Prozesserklärung von Veli Türkyilmaz – Teil II

Az.: III – 2 StS 1/22 In der Strafsache ./. Veli Türkyilmaz wird die Erklärung von Veli Türkyilmaz nachfolgend fortgesetzt:

Während meiner Inhaftierung wurde ich immer wieder systematisch gefoltert.
Selbst bei meiner Freilassung wurde ich zur „Verabschiedung“ nochmals geschlagen und getreten und mir wurde gedroht, dass ich mit meinem Tod rechnen kann, wenn sie mich wieder in die Hände bekommen würden.
Ich wurde auch nicht einfach aus dem Gefängnis entlassen, sondern sie fuhren mich in die Berge in der Umgebung von Ankara und warfen mich dort dann aus dem Fahrzeug. Ich musste mich dann erst orientieren, um nach Ankara zu kommen.
Meine Verurteilung in der Türkei erfolgte im Widerspruch zu allen geltenden Bestimmungen eines fairen Verfahrens, wie sie unter anderem in der EMRK festgelegt sind.

Es hat mich deshalb auch gewundert, dass die Staatsanwaltschaft diese Verurteilung in ihrer Anklageschrift einfach unkritisch übernahm ohne zumindest zu hinterfragen, ob diese auf rechtsstaatlicher Grundlage erfolgt ist. Für mich ist nach wie vor auch ungeklärt, welcher ausländische Geheimdienst seinerzeit die türkischen Sicherheitskräfte informierte und mich falsch beschuldigte und dafür gesorgt hat, dass ich inhaftiert und gefoltert wurde.
Wie ich bereits erklärt hatte, war ich in den Gefängnissen in der Türkei zunächst in Sammelzellen untergebracht, in denen jeweils rund 25 Gefangene waren. Es handelte sich dabei um politische Gefangene, die den verschiedensten linken antifaschistischen Parteien und Organisationen zugerechnet wurden, die in der Türkei oppositionell tätig waren. Es waren Gefangene, die der TKP/ML, der TKIP, der DHKP/C oder der PKK seitens der türkischen Sicherheitskräfte zugerechnet wurden. Die Inhaftierung und damit verbundene ständige Beschimpfungen und immer wieder Folter verbunden uns und die gegenseitige Solidarität war für mich eine Hilfe, diese Zeit durchzustehen.
Am 26.01. 2001 konnte ich dann nach Deutschland zurückkehren.

Von Beginn an stand ich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und des BKA und wurde deshalb von Beginn an auch von Beamten des BKA, teils in Begleitung von Vertretern der Staatsanwaltschaft angesprochen.
Sie waren auch in Begleitung eines Dolmetschers, bei dem es sich nach meiner Erinnerung um Cem Oran handelte. Hieraus resultiert auch meine Befürchtung, dass dieser befangen ist, da ich ihn nicht als unabhängigen Sachverständigen, sondern als Teil des BKA erlebt habe.

Seinerzeit wurde mir vorgeworfen, dass ich gegen den § 129 a StGB verstoßen habe. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde ich dann zuhause aufgesucht und es wurde mir dann eröffnet, das Verfahren gegen mich sei nach § 170 II StPO wegen Unschuld und fehlendem Tatverdacht eingestellt worden.
Ich lebte nach meiner Rückkehr wieder mit meiner Familie zusammen. Probleme mit der Ausländerbehörde konnten schnell gelöst werden, da mir keine subjektive Schuld zukam, dass ich mehr als 6 Monate die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatte.

Ich fand auch schnell wieder Arbeit.

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit einem Willkürprozess, Folterungen und dem blutigen Sturm der Gefängnisse durch türkische Sicherheitskräfte war es mir ein besonderes Anliegen, diese Zustände auch in Deutschland bekannt zu machen und mich solidarisch mit den antifaschistischen politischen Gefangenen in der Türkei zu zeigen.
So wurde ich nach meiner Rückkehr von verschiedenen antifaschistischen Organisationen aus gebeten, an einer Veranstaltung in Duisburg über die aktuelle Situation in den türkischen Gefängnissen und die Einführung der F-Typ-Gefängnisse teilzunehmen und auch von meinen eigenen Erfahrungen zu berichten.

