Proletarische Autonomie Magdeburg | Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Magdeburg
Mit diesem Text werden wir uns mit der Geschichte der Knastkämpfe in Italien in den 1970ern beschäftigen. Dafür werden wir einen kurzen geschichtlichen Überblick über die gesellschaftlichen Entwicklungen geben, deren Klassenkämpfe und Organisierungen, sowie den daraus resultierenden Auseinandersetzungen in den Gefängnissen.
In der Mitte der 1960er Jahren entwickelte sich in den USA ein gesellschaftlicher Aufbruch, der die ganze Welt erfassen sollte, so auch in Italien. Diese Bewegung, die in Europa ihren Höhepunkt im Pariser Mai 1968 fand, wird heute als ´68er bezeichnet. Durch die Ablehnung des Vietnamkrieges verbreitete sich das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer radikalen Gesellschaftskritik, die auf der ganzen Welt unterschiedliche Widerstandsformen hervorbrachte. Die Bewegungen in Aufbruch hatten auch in Italien das gemeinsame Prinzip der Ablehnung von Autorität und Macht der Herrschenden, somit einen gemeinsamen Feind. In den Schulen und Universitäten kritisierten die Schüler und Studenten die Vorurteile der Lehrer sowie den Aufbau und die Ausrichtung der Lehrpläne und Institutionen. In den Fabriken kämpften die Arbeiter gegen ihre Ausbeutung und verweigerten die Arbeitsnorm. Auch die Rolle der Frau und ihre Bevormundung durch den Mann wurden kritisiert. Die gemeinsamen Ziele aller Teile dieser Bewegung war die Verbesserung der Gesellschaft unter dem Prinzip der Gleichheit und Partizipation von allen an Entscheidungen, der Eliminierung von gesellschaftlicher Unterdrückung und Rassendiskriminierung. Es rebellierten natürlich auch die Gefangenen(die Gefängnisse wurden in Italien noch wie zur Zeit des Faschismus geführt), welche neben Verbesserungen der Knastbedingungen das Recht auf Versammlungen forderten. Sie wollten Kommissionen, welche die gesamte Aktivität in den Gefängnissen überwachen sollten. Es wurden Besuche ohne Einschränkungen gefordert, die Abschaffung der Zensur, das Recht auf sexuelle Beziehungen und vieles mehr.
Es entwickelte sich auch in Italien, was weltweit als „neue linke“ (NEW LEFT) bekannt wurde, eine radikale Linke, für die es sehr wichtig war, sich auf die Kämpfe in der dritten Welt zu beziehen, auf die Revolutionen im arabischen Raum, in Asien, Afrika, Süd- und Mittelamerika .
Am 24. Januar 1966 wurde in Trento zum ersten Mal durch Soziologiestudenten eine italienische Universität besetzt. Die Besetzungen und Proteste häuften sich in ganz Italien. Die Studenten kritisierten die „Barone“, ihre Dozenten und forderten kostenlosen Unterricht für alle (im Besonderen für Jugendliche aus ärmeren Familien). In der Fakultät in Trento war es nicht möglich auch nur einen Kurs durchzuführen, da diese dauerhaft besetzt war.
1969 begann eine Welle von großen und kleinen Streiks in den Fabriken, welche mit der Bewegung der Studenten verschmolz. Es ging also von Studentenprotesten, die zum größten Teil von den bürgerlichen Medien ignoriert wurden, zu Forderungen der ArbeiterInnen. Die Anwesenheit von jungen ArbeiterInnen an der Seite der StudentInnen charakterisierte die italienische 68er Bewegung. Im Allgemeinen herrschten viel Solidarität und Austausch, weil die StudentInnen verstanden, dass die Lebensbedingungen der ArbeitInnen morgen die ihrigen sein würden.
Ende November 1968 gingen 3000 Landarbeiter auf die Straße, um neue Arbeitsverträge zu fordern. Schon nach zwei Tagen wurden während dieser Auseinandersetzungen 2 Arbeiter ermordet, als die Polizei auf eine Straßenblockade schoss. Vier Monate danach ging die Bevölkerung in Battipaglia auf die Straße, um Arbeitsplätze zu fordern. Während eine Delegation nach Rom ging, um mit dem Wirtschaftsminister zu verhandeln, entwickelten sich in der Stadt Kämpfe mit der Polizei, bei der der Typograf Carmine Citro sowie die Lehrerin Teresa Ricciardi starben.
