Fragen von Jüngeren an Zeitzeug*innen zum 2.Juni 1967 auf den Veranstaltungen am 31. Mai 2017 in Hamburg und am 1. Juni 2017 in Bremen
Die Veranstalter*innen in Bremen und Hamburg der Gruppe Vorwärts und nicht vergessen – die Solidarität!
Woher kam die breite Solidarität mit dem persischen Widerstand?
Auch vor dem 2.Juni gab es Widerstand vor allem aus studentischen Zusammenhängen, der sich vor allem gegen autoritäre Strukturen an den Unis, ehemaligen Faschisten,und gegen den Vietnamkrieg u.a. wendete. Doch dieser Widerstand war noch sehr marginalisiert und erreichte somit keine große Öffentlichkeit und Schlagkraft. Das änderte sich erst nach dem 2.Juni und nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke am 11. April 1969 in Berlin, an deren Spätfolgen er 1979 starb.
Damals vor 50 Jahren reiste der Schah von Persien im Mai/Juni des Jahres 1967 als Gast der damaligen Bundesregierung unter dem ehemaligen Nazi Kiesinger in die BRD und nach West-Berlin. Die damalige Journalistin Ulrike Meinhof, die 1970 die RAF mitgründete, kommentierte diese Ereignisse vom 2. Juni in einem Fernsehbeitrag: ,„Bevor der Schah von Persien in die BRD kam, wussten wir erst wenig über Iran, wenig über unser eigenes Land. Als die Studenten auf die Straße gingen, um die Wahrheit über Persien bekannt zu machen, auf die Straße, weil ihnen eine andere Öffentlichkeit als die Straße nicht zu Verfügung stand, da kam auch die Wahrheit raus, über den Staat, in dem sie selbst leben. Da kam heraus, dass man einen Polizeichef nicht empfangen kann, ohne selbst mit dem Polizeistaat zu sympathisieren“
Durch Demonstrationen in mehreren Städten gegen den despotischen Schah wurde die Kritik an ihm einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, ebenso wurde dadurch auch die Kooperation der hiesigen Bundesregierung mit ihm deutlicher.
Auf diese Tatsachen reagierte dieser „demokratische Rechtsstaat“ mit Repression und Mord. So gingen mit Duldung der hiesigen Behörden Agenten des Schah-Geheimdienstes SAVAK brutal gegen Demonstrat*innen vor. Ein deutscher Polizist, Kurras, erschoss Benno Ohnesorg, einen Demo-Teilnehmer in West-Berlin am 2. Juni 1967. Benno wollte sich vor der angreifenden Polizei in Sicherheit bringen, flüchtete in einen Hinterhof und wurde erschossen, obwohl er niemanden bedroht oder angegriffen hatte.
Dieser Mörder Kurras wurde nie verurteilt. Denn dieser Staat „sympathisierte mit dem persischen Polizeistaat“, wie es Ulrike formuliert hatte.
Wir waren damals zwischen 12 und 16 Jahre alt und verfolgten diese Ereignisse durch die Medien. Was wir überhaupt nicht verstanden, dass den Demonstrant*innen die Schuld für den Tod von Benno in die Schuhe geschoben wurde und das Vorgehen von Kurras zusätzlich noch geleugnet und somit gerechtfertigt wurde.
Wir suchten nach Antworten auf die vielen Fragen und stellten fest, wir waren nicht alleine. Auch hatten wir selbst und auch andere Erfahrung mit Ausgrenzung und Repression gemacht: Wegen längerer Haare bei den männlichen Jugendlichen wurde Druck ausgeübt durch Elternhaus, Schule und Arbeit. Kommentiert wurde das noch durch homophobe, anti-kommunistische und faschistische Sprüche: „Siehst aus wie ein Mädchen! Gehe doch nach drüben! Vergasen!“ Es wurden auch Typen wegen ihrer Haartracht verprügelt.