Dies wurde dann auch gemacht und an dieser Veranstaltung haben sogar mehr als 250 Personen teilgenommen. Ich sage das auch deshalb, weil diese Veranstaltung organisationsübergreifend organisiert worden ist, was auch meinem Verständnis entspricht, dass antifaschistische Kräfte gut zusammenarbeiten müssen.

Ich habe dann auch die Zusammenarbeit mit dem Verein der Anatolischen Föderation fortgesetzt. Neben den Aktivitäten gegen Rassismus und für die Rechte von Migranten und Flüchtlingen habe ich mich vor allem auch an der Solidaritätsarbeit für politische Gefangene und Flüchtlinge beteiligt.

Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit Grup Yorum oder der Solidaritätsorganisation der Familien politischer Gefangener Tayad in der Türkei.

Seit langem bin ich ein „Fan“ der Musikband Grup Yorum. Es ist sehr bedauerlich und falsch, wenn nicht nur vom Erdogan-Regime, sondern auch dem BKA oder der Staatsanwaltschaft Grup Yorum und DHKP/C gleichgesetzt werden.
Ich will hier kurz etwas zur Band sagen, da mir ja seitens der Anklage vorgeworfen wird, ich hätte zu Konzerten der Band in Deutschland mobilisiert, die Teilnahme von anderen Personen mit organisiert und sogar selbst teilgenommen.
Die Band wurde einige Zeit nach dem Militärputsch von 1980 in der Türkei gegründet und orientierte sich an politischen Musikgruppen aus Lateinamerika – so aus Chile – wie Inti Illimani aber auch dem berühmten türkischen Volkssänger Ruhi Su.
Die Gruppe hat einen antifaschistischen und sozialistischen Anspruch und legt großen Wert auf internationale Solidarität. Ihre Lieder und ihre Musik enthalten auch griechische oder lateinamerikanische Elemente. Für die Gruppe war immer auch die Solidarität mit politisch Verfolgten auf der ganzen Welt und natürlich auch in der Türkei wichtig. Sie waren auch an den Solidaritätsaktionen beteiligt, als ich inhaftiert war und protestierten energisch gegen den blutigen Sturm auf die Gefängnisse im Dezember 2000.

Die Mitglieder der Gruppe wurden und werden oft selbst verfolgt und gefoltert, wurden unter Vorwänden vor Gericht gestellt und inhaftiert.

Die Band hatte sich auch auf Elemente der klassischen Musik gestützt. Ich erinnere mich noch, dass die Gruppe 2010 in Begleitung des Istanbuler Sinfonieorchesters und zahlreicher Gastmusiker im damaligen Inönü-Stadion vor über 50.000 Gästen ihr 25-jähriges Bandjubiläum gefeiert hat.

Auch Berkin Elvan und die Geschehnisse um ihn sind ja zum Teil der Anklage und des bisherigen Verfahrens gemacht worden.

Grup Yorum hatte nach der Ermordung des 14-jährigen Berkin Elvan durch die türkische Polizei im Zusammenhang mit den Gezi-Park-Protesten 2013 ein Lied für ihn geschrieben, in dem sie auch der Polizei vorwarfen, ihn vorsätzlich getötet zu haben. Auch deshalb wurden sie in der Türkei angeklagt.

Am Montag dieser Woche, dem 6.2.2023, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun die türkische Regierung wegen Tötung von Berkin Elvan verurteilt. Die Behörden hätten nicht genug getan, um zu untersuchen, welche Rolle der Leiter der nationalen Strafverfolgungsbehörden sowie der Gouverneur von Istanbul bei der Tötung damals spielten. Die Behörden seien nicht unabhängig gewesen und hätten ihre Verpflichtung zur Aufklärung nicht erfüllt, heißt es im Urteil des EGMR. Es steht in englischer Sprache vollständig auf der Website des EGMR zur Verfügung. Die Staatsanwaltschaft oder der Senat können es gerne lesen, da in ihm deutlich verschiedene Elemente des faschistischen Erdogan-Regimes gekennzeichnet sind. Das Erdogan-Regime ist meiner Meinung nach keine Regierung und das in der Türkei herrschende Regime kein System, das einem sogenannten „verfassungsmäßigen Regierungssystem in der Türkei“ entspricht, wie es der Senat leider in seinem Beschluss vom 17.10.2022 geschrieben hat, mit dem es die Einstellung des Verfahrens gegen mich ablehnte.