Diese Kämpfe in Battipaglia hatten die Erneuerung von 32 Arbeitsverträgen als Forderung, sowie einheitliche Verträge mit höheren Löhnen und einer Verkürzung der Arbeitszeit. Zum ersten Mal war die Welt der StudentInnen und ArbeiterInnen vereint, seit dem Beginn der Kämpfe mit einheitlichen Positionen zum Thema Arbeit. Gemeinsam entwickelten sie immer radikalere Auseinandersetzungen, in manche Fällen streifen diese sogar den Aufstand, wenn man die Fakten und Forderungen analysiert.
Die offiziellen Gewerkschaften wurden durch die radikalen Forderungen und die Praxis der autonom arbeitenden Comitati unitari di base CUB (Vereinte Basis Komitees) stark beeinflusst, welche gleiche Löhne für alle FabrikarbeiterInnen forderten, nach dem Prinzip, dass alle „Mägen gleich sind“ ohne Unterschiede unabhängig der Stellung der einzelnen ArbeiterInnen im Betrieb. Der Profit wurde als ein Betrug angesehen, die Effizienz als ein Komplott, aber die Faulheit und Sabotage wurden als berechtigter Schlag gegen die kapitalistische Logik verstanden. In den Fabriken wurde die Stimmung für alle Dirigenten, Vorarbeiter und Anscheißer unaushaltbar, da sie sich eingeschüchtert und bedroht fühlten. Es wurde allgemein mehr „krank“ gefeiert und es häuften sich die Episoden von Sabotage, Einschüchterung und Gewalt gegen Fabrikeigentum, Bosse und Vorgesetzte. Eines dieser Episoden passierte zum Beispiel am 29 Oktober 1969 bei Fiat in Turin. Eine große Gruppe streikender, mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffnet, zerstörte die Montagebänder sowie den Karosseriebereich und die Mensa in der Niederlassung Mirafiore.
Anders als in anderen europäischen Ländern ebbte in Italien diese Bewegung nicht ab, sondern es entwickelten sich in den darauf folgenden 20 Jahren intensive Klassenkämpfe, in denen laut vieler historischer Analysen die Gruppen organisierter ProletInnen den Italienischen Staat an den Rand des Bürgerkrieges führten.
Da Staat und Kapital auf die berechtigten Forderungen der Unterdrückten mit Entlassungen und Repressionen bis hin zu staatsterroristischen Massakern antwortete, begannen viele ArbeiterInnen sich in klandestinen und bewaffneten Gruppen zu organisieren und den Kampf gegen Bosse und Unterdrückungsorgane offensiv zu führen.
Eine der berühmtesten Ausdrücke dieser Entwicklung war die Entstehung der Brigate Rosse (Rote Brigaden), welche sich an latainamerikanischen Stadtguerillakonzepten wie des „beiße und fliehe“ oder „treffe einen und erziehe tausende“ orientierten, unbeliebte Chefs entführten und diese an den Werkstoren vor Arbeitern zur Schau stellten.
Als der PCI (Italienische kommunistischePartei) 1973 begann, ein Projekt der Annährung an Sozialisten und Konservative durchzuführen, auch bekannt als „historischer Kompromiss“, betrachteten viele AktivistInnen der italienische Linken dies als Verrat am Proletariat und der Revolution. Dadurch schlossen sich noch mehr ProletInnen der revolutionären Bewegung an und kämpften gegen das System. Der Weg zum bewaffneten Kampf wurde für viele zu einer konkreten Option.
Die Bewegung theoretisierte die absolute Verweigerung der Arbeit (mit Begriffen wie „Enteignung“, „selbständiges Preisedrucken“, “Besetzung“ und „proletarischer Einkauf“) und hatten den PCI und die offiziellen Gewerkschaften als zusätzliche Feinde.
Doch wie gesagt waren die Roten Brigaden (mit ihren Abspaltungen) nur die größte und am längsten operierende bewaffnete Gruppe. Es entwickelten sich in ganz Italien über den Zeitraum zwischen 1970 und 1980 über 50 bewaffnete Gruppen, die manchmal über Jahre und manchmal nur mit ein paar Aktionen gegen die Unterdrücker kämpften. Die Themen waren dabei vielschichtig und reichten vom Kampf gegen Heroin in den proletarischen Vierteln bis hin zu Enteignungen von Banken, um die Revolution zu finanzieren und vieles mehr. Die italienischen ProletarierInnen ließen es zu dieser Zeit anständig krachen.
