Redaktion
Am 7.11.2023 wurde dieses Interview von „Wie viele sind hinter Gittern“ im Webradio Radio Flora aus Hannover gesendet.
Es wurde als Podcast auf dem Audioportal Freier Radios (FRN, https://www.freie-radios.net) veröffentlicht, aber nach gut einer Woche wieder gelöscht. Ebenso hat indymedia den Hinweis auf den Podcast gecancelt.
Zusätzlich ist auch der Redaktions-Account auf FRN deaktiviert. Ein Redakteur von Radio Flora kritisierte das in einem Beitrag „Gegen die Unkultur der Denkverbote und der Zensur“ https://radioflora.de/gegen-die-unkultur-der-denkverbote-und-der-zensur/
Damit sich unsere Leser:innen ein eigenes Bild von diesem gelöschten Radiointerview machen können, drucken wir eine überarbeitete Version ab.
Radiointerview von „Wie viele sind Gittern“ mit Zaid Abdulnasser vom 7.11.2023
Interviewer: Guten Abend Zaid, Du bist ein Aktivist hier aus Deutschland, der sich für die palästinensische Sache engagiert. Du warst Mitglied vom Gefangenennetzwerk Samidoun, das am 2. November vom Bundesinnenministerium verboten worden ist. Dieses Verbot bezieht sich bisher nur auf die BRD. Erste Frage: Wofür steht Samidoun?
Zaid: Mein Name ist Zaid Abdulnasser und ich war Mitglied bei Samidoun, das tatsächlich letzte Woche verboten worden ist. Scholz hat zwei Tage nach dem 7. Oktober deklariert, dass Samidoun zu verbieten sei. Samidoun ist ein Solidaritätsnetzwerk für palästinensische politische Gefangene. Samidoun ist aktiv für die palästinensischen Gefangenen, macht Kampagnen für hungerstreikende Gefangene oder Aufklärungsarbeit über diese Haftbedingungen. Weiterhin veranstalteten sie entsprechend Demos, Kundgebungen, Seminare, Vorträge, um über ihre Situation aufzuklären.
Interviewer: Samidoun ist also eine Stimme für die palästinensischen Gefangenen, die überwiegend in Israel inhaftiert sind. Zusätzlich setzen sie sich auch noch für George Ibrahim Abdallah ein, der seit 1984 in Frankreich eingesperrt ist.
Zaid: Zusätzlich gibt es auch noch weitere Gefangene, die von der palästinensischen Autonomiebehörde eingesperrt sind und dazu verhalten wir uns auch. Samidoun hat ursprünglich angefangen mit einer Webseite 2011, auf der Erklärungen der Gefangenen übersetzt und in unterschiedlichen Sprachen veröffentlicht wurden. Langsam entwickelte sich die Arbeit dahin, dass Samidoun in zehn Ländern und in diversen Städten aktiv ist.
Interviewer: Zurück zu diesem Verbot. Ihr steht spätestens seit 2022 im Fokus der Medien, Polizei, Geheimdienste und den zuständigen Ministerien, die euch diffamierten und somit kriminalisierten. Es wurden z. B. eure Demos zu Nakba in Berlin verboten. Mit Hilfe des Terrorparagraph 129b wurde auch erwogen, euch zu verbieten.
Nach einer Aktion des palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung am 7. Oktober, die nicht nur von Hamas, sondern auch von zirka zwölf weiteren palästinensischen Organisationen ausgeführt wurde, gab es eine weitere Attacken gegen euch:
Ihr sollt an diesem Tag auf der Berliner Sonnenallee, einem Viertel in Neukölln, wo sehr viele Menschen mit migrantischem Hintergrund, besonders Menschen aus Palästina, leben, Süßigkeiten verteilt haben. Das war sozusagen der letzte Anlass, euch zu verbieten. Kannst du bestätigen, ob das so stimmt. Wir hatten eben schon vorher in einer Sendung in einem anderen Interview über Desinformation gesprochen(1). Informationen über den „Nahen Osten“ werden hier überwiegend sehr einseitig lanciert. Sie stammen aktuell oft von der Bundesregierung, von der Nato, aber auch von dem israelischen Kriegsministerium.