Es steht zu 100% im Widerspruch dazu, wie sich ganz aktuell auch in seinem Vorgehen gegen das Volk anlässlich der katastrophalen Erdbeben zeigt. Da es sich vor allem um alevitisch-kurdische Siedlungsgebiete handelt, wird ja auch in den deutschen Tageszeitungen darüber berichtet, wie seitens der Erdogan-Regierung internationale Hilfe behindert wird.

Nochmals zu Berkin Elvan und zur Erinnerung, da wir in den letzten Verhandlungstagen ja immer wieder Bilder und Facebook-Eintragungen gesehen und Übersetzungen gehört haben, die sich mit seiner Person und Vorgängen im Zusammenhang mit seiner Ermordung beschäftigt haben. Zunächst zur Erinnerung einige Punkte, die weder von der Staatsanwalt mitgeteilt noch vom Senat eingeführt bislang wurden.

Der Junge namens Berkin Elvan war im Juni 2013 im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten durch Polizeibeamte tödlich am Kopf verletzt worden. Dazu lagen auch Videoaufzeichnungen vor. Nach monatelangem Koma starb er im März 2014. Seine Familie klagte daraufhin vor dem Gericht in Straßburg.

Im März 2015 haben zwei Personen, die seitens der Staatsanwaltschaft der DHKP/C zugerechnet werden, im zentralen Justizgebäude Istanbuls Mehmet Selim Kiraz aufgesucht und ihn mit einer nicht geladenen Waffe bedroht. Er sollte erklären, dass auf Druck der Regierung die Bestrafung der Täter aus den Reihen der Polizei verhindert wurde. In den Medien wurde dies als Geiselnahme bezeichnet. Er war als Staatsanwalt mit den Ermittlungen im Fall Berkin Elvan befasst und hatte dafür gesorgt, dass gegen die Polizisten, die für seinen Tod verantwortlich waren, keine Strafverfahren durchgeführt wurden. Es heißt – auch in den ganz normalen Tageszeitungen -, dies sei auf Anweisung Erdogans erfolgt.

Den Zeitungen kann auch entnommen werden, dass es in den stundenlangen Verhandlungen klare Anzeichen für eine friedliche Lösung gab. Obwohl die Waffe nicht geladen war, stürmte ein Spezialkommando der Polizei das Gerichtsgebäude und erschoss die beiden Personen und verletzte den Staatsanwalt dadurch so schwer, dass dieser kurz danach im Krankenhaus starb. Die Tötung des Staatsanwaltes soll auch erfolgt sein, damit dieser nicht später Aussagen zu den Vorgängen machen konnte.

Aus einer Vielzahl von vorliegenden und veröffentlichten Dokumenten und Berichten ergibt sich, dass die sogenannten Geiselnehmer nie beabsichtigt hatten, den Staatsanwalt zu töten oder zu verletzen.
Dies war auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dies zeigte sich sofort an den öffentlichen Reaktionen auf die Tat. Bereits unmittelbar nach der Erstürmung des Justizgebäudes fanden in Istanbul Solidaritätsaktionen mit den angeblichen Geiselnehmern statt.

