FREE MUMIA Berlin, September 2017
Seit der Einführung des Kapitalismus durch die Machterlangung der bürgerlichen Klasse vor ca. 350 Jahren gibt es Arbeits-, Zuchthäuser sowie etwas später Gefängnisse. Anders als die feudalen Kerker zuvor dienen Gefängnisse bis heute nicht nur der Abschreckung der Nichteingesperrten (damit sie sich an die herrschenden Regeln halten), sondern haben das ganz konkrete Ziel, die eingesperrte Person selbst gefügig zu machen. Unter feudalen Herrscher*innen wurden Gefangene i.d.R. zu Tode gefoltert. Heute sind Zwangsarbeit und Ausbeutung in unterschiedlich extremer Ausformung sowohl Mittel als auch aktuell immer mehr Ziel der Inhaftierung. Das gilt historisch auch für alle realsozialistischen oder monopolkapitalistischen Staaten, ist aber derzeit hauptsächlich in bürgerlichen Marktwirtschaften präsent. An weitesten durchkapitalisiert ist Gefangenschaft derzeit in den USA, wo es seit ca. 40 Jahren eine regelrechte Gefängnisindustrie gibt, die zahlreiche Impulse überall in die Welt aussendet und trotz einiger regionaler Unterschiede im wesentlichen auch die Vorlage für die hiesige Ökonomisierung des Strafvollzugs darstellt. Daher soll es zunächst einen groben Überblick über Knast-Situation in den USA geben.
Gefängnisindustrie USA
Um der sich derzeit rasant entwickelnden, Gefängnisindustrie in Deutschland Widerstand entgegen zu setzen, werden im folgenden zunächst die Grundlagen auf ökonomischer, juristischer und gesellschaftlich/politischer Ebene in den USA angerissen:
Fast jede Branche lässt im Gefängnis produzieren. Pharma- und Lebensmittelindustrie, Autozuliefer- oder Turnschuhproduktion, Elektronikhersteller oder Betreiber großer Call-Center bedienen sich an der fast kostenlosen Arbeit. Ebenso der Staat selber. In den USA macht der so genannte gefängnisindustrielle Komplex inzwischen messbare Prozente des jährlichen Bruttoinlandsproduktes aus und galt 2007 bereits als drittgrößter „Arbeitgeber“.
Die Arbeit in den beteiligten Gefängnissen ist Zwang. Verweigerung wird mit Privilegienentzug und Einzeleinschluss im „Loch“ geahndet. Diese Strafzeit wird nicht auf die Haftdauer angerechnet.
Der “Lohn” beträgt je nach Bundesstaat zwischen 16 Cent und maximal 1 Dollar in der Stunde.
Betriebsräte oder gewerkschaftliche Organisierung sind weitestgehend verboten.
In den USA sitzen derzeit ca. 2,3 Millionen Gefangene ein. Laut UNO sind das 1/4 aller Gefangenen auf diesem Planeten. Kein Staat inhaftiert mehr eigene Bürger_innen – weder in realen Zahlen noch im Verhältnis zur eigenen Bevölkerungsgröße. Zum Vergleich: In Deutschland sind derzeit 86 von 100.000 Bürger_innen in Haft, in den USA 760.
Hinzu kommen noch 4,2 Millionen US Bürger*innen in Freigangs- oder anderen Programmen, so dass die Sonderrolle der USA noch deutlicher wird: jede*r 31. Erwachsene steht derzeit unter direkter Kontrolle der Justiz.
Auffällig ist dabei die hohe Anzahl Gefangener aus den Bevölkerungsgruppen der „People Of Color“. Sie stellen ca 20% der Gesellschaft. In den Gefängnissen machen sie jedoch ca. 2/3 der Gefangenen aus – die meisten von ihnen sind Afroamerikaner.
Es wird an dieser Stelle bewusst die männliche Form verwendet, weil Jungen ab 15 Jahren und Männer die überwältigende Mehrzahl bilden. Aber auch bei den gefangenen Frauen sind Afro-Amerikanerinnen in der Mehrheit.
Quelle US-Justizministerium: Seit 2011 sind rein zahlenmäßig mehr Afroamerikaner*innen ihrer Freiheit beraubt als 1865 bei der „offiziellen“ Abschaffung der Sklaverei.
Die große Mehrheit der Kritiker*innen der aktuellen Masseninhaftierung sieht darin die Fortführung der Sklaverei unter anderem Namen. Das US Finanzministerium berichtet ebenfalls 2011, dass die Einkommen der afroamerikanischen Community inzwischen auf den Stand von 1964 zurückgefallen sind.
Zu den über 2,3 Millionen Inhaftierten kommen fast doppelt so viele „in Freiheit“ befindliche Menschen, die nur unter Vorbehalt frei sind. Denn seit die Idee der Resozialisierung verschwunden ist, bleiben viele ehemalige Strafgefangene oft bis an ihr Lebensende benachteiligt und entrechtet.
Um nur einige gesellschaftliche Aspekte anzureissen: Ehemalige Gefangene haben i.d.R. kein Wahlrecht oder Anspruch auf Sozialleistungen, Wohnungen, Transportermässigungen etc. Es zeigt sich also, dass durch die Strafjustiz in den USA genau diejenigen endgültig ausgeschlossen werden, die ohnehin kaum eine Chance auf Teilhabe haben.
Plea Bargains/Three Strikes/Mandarory Minimum Sentences
Um die Akzeptanz in einer sogenannten Demokratie verstehen zu können, ist es wichtig, die juristischen Grundlagen genauer anzuschauen, die wiederum ein direktes Ergebnis der politischen Auseinandersetzung sind.
