„Warum haben sie uns reingelassen, wenn sie vorhaben, uns wieder abzuschieben?“

Ein Kommentar aus aktuellem Anlass

Diese Frage höre ich oft. Die Ungewissheit, wie es mit ihnen weitergeht, das Leben in den Lagern, die Angst, verhaftet zu werden, all das schwingt mit. Für jemanden, der dieses System nicht gut kennt, ist es unverständlich, warum Grenzen geöffnet werden, um dann gleich wieder zugemacht zu werden. Warum Menschen ins Land dürfen, dann aber warten müssen?
Die Grenzöffnung war kein humanitärer Akt. Deutschlands Position in Europa wurde beschönigt. Auf einmal fanden Menschen auf der ganzen Welt diese Politik als menschlich und sozial. Vergessen wird schnell die Tatsache, dass von dem Moment an, wo die Grenzen geöffnet wurden, auch eine Einteilung in gute und schlechte Geflüchtete gemacht wurde und dass die härtesten Asylrechtsverschärfungen eingeführt wurden. „Wirtschaftsflüchtlinge“ wurden die Menschen aus dem Balkan genannt und prompt wieder ausgewiesen. Unbeachtet blieb die Situation in ihren Herkunftsländern. Armut, Diskriminierung und Rassismus wurden einfach nicht benannt. Solidarität für eine solch stigmatisierte Gruppe außerhalb von linken Strukturen aufzubauen, schien fast unmöglich zu sein. Menschen, die im humanitären Rahmen mit Geflüchteten arbeiten, übernahmen teilweise diese rassistische Einteilung.
Nach dem Balkan war der Maghreb dran. Dieselben Argumente wurden aufgefahren und die Missstände wurden wieder ignoriert. Die Silvesternacht 2015 in Köln und der Anschlag in Berlin waren natürlich Wasser auf die Mühlen der RassistInnen, die diese Ereignisse sofort für ihre Zwecke instrumentalisierten. Bei den „Deals“ um die Geflüchteten haben Deutschland und Europa Geld gezahlt bzw. sie möchten Geld zahlen, um die Geflüchteten nicht raus- bzw. nach Europa reinzulassen. Unter welchen Umständen die Menschen festgehalten werden, scheint vielen egal zu sein. Dass aktuell Menschen erfrieren, inhaftiert werden oder in großen Lagern außerhalb der Städte ausharren müssen, nehmen die Herrschenden wohlwollend in Kauf und einer breiten Mehrheit ist es egal. Es passiert ja schließlich nicht mehr vor ihrer Haustür. Deals mit Diktatoren, Grenzzäune, Tote im Mittelmeer, Gefängnisse an den Grenzen. Das ist die Festung Europa! Die Bilder und Geschichten sind erschreckend.
Nur beantwortet all das die oben gestellte Frage nicht. Sie gibt aber einen ganz groben Abriss von dem, was europaweit passiert.
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt viele Faktoren, doch scheint der Aspekt der Verwertbarkeit der Menschen im Vordergrund zu stehen. Ihre Arbeitskraft ist wichtig. Arbeitsfähige junge Menschen, idealerweise schon ausgebildet. Deutschland hat kaum Interesse an ungelernten Arbeitskräften, es sei denn, der Mindestlohn würde für Geflüchtete und ZuwandererInnen herabgesetzt werden, wie es der Wunsch der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist.
Der Arbeitsmarkt will junge Menschen mit vermeintlich höherer Ausbildung. Dass der Familiennachzug eingeschränkt wurde, ist ein Indiz für dieses Vorgehen. Warum sollten Kinder und alte Menschen nachgeholt werden, wenn diese dann eventuell Leistungen vom Staat beziehen? Menschen, welche in ihren Herkunftsländern nicht die Möglichkeit hatten, der vermeintlich höheren Bildung nachzugehen oder die Dokumente für ihre Ausbildung nicht haben, sollten am besten direkt an den Hot-Spots ausgefiltert werden und in den „Billiglohnländern“ bleiben. Solange sie in der Türkei für „uns“ Waren herstellen, ist es egal, was für Arbeitsbedingungen dort herrschen.  Für IngenieurInnen, ÄrztInnen und – nicht zu vergessen – UnternehmerInnen, welche mit genügend Finanziellem und Bildungskapital ausgestattet sind, ist der Zugang leichter. Das Recht auf ein Leben in Deutschland ist eng an die Bedürfnisse des jeweiligen Arbeitsmarktes geknüpft. Die deutsche Wirtschaft produziert Werbeclips, welche ein schönes Bild zeichnen: Von dem Textil-Ingenieur aus Syrien, der jetzt in einer Manufaktur Segel für Yachten herstellt. Von dem iranischen Ingenieur, der jetzt Seite an Seite mit seinem biodeutschen Kollegen steht. Wer da nicht reinpasst, hat es sehr schwer und ist gezwungen, ohne Papiere zu arbeiten. Sie werden ausgeschlossen,gedemütigt und eventuell inhaftiert, um sich später ihrer zu entledigen. Sobald die Deals mit Libyen, Afghanistan und Tunesien unter Dach und Fach sind, werden sie anfangen die Abschiebeknäste und -Flugzeuge wieder stärker einzusetzen.