Interview mit Eda Deniz Haydaroğlu zu ihrem Unbefristeten Hungerstreik


Redaktion

Vor gut einem Jahr, im Mai 2022, wurden Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli nach §129b verhaftet, im Februar verfolgte die Verhaftung von Hasan Unutan. Wir haben mit Eda vom Komitee „Weg mit dem Naziparagraphen 129“ ein Interview geführt und über die Repression gegen die vier gesprochen.

Redaktion: Kannst du zu Beginn kurz vorstellen, wer sind Özgül, İhsan, Serkan?

Eda: Özgül, İhsan und Serkan sind drei türkeistämmige Antifaschisten. Sie wurden am 16. und 17. Mai 2022 auf Grundlage von Paragraph 129b verhaftet.

Özgül Emre (Revolutionärin und antifaschistische Journalistin), ist in Deutschland geboren, aber in der Türkei aufgewachsen. Sie ist in der Türkei im Umfeld von Revolutionären aufgewachsen und hat somit den Klassenfeind und Klassenunterschied in der Türkei früh mitbekommen. Sie hat die Repressionen gegen Revolutionäre mitbekommen, sei es Folter, willkürliche Verhaftungen oder die Morde auf offener Straße. Auch ihr Onkel wurde von der faschistischen Türkei ermordet.
Özgül Emre hat also im jungen Alter (mit 14 Jahren) beschlossen sich dem antifaschistischen revolutionären Kampf anzuschließen.
Sie wurde in der Türkei mehrmals in Gewahrsam genommen und wurde gefoltert, aber hat sich nicht einschüchtern lassen. Sie hat auch als Journalistin für das Magazin Kurtuluş (Befreiung) gearbeitet. Nachdem sie auf den Terrorlisten von der Türkei erschienen ist und mit Kopfgeld gesucht wurde, ist sie nach Deutschland als politisch Verfolgte gekommen und hat ein politisches Asyl erhalten. Seit Jahren lebt sie in Deutschland und ist weiterhin im Kampf gegen Faschismus aktiv. Sie organisierte Konzerte gegen Rassismus, hat an Kundgebungen gegen den türkischen Faschismus teilgenommen und Seminare über Anti-Drogen-Arbeit gegeben.

İhsan Cibelik (Revolutionärer Musiker – Grup Yorum Mitglied), ist in der Türkei geboren und aufgewachsen. Man kann sagen, dass er in armen Umständen aufgewachsen ist und somit den Klassenunterschied auch früh mitbekommen hat. In seinen Studentenjahren hat er die Linke kennengelernt und hat sich dem revolutionären Kampf in der Türkei angeschlossen. Als Musiker und einer der ältesten Mitglieder von der Musikband Grup Yorum (antifaschistische, revolutionäre Musikband aus der Türkei, gegründet 1985) war er in der vordersten Front des antifaschistischen Kampfes. Er wurde oft verhaftet und gefoltert. Auch in den 2000ern war er in den Gefängnissen. Er hat sich damals dem Todesfasten angeschlossen gegen die F-Typ Gefängnisse und war einer der Gefangenen die zwangsernährt wurden und an den Spätfolgen wie Wernicke-Korsakoff-Syndrom leiden. Er hat auch im Jahr 2000 das Gefängnis Massaker miterlebt und Widerstand geleistet. Nachdem er freigelassen wurde kam er auch auf die Terrorlisten der Türkei und musste nach Europa.
İhsan Cibelik hat aber niemals aufgehört den antifaschistischen Kampf anzuspornen. Er hat auch in Europa weiterhin als Grup Yorum Bandmitglied Konzerte gegeben, Reden gehalten auf Kundgebungen, Veranstaltungen und Musikunterricht in Vereinen organisiert.

Serkan Küpeli ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Seine Eltern sind ursprünglich aus Antep. Serkan hat als Jugendlicher die politischen Probleme in der Türkei und auch in Deutschland und weltweit mitbekommen und hat sich dem antifaschistischen Kampf angeschlossen. Als ein ehemaliges Mitglied der Dev-Genc (Revolutionäre Jugend) hat er viele Kundgebungen, Demos und Konzerte gegen Rassismus und Degeneration organisiert oder an diesen Veranstaltungen teilgenommen. Später hat er geheiratet aber war mit seiner antifaschistischen Persönlichkeit immer ein Freund von Revolutionären. Kurz bevor er verhaftet wurde hat er sein erstes Kind bekommen.

Wie ist die aktuelle Situation von Özgül, İhsan und Serkan im Gefängnis?