Zaid: Noch konkreter – 2021 wurde Samidoun von dem Kriegsministerium der Besatzung als Terrororganisation eingestuft. Es ist nicht die erste Organisation im Ausland, die normale politische Arbeit leistet und auf der Terrorliste der Besatzung landet. Es ist mehr oder weniger eine Waffe hauptsächlich in der Hand von westlichen Medien, um Samidoun als Terrororganisation zu stigmatisieren.
Die Repression gegen diesen Zusammenhang geschieht nicht nur in Deutschland. Sondern auch in Frankreich wurde zum Beispiel das Kollektiv Palestine Vaincra verboten, das eine Organisation in Toulouse ist und die Teil des Samidoun Netzwerks ist. Die Hetzkampagnen gegen Samidoun in Spanien, Niederlande, Schweden, Belgien, in den USA finden auch dort statt. In Deutschland wurden die Demos zum Nakbatag 2022 und 2023 verboten. Ebenso auch die Demo am Tag der palästinensischen Gefangenen dieses Jahres in Berlin. Hetzkampagnen gegen uns waren extrem und konstant. Forciert wurde das, durch verschiedene zionistische Organisationen und auch durch den israelischen Botschaftler Ron Prosor in der BRD, die ein Verbot forderten, was am 11. November durch Olaf Scholz vollzogen wurde.
Zu den Ereignissen mit den Süßigkeiten: Ich kann natürlich nicht im Namen vom ehemaligen Samidoun sprechen, sondern nur meine Meinung äußern. Es gibt zwei sehr wichtige Aspekte dieser Geschichte. Der erste, was ist überhaupt genau passiert? Laut Samidouns Instagram-Seite wurde diese Aktion von Samidoun dokumentiert und erklärt, warum Süßigkeiten an diesem Tag verteilt wurden. Es gibt ein großartiges Bild von einem Bulldozer, der die Mauern Gazas durchbricht und Leute danach die Grenze überschreiten. Und diese Idee von Befreiung, die zeigt, dass diese Mauern fallen und die Palästinenser somit raus können. Für alle Palästinenser und Araber war das ein sehr starkes Bild und somit ein sehr wichtiger Tag.
Vorher gab es tausend verschiedene Initiativen und Versuche, diese Blockade zu beenden: Die Freiheitsflut in der Türkei, den March of Return (2018), wo Palästinenser aus Gaza einfach auf die Mauer zugelaufen sind: Dabei wurden tausende Menschen verletzt und getötet, die nichts anderes gemacht haben, als zur Mauer zu laufen.
Durch diese Aktionen wurde demonstriert, dass nur durch Widerstand sich das palästinensische Volk befreien kann. Viele palästinensische Organisationen und Fraktionen haben das öffentlich bestätigt.
Das war auch bei anderen Völkern der Fall, sei es in Algerien, Vietnam und Südafrika. Es geht immer um die Beendigung der Besatzung, denn um sich von Kolonialismus zu befreien, muss immer Widerstand geleistet werden, was jetzt auch passiert ist.
Was war darauf die Antwort? Eine enorme Empörung von den deutschen Medien und auch von der deutschen Gesellschaft, weil an diesem Tag mehrere Falschinformationen gestreut wurden. Beispielsweise, die Nachrichten von getöteten Kindern und von Vergewaltigungen. Nach ein paar Tagen stellte sich raus, dass diese Meldungen nicht stimmten. Selbst Biden hat über 40 geköpfte Babys geredet und später musste das Weiße Haus diese Desinformation zurück ziehen.
Ich finde das, tatsächlich sehr manipulativ. Genauso machen Medien Krieg. Vor jeder großen Militäraktion gegen Afghanistan, Irak, Libyen und Vietnam usw. emotionalisieren die Medien die Bevölkerung so enorm und so stark, dass der Staat alles machen konnte, was er möchte. Ein starker Beweis für diese Manipulation ist, dass die Anzahl der ermordeten Kinder in Gaza bei 4.000 ist, das ist fast die Hälfte der 10.000 Märtyrer.(2)
Wo ist die Empörung, wo sind die Aufrufe, die diesen Terrorismus benennen? Dieser Begriff Terrorismus wird nie für die Imperialisten benutzt. Es sind immer die Befreiungsbewegungen, die als Terroristen bezeichnet werden. Und wer bezeichnet sie so? USA, Deutschland, EU, Belgien, United Kingdom, Frankreich, das sind die Länder die in den letzten 100 Jahren den größten Terrorismus, die meisten Morde, Völkermorde auf der ganzen Welt begangen haben. Und das sind auch die Länder, die denken, dass sie in der Lage seien, zu entscheiden „Wer ist ein Terrorist und wer nicht?“
Interviewer2: Ergänzen will ich Folgendes: Der davor interviewte Genosse war vom Symposium(3), der meinte, dass dieser Desinformationsflut was entgegen gesetzt werden muss.
