Vertuschen und zum Schweigen bringen!

Wie staatliche Repressionsorgane die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh  verhindern wollen.

Am frühen Morgen des 7. Januars 2005 wird der aus Sierra Leone geflohene Oury Jalloh von zwei Dessauer Polizeibeamten rechtswidrig in Gewahrsam genommen. Die Polizisten fixieren ihn an Händen und Füßen auf einer schwer entflammbaren Matratze, in der Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers.  Wenige Stunden später ist Oury Jalloh bis zur Unkenntlichkeit verbrannt…

Noch bevor der Tatort kriminaltechnisch untersucht wird, behauptet ein Mitarbeiter des LKA Sachsen–Anhalt in einem Video, dass „der schwarzafrikanische Mitbürger sich selbst angezündet hat“. Es wird kein Brandsachverständiger an den Tatort gerufen. Erst drei Tage später gibt die vom Innenministerium beauftragte Tatortgruppe lediglich einen Teil des Brandschuttes ins Labor. Dort taucht plötzlich ein Feuerzeugrest auf, von welchem die Ermittler behaupteten, dass Oury Jalloh mit diesem Feuerzeug die Matratze und sich selbst in Brand gesetzt habe.

Das Feuerzeug wurde 2012 auf Druck der Nebenklagevertretung, den Anwälten der Familie Jalloh, erstmals untersucht: es gibt keine Spuren von Oury Jallohs Kleidung oder der Matratze. Statt dessen sind unzählige Fasern mit dem Feuerzeugrest verschmolzen, deren Herkunft bislang nicht geklärt wurde. Der nachträglich präsentierte Feuerzeugrest kann also gar nicht im Brandschutt der Zelle 5 gelegen haben und ist demnach ein manipuliertes Beweismittel. Trotzdem vertritt die Dessauer Staatsanwaltschaft weiter die Hypothese der „Selbstentzündung“. Sie ignoriert auch alle anderen Beweise und Sachverständigenmeinungen, die eindeutig dafür sprechen, dass Oury Jalloh nur durch Dritte und mit Hilfe von Brandbeschleunigern angezündet worden sein kann.

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh kämpft seit nunmehr zwölf Jahren für die Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh und somit in erster Linie gegen den Widerstand von Polizei und Justiz, die diese Aufklärungsarbeit durch repressive Maßnahmen  verhindern wollen.

Bereits am 22. Januar 2005 demonstrierten erstmals rund 150 Menschen unter dem Motto „In Gedenken an Oury Jalloh – Gegen staatlichen Rassismus und diskriminierende Polizeipraxis“ in Dessau. Am 24. März 2005 fand anlässlich der Trauerfeier für Oury Jalloh auch eine Demonstration mit rund 200 Teilnehmer*innen zum Dessauer Polizeirevier statt. Zwei dort anwesende namentlich nicht bekannte Polizisten hatten am Rande dieser Demonstration geäußert: „was die Schwarzafrikaner hier wollen. Die gehören alle abgeschoben.“ Das wurde auch zur Anzeige gebracht, jedoch nicht weiter verfolgt.

Tatsächlich wurden zwischen 2005 und 2007 viele Freunde von Oury Jalloh und Unterstützer aus der afrikanischen Community abgeschoben. Im Februar 2006 schloss das Ordnungsamt Dessau dann das Telecafé von Mouctar Bah, einem engen Freund von Oury und Mitbegründer der Gedenkinitiative. Die Behörden der Stadt unterstellten Mouctar „charakterliche Mängel“, entzogen ihm die Ladenlizenz und beraubten ihn auf diese Weise seiner finanziellen Lebensgrundlage in Dessau. Erst zwei Jahre später erhielt Mouctar seine Lizenz zurück.

Unter dem Vorwand einer Drogenrazzia wurde das Telecafé im Dezember 2009 von der Polizei  gestürmt. Die Anwesenden, die sich gerade versammelt hatten, um einen Bus für die gemeinsame Reise zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe zu organisieren,  wurden rassistisch beleidigt und gezwungen sich nackt auszuziehen, um nach Drogen durchsucht zu werden. Später räumte der damals zuständige Polizeipräsident von Dessau, Karl-Heinz Willberg, „erhebliche Versäumnisse“ ein und entschuldigte sich für das Vorgehen.