Im türkischen Twitter stand der Hashtag #BizdeSiziSeviyoruz („Wir lieben euch auch“) an der Spitze. Er bezieht sich auf ein Zitat der sogenannten Geiselnehmer, das „Wir lieben unser Volk“ lautet, mit dem sie sich in ihrem letzten Interview, vor ihrer Erschießung durch die Spezialeinheit, verabschiedet hatten.
Mir wird das ja ebenfalls vorgehalten. Ja, wie Zehntausende andere hatte ich dieses auch verwendet. Es waren Hunderttausende, die dieses Zitat getwittert hatten.
Viele Razzien fanden allein in der Juristischen Fakultät der Istanbul-Universität statt, wo dutzende StudentInnen festgenommen wurden, die das Vorgehen der Polizei kritisierten, welches nach ihrer Meinung eine „Hinrichtung ohne Urteil“ der sogenannten Geiselnehmer und des Staatsanwaltes darstellten. Breit wurde das Vorgehen der Regierung und der Sicherheitskräfte verurteilt und die gezielte Tötung der angeblichen Geiselnehmer und des Staatsanwaltes durch die Polizei.

Ich frage mich während des Prozesses immer wieder, warum werden die Geschehnisse seitens des Staatsanwalts so einseitig nach Erdogan Diktion dargestellt und wird dem auch gefolgt.
Wie bei den meisten Fällen, in denen Gezi-Demonstranten durch die Polizei getötet wurden, blieben auch beim Fall Berkin Elvan die Täter bis heute straffrei. In vielen anderen Fällen wurden erst gar keine Ermittlungen eingeleitet.
Das ist die Realität in der Türkei.
Für mich war es deshalb rechtmäßig, die Solidarität mit Grup Yorum zu organisieren, zu deren Konzert zu mobilisieren und selbst daran teilzunehmen. Dies geschah nicht, um die DHKP/C zu unterstützen, sondern um Menschen die Möglichkeit zu geben, dieser antifaschistisch-sozialistischen Band zuzuhören.
Es ist auch richtig, dass ich das Vorgehen des Erdogan-Regimes im Zusammenhang mit der Tötung des Staatsanwaltes und der sogenannten zwei Geiselnehmer durch die türkische Polizei kritisierte und ebenfalls die Aussage „Wir lieben euch auch!“ verwendet habe, wie Hunderttausende andere auch.
Ich halte es nicht für richtig, dass – wie es seitens der Staatsanwaltschaft scheinbar beabsichtigt ist – eine Kontrolle sozialer Medien nach Vorgaben des Erdogan-Regimes in Deutschland mit Hilfe des Strafrechtes verwirklicht werden soll.