So gut wie nie bekommen Angeklagte in ihren Verfahren eine qualifizierte Verteidigung, denn praktisch alle sind mittellos. So werden sie meist nur von unmotivierten oder schlichtweg überforderten Pflichtverteidiger*innen vertreten, die der Staatsanwaltschaft normalerweise nicht gewachsen sind. Das zeigt sich auf dramatische Weise schon daran, dass es nach neuesten Angaben in 97% aller Fälle gar nicht zu einer gerichtlichen Verhandlung kommt, sondern dass die Verurteilung ohne Prozess erfolgt. Und das geht so:
Die Staatsanwaltschaft droht mit extrem hohen Strafen im Fall einer Verhandlung, um die uninformierten Angeklagten und ihre fast immer unerfahrenen Anwälte einzuschüchtern. Daraufhin willigen die meisten in einen Handel ein – den sogenannten „Plea Bargain“ , um vermeintlich günstig aus der Sache heraus zu kommen. Das heißt, sie lassen sich auf ein vorgeschlagenes Strafmaß ein, das im Vergleich zur Drohung geringer ist. Sie bekennen sich also juristisch abgesegnet zu einer Straftat, von der alle wissen, dass die Angeklagten sie nicht begangen haben. Das Strafmaß auf diesem Weg ist also bereits reine Willkür und 97% der ca. 2,3 Millionen Gefangenen werden völlig „legal“ für etwas festgehalten, was sie so nicht begangen haben. Aber damit hört es nicht auf:
Die berüchtigt rassistischen Polizeipraktiken in vielen Teilen der USA führen dazu, dass gerade junge Männer aus den Communities of Color immer wieder und deutlich öfter als sogenannte Weiße in die Fänge der Polizei geraten. Dies wiederum führt dazu, dass zunehmend viele von ihnen mehre Verurteilungen aus „Plea Bargains“ bekommen.
Bei drei rechtskräftigen Verurteilungen selbst für eigentlich kleine Delikte fällt in vielen US-amerikanischen Bundesstaaten das drakonische Urteil „Lebenslänglich mit Bewährung“. Die umgangssprachliche Bezeichnung dafür ist „Three Strikes and you‘re out“ – zu deutsch „Drei mal erwischt und du bist raus“, eine aus dem Baseball abgeleitete Metapher.
Dazu kommt dann die weitere Willkür des dehnbaren Strafmaßes – etwas, das wir hier in dieser Form so noch nicht kennen. In der US-amerikanischen Rechtsprechung ist es üblich, „flexible“ Strafmaße zu erlassen. Jemand bekommt beispielsweise 15-25 Jahre oder – für uns bisher unvorstellbare 30-45 Jahre mit Haftprüfungsterminen nach Ablauf der unteren Jahreszahl. Nach langen gesellschaftlichen Debatten ist es den Lobbyist*innen der Gefängnisindustrie auch gelungen, pauschale Mindeststrafen, sog „Mandatory Sentences“ gesetzlich zu etablieren, so dass bei vielen Vergehen gerade im Zusammenhang mit Drogen automatisch drakonische Haftzeiten die Folge sind.
Die Haftprüfung geht in den allermeisten Fällen negativ für den Gefangenen aus – selbst wenn sie oder er die Haftzeit ohne Beanstandung hinter sich gebracht hat. Warum?
Lobbyismus & Strafdiskurse & Medien
Nun – die Lobby-Organisationen der Gefängnis-Industrie, allen voran die Correction Corporation of America (kurz CCA) geben Millionen und Aber-Millionen dafür aus, um Politiker*innen dafür bezahlen, dass sie in Wahlkämpfen die Angst vor Verbrechen schüren. Sie bezahlen sie dafür, dass sie den vermeintlich „schwarzen, braunen oder roten Teufel“ an die Wand malen, der raubt und mordet und den „normalen“ Menschen das Leben zur Hölle macht. Mit dem Erfolg, dass die Angst umgeht und es für viele wie eine gute Idee aussieht, „solche Verbrecher“ am besten für immer wegzusperren. Nicht zufällig werden meistens Verbrechensopfer aus der überwiegend weißen Mittelklasse in den Medien dargestellt. Die Mittelklasse gehört in den USA zu den wenigen, die überhaupt noch an Wahlen teilnehmen. (Sie gehören aber nicht zu denjenigen, die am stärksten von den Folgen armutsbedingter Kriminalität betroffen sind – das bleibt wie überall auf der Welt vorwiegend den Armen selbst vorbehalten.)
So also wird der Nachschub für die Fließbänder der Gefängnisindustrie gesichert.
Das Ergebnis: Zwar sind schwere Gewaltverbrechen rein statistisch seit Jahrzehnten in den USA (ebenso wie in Europa) rückläufig – aber die Gesetzesverschärfungen und Plea Bargain-Praxis bewirkten einen derart rapiden Anstieg der Verurteilungen für Bagatelldelikte, dass offiziell ein „Anstieg der Kriminalität“ verzeichnet wurde.
Widerstand
Natürlich regt sich Widerstand gegen die Masseninhaftierung von innen. So z.B. bei den großen Arbeitsverweigerungen zu Jahresbeginn 2011, als über 4000 Gefangene in den US-Bundesstaaten Georgia und Alabama streikten.
Seit 2011 bereits ist Kalifornien ein Zentrum von Gefangenen-Aktionen. Höhepunkt war der Hungerstreik im Sommer 2013, als über 32.000 Gefangene gegen Isolationshaft, verdrecktes Essen und für Kontakt zur Außenwelt ihr Leben einsetzten. Gefangene im berüchtigten Pelican Bay Gefängnis sowie ihre Angehörigen führen diese Proteste bis heute fort. Auch im benachbarten Kanada schlossen sich Gefangene zeitweise dieser Aktion an.
Inzwischen sind leider einige der Gefangenen an den Folgen der wiederholten Hungerstreiks gestorben. Viele der gefangenen Organisator*innen dieser Streiks sind z.T. für Jahrzehnte in Isolationshaft verschwunden.
Vergangenes Jahr fand am 9. September, dem Jahrestag des Attica Massakers dennoch eine koordinierte Arbeitsverweigerung in über 40 Knästen der USA statt. Zehntausende Gefangene beteiligten sich und auch von außen gab es starke Unterstützung. Inzwischen gibt es auch Ableger von Gewerkschaften in den Knästen, so z.B. von der IWW.
Die sog. „Decarcerate Bewegung“, besonders aktiv in Illinois, Kalifornien oder Pennsylvania hat nicht nur erreicht, eine breite gesellschaftliche Debatte über Sinn und Zweck der Masseninhaftierung anzustossen sondern bereits Neubauten von Milliardenschweren Gefängnissen verhindert.