Interviewer: Der das Formulierte, war Veli, einer der Moderatoren vom Symposium. Zu Palästina gab es Solidarität und Repression. Hier in Deutschland befindet sich ein italienischer Genosse wegen der Aktivitäten für das palästinensische Volk in Berlin-Moabit im Knast.(4)
Wir würden gerne zum Schluss darauf eingehen, was in den herrschenden Medien oft unter den Tisch gefallen ist, wie ist die Situation der Gefangenen seit dem 7. Oktober?
Zaid: Fast die ganze Welt ist auf den Genozid in Gaza fokussiert. Gleichzeitig verschlechtert sich die Lage in den Gefängnissen enorm, denn die Anzahl der Gefangenen hat sich im letzten Monat verdoppelt, von 5.000 zu mehr als 10.000. 4.000 davon sind Menschen betroffen aus Gaza, die mit einer Arbeitserlaubnis, die in den 48 besetzten Gebieten oder der Westbank gearbeitet haben, die wurden kürzlich festgenommen.
Gestern oder vorgestern wurden von denen ein paar frei gelassen, d. h. wir kennen die genaue Anzahl der Gefangenen gerade nicht. Zum Beispiel Anhaltspunkte sind zu Gefängnissen geworden – in Zellen, in denen vorher acht Leute waren, sind jetzt 20 untergebracht. Die Gefangenen können nicht gleichzeitig schlafen, weil es keinen ausreichenden Platz dafür gibt. Fast 1.200 von den Gefangenen sind in Administrativhaft, d. h. ohne Prozess oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Das ist auch ein Tool, das die Besatzung von der vorherigen Besatzung, den Briten, geerbt haben.
Sie können eine Person ohne Beweise oder Gerichtsverfahren festnehmen. Was nun passiert ist, dass das Militär die Verwaltung der Gefängnisse einfach übernommen hat. Die Gefangenen haben nur eine Stunde Wasser pro Tag, sie haben kein Strom mehr. Ihnen wurde ihre Kleidung, ihre Bücher, Kochutensilien weggenommen. Die Essensportionen wurden reduziert, was dazu geführt hat, dass die Gefangenen fasten und ihr Essen teilen müssen. Sie dürfen kein Fernsehen mehr schauen, kein Radio mehr hören oder Besuche erhalten. Sie sind komplett von der Außenwelt getrennt.
Die Informationen, die wir derzeit haben, sind von Menschen, die im letzten Monat raus gekommen sind. Das Schlimmste, was gerade passiert ist, dass die Angriffe und Folter so enorm zugenommen haben, was die Gefangenenbewegung so noch nie erlebt haben.
Es gab im letzten Monat mindestens vier Märtyrer durch Folter. Die letzten zwei sind Arbeiter aus Gaza, sie wurden zu Tode gefoltert. Die Besatzung hat nichts darüber gesagt, sondern einfach veröffentlicht, dass zwei Menschen gestorben sind. Das heißt, dass es noch mehr Märtyrer in den Gefängnissen geben könnte, von denen man aber nichts weiß.(5)
Interviewer: Es hat Ähnlichkeit mit einer Kontaktsperre, wie wir sie auch teilweise aus Deutschland kennen. Sie wurde 1977 gegen die Gefangenen von der RAF angewendet, die total isoliert waren, keinen Kontakt nach draußen hatten, auch zu ihren Anwält:innen nicht und vier Inhaftierte ermordet wurden.(6) Noch ein Punkt: der Vorsitzende der PFLP, Ahmad Sa’adat, soll verschwunden sein. Seine Angehörigen und Genoss:innen wissen nicht mehr, in welchen Knast er sich befindet.
