Deutsch-türkische Interessenspolitik

Verschärftes PKK-Verbot – Routineverfahren gegen kurdische Aktivisten

AZADÎ e.V.

Kaum waren die letzten Zeilen dieses Artikels geschrieben, meldeten Al Jazeera und weitere Agenturen, dass der ehemalige Vorsitzende der syrisch-kurdischen „Partei der demokratischen Einheit“ (PYD), Salih Muslim, am 24. Februar in einem Hotel in Prag fest- und in Gewahrsam genommen worden sei. Das türkische Innenministerium hatte den heutigen Sprecher für auswärtige Angelegenheiten der „Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft“ (TEV-DEM) am 12. Januar auf seine „Liste der meistgesuchten Terroristen“ gesetzt, weil PYD als auch YPG/YPJ eng mit der verbotenen PKK verbunden seien. Auf die Ergreifung des Politikers hatte Ankara ein „Kopfgeld“ in Millionenhöhe ausgesetzt. Die Festnahme in Prag erfolgte auf der Grundlage eines Interpol-Haftbefehls aus der Türkei.
Ein Gericht in Prag ordnete allerdings am 27. Februar die Freilassung von Salih Muslim an. Nach Aussage von INTERPOL habe die Behörde keine sog. „red notice“ für den TEV-DEM-Sprecher ausgegeben, so dass er sich frei in der EU bewegen kann.

Selbstverteidigungsrecht und Sicherheitsinteressen der Türkei?

Da hat es dem türkischen Regime doch weitaus besser gefallen, dass das Bundesinnenministerium der BRD im März 2017 die Liste der unter das PKK-Verbot fallenden Symbole kurdischer Organisationen drastisch ausgeweitet hat, u. a. um das Bild von Abdullah Öcalan. Besonders brisant: In den Katalog aufgenommen wurden die Embleme der PYD sowie der YPG/YPJ. Diese Organisationen sind zwar nicht verboten, aber deren Symbole, „wenn sie durch die konkrete Art der Nutzung durch die PKK propagandistische Ziele suggerieren“ und den „verbotenen Zusammenhalt der PKK fördern“ (BT-Drucksache 18/12025).
Und während das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurd*innen in Deutschland, NAV-DEM, den Angriff auf Afrîn einen „völkerrechtswidrigen Besatzungskrieg“ nennt, ist die Bundesregierung der Meinung, dass Ankara das „völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht“ in Anspruch nehmen könne und schließlich die „Sicherheitsinteressen der Türkei“ beachtet werden müssten. So die Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch.
Die Folgen der verlängerten Verbotsliste haben längst ihre Spuren hinterlassen: Schikanöse Behördenauflagen, polizeiliche Angriffe auf und Auflösung von Demonstrationen, steigende Zahlen von Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Vereins- und Versammlungsgesetz, Razzien, Beschlagnahmungen von Fahnen und Transparenten, Festnahmen mit ED-Behandlungen bis hin zu Verboten von Demonstrationen und Veranstaltungen.
Angesichts der zu erwartenden nachvollziehbaren Proteste wegen der Verhaftung und drohenden Auslieferung von Salih Muslim, ist zu befürchten, dass die Situation eskalieren wird.

NATO-Länder mit gemeinsamen Interessen

Weder die Militäroffensive der türkischen Armee gegen Afrîn noch die Entwicklung der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 hin zu einer Autokratie mit zehntausenden politischen Gefangenen, Massenentlassungen, der Schließung von Verlagen, Zeitungsredaktionen und einem permanentem Ausnahmezustand, haben die Bundesregierung zu einer wirklich konsequenten Haltung gegen die Aggressionspolitik des Erdoğan-Regimes veranlasst. Zwar führten dessen Beschimpfungen gegen Deutschland als Nazidiktatur und die Verhaftungen von deutschen bzw. deutsch-türkischen Personen vorübergehend zu einem gewissen Tiefpunkt in den Beziehungen. Da beide NATO-Länder aber auch gemeinsame wirtschaftliche, militärische und geostrategische Interessen verbinden, wurde die Suche nach Normalität wieder aufgenommen – Ex-Kanzler Gerhard Schröder, seit langem Erdoğan-Freund, machte im vergangenen Jahr den Anfang. Er vermittelte inoffiziell bei der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner, der Journalistin Meșale Tolu und Deniz Yücel, Korrespondent der „Welt“, die zum einflussreichen, finanzstarken Springer-Verlag gehört. Dies, die mediale Aufmerksamkeit und zahlreiche zivilgesellschaftliche Aktivitäten haben zu verstärktem diplomatischen Austausch zwischen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und seinem Kollegen Mevlüt Çavușoğlu und letztlich zu den Freilassungen geführt. Am 16. Februar, als Deniz Yücel das Gefängnis Silivri verlassen und in die BRD zurückkehren konnte, wurden der Journalist Mehmet Altan gemeinsam mit fünf anderen zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Über 150 Medienschaffende befinden sich wegen ihrer journalistischen Arbeit weiterhin in Haft.

Gegenleistungen für die Freilassungen ?