Ein Hauptslogan der Decarcerate-Bewegung ist „Build schools – not prisons“. Es ist weit in bürgerliche Kreise hinein angekommen, dass die Gefängnisbedingungen katastrophal sind, dass Menschen für absurd kleine Vergehen dort drin sitzen und dass die Steuergelder besser in neuen Schulen und Universitäten angelegt sind als in noch mehr Knästen.
Das kalifornische Parlament hat im November 2014 ein Gesetz verabschiedet, in dessen Folge nun eine ganze Reihe von Vergehen nicht mehr als Verbrechen, sondern als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, für die man nicht mehr eingesperrt wird. Außerdem erreichten die hungerstreikenden Gefangenen eine Aufhebung der sog. „Gang“-Zugehörigkeitskriterien, die der Willkür von Behörden als Grundlage für jahrzehntelange Einzelhaft dienten. Allein in Kalifornien mussten mehrere Tausend Gefangene aus der Isolationshaft entlassen werden.
Resumee
Das Amerikanische Zentrum für Ökonomie- und Politikforschung (cepr.net) schreibt über die Masseninhaftierung in den USA: „Nicht nur, dass wir die höchste Gefangenenrate der Welt haben – wir haben außerdem in den letzten 30 Jahren eine Gesellschaft geschaffen, in der 1 von 8 Männern landesweit ein Ex-Gefangener ist.“
Mit dem „Kampf gegen das Verbrechen“, den US-Politiker*innen gern wie eine Monstranz vor sich hertragen, hat diese Praxis nichts zu tun. Treffender ist der Ausdruck, den der Soziologe Loïs Wacquant dafür gebraucht hat: „Bestrafung der Armen“, also eine weitere Variante des in den USA heftig geführten Klassenkampfs von oben.
Rassistisch ist es außerdem. Die Statistik des Justizministeriums sagt kurz und knapp, dass 1 von 3 schwarzen Männern im Lauf seines Lebens im Gefängnis landet. 2010 waren 11 Prozent aller schwarzen Männer zwischen 20 und 34 Jahren in Haft; bei weißen Männern im selben Alter waren es „nur“ drei Prozent.
Wir sehen aber inzwischen auch, dass der aggressive Klassenkampf von oben in den USA so extrem rigide Gesetze geschaffen hat, dass sich dort inzwischen trotz jahrzehntelanger Sklaverei unter anderem Namen eine ernstzunehmende Bewegung gegen Gefängnisse entwickelt, die sowohl von drinnen als auch von draußen aufgebaut wird. Viele aus den Communities of Color verlieren ihre Angst, denn sie haben verstanden, dass es nichts bringt zu schweigen oder weg zu sehen, weil sie so oder so die nächsten sein können, deren Leben in Jahrzehnte währende Gefangenschaft münden kann, ohne dass sie irgend einen Einfluss darauf hätten. Vor ca. 15 Jahren kam verschärfend hinzu, dass durch den sog. „Krieg gegen die Drogen“ auch massenhaft arme Weiße – Stichwort „Chrystal Meth“ – ins Ziel der Repressionsorgane kamen und genau die gleichen drakonischen Haftstrafen erhielten. Anders als die Mehrheit der People of Color verfügen diese jedoch häufiger über Angehörige zu Kontakten und Wahrnehmung in den Medien, was das Problembewußtsein schärft und zumindest einem Teil der US Gesellschaft aufzeigt, was für eine Sackgasse Masseninhaftierung und Sklaverei bedeuten.
Hinzu kommt, dass die Verwertungsspirale der Gefängnisindustrie natürlich auch nicht überall widerspruchsfrei verläuft. Im neoliberalen „Alle gegen alle“ sind gerade die regionalen Behörden mit enormen Summen belastet, die sie für den Unterhalt der Gefängnisfabriken aufbringen müssen, während die privaten Konzerne zumeist nur die Gewinne abschöpfen. Das übersteigt die Möglichkeiten gerade ländlicher Gemeinden in den USA und führt zu Haushaltszusammenbrüchen. Laut einer Spiegelmeldung von 2005 hatten damals bereits über 1000 ländliche Gemeinden in den USA ihre Knäste an die große Lobbyorganisation Correction Corporation of America (CCA) verkauft. Diese erwirkte allerdings lukrative Vertragsbedingungen: sie übernahmen die Schulden der Gemeinden im Zusammenhang mit den Knästen, liessen sich im Gegenzug aber garantieren, dass die Anstalten immer zu 90% gefüllt sein müßten. Ansonsten könnten sie Schadensersatzansprüche einfordern. Seitdem sind also viele lokale Sheriffs auf der Suche nach potentiellen Gefangenen und lokale Gemeiden werden nicht müde, immer wieder neue Kommunalgesetze und Vergehen zu erfinden, um Menschen zu inhaftieren. Dieses Phänomen war übrigens 2014 neben der erdrückenden Polizeigewalt auch ein wesentlicher Moment, der die Aufstände von Ferguson und darüber hinaus befeuerte. Ob bundesdeutsche Behörden in Zukunft Reisewarnungen für ländliche Regionen der USA heraus geben werden, bezweifeln wir. Eine genauere Kenntnis der jeweiligen lokalen Rechtslage halten wir jedoch für alle empfehlenswert, die in den USA ländliche Reisen planen.
Ganz deutlich ist, dass die Grundpfeiler der ökonomisierten Masseninhaftierung seit ca. 20 Jahren auch in Europa Einzug halten. Die wichtigsten dabei sind die Kopie der US-Strafrechtsdiskurse in all ihren rassistischen und klassistischen Facetten, das Bestreben, ein Recht auf einen individuellen Prozess einzuschränken und die Öffnung des Strafvollzugs für Konzerne.
Zwangsarbeit und Gefängnisindustrie in Deutschland
Kurze historische Vorbemerkungen: Schon während des Ersten Weltkrieges gab es Zwangsarbeit. Außer den Kriegsgefangenen waren es litauische, polnische und belgische Bürger*innen, die für Industrie, Landwirtschaft und Bergbau nach Deutschland deportiert wurden und dort zwangsweise schuften mussten. Damals war die Zwangsarbeit vor allem von den belgischen Arbeiter*innen für das Ansehen des Kaiserreiches katastrophal und führte zu zahlreichen Protesten neutraler Staaten.