Zu dieser Situation in den Knästen hat die junge Welt mehrere Artikeln verfasst. Sonst schweigen dazu die Medien! Jetzt nochmal zu deiner Person – Du kommst ja aus Syrien, dir droht ja jetzt auch die Abschiebung zurück nach Syrien. Magst du da zum Abschluss noch was zu sagen?
Zaid: Wie anfangs schon erwähnt wurde, gab es mehrere Forderungen des israelischen Botschafters und zionistischen Organisationen, dass wir wegen 129b verboten werden sollten. Es gibt aber natürlich keine Verbindung zwischen Samidoun und anderen Fraktionen. Deswegen konnte der Staat Paragraf 129 einfach nicht anwenden.
Wenn der Staat 129 hätte nutzen können, hätte er das getan. Sie haben sich dann einfach was Anderes ausgedacht – sie wissen, dass Flüchtlinge schwache Papiere haben und sie entschieden, die Flüchtlinge mit ihren Papieren mehr oder weniger zu bedrohen. Das ist nicht der erste Fall bei einem Flüchtling, der ganz normale politische Arbeit leistet (Demos, Kundgebungen, Vorträge usw.), dass ihm seine Papiere genommen wurden. Leute haben ihren Aufenthaltstitel verloren wegen ihrer Palästina-Arbeit. Zwei Leuten aus Gaza wird mit Abschiebung gedroht, weil sie an einer Konferenz in Schweden teilgenommen haben. Der angreifende Staat nutzt die Tatsache, dass Flüchtlinge keine stabilen Papiere haben. Also versucht er sie, durch das Ausländeramt zu erpressen. Ich denke ganz generell, mein Fall, was wir auf der Sonnenallee gesehen haben und auch das Verbot von Samidoun sind ganz klare Fälle von Repression. Es ist einfach erstaunlich, dass es in der deutschen linken Szene keine Einigkeit zu diesen Themen gibt. Dabei ist es so klar.
Zum Glück dreht sich die Welt nicht um Deutschland und deutsches Verständnis. In anderen Ländern ist die Lage zu Palästina und zu pro-palästinensischer Arbeit viel besser. Es gibt zum Beispiel Gewerkschaften aus den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und Kanada, die sich geweigert haben Waffen an die Besatzung zu liefern. Länder wie Bolivien, Südafrika, Venezuela, Chile usw. haben ihre Beziehung zu der Besatzung gestoppt. Ebenso auch Gewerkschaften in Bangladesh die keine Klamotten mehr für H&M und Walmart produzieren. Die Welt, besonders die Länder des Südens, solidarisieren sich mit Palästina. Hoffentlich wird nach dem 7. Oktober, die Bewegung noch größer, um unser Volk in Palästina zu unterstützen und zu befreien.
Interviewer: Das ist eigentlich ein gutes Schlusswort! Auf das Verhalten der Linken hier, können wir im Rahmen dieses Interviews nicht mehr eingehen, denn das würde den zeitlichen Rahmen der Sendung sprengen. Trotz dieser Schwierigkeiten gehen auch hier viele Menschen für Palästina auf die Straße. Vorwiegend migrantische und viel zu wenig deutsche Linke. Das ist ein Problem, was irgendwann mal geklärt werden müsste, aber vielleicht ändert sich das jetzt demnächst auch.
Wir haben soweit keine Fragen mehr, haltet uns auf dem Laufenden. Euch viel Kraft, Energie und Solidarität. Bis zum nächsten Mal, tschüss!
Zaid: Tschüss!
Anmerkungen:
(1) Gespräch zum Internationalen Symposium, das vom 03. – 23. November in Berlin war; aus der Sendung „Wie viele sind hinter Gittern“ vom November 2023; https://www.freie-radios.net/125406
(2) Die Zahl der Toten ist inzwischen weiter gestiegen
(3) Internationales Symposium, das vom 3.-5.11.2023 in Berlin stattfand. Siehe auch GI 449 + 450.
(4) der Genosse befindet sich wieder auf freien Fuß
(5) Siehe junge Welt vom 23.10.23 und https://political-prisoners.net/tag/palaestinensischen-gefangene/
(6) Es waren Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ingrid Schubert. Siehe auch GI 440