„Alle mit Alfredo Cospito“.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der halbjährlich stattfindenden Konferenz der Roten Hilfe International haben ihre Arbeit abgeschlossen. Die Konferenz befasste sich unter anderem mit der Entwicklung und Bewertung unserer kämpferischen Solidarität mit Rojava und der revolutionären palästinensischen Linken.
Es wurde auch über den bevorstehenden Prozess gegen einen Genossen der Roten Hilfe Genf am 14. April gesprochen. Dieser Genosse muss vor dem Militärgericht in Sion erscheinen, das ihn anklagt, als Internationalist an der bewaffneten Verteidigung von Rojava teilgenommen zu haben. Dieser Prozess bietet die Gelegenheit, die Legitimität und die Notwendigkeit der Verteidigung der Revolution in Rojava als Teil eines internationalen revolutionären Prozesses zu bekräftigen
Es wurde viel über den Kampf des anarchistischen Gefangenen Alfredo Cospito gegen das Gefängnisregime 41bis gesprochen. Seit fast 20 Jahren kämpft die RHI gegen dieses Regime der totalen Isolation, dem die Gefangenen der Roten Brigaden-PCC Nadia Lioce, Roberto Morandi und Marco Mezzasalma seit 2005 ausgesetzt sind.
41bis ist im Fall dieser Revolutionär:innen keine Sicherheitsmaßnahme oder eine Art der Bestrafung: Es ist ein Druckmittel. Sie müssten nur mit den Polizeikräften zusammenarbeiten, um aus dem Gefängnis herauszukommen. Wie Alfredo Cospito sagt: „Die einzige Möglichkeit, die ich habe, hier herauszukommen, ist, meine Anarchie zu verleugnen und jemanden zu verkaufen, den ich an meine Stelle setzen kann.“ Schmerzen zu verursachen, um eine Verleugnung oder Informationen zu erpressen: Das ist die genaue Definition von Folter.
Auch um diese Alternative – Verrat oder 41bis – abzulehnen, beging die Militante der Roten Brigaden-PCC Diana Blefari am 31. Oktober 2009 Selbstmord.
Dieser Selbstmord und der Hungerstreik bis zum Tod von Alfredo Cospito zeigen, wie 41bis eine unerträgliche Folter ist.
Alfredo Cospitos Wahl, die in seinen Erklärungen vollkommen dargelegt ist, ist keine Wahl der Verzweiflung, sondern die Wahl eines Kämpfers. Als solche muss man sie verstehen, als solche muss man sie unterstützen.
In seinem am 1. März veröffentlichten Brief erklärte Alfredo Cospito: „Ich bin überzeugt, dass mein Tod diesem Regime ein Hindernis in den Weg legen wird“.
Es liegt an uns, ihn in dieser Überzeugung zu bestätigen, indem wir die Barbarei des italienischen Staates und seines Polizei- und Justizapparates auf jede erdenkliche Weise anprangern. Dieser Staat und sein Apparat haben eine lange Geschichte von Folter und Massaker, eine lange Tradition, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen.
Sie haben einen harten Kopf, sind skrupellos und genießen die feige Komplizenschaft fast der gesamten italienischen und europäischen Intelligenz.
Es muss hart und wiederholt zugeschlagen werden.
Rote Hilfe International
Zürich, 26. März 2023
Anhang: Erklärung von Alfredo Cospito anlässlich der Verhandlung vom 14. März 2023
Ich beginne mit einem Zitat meines Anstifters: „Unser Rechtssystem hat diese Form der Todesisolation eingeführt, welches das 41bis-Regime ist und das in gewisser Weise sogar noch unzivilisierter ist als die pharmakologische Verstümmelung. So viel dazu, dass unser System nicht durch Zivilisation glänzt“. Carlo Nordio, 28. März 2019
Diese Worte waren die Initialzündung für den Kampf, den ich begonnen habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit kommen würde. Melodramen fand ich schon immer lächerlich, ich zieh eher Komödien vor, aber so ist es nun mal gelaufen. Sind wir oder sind wir etwa nicht im Land der Melodramen? Und so muss ich es nun glanzvoll beenden. Aber wenn ich darüber nachdenke, hat es etwas Ironisches: Ich bin der einzige Dummkopf, der im fortschrittlichen demokratischen Westen stirbt, weil er daran gehindert wird, das zu lesen und zu lernen, was ich will: anarchistische Zeitungen, anarchistische Bücher, historische und wissenschaftliche Zeitschriften, ganz zu schweigen von den geliebten Comics.