Nur wenige Jahre später wurde die Zwangsarbeit in Deutschland ein extrem wichtiger Aspekt für Profite, aber auch für das bürgerliche Allgemeinwohl. Ab 1933 bis zum Ende des zweiten Weltkrieges inhaftierten die Nazis willkürlich politische Gegner*innen und andere Bürger*innen, die plötzlich z.B. als „Asoziale“ öffentlich entmenschlicht und inhaftiert wurden. Mit diesem Begriff meinten sie Landfahrer*innen, Homosexuelle, Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma und die Zeugen Jehovas. Die ersten größeren Konzentrationslager, wie z.B. das KZ Dachau und das KZ Oranienburg wurden ursprünglich „Schutzhaftlager“ genannt. In fast allen Umerziehungslagern, Arbeitslagern und Konzentrationslagern war harte Zwangsarbeit, willkürliche Misshandlung und zum großen Teil Vernichtung durch Arbeit an der Tagesordnung.
Über 12 Millionen Menschen wurden als Zwangsarbeiter*innen während des zweiten Weltkrieges nach, beziehungsweise in Deutschland verschleppt. Dies waren Millionen willkürlich verhaftete Bürger*innen aus Deutschland und von der Wehrmacht besetzten Gebieten, Millionen Kriegsgefangene (allein im Jahr 1944 waren es 2 Millionen) und Gefangene in den Konzentrationslagern. Außerdem wurden Millionen Männer, Frauen und Kinder in besetzten Gebieten gezwungen, für die Nazis zu arbeiten. Zirka 20 Millionen Menschen mussten für das ‚Deutsche Reich‘ Zwangsarbeit leisten, während deutsche Arbeiter*innen in Aufseherpositionen selbst zu Täter*innen wurden.
Der deutsche Staat, große Gesellschaften und kleine Geschäfte, Gemeinden, aber auch Bauern und Privathaushalte forderten mehr und mehr Zwangsarbeiter*innen und waren dadurch mitverantwortlich für das System der Ausbeutung durch Zwangsarbeit.
Rassismus in der Zwangsarbeit: Die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter*innen waren unterschiedlich. Ein meist gemäßigtes Verhalten gegenüber Gefangenen der sogenannten ‚nordischen Rasse‘ stand im Gegensatz zu dem tagtäglich diskriminierenden und demütigenden Verhalten gegenüber den Gefangenen der Sowjetunion, Polen und Italien. Sklavenarbeit in ihrer schlimmsten Form mussten die jüdischen Gefangenen, sowie die Sinti und Roma, erdulden und überlebten dies meist nicht. Sie wurden durch die ‚Vernichtung durch Arbeit‘ ausgebeutet und brutal ermordet.
Trotzdem die Zwangsarbeiter*innen systematisch geschunden wurden und versucht wurde, sie durch unzählige Demütigungen zu brechen, gab es immer wieder Sabotageakte und Widerstand. Schon der Verdacht reichte aus, Menschen in Konzentrationslager zu transportieren oder sie exekutieren zu lassen. Daran beteiligten sich aus Habgier auch viele deutsche Bürger*innen, um sich nach den Verhaftungen an dem Eigentum der Gefangenen bereichern zu können. Die Nazis prägten für diese Art der Mittäterschaft an der Shoah den Begriff der `Arisierung´.
Profiteure der Zwangsarbeit: Die deutsche Regierung und die davon profitierenden Unternehmen haben die Verantwortung immer wieder von sich gewiesen. Jedoch profitierten von dieser skrupellosen und tödlichen Ausbeutung mehr als 2000 deutsche Firmen, u.a. die ‚Deutsche Bank‘, Simens, Thyssen, Krupp und die IG Farben (BASF, Bayer, Höchst AG und Agfa) – ANMERKUNG: Die I.G.Farben befand sich seit 1952 in Auflösung. Dies wurde entschieden, da sie durch das Liquidationsschlussgesetz der Kontrolle der Alliierten entfliehen konnten. Diesen Auflösungsprozess zogen sie bis 2012 hin und agierten bis dato weitestgehend ungehindert. Weitere Profiteure waren Bosch, Daimler-Benz, Volkswagen, Henschel, Messerschmidt, Weleda, AEG, Varta (AFA – inkl. Pertrix ). Siemens soll hier einmal speziell benannt werden. Dieser Konzern hat als Lieferant der Rüstungsindustrie und führender Elektrokonzern eine Vorreiterrolle bei der systematischen Ausbeutung von Zwangsarbeiter*innen übernommen. Trotz der Errichtung eines eigenen Werkes mit schließlich 20 Produktionshallen beim Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück und der Tatsache, dass die Zwangsarbeiter*innen mehr als 30 Prozent der Siemens-Gesamtbelegschaft ausmachten, sind erst nach jahrelangem Kampf minimale Entschädigungszahlungen erkämpft worden.
Die brutalen Verbrechen und die Ermordung von Millionen Menschen in der Shoah durch die Deutschen sind in ihrer Dimension bis heute einzig. Jedoch haben brutale Entwicklungen meist nicht isoliert in nur einer Region stattgefunden oder sind zeitlich abgeschlossen eingrenzbar. Es zeigt sich nicht nur am Fortbestehen rassistischen und faschistischen Denkens und Handelns, sondern u.a. auch am Beispiel der Zwangsarbeit. Auch diese Verbrechen wirken bis heute fort, sowohl materiell als auch in den herrschenden Strafdiskursen.
Wie sich der Wunsch von Konzernen, an Zwangsarbeit zu profitieren nach 1945 weiterentwickelt hat, ist schwer zu recherchieren, da sich vieles nach dem Ende des Krieges erst im Wiederaufbau befand und sich entsprechende Gerichtsverfahren einige Jahre hinzogen. Da die Verfahren häufig als Farce verliefen, mit Freispruch oder kurzen Haftstrafen für die Profiteure der Zwangsarbeit und der Vernichtung endeten und danach ein Wiedereinsetzen in alte Machtpositionen zur Folge hatte, wurde den Opfern der Naziverbrechen und der Zwangsarbeit eine zweite Qual zugemutet.