Abschiebungen, Diffamierungen und Kriminalisierungen konnten dennoch den Protest auf den Straßen Dessaus und den Kampf der Initiative für Aufklärung und Gerechtigkeit im Fall von Oury Jalloh nicht brechen. Das Vorgehen von Polizei, Justiz und der Stadt Dessau haben hingegen gezeigt, in welchem Ausmaß politische Repression Behörden übergreifend organisiert wird, um Menschen daran zu hindern nach der Wahrheit zu fragen oder den Mord an Oury Jalloh als solchen zu benennen. Im März 2006 versuchte die Polizei im Vorfeld einer bundesweiten Demonstration in Dessau der Initiative die Benutzung des Wortes „Mord“ zu verbieten und drohte mit strafrechtlichen Konsequenzen, falls dies auf der Demonstration doch geschehen sollte. In einem Eilverfahren verwirft das Oberverwaltungsgericht Magdeburg diese Auflage und erklärt, dass dieses vom Recht der Meinungsfreiheit geschützt  ist.

Doch am 7. Januar 2012 erfolgte genau deshalb ein weiterer gewalttätiger Übergriff der Polizei, diesmal auf die Gendenkdemonstration, welche die Initiative alljährlich zum Todestag von Oury in Dessau organisiert. Nach Polizeiangaben waren 240 Polizeibeamte vor Ort, die anfangs  versuchten, den  rund 150 Demonstrationsteilnehmer*innen bei der Auftaktkundgebung Transparente mit der Aufschrift „Oury Jalloh – Das war Mord“ zu entreißen. Sowohl Transparente als auch das Rufen dieser Parole waren von der Polizeiführung kurzerhand für illegal erklärt worden. Am Ende der Demo riegelte die Polizei den Bahnhof ab und versuchte die Identitätsfeststellung zahlreicher Demonstrationsteilnehmer*innen mit Pfefferspray und Schlagstöcken durchzusetzen. Im Bahnhofsgebäude wurden gezielt afrikanische Aktivist*innen der Initiative verletzt. Der Anmelder der Demo, Mouctar Bah, wurde von einem Polizisten niedergeschlagen und musste sich mehrere Tage im Krankenhaus behandeln lassen. Angeregt wurde dieser Polizeieinnsatz von Georg Findeisen, dem damaligen Justiziar der Polizeidirektion Dessau, der den damaligen Polizeipräsidenten Kurt Schnieber im Vorfeld beraten hatte. Findeisen spielte jahrelang eine Schlüsselrolle in den Prozessen gegen den damaligen Dienstgruppenleiter Andreas Schubert. Er war nicht nur für die polizeiliche Verfolgung derjenigen verantwortlich, die sich für die Aufklärung der Todesursache von Oury Jalloh einsetzten. Seine Arbeit im Fall Oury Jalloh war viel tiefgreifender: So hatte er unter anderem im Zuge des ersten Gerichtsverfahrens in Dessau (2007/2008) mehrere ominöse Zeugentreffen im Dessauer Polizeirevier veranstaltet.

Findeisen wurde zwei Tage nach der Demonstration in Dessau von Innenminister Holger Stahlknecht nach Halle versetzt. Der Polizeieinsatz war nachweislich rechtswidrig, Findeisen hatte vorsätzlich falsch beraten. Die Ermittlungen gegen die beiden Verantwortlichen, den Justiziar Findeisen und den Polizeipräsidenten Schnieber, stellte die Staatsanwaltschaft Dessau schon bald wieder ein. Die Anzeigen hingegen, die von zahlreichen Polizeibeamten im Nachgang des 7. Januars 2012 gegen die Versammlungsteilnehmer*innen und die Anmelder gestellt wurden, brachte die Staatsanwaltschaft zur  Anklage.

In den ersten beiden Prozessen, die jeweils 2013 und 2014 vor dem Amtsgericht in Dessau eröffnet wurden, klagte die Staatsanwaltschaft gegen zwei Aktivisten, wegen angeblicher Körperverletzung von Polizeibeamten, die sich am 7. Januar 2012 im Dessauer Bahnhof ereignet haben soll. Hier  bewies die Staatsanwaltschaft erneut, dass sie nicht nur im Fall Oury Jalloh einseitige Ermittlungen führt. Die Gerichtsakten waren unvollständig, sämtliches entlastendes Material hatte der zuständige Dessauer Staatsanwalt dem Richter und der Verteidigung vorenthalten. Nachdem Monate später ein Karton mit Aktenmaterial bei den Verteidigern einging, stellte das Gericht das Verfahren kommentarlos ein.
Trotzdem entwickelten Polizei und Justiz ab 2012 eine neue gemeinsame Repressionsstrategie: die strafrechtliche Verfolgung einzelner Aktivist*innen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Polizisten schreiben Anzeigen, Staatsanwälte schreiben die Anklagen und Richter verurteilen.