Knastkampf ist Klassenkampf
Die Gründe der enormen Intensität der Knastkämpfe im Italien der 1970er Jahre basierten auf vielen Faktoren. Zum Einen waren es die unmenschlichen Knastbedingungen, die seit dem Faschismus herrschten. Aum Anderen waren es die Freiheits-ideale, welche die 68er- Bewegung in der Gesellschaft verankert hatte. Diese ergriffen nämlich auch die Gefangenen, wodurch sie die kapitalistische Gesellschaft, die sie in Gefängnisse steckte, erst hinterfragten und dann bekämpften.
Viele Verhaftete der kämpfenden Gruppen brachten zusätzlich ein stark artikuliertes Klassenbewusstsein hinter die Mauer und eine Bereitschaft für die Organisierung und den Kampf. Hier trafen sie auf all jene, die in der Kriminalität die Flucht vor den Lebensbedingungen fanden, die der Kapitalismus für sie vorgesehen hatte, oder einfach gezwungen waren illegal zu leben.
Daraus entwickelten sich Selbstorganisierungen, mit denen sich die Gefangenen selbst bildeten, aber auch schützten und Aufstände planten bzw. durchführten. Zwei der größten Aufstände waren die auf der GefängnisInsel Asinara (das erste Knastprojekt, um die revolutionären Gefangenen zu brechen) sowie der im Sondergefängnis in Trani, am 29. Dezember 1980. Dieser Aufstand wurde durch bewaffnete Sondereinheiten von Polizei und Militär beendet. Diese misshandelten nicht nur die Gefangenen, sondern schlugen auch die als Geiseln gehaltenen Wärter.
Die ersten Massenkämpfe von Gefangenen ereigneten sich im April 1969. Diese hatten sich bereits seit 1967 durch isolierte und friedliche Mobilisierungen angekündigt (Sitzblockaden, passiver Widerstand, Arbeitsverweigerungen, Hungerstreikes, etc.) und explodierten dann in den meisten Knästen auf der ganzen Halbinseln – von Turin über Palermo bis nach Mailand, Genua, Florenz, Rom und Neapel.
Zu dieser Zeit war es für neue Insassen, wenn sie die Gefängnisse betraten, als würden sie eine Zeitmaschine betreten. Draußen die Zeit des ökonomischen Booms der 1960er und 1970er, und im Gegensatz dazu das mittelalterliche Knastregime. Das ist auch der Grund, warum die Kämpfe in den Knästen der großen Metropolen explodieren.
Die auf die Zerstörung der Knäste 1969 folgende Aufteilung der daran beteiligten Gefangenen auf andere Knäste, führte zu einem Austausch unter Gefangenen über Lebenserfahrungen und Kampfmodelle in den Kerkern des ganzen Landes.
Die Gefangenen, die am meisten diese Kampferfahrungen vorantrieben, waren die extralegalen ProletarierInnen aus den urbanen Zentren. ProletInnen, die schon die organisatorische Veränderung der Extralegalität, bedingt durch die 68er Bewegungen, verinnerlicht hatten. Die kleine Bande gleichwertiger Mitglieder war die neue Form ihrer Zusammenschlüsse, anders als die Strukturen der Mafia.
Da die Lebensbedingungen in den Gefängnissen miserabel waren, basierten die Forderungen auf konkreten Verbesserung eben dieser, wie der Kampf gegen die Disziplinierungen, für menschenwürdiges Essen und andere Formen des sozialen Lebens drinnen sowie nach außen. Als ein Beispiel für diese Kämpfe wäre 1969 Turin zu nennen. Die Gefangenen besetzten 2 Tage den Knast und zerstörten diesen vollständig, was zur Aufteilung alller Gefangener (über 1200) führte. Hintergrund dieser Auseinandersetzung waren die dort üblichen 4 Stunden Aufschluss am Tag, welche wegen den Öffnungs- und Schließungsprozeduren der Zellen real nur 3 Stunden betrugen. Außerdem war es nicht erlaubt, Lebensmittel von außen zu erhalten, Karten zu spielen, Zeitungen zu kaufen und selbst zu kochen. Die ganzen Verbote begünstigten natürlich den „Schwarzmarkt“ innerhalb der Mauern, woran vor allem die Schließer gut verdienten. Ein Ergebnis dieses Kampfes war unter anderem die Zulassung der kleinen Campingkocher, die Jahre später in allen italienischen Knästen weit verbreitet waren.