Zwangsarbeit in der Nachkriegszeit, am Beispiel der DDR
Es gibt Belege, dass seit den 70er Jahren die BRD von der Zwangsarbeit politischer Gefangner der DDR profitierte. Nach dem Eingeständnis von IKEA , dass sie gewusst haben, dass politische Gefangene in der DDR in Zwangsarbeit für IKEA gearbeitet hätten, wurde die Ausbeutung durch Zwangsarbeit für weitere ‚westliche Firmen‘ wie Quelle, Kaufhof, Karstadt, Hertie, Otto Versand, Neckermann und Aldi bekannt.
Es gab zehntausende Zwangsarbeiter*innen in der DDR. Sechstausend westdeutsche Unternehmen profitierten von Zwangsarbeit in der DDR: und wider einmal finden sich hier Namen wie: Volkswagen, BASF, Bayer, Hoechst AG, Thyssen und AEG. Aber auch weitere Firmen, wie C&A, Woolworth, Salamander, Klöckner und deutsche Bahn wollten vom Kuchen ‚Billigproduktion im Knast‘ ein Stück abbekommen. Bis zu 40.000 Häftlinge arbeiteten in 250 Betrieben. Besonders hohe Jahresumsätze machten dadurch IKEA und Kaufhof mit je neunzig Mio. DM, Volkswagen mit 100 Mio. DM und Quelle: mit 250 Mio. DM.
Auch diese Zwangsarbeiter*innen kämpfen noch immer vergeblich um Entschädigungszahlungen. Von allen 6000 Firmen, haben bisher nur die Deutsche Bahn und Kaufhof Gesprächsbereitschaft angedeutet. Jedoch beschränkt sich auch hier alles zur Zeit nur auf Worte und keine Taten..
Besonders zu erwähnen ist, dass sich in Berichterstattungen immer nur an den politischen Häftlingen der DDR hochgezogen wird. Dass andere Häftlinge ebenfalls im Gefängnis arbeiten wird allenfalls im Nebensatz erwähnt, bzw. lobend – als Rehabilitierungsmassnahme -hervorgehoben.
Auch erwähnen wollen wir an dieser Stelle jedoch, dass wir persönliche Berichte kennen, wonach Häftlinge in der DDR nach allgemein üblichen Löhnen bezahlt wurden und einen Großteil davon auch nach der Haft mitnehmen konnten. Das ist heute anders.
Und heute?
Ökonomie: Gefangene arbeiten in der BRD für maximal 1,87 Euro pro Stunde. In Deutschland ist aber ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde vorgeschrieben. Die Gefangenen-Gewerkschaft (GG/BO) fordert daher, diese Untergrenze auch für Gefangene einzuführen.
Schon vor 10 Jahren rühmte das Handelsblatt das Knastwesen Nordrhein-Westfalens mit ihren hohen Gewinnmarken, die von 2004 mit 44 Millionen Euro bis 2007 mit 47 Millionen Euro angewachsen sein sollte. Stolz verkündete das Landesjustizvollzugsamt NRW‘s dass sie auch weiterhin eine jährliche Steigerung der Einnahmen um 1 Million anstreben.
Juristische Grundlagen: Nach deutschem Recht sind Gefangene grundsätzlich verpflichtet, Arbeit, die ihren körperlichen Fähigkeiten angemessen sind, auszuüben, sofern sie dazu in der Lage sind. Das deutsche Grundgesetz erklärt bei Freiheitsentziehung explizit Zwangsarbeit als zulässig.
Die Verpflichtung zu Arbeitsleistungen im Jugendstrafrecht als Auflage hat Strafcharakter, und wird durch die gegenwärtige deutsche ‚Rechtsprechung‘ im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 und 3 GG für verfassungsgemäß erklärt, so wie auch die Arbeitspflichten gemäß § 56b StGB nicht gegen die derzeitige Verfassung und Menschenwürde verstoßen sollen. Zwangsarbeit ist also anscheinend eine anerkannte Strafe in diesem Land.
Natürlich gilt für Gefangene sowohl in den USA als auch hier, dass Arbeit im Knast als etwas erstrebenswertes angesehen wird, um zum einen der Monotonie des Gefängnisalltages zu entkommen und zum anderen Kontakt zu Mitgefangenen aufnehmen zu können. Das rechtfertigt jedoch nicht die Ausbeutung unter Zwang, sondern stellt vielmehr das Prinzip des Einsperrens von Menschen grundsätzlich in Frage.
Gesellschaftliche Akzeptanz & politischer Diskurs
Das Bewußtsein, dass die Billiglohnarbeit in Gefängnissen ein Vorwand für profitorientiertes Denken ist und die Lohnkämpfe unterläuft, wird in der deutschen Öffentlichkeit noch nicht diskutiert. Auch wenn die im Sommer 2014 überregional gegründete Gefangenengewerkschaft deutlich macht, dass systematische Ausbeutung in den Gefängnissen der BRD Alltag ist.
In der Berliner JVA Tegel sitzt inzwischen ca. 1/3 der Gefangenen wegen nicht bezahlter Rechnungen ein – die meisten von ihnen wegen Fahrens ohne Fahrschein. Der suggerierte, medial inszenierte Anstieg der Kriminalität ist also nichts weiter als die Kriminalisierung der Armut und wird von der deutschen Justiz seit einigen Jahren gebilligt und durch jüngste Entwicklungen sogar verschärft.
Eine weitere medial inszenierte Debatte dreht sich direkt um die Justiz. Gerade aus Sozialgerichten ist uns bekannt, dass sie mit Verfahren überlastet sind und Prozesstermine oft erst Jahre nach der Eingabe stattfinden. Anstatt sich aber mit den Ursachen wie z.B. der ungeheuerlichen Hartz IV-Gesetzgebung auseinander zu setzen, überlegen deutsche Verfassungsorgane lieber, wie sie den Zugang zu Gerichten für ärmere Menschen stoppen können.
