„Nach fast 27 Jahren Gefängnis: endlich in Freiheit!“

Thomas Meyer-Falk

Es ist Sonntag, noch liegt meine Freilassung nach fast 27 Jahren keine drei Wochen zurück. Eben bin ich mit dem Rad ein paar Kilometer gefahren und sitze nun neben einem kleinen Teich. Die Sonne scheint durch die dichten Blätter der Baumkronen.

Am 29.08.2023 wurde mir am Vormittag von Frau Dr. S., leitende Psychologin der JAV Freiburg, mitgeteilt, dass soeben ein FAX des Oberlandesgerichts eingegangen und ich mit sofortiger Wirkung entlassen sei! Es sollte dann noch knapp zwei Stunden dauern bis alle

Sachen gepackt und mit Hilfe zweier Insassen und auch Anstaltsbeamten in einem Transporter verstaut waren. Dann fuhren die beiden Beamten mit mir ein letztes Mal durch das hohe Stahltor der JVA und es schloss sich hinter mir.

Es ging zu der Wohnmöglichkeit von Menschen, die mich solidarisch für die ersten sechs Monate aufnehmen, eine Gelegenheit anbieten anzukommen in Freiheit, nach einer so langen Zeit und hineingeworfen in ein neues Leben- ohne großartige Vorbereitung.

Aber weiterhin sitzen hunderte Menschen in der SV, zehntausende in Straf- und Untersuchungshaft, tausende in den forensischen Psychiatrien, und trotz sinkender Zahlen an Straftaten steigen all die Belegungszahlen der Verließe- nicht nur in der BRD, sondern fast weltweit. Während hier ein Bachzulauf zu dem Teich plätschert, schlagen Menschen ihre Köpfe gegen Betonmauern, ganz real und im übertragenen Sinne.

Meine ersten Tage und nun fast drei Wochen waren ausgefüllt: mit so vielen schönen Begegnungen mit Menschen, altvertrauten Weggefährt*innen und mit solchen

welche es hoffentlich werden. Dazu Telefonate, SMS, E-Mails: der Sprung aus dem technologischen Zeitalter der mechanischen Schreibmaschine (=Vollzugsalltag)

hinein ins 21. Jahrhundert. Erste Termine mit den Behörden verliefen weitestgehend reibungsfrei. Für Oktober steht eine Fahrt zum Tattoo Circus nach Berlin an.

Dort treffen sich einige ehemalige Gefangene um über den Strafvollzug kritisch zu diskutieren.

Je länger ich in Haft und dann auch in der Sicherungsverwahrung saß, umso wichtiger erschien es mir, dass der Protest gegen die Existenz von Gefängnissen niemals aufgegeben werden darf, mag das Brett das wir da bohren noch so dick und hart erscheinen. Die Bewohner*innen verzweifelnd dort, bekommen von Ärzt*innen Psychopharmaka verordnet um die leidmachenden Verhältnisse überhaupt aushalten zu können ohne völlig verrückt zu werden, oder sie betäuben sich mit illegalisierten Substanzen.

Gefängnisse dienen immer auch der Abschreckung in Richtung emanzipatorischer Bewegungen: Menschen sollen eingeschüchtert und davon abgebracht oder auch abgehalten werden, sich jenseits der sehr engen, vom Staat zugebilligten Räume, aktiv zu beteiligen, um für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen.

Mich hat all die vielen Jahre die so herzliche und auch intensive solidarische Begleitung über Wasser gehalten: Briefe, Besuche, Telefonate, solidarische Aktionen außerhalb des Knastes, und auch die materielle Unterstützung. All das half mir zu überleben. Ich danke Euch allen! Aus ganzem Herzen!

Ich bemühe mich nun, mich in mein neues Leben hinein zu leben und damit vertraut zu machen: durch Begegnungen, Telefonate und auf Veranstaltungen. Dennoch brauche ich immer wieder Stunden ganz mit mir alleine, denn die Haft fordert auch ihren Tribut.

In beruflicher Hinsicht gibt es für mich die Möglichkeit eines Praktikums bei RDL (https://www.rdl.de/) mit anschließendem Bundesfreiwilligendienst.

Mir ist bewusst wie privilegiert meine Lebenslage ist, denn durch die solidarische Begleitung wurde und wird mir ein Start in das Leben vor den Mauern ermöglicht, wie er sonst nicht so oft gelingt. Da landen Menschen nach der Entlassung obdachlos auf der Straße, kaum einen Euro in der Hand- und wisse nicht wohin. Ohne medizinische Versorgung, vor allem ohne einen Platz an welchem sie sich Willkommen und angenommen fühlen.

Ich freue mich auf viele weitere persönliche Begegnungen und hoffe, wir zusammen werden weiterhin für eine Gesellschaft ohne Käfige und Knäste kämpfen, streiten und argumentieren.

Herzschlagende Grüße aus Freiburg