Brief von NERO

NERO, 11. November 2017

Mit folgenden Worten grüße ich euch aus der JVA Moabit. Ich wünsche euch viel Kraft und Erfolg in euren Kämpfen und natürlich besonders für die anstehenden Antiknasttage.
Vor kurzem habe ich eine Reportage über japanische Schüler*innen einer elite Kosmetik- und Beautyschule gesehen. Sie arbeiten da am Tag 10h mit militärischem Drill und danach wird gelernt, um den hohen Anforderungen standzuhalten und den fast täglichen Prüfungen gewachsen zu sein. Geschlafen und gelebt wird zu sechst in einem Zimmer, welches ungefähr doppelt so groß, wie eine Zelle, ist. Die wenige Freizeit wird mit Smartphone, Kartenspielen oder auf einem der heruntergekommenen Basketballplätze verbracht. Das Gelände darf aus versicherungstechnischen Gründen nicht verlassen werden. So verbringen 6000 Menschen drei Jahre ihres Lebens, bis zum Ende der Ausbildung. Wobei dies wohl nicht das Ende dieses Lebensstils bedeutet. Beim betrachten dieser Szenen überkam mich ein beklemmendes Gefühl. Ich hätte, trotz meiner derzeitigen Situation, nicht mit diesen Schüler*innen tauschen wollen. Diese Menschen tun mir mehr leid, als ich mir selbst. Das Traurige ist nicht, dass sie ein Leben unter solchen Bedingungen fristen, sondern dass diese Menschen dies scheinbar freiwillig, ja mit einer Genugtuung und Freude tun.
Für mich stellt dies nur ein überspitztes Beispiel der Traurigkeit des Lebens, oder das was die meisten hier als Leben definieren, dar. Sich selbst zu knechten. Soweit ich mich erinnern kann, fühlte ich noch nie die ersten, langsam und schüchtern fallenden Schneeflocken des herannahenden Winters auf meiner Haut. Da ich entweder in einem Klassenzimmer saß oder gezwungen war zu arbeiten.
Was ich damit auszudrücken vermag, ist das bekannte und zu Genüge zitierte Dilemma unserer Gesellschaft in Bezug auf Knast. Dass es natürlich beschissen ist, dass der Staat mich wegsperrt und mir vermeintliche Freiheit nimmt, aber ich glücklich darüber bin, mein Leben selbst in die Hand genommen zu haben, frei zu denken, mich und andere zu hinterfragen und sie dadurch in ihrer Entfaltung nicht zu blockieren und ich danach in letzter Konsequenz Repression und auch Knast in Kauf nehme. Denn trotzdessen ich eingesperrt bin, bin ich freier als der Schließer, der mich am Nachmittag einschließt, seinen Spint zuschließt, sämtliche Schleusen hinter sich verriegelt, seine Autotür schließt und womöglich aus Angst auch noch seine Haustür mehrfach hinter sich abschließt. Um dies Tag für Tag zu wiederholen.
Was ich mir von Antiknasttagen wie diesen erhoffe, ist eine Endtabuisierung von Repression und Knast. Dass wir die Angst ein Stück weit verlieren, um den Menschen, die es als Konsequenz einer subversiven und radikalen Auseinandersetzung mit den Verhältnissen erwischt, helfen zu können die Zeit, in der sie gefangen sind, möglichst entspannt gestalten zu können.
Ein Freund schrieb mir dazu:“ Wie schade es ist, wie sehr wir die gesellschaftliche Kälte in uns eindringen lassen haben und diese verinnerlichen.“
Das für die meisten Menschen Knast bedeutet, dass die Person wirklich isoliert sei, das ist in meinen Augen Quatsch!
Es gibt einen Haufen Möglichkeiten, die die imaginären, vom Staat errichteten Kammern der Isolation schmelzen lassen und dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsindustrie angekurbelt wird, dadurch dass wir dafür sorgen, dass jeder, der sich zwischen uns und unsere Freiheit in den Weg stellt, sich in seinem Haus verrammelt.
Bei der Entwicklung entsprechender Konzepte und deren Ausführung wünsche ich viel Spaß und Erfolg.