Im März 2013 bestätigte das Bundesverfassungsgericht (Fußnote: BVerfG) die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der sog. „Deals“, also eines Schuldhandels zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, eine bereits seit 2009 gängige Praxis. Es wurden einige kosmetische Kontrollmechanismen eingefordert, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, die jedoch zumeist nicht angewendet werden. Laut einer Recherche der Tageszeitung Frankfurter Rundschau träfen zum Beispiel ¼ aller Richter*inen in NRW illegale Absprachen aus Gründen der Prozessökonomie. Das Bundesverfassungsgericht rügte dies und hielt die Staatsanwaltschaft an, dagegen vorzugehen, aber die Staatsanwaltschaft ist ebenso überlastet…
Aber auch wenn noch gravierende Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der USA und der BRD bestehen, kann das nicht darüber hinweg täuschen, dass die in Zukunft angestrebte Praxis den „Plea Bargains“ aus der US-Justiz entlehnt ist. Wir erinnern uns – dort geht es dabei nicht mehr um die Schuldfindung, sondern nur noch um die Höhe der Strafe.
Diese Deals werden uns medial seit einigen Jahren schmackhaft gemacht. Prominente wie Sebastian Edathy (ehemaliger Vorsitzender des NSU Untersuchungsausschuss und geständiger Kinderpornografie Konsument) oder der Manager des FC Bayern München machten uns vor, wie das mit der Straferleichterung funktioniert. Kurze Haftstrafen und bedeutende Geldstrafen als Preis für Geständnisse und abgekürzte Verfahren hinterlassen bei vielen jedoch den Eindruck, dass das Privileg reicher Leute sei. Was aber, wenn Menschen wie du und ich darauf bestehen, ein eigenes Verfahren zu haben und den Staat im Anklagefall aufzufordern, unsere angebliche Tatschuld zu beweisen? Wenn uns die nötigen Gelder fehlen, um einen Deal abzuschliessen?
Zur Erinnerung: juristischer Schlüssel der Masseninhaftierung in den USA ist die allgemein akzeptierte Tatsache, dass 97% aller Gefangenen gar keinen Prozess hatten sondern durch Schuldhandel und die sog. Three Strikes Gesetze in den Knast und damit häufig in die Zwangsarbeit gingen.
Ähnliches hat sich in den letzten Jahren auch in Spanien etabliert, wo Strafaufforderungen und Haftbefehle häufig nur noch mit der Post verschickt werden, ohne dass überhaupt ein Prozess stattfindet. Auch Italien und Belgien haben diese juristische Praxis inzwischen modifiziert eingeführt. So gilt also inzwischen auch in Europa zunehmend: Wer arm ist, fährt ein.
Der Bau und Betrieb öffentlicher Gebäude ist ein lukratives Geschäft – nicht nur für die Bauindustrie. Nur so ist es zu verstehen, dass Lobbyisten aus allen Bereichen auch auf Privatisierung des Strafvollzuges drängen und gleichzeitig ein Interesse an höheren Inhaftierungsraten entwickeln.
Und so gibt der Staat jährlich mehrere Milliarden Euro dafür aus, einen Teil der Bevölkerung wegzusperren. Laut Statistischem Bundesamt gibt es derzeit rund 68.000 Strafgefangene, davon knapp 10.000 im offenen Vollzug. Laut der Wochenzeitung WOZ arbeiten 41 000 davon auch dort. Verweigert jedoch ein Häftling die Arbeit, droht ihm oder * ihr Einschluss – 23 Stunden in einer Neun-Quadratmeter-Zelle. Fast die Hälfte der Inhaftierten sitzt ein Jahr oder kürzer ein – ein weiteres Indiz, dass die Armut eingesperrt wird. Denn bei der Ersatzhaftstafe und ähnlichen Kleinst-Vergehen sind kurze Haftstrafen die Regel. Etwa 2000 Gefangene müssen laut Statistischem Bundesamt lebenslange Haftstrafen verbüßen oder sitzen in Sicherungsverwahrung. Die Sicherheitsverwahrung ist übrigens ein Relikt des NS-Regimes, dass in der DDR abgeschafft war, nun aber wieder für alle gilt.
Knäste
Seit Anfang der 90er begannen die Planungen für Privatisierungen in Gefängnissen in Teilbereichen (z.B. Catering, Gebäudeserviceleistungen, etc.). Der hessische Justizministers Christean Wagner kündigte, laut einem Bericht des Deutschlandfunks 1999 an, dass er das erste deutsche Privatgefängnis errichten wolle. Im Moment stehen dem noch die Bundesgesetze entgegen. Diese zu ändern, bedürfte es einer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament. Doch der Privatisierungswille ist da. Zuerst gab es daher teilprivatisierte Abschiebeknäste in Büren (Nordrhein-Westfalen), in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern), in Glasmoor (Schleswig-Holstein) sowie in Wuppertal (ebenfalls Nordrhein-Westfalen) und 2005 wurde die erste teilprivatisierte JVA Hünfeld (Hessen) in Betrieb genommen. 2009 baute und eröffnete der Baukonzern Bilfinger Berger als Leiter eines lokalen Firmenkonsortiums die JVA Burg in Sachsen-Anhalt. Das Bundesland, obwohl selbst zuständig für den Justizvollzug, überließ diesem Konsortium für 20 Jahre die – wörtlich – „Verwertungsrechte“ an den Gefangenen. Danach folgten weitere teilprivatisierte Gefängnisse 2009 in Offenburg (Baden-Würtemberg) und 2013 Bremervörde (Niedersachsen) .
Weitere Haftanstalten wie zum Beispiel die JVA Heidering (Berlin) und die JVA Gablingen (Bayern) waren als Öffentlich- Private Parterschaft (ÖPP) geplant und wurden aus finanziellen Gründen dann doch nicht umgesetzt. Auch die Haftanstalt Offenburg ist seit 2014 wieder in staatlicher Hand. Doch dass ist kein Grund zum Jubel. In staatlichen Gefängnissen wird genauso darauf geachtet das sich das ‚Unternehmen Knast‘ rechnet und seine Gewinne jährlich erhöht.