Ihr werdet zugeben müssen, dass es paradox und sogar ein wenig komisch ist. Aber ich kann so nicht leben, ich kann es einfach nicht, und ich hoffe, dass diejenigen, die mich lieben, das verstehen. Ich schaffe es nicht, mich diesem Nicht-Leben zu ergeben, dieser Drang ist stärker als ich, vielleicht weil ich ein anarchistischer Dickkopf aus den Abbruzzen bin. Sicherlich bin ich kein Märtyrer, Märtyrer sind mir zu wider. Ja, ich bin ein Terrorist. Ich habe einen Menschen angeschossen und ich habe mich zu dieser Geste mit Stolz bekannt. Aber ich muss auch sagen, diese Definition aus dem Munde von Staatsvertretern zu hören, die Kriege und Millionen von Toten auf dem Gewissen haben und die sich manchmal, wie einer unserer Minister, am Waffenhandel bereichern, bringt mich ein bisschen zum Lachen. Aber was soll’s, so ist der Lauf der Welt, zumindest bis die Anarchie triumphiert und der wahre Sozialismus, der antiautoritäre und antistaatliche, endlich das Licht der Welt erblickt. „Da kannst du warten bis du schwarz bist“ werdet ihr sagen und das werde ich auch tun, denn die einzigen Lichtblicke, die ich sehe, sind die Gesten der Rebellion meiner revolutionären Brüder und Schwestern überall auf der Welt, und das sind gewiss nicht wenige, denn sie werden mit Herz, Leidenschaft und Mut ausgeführt, so verstreut und ungestüm sie auch erscheinen mögen.
Nachdem ich dies klargestellt habe, möchte ich noch den Grund für meine hartnäckigen Wut auf das 41bis-Regime erläutern. Ich glaube, einige Juristen haben dass verstanden, aber nur sehr wenige: Das 41-bis ist eine Metastase, die euren so genannten Rechtsstaat zu untergraben droht und tatsächlich untergräbt, ein Krebsgeschwür, das in einer etwas totalitäreren Demokratie – und mit der Regierung Meloni sind wir fast so weit – dazu benutzt werden könnte, jede politische Dissidenz, jede Art von hypothetischem Extremismus zu unterdrücken, also mit Terror zum Schweigen zu bringen. Das Gericht, das über das mittelalterliche Schandmaskenurteils des 41-bis entscheidet, ist dem faschistischen Sondergericht sehr ähnlich, die Dynamik ist dieselbe: Ich kann diesem Höllenkreis nur entkommen, wenn ich meine politischen Überzeugungen, meinen Anarchismus verleugne, nur wenn ich irgendeine/n Gefährtin oder Gefährten verkaufe. Es beginnt immer mit den „Zigeunern“, den Kommunisten, den Antagonisten, den Chaoten, den Subversiven und dann der mehr oder weniger revolutionären Linken.
Wie könnte ich mich dem nicht widersetzen, jedenfalls auf verzweifelte Weise, und für einen Anarchisten, gerade weil wir keine Organisation haben, ist das gegebene Wort alles, und deshalb werde ich bis zum Ende weitermachen. Um mit den Worten des Anarchisten Henry zu schließen, der, wenn ich mich recht entsinne, sagte, bevor man ihm den Kopf abschlug: Wenn mir die Vorstellung nicht gefällt, kann ich sie genauso gut verlassen, hinausgehen und die Tür laut zuschlagen. Das werde ich in den nächsten Tagen tun, hoffentlich mit Würde und Gelassenheit, so weit es mir möglich ist.
Eine herzliche Umarmung an Domenico, der im 41-bis in Sassari einen Hungerstreik begonnen hat, in der Hoffnung, seine Kinder und Angehörigen wiedersehen zu können, in der festen Hoffnung, dass andere, die zum 41-bis verdammt sind, ihre Resignation aufgeben und sich dem Kampf gegen dieses Regime anschließen, das die Verfassung und den sogenannten Rechtsstaat – was immer das auch sein mag – zu Schmierpapier macht.
Für die Abschaffung des 41bis-Regimes.
Für die Abschaffung der verschärften lebenslangen Haft.
Solidarität mit allen anarchistischen, kommunistischen und revolutionären Gefangenen weltweit.
Ich danke euch, Brüder und Schwestern, für alles, was ihr getan habt, ich liebe euch und verzeiht mir meine unlogische Sturheit. Niemals mit gesenktem Kopf, immer für die Anarchie.
Lang lebe das Leben, nieder mit dem Tod.
Alfredo Cospito