Ich will im folgenden etwas auf mir vorgehaltene Kontakte und mit diesen geführte Telefongespräche eingehen.
Wie ich bereits erklärt hatte, wurde ich nach meiner Rückkehr auch für den Verein der Anatolischen Föderation aktiv. Für mich war dies eine völlig legale Tätigkeit. Der Verein war und ist nicht verboten.
Im Wuppertaler Verein lernte ich meiner Erinnerung nach gegen 2008 auch Ünalkaplan Düzyar kennen. Wir arbeiteten bezogen auf die Vereinsziele zusammen, telefonierten mit einander und hatten natürlich mehrere Jahre guten Kontakt. Wir verstanden uns als Freunde.
Unsere Beziehungen wurden weder von ihm noch von mir heimlich durchgeführt und selbst bei den Telefongesprächen kann festgestellt werden, dass die Vornamen bei den Anreden verwendet wurden.
Was sollte auch verheimlicht werden? Der Protest gegen Rassismus und Faschismus in Deutschland, das Eintreten für mehr Rechte für Einwander:innen, gegen die Unterstützung des Erdogan-Regimes durch Deutschland oder die Solidarität mit politischen Gefangenen war und ist für mich eine rechtmäßige Tätigkeit.
Die abgehörten Telefongespräche liegen teils fast 15 Jahre zurück. Wissen die Richterin und die Richter dieses Senates noch, was sie vor 14 oder 15 Jahren bei Telefongesprächen gesagt haben? Ich kann nur sagen, die Telefongespräche mit Ünal hatten nie Aktivitäten für die DHKP/C zum Gegenstand, sie wurden von mir und von ihm bezogen auf öffentliche Aktivitäten geführt und jeder einzelne Vorgang kann auch konkret aufgeklärt werden.
Ich finde es bereits ein Unding, dass jetzt – nach fast 15 Jahren – gegen mich ein Prozess geführt wird, obwohl ich in der ganzen Zeit beobachtet wurde.
Ist das fair? Wenn die Staatsanwaltschaft der Meinung ist, ich würde mich kriminell verhalten, warum hat sie dann nicht früher gegen mich Anklage erhoben?
Zu Sadi Naci Özpolat:
Ich habe auch in dem Interview mit mir in diesem Zusammenhang schon einiges gesagt. Auch z.B., dass sich seitens der Deutschen Regierung, obwohl sich meine Frau dafür einsetzte und vorsprach, nichts für meine Freilassung getan hat. Auch das ist zumindest der Staatsanwaltschaft bekannt.
Die Bundesanwaltschaft scheint ja sehr daran interessiert zu sein, mit dem Diktator Erdogan gute Beziehungen zu haben, wie auch der letzte Besuch des Generalbundesanwalts bei ihm verdeutlicht hat.
Solidarität hatte ich während der Inhaftierung aber unter anderem durch Sadi Naci Özpolat erfahren. Ich werde ihn in der Folge nur noch Sadi nennen, so wie wir uns auch gegenseitig kennen und ansprechen.
Ich kenne Sadi zum einen aus der Gefängniszeit. Auch ein Cousin von ihm war mit mir inhaftiert. Wir sind auch entfernter verwandt.
Nach meiner Erinnerung konnte Sadi wohl 2008 aus der Türkei fliehen und hatte in Frankreich Asylantrag gestellt.
Er kam auch zu mir, um mich zu besuchen. Das müsste ebenfalls 2008 gewesen sein.
Wir hatten auch telefonisch Kontakt, wobei dies immer offen war und wir – wie man feststellen kann – auch ganz normal unsere Vornamen verwendeten.
Es war für mich selbstverständlicher Ausdruck unserer gemeinsamen Gefängniserfahrungen und des Grundsatzes der Gastfreundschaft, dass Sadi bei mir übernachten konnte, wenn er zu Besuch in Nordrhein – Westfalen war und mich fragte, ob er bei mir übernachten könne.
Er besuchte mich gern und war in Gesprächen auch daran interessiert, mehr über die Lage der Migranten, vor allem der sogenannten „Gastarbeiter“ zu denen ich ja gerechnet wurde und den Rassismus in Deutschland zu erfahren. Er hörte gerne zu. Ich hatte auch Differenzen zu ihm, so zur Frage des Todesfastens. Darauf bin ich ja auch in dem Interview eingegangen.
Wir hatten ein gutes Verhältnis, welches vor allem auch durch die Gefängniszeit und gemeinsame Erfahrungen von Folter und Repression geprägt war. Manchmal waren wir auch zusammen im Verein. Ich hatte ihn sogar gefragt, ob er mich denn besuchen dürfe und er zeigte mir dann seinen Pass und sagte mir auch, dass es keine Probleme mit der Polizei gibt.
Soweit ich mich erinnere fand dann Anfang 2010 eine Durchsuchung in meiner Wohnung statt, an der auch die Sitzungsvertreterin der Generalstaatsanwaltschaft teilnahm, um nach Sadi zu suchen. Ich wurde dabei auch von einem Polizeibeamten schikaniert, wogegen ich mich verwehrte und andere Polizeibeamte ihn sogar kritisierten.