Je klarer die Beweislage im Fall Oury Jalloh ist und je näher wir der Wahrheit kommen, umso stärker erfahren wir auch den Gegenwind. So standen vier Leute von uns in den Jahren zwischen 2012 und 2016 insgesamt siebenmal als Angeklagte vor Gericht. „Wir werten diese Verfahren als politische Prozesse, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vertuschung der Ermordung von Oury Jalloh stehen und deren Ziel es ist, Menschen, die für die Aufklärung der Todesursache von Oury Jalloh kämpfen zu schikanieren, diffamieren und zu kriminalisieren“, heißt es in einer der vielen Prozesserklärungen.

Es handelt sich dabei um ein reibungsloses Zusammenspiel von Polizei und Justiz, in welchem sich insbesondere der Staatsschutz als treibende Kraft der strafrechtlichen Verfolgungstaktik bewiesen hat. So stellte sich im Jahr 2014 in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Magdeburg heraus, dass der Leiter vom Magdeburger Staatsschutz, Frank Schwitzer, nicht nur der Hauptanzeigensteller war, sondern darüber hinaus auch seine Kollegen aufgefordert hatte, ebenfalls Anzeigen zu schreiben. Zudem hatte er versucht zwei zivile Zeuginnen dahingehend in ihrer Aussage zu beeinflussen, dass sie den Angeklagten belasten sollten. Bei der Vernehmung, die der angeklagte Aktivist der Initiative selbst durchführte, brach die Zeugin dann in Tränen aus. Sie erklärte, dass die Person, gegen die sich der von Schwitzer vorgebrachte Beleidiungsvorwurf eigentlich richtete, im Gegensatz zum Angeklagten eine „helle Hautfarbe“ hatte.  Trotz der nachweisbaren Inszenierung aller Anzeigen, durch den Leiter des Staatsschutzes persönlich, wurde der Angeklagte zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.

Ein besonderer Verfolgungseifer seitens des Staatsschutzes bestätigte sich dann nachdrücklich in einem monatelangen Prozess gegen eine Aktivistin und einen Aktivisten der Initiative, vor dem Amtsgericht Dessau. Beide waren bereits im Jahr 2013 vom Amtsgericht Magdeburg, wegen angeblichen Beleidigungen, verurteilt worden. Ab dem 27. November 2014 mussten sich die Angeklagten in insgesamt achtzehn Verhandlungstagen gegen Vorwürfe wie Beleidigung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Landfriedensbruch verteidigen.

Einer der Anklagepunkte beinhaltete zudem den Vorwurf, einer der beiden Angeklagten hätte am 7. Januar 2012 in der Dessauer Bahnhofshalle einen Polizisten von hinten mit dem Bein getreten. Allerdings hatte dieser Polizist in seiner Zeugenvernehmung bereits erklärt, dass er gar nicht getreten worden war und schon gar nicht vom Bein des Angeklagten. Demzufolge und auch um den Prozess für den Richter und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft einfacher zu gestalten,  wollte der Richter verbieten über den rechtswidrigen Polizeieinsatz und die Ereignisse am 7. Januar 2012 zu sprechen.
Dennoch erfuhren wir in diesem Prozess von einem Dessauer Staatsschutzbeamten im Zeugenstand, dass seit 2009 Dossiermappen über die „Mitglieder der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und prominente Unterstützer“ angefertigt und im Rahmen der polizeilichen Vorbereitung auf Demonstrationen und Mahnwachen, die von der Initiative durchgeführt werden, an die jeweiligen Einsatzleiter verteilt werden. Der Zeuge erklärte auch, dass diese Dossiers „von ganz oben“ kommen würden und nannte die Namen zweier Führungspersonen aus dem Innenministerium, bevor  die Befragung von Richter Rosenberg abgebrochen wurde.

Den Antrag des Verteidigers, den Prozess aufgrund des nunmehr bewiesenen „gesonderten Verfolgungseifers“ gegen die Angeklagten, der diesem ganzen Prozess offensichtlich zugrunde liegt, sofort einzustellen, lehnte Rosenberg ab. Am darauffolgenden Verhandlungstag sprach er sein Urteil: schuldig! Beide Angeklagten wurden erneut zu Geldstrafen verurteilt.