Aktuelle Profiteure
Laut einem Bericht der WOZ von 2016 sind Konzerne wie Siemens, Mercedes Benz und BMW Profiteure von der Billiglohnzone Gefängnis. Die Autohersteller lassen in den Haftanstalten Kleinteile montieren, genauso der Gartengerätehersteller Gardena und der Haushaltsgerätehersteller Miele. Auch die staatlichen Behörden nutzen die Arbeitskraft der Gefangenen: Gemäß Recherchen des «Spiegels» nähen die Inhaftierten Richterroben und schweißen die Gitterstäbe der Fenster. Laut der «taz» schreinerten die Gefangenen der JVA Tegel die Büroeinrichtung des damaligen Berliner Justizsenators Thomas Heilmann und die Stühle des Berliner Abgeordnetenhauses. Die «Sonderwirtschaftszone Knast» werde besonders in Deutschlands halbprivaten Gefängnissen perfektioniert, sagt der Gefangenengewerkschafter Rast. Dort herrschten «Akkordarbeit und Pensumvorgaben».
Gesundheitsversorgung
In Bremervörde kümmert sich der Dienstleister Dussmann um die Verpflegung und die medizinische Versorgung der Gefangenen – zu Letzterem gehört auch die psychologische Betreuung. Auch in Hünfeld obliegt die Gesundheitsversorgergung einem privaten Anbieter. Was es jedoch bedeutet wenn die Gesundheitsversorgung nach knallhartem Profitkalkül berechnet wird, ist wohl allen klar. Und so berichtete zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung 2010, dass Justizministerium und Serco in Hünfeld die Zahl der Mitarbeiter etwa in der Krankenpflege und im psychologischen Dienst verringern wollen. Jedoch hätte dies nichts mit Wirtschaftlichkeit zu tun, man hätte nur festgestellt, dass man mit weniger Mitarbeitern auskäme.
Die Tageszeitung jW berichtete 2012 über die JVA Burg dass die Prüfer in ihrem Bericht Leistungen aufführten „die der Konzern unzureichend oder gar nicht erbringe, obwohl er sich dazu verpflichtet habe. Dazu gehörten ärztliche Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten. … Bereits im Jahr 2009 hatten mehrere Häftlinge unter anderem wegen der Verweigerung von medizinischen Maßnahmen einen mehrtägigen Hungerstreik durchgeführt.“
Die medizinische Versorgung durch den privaten Betreiber ist also ein ‚kann‘ die Arbeit aber ein ‚muss‘. Wie der Deutschlandfunk 2016 berichtete: „Bei Arbeitsverweigerung gibt‘s Strafen. Das sind Disziplinarmaßnahmen, Hausstrafen. Zum Beispiel Entzug des Einkaufs, oder der/die Gefangene darf an Freizeitveranstaltungen nicht teilnehmen, oder ein Arrest im schlimmsten Fall. Das bedeutet, mehrere Tage isoliert von Gefangenen in einem Haftraum untergebracht zu sein, in dem nur die notwendigsten Gegenstände sind. Es gibt die Möglichkeit eines Besuchsverbots. Es ist so ein Katalog im Bayerischen Strafvollzugsgesetz.“ Laut Deutschlandfunk Kultur können auch Strafzahlungen von 1000 Euro die Folge von Arbeitsverweigerung sein.
2017 warnte die ‚huffington post‘ vor Gefängnisrevolten wegen schlechter Knastbedingungen in Deutschland. Sie zählen chronische Überbelegung, medizinische Mangelversorgung, massive Einschränkungen von Freizeitangeboten, Um- und Aufschlusszeiten, regelmäßige Schlägereien und eine rasant steigende Suizidrate auf.
Outbreak und gg/bo
Um die Belange der gefangenen Arbeiter*innen kümmert sich unter anderen die die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft. Sie bemüht sich Deutschlandweit Fuß zu fassen und zählt bereits zirka 900 Mitglieder in 70 Knästen und zirka 30 ‚draußen‘. Gerade dadurch, dass sie wächst und nun langsam als Bedrohung wahrgenommen wird, wird ihre Arbeit immer wieder behindert. Unterzeichner*innen einer Petition wurden mit dem Meuterei-Vorwurf konfrontiert und einige Gefangene wurde daraufhin verlegt. Auch ‚verschwindet‘ gerne die Post an die oder von den Gewerkschaftler*innen. Aber die Gefangenen und die Gewerkschaft kämpfen weiter.
Es gibt unzählige Konzerne, die an dem Einsperren von Gefangenen verdienen. Herauszuheben ist hier noch der sog. Dienstleister-Konzern Serco, der bereits seit 2005 in der teilprivatisierten JVA Hünfeld in Hessen involviert ist. Über seine gute Zusammenarbeit mit den hessischen Behörden ergatterte Serco inzwischen eine Monopolstellung in den Programmen zur Erforschung des Hausarrests, umgangssprachlich als elektronische Fußfessel bezeichnet. Diese laufen seit geraumer Zeit in etlichen Bundesländern.
Die Unterstützung der Gefängnisindustrie ist unabhängig vom Parteibuch. Ein Beispiel dafür war z.B. der Aufstand von Jugendlichen im Berliner Jugendknast Lichtenrade gegen ihre erbärmlichen Haftbedingungen im Sommer 2009: Die damals zuständige rot-rote Senatorin äußerte Verständnis für die rebellierenden Jugendlichen und erklärte, dass eine Resozialisierung angesichts knapper öffentlicher Kassen nicht mehr durchführbar sei. Wenn hier nicht „Hilfe von privater Seite“ käme, prognostizierte sie ein Scheitern des Justizvollzuges.
Ähnlich äußerte sich 2005 bereits Tarek Al Wazir (später Grünen Vorsitzender in Hessen) nach einem Besuch des hessischen Rechtsausschusses im britischen Privatgefängnis Doncaster: „Wir waren überrascht von der positiven Atmosphäre, die dort herrscht.“
Schon heute enthält JEDES in der BRD produzierte Auto Bauteile aus Gefängnisherstellung. Auch in der Waffenindustrie oder bei Luft- und Raumfahrt gibt es bereits Knastproduktion von Einzelteilen. Gartenhersteller und die Modebranche greifen immer stärker auf Zwangsarbeit von Gefangenen zurück. Praktische Online-Shops ermöglichen Privatkunden und Firmen von Gefängnisproduktion zu Profitieren und Lobbyisten haben sich zusammen mit einzelnen Bundesländern wie Hessen, Niedersachsen oder Bayern bereits eigene Plattformen in den Justizministerien aufgebaut.
