigt sich wieder die Rolle der Reformisten, indem sie entweder die Proteste komplett ignorierten oder deren Legitimität in Frage stellten. Sie versuchten eine Atmosphäre der Angst vor einem Bürgerkrieg zu schaffen. Iran könnte das neue Syrien werden, war eine ihrer Aussagen. In den letzten 2 Jahren waren viele Proteste über das ganze Land zu beobachten, hauptsächlich von Arbeiterinnen, aber auch von Gefangenen und anderen. Diese waren starken Repressionen ausgesetzt. Es entstanden wieder einige linke Aktivitäten. Linke Veröffentlichungen im Internet und linke Chatgruppen, es kursierten auch Ausdrucke in den Universitäten. Ihre Forderungen und die Kritik am politischen Geschehen war zu erkennen. Einige der Proteste richteten sich gegen Privatisierungen welche vom Staat eingeführt wurden. Die Privatisierung und die Einschränkung der Arbeitsrechte nach den Anforderungen der Neoliberalen Logik, um die billigen Arbeitskräfte und die Wertstoffe für den internationalen, vor allem westlichen Markt zu öffnen. Schauen wir uns die Lage der Arbeiterinnen im Iran an, erkennen wir schnell, dass die Arbeiterinnen praktisch keine Sicherheit und Rechte haben. Sie leben fast unter der Armutsgrenze, die Arbeitgeberinnen sind in der Lage sogar dieses geringe Gehalt einzubehalten, für Monate. Viele der Arbeiterinnenproteste richteten sich gegen die Nichtauszahlung ihrer Gehälter. Nach den Veränderungen im Arbeitsrecht gab es viel Protest auch von Seiten der Studierenden. Die Überschneidungen zwischen den Forderungen der Studierenden und der Arbeiterinnen waren und sind offensichtlich. Es gab wieder eine Form der Solidarität.
Aktuell ist die Schere zwischen Arm und Reich so groß geworden, dass sie nicht mehr auszuhalten ist.
Einige der Hauptmotive für die sog. Brotbewegung (jombeshe-nan) sind die wirtschaftliche Situation, die Korruption, die ungleiche Verteilung des Wohlstands. Der Ölreichtum Irans wird für lokale imperialistische Bestrebungen benutzt. Wir können hier von Klassenprotesten sprechen, die Forderungen der protestierenden sind linke Forderungen, hier sollte sich die Linke die Frage stellen, wie sie in solch einer Situation eine aktive Rolle einnehmen kann, um den emanzipatorischen Diskurs offensichtlich zu machen. Unserer Einschätzung nach ist in den vergangenen Protesten keine organisierte Linke involviert gewesen. Es gab einige Solidaritätsdemonstrationen an den Universitäten, welche einen offensichtlich linken Standpunkt vertraten.
Wir reden über eine Gesellschaft, wo die Arbeiterinnenklasse es sehr schwer hat sich zu organisieren, für die intellektuellen Arbeiterinnen gibt es viele Beschwerlichkeiten. Solange die Organisierungsbestrebungen ständigen Repressionen ausgesetzt sind, kann sie nur sehr schwer, wenn sogar gar nicht, zusammenarbeiten.
Auch im Iran sind die Tendenzen der Zersplitterung der Linken vorhanden, wie überall auf der Welt.
In dieser schwierigen Zeit sind wir an einem Punkt angekommen, wo sich die linken Intellektuellen die Frage stellen sollten, wie sie versuchen wollen ihren Diskurs der Gesellschaft zu verdeutlichen. Es gibt aktuell zwei Hauptdiskurse, welche nicht emanzipatorisch sind. Einer ist der Diskurs, welcher aus Angst vor imperialistischen Mächten nicht bereit ist gegen die islamische Regierung das Wort zu erheben und der zweite Diskurs, der der Regimegegnerinnen, welche die Rolle der Imperialisten für ein Land wie Iran nicht thematisieren. Diese Diskrepanz ist gefährlich und hinderlich für einen revolutionären Diskurs. Auch wenn es den Anschein hat, dass die Proteste abgeklungen sind (Arbeitsstreik und verschiedene Aktionen von Frauen gegen das Tragen des Kopftuches finden weiterhin statt), ist die Gesellschaft an einen Punkt gekommen, wo es jederzeit zu Aufständen kommen kann. In solch einer Situation sollte der Versuch gestartet werden, wieder zu einem revolutionären Diskurs zu gelangen, eine kritische Analyse der Vergangenheit ist notwendig und eine Analyse der Situation der Linken im Augenblick. Dies ist eine schwere Aufgabe und benötigt viel Zeit und ist nicht von einer Gruppe zu lösen. Es benötigt zunächst ein Linkes Zusammendenken.
Wie kann dieser revolutionäre Diskurs entstehen und wie kann eine kritische Sicht auf die beiden anderen ihre Schwachstellen aufzeigen und sie in ihren revolutionären Diskurs aufnehmen. Es benötigt ein Zusammendenken, eine Diskussion, eine politische Auseinandersetzung zwischen diesen Gruppen und Kräften.