Oder das Schweigen und das Verdrängen auf Fragen zur Nazizeit: „Du kannst die Zeit nicht beurteilen, weil Du nicht dabei warst!“ Uns empfahlen deshalb Freund*innen Artikel von Ulrike Meinhof aus der Zeitschrift Konkret zu lesen. Vieles war uns damals neu und unverständlich. Aber viele von uns, vor allem jüngere Menschen, begriffen jetzt, in was für einem Land sie lebten. Mit anderen Worten: sie politisierten sich und begehrten gegen dieses System auf.
Die Erschießung Ohnesorgs war ein Fanal für viele der jüngeren Generation: sie begriffen, was für ein Staat die BRD ist – kein demokratischer Staat, sondern autoritär, der nie mit dem Faschismus gebrochen hatte, denn viele ehemalige Nazis, wie neben Kiesinger (Bundeskanzler), Lübke (Bundespräsident), Globke (Bundeskanzleramt) , Buback (Generalbundesanwalt) oder Schleyer (Kapitalistenfunktionär), übten wichtige Funktionen im sogenannten Rechtsstaat aus. Die Regierung der BRD war natürlich für das Folterregime Persien ein wichtiger Handelspartner.“
Noch einmal nachgefragt: Wie konnte sich aus einer Anti-Schah Bewegung so eine breit aufgestellte politische Bewegung formieren?
Benno war nicht der erste erschossene Demonstrant in der BRD. Schon 1952 wurde das FDJ-Mitglied Philipp Müller bei einer Demonstration gegen die Wiederbewaffnung in Essen von einem Polizeibeamten erschossen. Auch dieser Beamte wurde in einem späteren Strafverfahren freigesprochen. Nur im Gegensatz zu 1952 brach der Widerstand nicht zusammen bzw. wurde schwächer, sondern wurde stärker.
In der BRD herrschte eine Große Koalition von CDU/SPD. Es war uns klar, dass sich eine Opposition nur außerhalb der und damit gegen die Parlamente organisieren konnte, die APO (Außerparlamentarische Opposition). Wichtigste Gruppe war der SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), aber auch viele Menschen aus nicht studentischen Zusammenhängen erfasste die APO wie Schüler*innen und Lehrlinge.
Verstärkt wurde die Bewegung durch den Dachverband der iranischen Auslandsopposition CISNU und dem Autor Baham Nirumand, der ein Buch über den Iran veröffentlichte.
Auch wichtig war, das es Rebellionen in den vielen Ländern Westeuropas, Nord- und Lateinamerikas und Befreiungsbewegungen in der 3.Welt gab. Wir erfuhren durch Bücher viel über die damalige Kämpfe im Trikont. Wir standen also in einem weltweiten Zusammenhang nach Befreiung!
Waren es wirklich nur die Student*innen die sich beteiligten oder auch andere Teile der Gesellschaft?
Nein, die Bewegung ging weit über den universitären Bereich hinaus, wie wir schon dargestellt hatten. Die Stärke und ihre Anziehungskraft war, dass die APO eine Politisierung in allen Bereichen in Gang setzte: Nicht nur in der Ökonomie, auch die Erziehung, die Beziehungen der Geschlechter und Kultur umfasste sie. Ebenso wurde der Warschauer Pakt von links in Frage gestellt. Somit wurden alle linken Modelle, aber auch die Linke selbst hinterfragt: „Revolutionierung der Revolutionäre“ wie es Rudi Dutschke mal ausdrückte.
Im Grunde war uns klar, nur eine revolutionäre Veränderung konnte eine neue und gerechte Gesellschaft schaffen. Wir strebten dabei eine Rätemodell auf kommunistischer Basis an.
Wie sah die Zusammenarbeit der BRD mit Persien über den gemeinsamen Antikommunismus hinaus aus?
Durch die Ereignisse um den 2.Juni wurde deutlich wurde, dass es eine starke polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit in der BRD gab. Auch die deutsche Militärhilfe sorgte dafür, dass der revolutionäre Widerstand dort besser bekämpft werden konnte.
Konzerne wie Daimler, BASF, Hoechst und Banken wie Deutsche Bank waren in Persien vertreten. Somit war die Kooperation der BRD mit Persien sehr intensiv.
Wie beurteilen die Zeitzeug*innen den Fall Benno Ohnesorg nach der Enttarnung Kurras als SED-Mann?