Lohnkämpfe und Gewerkschaftsforderungen lassen sich mit beinahe unbezahlter Zwangsarbeit unterlaufen. Die Gefängnisindustrie ist also weiterer Baustein der Spaltungspolitik von Lohnabhängigen.
Es besteht inzwischen überhaupt kein Zweifel mehr daran, dass die Gefängnisindustrie in Deutschland Fuß gefasst hat und dass es aller Voraussicht nach auch hier eine stark zunehmende Kriminalisierung der Armut mit einhergehender Masseninhaftierung geben könnte – denn es ist ökonomisch lukrativ.
Wenn wir ein Leben wollen, in dem nicht zementierte Armut herrscht und jede Freiheit immer mehr bedroht ist, müssen wir uns auf unsere Fähigkeit zum Widerstand besinnen: Gegen die Privatisierung von Gefängnissen, gegen die industrielle Zwangsarbeit von Gefangenen und gegen alle anderen neo-liberalen Privatisierungsbestrebungen. Wir sind nicht frei, solange es nicht alle sind. Daher:
Wir rufen alle auf, die Kämpfe von Gefangenen zu unterstützen und zum festen Bestandteil sozialer Bewegungen zu machen.
Tretet dem herrschenden Strafrechtsdiskurs auf allen Ebeben entgegen!
Unterstützt die Gefangenengewerkschaft in ihrem Kampf um Mindestlohn im Knast!
FREE MUMIA Berlin
im HdD, Greifswalderstr. 4
Briefkasten Nr. 79
10405 Berlin
www.mumia-hoerbuch.de
Quellennachweise- Auszug:
– Michelle Alexander: „The new Jim Crow“
– Douglas A. Blackmon: „Slavery by another name“
– http://ellabakercenter.org/blog/2013/01/private-prisons-horrific
– https://wikivisually.com/lang-de/wiki/Zwangsarbeit
– http://www.zwangsarbeit-archiv.de/en/zwangsarbeit/zwangsarbeit/index.html
– http://www.zwangsarbeit-archiv.de/en/zwangsarbeit/zwangsarbeit/zwangsarbeit-hintergrund/index.html
– http://kritischeaktionaere.de/Archiv/Konzernkritik/Siemens/
Siemens-Zwangsarbeit/siemens-zwangsarbeit.html
– https://en.wikipedia.org/wiki/German_camp_brothels_in_
World_War_II
-https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Bundesarchiv_Bild_183-H26334%2C_Berlin%2C_14-j%C3%A4hriger_Ukrainer_Zwangsarbeiter.jpg
g https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8c/Bundesarchiv_Bild_101I-259-1366-18%2C_S%C3%BCdfrankreich%2C_Kriegsgefangene_mit_Kabelrolle.jpg
– https://de.wikipedia.org/wiki/Varta_AG
– http://www.chemie.de/lexikon/Weleda_%28Unternehmen%29.html
– Die zweite Qual. Entschädigungsverfahren für Verfolgte der NS-Zeit“
– https://de.wikipedia.org/wiki/I.G._Farben
– http://www.ddr-zwangsarbeit.de/
– www.faz.net/aktuell/politik/inland/produktion-in-der-ddr-ikea-bedauert
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– http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/produktion-in-der-ddr-ikea-bedauert-einsatz-von-zwangsarbeitern-11962935.html“ einsatz-von-zwangsarbeitern-11962935.html
– https://www.welt.de/wirtschaft/article111208293/DDR-Zwangsarbeiter-mussten-fuer-Ikea-produzieren.html
– https://www.youtube.com/watch?v=tl7ZOlkqS74
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– https://www.welt.de/geschichte/article123858290/Stasi-handelte-sogar-mit-dem-Blut-ihrer-Haeftlinge.html
– http://www.tagesspiegel.de/politik/zwangsarbeit-in-ddr-gefaengnissen-ausbeutung-mit-system/10053204.html
– http://www.dw.com/de/ddr-zwangsarbeit-f%C3%BCr-devisen/a-18531714
– http://www.deutschlandfunk.de/neue-wege-im-strafvollzug.724.de.html?dram:article_id=97137
– http://www.spiegel.de/wirtschaft/private-gefaengnisse-die-ziehen-die-schrauben-ganz-schoen-an-a-463009.html
– http://www.sueddeutsche.de/politik/gefaengnis-privatisierung-hinter-gittern-ist-ein-traum-geplatzt-1.262934
– http://www.taz.de/!5133672/
– https://correctiv.org/recherchen/stories/2015/11/12/teilprivatisierte-gefaengnisse-der-staat-zahlt-drauf/
– http://www.deutschlandfunkkultur.de/arbeit-im-gefaengnis-warum-haeftlinge-im-knast-arbeiten.976.de.html?dram:article_id=350380Arbeit
– https://ggbo.de/gefaengnisindustrie-im-profitcenter-knast/
– http://www.huffingtonpost.de/oliver-rast/knast-deutschland-gefaengnis-jva-aufenthalt-revolten_b_17742862.html
– http://www.abc-berlin.net/strafen-und-rechnen-zur-privatisierung-des-strafvollzugs
– http://www.abc-berlin.net/ausgefeilte-knastoekonomie
– http://www.abc-berlin.net/ambivalentes-strafen-ppp-projekte-im-deutschen-strafvollzug
– http://www.abc-berlin.net/mehr-als-tuetenkleben
– http://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/jva-huenfeld-firma-betreibt-gefaengnis-weiter-a-1303566
– https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72216/umfrage/gefangene-und-verwahrte-in-justizvollzugsanstalten-nach-bundeslaendern/
– www.jva-shop.de
– www.knastladen.de
– http://www.fr-online.de/meinung/bundesverfassungsgericht-es-lebe-der-deal-,1472602,22153402.html