Alle Nachfragen nach möglichen Gegenleistungen für die Freilassungen wies Außenminister Gabriel beharrlich zurück. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen zu Rüstungsexporten an die Türkei, zeigt jedoch ein anderes Bild: Danach hat das Wirtschaftsministerium gut fünf Wochen vor der Freilassung von Deniz Yücel – und während der Vorbereitungen von Erdoğan zum Einmarsch seiner Armee in Syrien – insgesamt 31 Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt. Eine Genehmigung bezog sich auf „Spezialpanzer- oder Schutzausrüstung“. Offen ließ das Ministerium, ob es sich hierbei um die umstrittene Aufrüstung von 120 türkischen Panzern oder die Nachrüstung von Leopard-II-Kampfpanzern durch den Konzern Rheinmetall handelt. Bestätigt wurde hingegen ein Treffen von Außenminister Gabriel am 7. November 2017 mit hochrangigen Vertretern der deutschen Rüstungsindustrie wie dem Rheinmetall-Chef Armin Papperger. Zudem habe es unterhalb der Führungsebene „regelmäßige dienstliche Kontakte“ von Mitarbeitern des Ministeriums „zu Vertretern von Rheinmetall“ gegeben. Sevim Dağdelen nannte dies „skandalös“.

Und was noch ?

Seit Jahrzehnten gehört es zum festen Repertoire jeder türkischen Regierung, Deutschland vorzuwerfen, es würde die „terroristischen“ Aktivitäten der PKK tolerieren oder gar unterstützen. Das bis heute bestehende PKK-Betätigungsverbot von 1993, die zahlreichen Terrorismus-Verfahren gegen kurdische Exilpolitiker, die gesetzlichen Verschärfungen und nicht zuletzt die Ausweitung der verbotenen Symbole waren und sind der Türkei nicht genug.
Fraglos werden die deutschen Politiker dem türkischen Regime auch jetzt zugesagt haben, die Repressionsschraube anzuziehen. Nicht nur das rigorose Vorgehen gegen das Zeigen insbesondere von Öcalan-Bildern oder Symbolen kurdischer Organisationen belegt dies.
Mitte Januar verkündete die Bundesanwaltschaft gegenüber der Nachrichtenagentur dpa mit einem gewissen Stolz, dass die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren mit PKK-Bezug auf etwa 130 im Jahre 2017 angestiegen sei gegenüber lediglich 15 im Jahre 2013 und 40 Verfahren 2016.
Der Bundesgerichtshof hatte im Oktober 2010 entschieden, den § 129b StGB (ausländische terroristische Vereinigung) auch auf die PKK anzuwenden. Seitdem waren/sind 21 Aktivisten von einer derartigen Anklage betroffen; zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden inzwischen 19.

§§129a/b-Verfahren nur noch Routine

Im Rahmen von drei Revisionen aus dem Jahre 2013 bezüglich der Einordnung der PKK gemäß § 129b hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen der Oberlandesgerichte in allen Punkten bestätigt, wodurch die Urteile rechtskräftig wurden. Seitdem sind die Gerichte bestrebt, „kurzen Prozess“ zu machen und die kurdischen Aktivisten als Routineverfahren abzuwickeln. Inzwischen ist die Bundesanwaltschaft dazu übergegangen, die meisten Fälle nicht selbst zu führen, sondern an die Generalstaatsanwaltschaften der Länder abzugeben. Die Versuche der Rechtsanwälte, dies zu verhindern, indem sie u. a. Anträge stellten, prominente Zeugen aus Türkei/Kurdistan zu laden, die über die Menschenrechtslage und den Krieg gegen die Kurd*innen aussagen können, wurden zumeist von den Gerichten abgelehnt. Mit der Begründung, dass die Verhältnisse bekannt seien, es jedoch kein Recht der kurdischen Freiheitsbewegung auf (bewaffneten) Widerstand gebe. Auch die von der Verteidigung vorgebrachten Argumente hinsichtlich der nicht mehr bestehenden Rechtsstaatlichkeit in der Türkei spätestens seit dem Putschversuch von 2016, hat an der Haltung der Gerichte nichts geändert. Für sie ist eine detaillierte Befassung mit den politischen Hintergründen des türkisch-kurdisch-deutschen Konflikts, der längst eine internationale Dimension erreicht hat, nicht mehr von Belang und Bedeutung. Alles ist ihrer Meinung nach gesagt, geschrieben, politisch und strafrechtlich geklärt. Gelöst hingegen ist nichts.

Gemeinsam solidarisch

Umso wichtiger ist die Solidarität mit den kurdischen politischen Gefangenen aus der Türkei und Kurdistan, aber selbstverständlich auch mit den in Deutschland inhaftierten linken Aktivist*innen türkischer Organisationen. Wir brauchen eine effektivere Gegenöffentlichkeit und insbesondere ein gemeinsames Handeln gegen eine reaktionäre, repressive und von Kapitalinteressen geleitete Politik.
Schließlich fordern wir die Freilassung aller politischen Gefangenen, Einstellung der politisch motivierten Verfahren, die Abschaffung der §§ 129, 129 a und b StGB sowie ein Ende der Kriminalisierung politischer Aktivitäten kurdischer und türkischer Menschen in Deutschland.

AZADÎ e.V.
Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden
in Deutschland, Köln
http://www.nadir.org/azadi / azadi@t-online.de