Zwangsernährungsfolter in der BRD

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Am 2. Mai 2017 wurde Yusuf Taş während seines Hungerstreiks in das Justizvollzugskrankenheus Hohenasperg verlegt, wo ihm Zwangsernährungsfolter drohte. Aus diesem Grund gehen wir mit diesem Beitrag auf zwei Beispiele aus der Geschichte der BRD ein, wo diese Foltermethode den Tod von zwei Revolutionären zur Folge hatte.

Holger Meins

Am 1.Juni 1972 wurde Holger in Frankfurt verhaftet. Er wurde im Gefängnis Wittlich bis zu seinem Tod vollkommen isoliert, alle Zellen um seine herum wurden leergeräumt, jeder Kontakt wurde ausgeschlossen. Alle Details der Haftbedingungen waren vom Bundeskriminalamt (BKA) bestimmt und vom Haftrichter des BGH und anschließend vom OLG Stuttgart in „Beschlüsse gefasst.“
Nach zwei kollektiven Hungerstreiks (HS) der Gefangenen aus der RAF begannen sie am 13.9.1974 einen neuen Kampf gegen die Sonderbehandlung und die Isolationshaft, die zum Ziel hat, die revolutionäre Identität zu zerstören. Über 40 politische Inhaftierte kämpften gemeinsam aus der Vereinzelung ihrer Isolierzellen gegen die Vernichtungshaft. Der Streik wurde bis zum 5.2.1975 geführt.
Der Präsident des BKA Herold und der damalige Generalbundesanwalt Buback verhinderten die vom Gericht angeordnete Verlegung von Holger nach Stammheim zum Prozess, da sie in Wittlich die Bedingungen geschaffen hatten, Holger durch die Tortur der Zwangsernährung (ZE) töten zu lassen.
Das Kalkül des Staatsschutzes war, dadurch den kollektiven Streik zu brechen und die Kader, denen im folgenden Jahr ein Schauprozess in Stammheim gemacht werden sollte, zu dezimieren. Buback: „Schon fünf Gefangene waren manchen zu viel“
Nach 2 1/2 Wochen HS wurde mit der ZE begonnen. Vom Gericht wurde angeordnet: „Zwei Fixieren … mittels Festschnallen auf dem OP-Tisch … gewaltsame Einführen einer Mundsperre … und Festhalten der Zunge mit einem Metallfingerling“.
Holger wurde ein 12 mm dicker Gummischlauch in den Hals gestoßen, was zu heftigen Schmerzen und Verwundungen von Kehle und Speiseröhre und zu Krämpfen führte, während er mit Lederriemen und Handschellen bewegungslos gefesselt war, was zur Störung der Blutzirkulation führte. Zugleich wurde sein Kopf gegen eine Stütze nach hinten gepresst.
Zwangsweise „Ernährung“ war nur das Cover für den Terror. Sie wurde nur zum Schein durchgeführt. Die Zuführung der Nährstoffe war so gering (400 Kalorien), dass es nur eine Frage der Zeit war bis Holger starb.
Zuletzt wog er nur noch 39 Kilo bei einer Größe von über 180 cm. Am 9.11.74 war Holger tot – durch systematische Unterernährung und Zwangsernährungsfolter.

Sigurd Debus

Sigurd wurde im Februar 1974 festgenommen und im Mai 1975 zu zwölf Jahren Haft verurteilt – wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe, Bombenangriff auf ein Gebäude des VS und Enteignungsaktionen. Er war nicht in der RAF organisiert. Sechs Jahre war er in Isolationshaft, davon fünf Jahre in völliger Einzel-Isolation in Celle. 1980 wurde er nach Hamburg-Fuhlsbüttel verlegt. Er wollte die Zusammenlegung mit den Gefangenen aus der RAF und dem anti-imperialistischen Widerstand. Dafür kämpfte er im kollektiven Hungerstreik (HS) im Februar 1981.
Am 20. Februar wurde Sigurd ins Hamburger Untersuchungsgefängnis transportiert, wo am 19. März im dortigen Zentralkrankenhaus (ZKH) die Zwangsernährung (ZE) begonnen wurde. Sigurd war in relativ guter körperlicher Verfassung. Er war nicht in einem kritischen oder gar lebensgefährlichen Zustand. Die ZE war nichts anderes als Terror, um seinen Widerstand zu brechen.
Täglich wurde er von einem Rollkommando gepackt und völlig bewegungsunfähig auf einer Liege festgeschnallt und so bis zu elf Stunden der Tortur der ZE ausgesetzt. Sigurd beschreibt die Folgen der ZE in einem Brief an seinen Anwalt:

„ (…) an diesem Abend – nach einer Infusion – war ich nicht fähig, länger als 5 Minuten zu sitzen, fiel auf das Bett. Gleichzeitig Schüttelfrost und Schweißausbrüche, stundenlang Herzrasen und Reißen in der Brust (…) Im Liegen Schwindelanfälle, habe das Gefühl, als wenn die Wirbelsäule und die Beine sich immer schneller spiralförmig drehen und verliere zeitweise das Bewußtsein.“

Am 7. April war Sigurd durch die fortgesetzte ZE-Tortur bewusstlos und wurde im Koma in ein öffentliches Krankenhaus gebracht („nach einer vorher getroffenen Absprache der Justizbehörde und der Gesundheitsbehörde“ – so die staatliche Pressstelle Hamburg am 16. April), damit er nicht im Gefängniskrankenhaus stirbt.
Er kam nicht mehr zu Bewusstsein, Anwält_innen und seiner Mutter wurde sein Aufenthaltsort nicht mitgeteilt und Besuche verhindert.
Am 15. April war Sigurd klinisch tot. Sein Tod wurde aber den Behörden erst am folgenden Tag offiziell bekannt gegeben, womit die Verantwortlichen den Abbruch des HS am 16. April 1981 mit Sigurds Tod in Verbindung bringen wollten und nicht mit der Zusage des Bundesjustizministers, die Forderungen der politischen Gefangenen zu erfüllen.
Medizinische Akten wurden nicht geführt oder vernichtetet. Trotzdem konnte später durch Untersuchungen mehrerer Gutachter_innen nachgewiesen werden, dass Sigurd eine Gehirnblutung hatte, die durch falsch oder unzureichend zusammengesetzte Infusion hervorgerufen wurde. Sigurd starb an den manipulierten Infusionen.
Der Direktor des ZKH der Justiz, Dr. Friedland, der Verantwortliche der von den Gutachter_innen festgestellten „Verletzung von medizinischen Regeln“, hatte schon 1975 auf einer Konferenz von Gefängnisärzt_innen gesagt:

„ Als Ärzte im Staatsdienst müssen wir Partei ergreifen, mit anderen Methoden, gegen die Fortsetzung ihres Kampfes gegen Recht und Staat. Dies ist ein Kampf und die Fortsetzung eines Kampfes, den wir mit zu vertreten haben.“

Sigurd wäre ohne ZE Anfang 1986 entlassen worden.