Im Nachgang wurden die „Dossiers“ und die rechtswidrige Überwachung der Initiative auch kurzzeitig Thema im Landtag von Sachsen-Anhalt. Im Juli 2015 gab es eine Sondersitzung, in welcher der Innenminister sich nicht klar äußerte. Der Abteilungsleiter der Polizei, Karl-Heinz Willberg erklärte gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk, dass das Innenministerium mit diesen Dossiers nichts zu tun habe und fügte hinzu, dass man in Dessau nachfragen solle. Willberg war von 2007 bis 2011 aber selbst Polizeipräsident in Dessau. Seine Stellvertreterin Brigitte-Scherber Schmidt, war von 2001 bis 2007 ebenfalls Polizeipräsidentin von Dessau. Es bleibt festzustellen, dass sämtliche Polizeipräsidenten von Dessau bis dato an der Spitze der Polizeiführung von Sachsen-Anhalt stehen…

Im September 2016 sollte die Revisionsverhandlung gegen das Urteil von Richter Rosenberg vor dem Landgericht Dessau beginnen. Der Prozess wurde allerdings kurzfristig ausgesetzt. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass das Gericht nicht in der Lage war, genügend Saalschutz zu organisieren. Wie dieser aussieht, konnten wir bereits am Amtsgericht in Dessau erleben. Das Gerichtsgebäude war von einer Hundertschaft umstellt, die sich außerdem auch innerhalb des Gerichtsgebäudes in kleinen Trupps hin und her bewegten. Sie waren mit langen Schlagstöcken bewaffnet und führten eine Kamera mit sich. Am zweiten Prozesstag provozierten sie eine verbale Konfrontation mit den Angeklagten, direkt am Eingang des Verhandlungssaales. Insgesamt sechs Personen wurden im Gerichtsgebäude auf dem Weg zum Ausgang eingekesselt und identifiziert, darunter auch die Angeklagte. Im Nachgang wurden beide Angeklagten erneut angezeigt, diesmal wegen Widerstand und versuchter Körperverletzung.

Am 23. Dezember 2016 spielte Richter Rosenberg dann Weihnachtsmann und beschenkte einen weiteren langjährigen Aktivisten der Initiative mit einem Strafbefehl in Höhe von 820 Euro. Der Vorwurf gegen ihn lautet in „5 rechtlich zusammentreffenden Fällen versucht zu haben, eine andere Person körperlich zu misshandeln oder an der Gesundheit zu schädigen“.  Tatsächlich handelt es sich bei diesem Vorwurf um das symbolische Werfen leerer Feuerzeuge am 7. Januar 2016, die  auf den Boden vor die Staatsanwaltschaft geworfen worden waren. Mehrere Polizeibeamte behaupten nun, dass der Aktivist derart gezielt auf die Köpfe der Polizei geworfen hätte, dass diese nur durch entsprechende Ausweichbewegungen, gefährliche Kopfverletzungen vermeiden konnten.

Die Repression gegen die Initiative ist von Anfang an wichtiger Bestandteil der Vertuschungsstrategie  staatlicher Behörden im Fall von Oury Jalloh. In einer Prozesserklärung der Angeklagten, die 2014 am Amtsgericht Dessau verlesen wurde, heißt es: „Es geht hier gar nicht um Straftaten, die wir auch tatsächlich begangen haben. Es geht darum, wofür wir einstehen. Es geht darum, dass es Menschen gibt, die über die Jahre hinweg – gegen alle polizeilichen und juristischen Repressionsmaßnahmen – Stück für Stück daran gearbeitet haben, das Lügenkonstrukt, das die Staatsanwaltschaft Dessau gemeinsam mit der ermittelnden Behörde, dem Landeskriminalamt von Sachsen – Anhalt unter Anweisung des Innenministeriums, um den Tod von Oury Jalloh aufgebaut hat, faktisch einzureißen. Es geht darum, dass wir unabhängige Gutachten in Auftrag geben mussten. Gutachten, die die Selbstentzündungshypothese der Staatsanwaltschaft anhand von Beweisen eindeutig widerlegen. Es geht darum, dass unsere Recherchen nach und nach zu den Tätern führen und die in erschreckender Weise aufzeigen, wie der Staat dieses rassistische Verbrechen bis hin zum Bundesgerichtshof deckelt. Für viele scheint es immer noch unvorstellbar, dass deutsche Polizeibeamte einen Menschen in einer Gewahrsamszelle an Händen und Füßen fesseln, ihn foltern und am Ende anzünden. Die Öffentlichkeit muss sich der Wahrheit stellen!“

Am 7. Januar 2017 fand in Dessau mit rund 1.500 Teilnehmer*innen die größte Gedenkdemonstration statt. Die Redebeiträge zu den Morden an Jaja Diabi, Burak Bektash, Halim Dener und Laye Alma Conde haben gezeigt, dass Oury Jalloh kein Einzelfall ist und die Täter in Uniform ungestraft davon kommen, weil sie geschützt werden – von ihren Kollegen, ihren Vorgesetzten und den Staatsanwälten und Richtern in diesem Land.

Oury Jalloh – Das war Mord!
Black Lives Matter!