Um es nochmals kurz auf einen Punkt zu bringen: Ja, Sadi hat bei mir übernachtet, ja, wir hatten auch telefonischen Kontakt. Aber dies hatte die vorgenannten Zusammenhänge, die gemeinsame Zeit im Gefängnis, die Erfahrung mit dem tödlichen Vorgehen der türkischen Polizei gegen uns Gefangene, die verwandtschaftlichen Beziehungen und der Grundsatz der Gastfreundschaft.
Die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe sind willkürlich und treffen nicht zu.
Auch einzelne Vorgänge lassen sich so aufklären und bringen aber auch die teils gespenstische Rolle des BKA und des Verfassungsschutzes zum Ausdruck.
So wollte ich tatsächlich ein Auto kaufen. Ünal kannte einen Autohändler, bei dem ich ein Auto kaufen wollte. Ich fuhr dorthin, es klappte aber nicht, da ich einen Eintrag in der Schufa hatte. Wir verließen den Autohändler. Später wurde ich angerufen, dass der Kauf doch zustande kommen kann.
Inzwischen waren nämlich Polizeibeamte – LKA – bei ihm gewesen, die mich beobachtet hatten, und hatten ihm gesagt, er solle mir das Auto verkaufen. Dieses sollte wohl vom LKA vorher noch präpariert werden.
Der ganze Vorgang wurde dann auch abgehört.
Mit einer Organisation hat er nichts zu tun. Ich brauchte einfach ein neues Auto.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass weder im Verhältnis zu Ünal wie zu Sadi ein Über- Unterordnungsverhältnis bestand und ich auch nicht weisungsgebunden war. Wir begegneten uns auf gleicher Augenhöhe. Die Schlussfolgerungen der Generalstaatsanwaltschaft sind willkürlich und an den Haaren herbeigezogen.
Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Staatsanwaltschaft Herrn Ates als Zeugen für meine Mitgliedschaft nennt.
Herr Ates ist, wie der Senat weiß, ein Agent des BND und des türkischen MIT. Ich persönlich kenne ihn nicht und hatte nie mit ihm zu tun. Er kann gerne auch als Zeuge vernommen werden, da er dann bestätigen kann, dass ich eben gerade kein Mitglied gewesen bin.
Sowohl die willkürliche Verurteilung in der Türkei wie die anschließende ständige Kriminalisierung durch BKA und Bundesanwaltschaft bzw. später LKA und Generalstaatsanwaltschaft hatten massiven Einfluss auf mein Leben.
Der Senat kann sich gerne einmal Spielfilme zu ähnlichen Vorgängen ansehen, z. B. zur McCarthy-Zeit in den USA, um zu verstehen, wie derartige Vorgänge auf betroffene Menschen wirken.
Meine Beziehung zu meiner Ehefrau wurde dadurch belastet. Wir trennten uns und wurden später geschieden.
Aufgrund der Erlebnisse in der Türkei habe ich eine posttraumatische Belastungsstörung, die sich bis heute auswirkt.
Wegen meines Aufenthaltes bekam ich Probleme. So verlor ich die türkische Staatsangehörigkeit durch Ausbürgerung, die im türkischen Amtsblatt verkündet wurde aufgrund meiner oppositionellen Haltung gegenüber dem türkischen Regime.
Ich hatte die Einbürgerung beantragt; im Hinblick auf die seit 1999 laufenden Ermittlungsverfahren und Verdächtigungen wurde die Einbürgerung dann jedoch ausgesetzt, weil das Ergebnis der Ermittlungen abgewartet werden sollte. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg endete deshalb auch mit einem Vergleich.
Ich erhielt dann einen sogenannten Staatenlosenpass, der auch bei Behörden erstmal Befremden und Nachfragen hervorruft. Schon der Begriff ein „Staatenloser“ bringt eine abwertende Wirkung mit sich.
Aufgrund der gegen mich seit langem laufenden Ermittlungen – so wurde ja bereits 1999 durch die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen mich eingeleitet – bin ich bis heute nicht eingebürgert worden und habe die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.
Ich vermute, dass möglicherweise dieses 1999 eingeleitete Verfahren auch zu meiner Verhaftung in der Türkei geführt hat. Ich hoffe, dass dies vielleicht später einmal aufgeklärt wird und die Verantwortlichen dafür, dass ich in die türkischen Folterkammern kam, dafür auch seitens deutscher Gerichte zur Rechenschaft gezogen werden.
Für heute möchte ich meine Erklärung abschließen.
Ich will jedoch in einem dritten Teil meiner Erklärung, die ich am 27.2. 2023 abgeben will, auch auf weitere konkrete Vorwürfe eingehen, wie sie in der Anklageschrift enthalten sind.