2009 wurde Kurras als Mitglied der SED und der STASI enttarnt. Das Jahr war nicht zufällig, denn in diesem Jahr fanden die Jubelarien zum 60. Jahrestag der BRD statt. Die bürgerliche Meinung versuchte dadurch vergeblich, die Verantwortung für diese Erschießung los zu werden.
Der Mord an Benno Ohnesorg, der den deutschen Staat beinahe eine ganze Generation gekostet hätte. Eine Generation, die größtenteils in den Jahren danach, durch Zuckerbrot und Peitsche, wieder eingefangen werden konnte.
Schon aus den ersten Reaktionen wurde klar, zu welchem Zweck die neuen Erkenntnisse benutzt werden sollten. Aus dem Berliner Polizisten, der über Jahrzehnte gerade von bürgerlichen Parteigängern in Staat und Justiz gedeckt wurde, wurde in den Augen desselben Klientels ein Stasi-Mörder, der schnell abgeurteilt werden sollte.
Offensichtlich stand die Tat nie zur Beurteilung, sondern es ging den Herrschenden, wegen Kurras DDR-Verbindung nur darum, sich von jeglicher Schuld rein zu waschen. Dieser Mörder Kurras wurde weder in den sechziger noch in den siebziger Jahren und auch nicht 2009 verurteilt.
Könnt ihr ein Fazit ziehen?
In Berlin gibt es bis heute weder eine Straße noch einen Platz, der nach Benno Ohnesorg benannt ist. Weder der Senat noch die Bundesregierung haben sich für den Mord an Benno entschuldigt . Heute wird der Tod von Benno von der herrschenden Klasse als „Ausrutscher“ dargestellt, obwohl er nicht der letzte Demonstrant war, der eine Demo nicht überlebte.
Die Lebensbedingungen in der „3. Welt“ haben sich für die überwiegenden Teile der Bevölkerung verschlechtert, aber auch in den reichen Staaten des Nordens, den Metropolen, in den letzten 50 Jahren auch dort teilweise verschlimmert.
Ulrike Meinhof, die 1970 die RAF mitgründete, überlebte den Knast nicht. Sie war aber nicht die einzige Gefangene, denn 8 weitere politische Gefangene überlebten den Knast nicht in der BRD.
Die RAF intervenierte politisch und bewaffnet mit anderen Stadtguerillagruppen aus der BRD, wie z.B. der Bewegung 2.Juni, Westeuropa, z.B. mit Action Directe aus Frankreich und Nordamerika in den kapitalistischen und imperialistischen Staaten, in den „Herzen der Bestie“. Sie führten diesen Kampf aber auch zusammen für die Befreiung aller Unterdrückten mit militanten Bewegungen aus Lateinamerika (Tupamaros aus Uruguay), Naher Osten (Volksfront für die Befreiung Palästina (PFLP)) und Asien (Vietkong aus Südvietnam) u.a.
Es gibt immer noch Genoss*innen, die aus den Befreiungskämpfen der sechziger und siebziger Jahre kommen und die immer noch inhaftiert sind.
Stellvertretend sind hier genannt: Mumia-Abu-Jamal (Black Panther Party (BPP), Journalist und Bürgerrechtler), Leonard Peltier (American Indian Movement (AIM)) in den USA sowie Georges Ibrahim Abdallah (Marxist, antiimperialistischer Kämpfer für ein freies Palästina) in Frankreich.
Auf Veranstaltungen in Bremen und Hamburg zum 2.Juni 1967 wurde auch die Frage diskutiert, was hat der damalige gesellschaftliche Aufbruch mit den heutigen Kämpfen, z.B gegen den G 20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, zu tun? Wo sind Berührungspunkte mit den emanzipatorischen Kämpfen von damals mit heute? Welche Bedeutung hat die damalige Zeitepoche heute noch und für einen neuen Aufbruch?
Das heißt: revolutionäre Geschichte aneignen, verteidigen und weiter entwickeln!
Das ist die Basis für einen weiteren und neuen Aufbruch für Befreiung hier und international!