Momentan befinden sich alle drei in verschiedenen Gefängnissen von Deutschland in Untersuchungshaft. Özgül Emre wurde vor kurzem von der JVA Rohrbach nach Köln Ossendorf verlegt. Serkan Küpeli befindet sich in Hamburg Dammtor und İhsan Cibelik ebenfalls in Köln Ossendorf.
Alle drei sind auch in den Gefängnissen mit Repressionen konfrontiert. Serkan Küpeli kann z.B. seit seiner Verhaftung nicht seine Tochter in den Arm nehmen, obwohl ihm das eigentlich erlaubt sein müsste.
Özgül Emre wurde am Anfang ihrer Verhaftung, trotz der Unschuldsvermutung, die Anstaltskleidung aufgezwungen. Sie hat mit einem 44-tägigen Hungerstreik ihr Recht auf zivile Kleidung erhalten, aber in der Zeit hat die JVA Rohrbach ihr das Leben schwer gemacht und man kann sagen sie gefoltert, indem sie ihr weder Salz noch Zucker gegeben haben, obwohl es lebensnotwendig war. Sie haben sie einen Monat lang im „Revier“ in Unterwäsche gehalten, obwohl dort die Gefangenen maximal drei Tage gehalten werden.
Auch nach dem Widerstand nehmen die Repressionen kein Ende. Özgül Emre werden trotz Zusage vom Bundesgerichtshof ihre Bücher nicht ausgehändigt. Ihre Briefe werden nicht verschickt und auch Briefe, die sie von ihren Freunden, Familien und Genossen bekommt, kann sie nicht erhalten.
Sie warten seit nunmehr fast einem Jahr auf ihren Prozess, von dem die nicht einmal wissen, was er beinhaltet, weil bis heute keine Anklageschrift übermittelt wurde.

Während der Kampagne gegen die Paragraphen 129 StGB gab es, mit der Festnahme von Hasan Unutan, einen weiteren Repressionsschlag. Seine Verfahren wird jedoch nicht wie bei den anderen von der Generalbundesstaatsanwaltschaft sondern von der Landesstaatsanwaltschaft geführt. Ist das neu für euch und was hat das zu bedeuten? Wie ist die Situation von Hasan?

Hasan Unutan wurde am 9. Februar ebenfalls auf Grundlagen von Paragraph 129b verhaftet. Jedoch wurde seine Anklage vom Landesanwaltschaft geführt. Für uns ist das etwas neues. Und ich habe bis jetzt auch noch nie davon gehört, dass jemand auf Grundlagen von Paragraph 129b verhaftet wird auf Beschluss vom Landesstaatsanwalt. Das öffnet natürlich die Tür für mehr Repressionen und Verhaftungen. Für sie ist Hasan Unutan ein „Versuchskaninchen“ oder ein Musterverfahren, um nun mehr Verhaftungen auf Landesebene zu verwirklichen. Das zeigt uns wie sehr Angst Deutschland vor dieser Kampagne hat. Sie möchten uns vor allem mit der Verhaftung von dem Familienvater Hasan Unutan einschüchtern.

Hasan Unutan befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Stammheim. Soweit wir mitbekommen haben, befindet er sich in Isolationshaft.

Du befindest dich aus Protest seit dem 18. März 2023 in einem unbefristeten Hungerstreik. Wie geht es dir? Was sind die Ziele und wie und wo kann man euch unterstützen?

Da rund um den Prozess und die Verhaftungen viele Ungerechtigkeiten sind, auf die wir als Komitee „Weg mit dem Naziparagraphen 129“ aufmerksam machen, haben wir jetzt unseren Kampf auf eine neue Ebene getragen. Der deutsche Imperialismus versucht uns einzuschüchtern und wir antworten mit dem Widerstand. Wir mussten den Repressionen einen Ende setzten. Wir wissen genau, wenn wir heute nicht kämpfen und keinen Widerstand leisten, dann werden wir die Nächsten sein. Dieser faschistischer Paragraph ist ein Angriff und Bedrohung für alle Antifaschisten und Linken. Also habe ich mich dafür entschieden in einen unbefristeten Hungerstreik einzutreten. Der Hungerstreik ist einer der effektivsten Methoden um Widerstand zu leisten.

Ein aktuelles Beispiel dafür, ist der Sieg in Griechenland. Elf türkeistämmige Revolutionäre wurden mit den Anti-Terror-Gesetzen zu insgesamt 333 Jahren Haft verurteilt. Während alle den Fall als „hoffnungslos“ betrachtet haben, haben die Gefangenen sich dafür entschieden Widerstand zu leisten und sind in einen unbefristeten Hungerstreik getreten für ein gerechtes Verfahren. Nach 97 Tagen haben sie gesiegt und 10 von ihnen wurden freigesprochen, einer wurde freigelassen. Dieses aktuelle Beispiel zeigt uns, dass wir siegen können, wenn wir kämpfen und Widerstand leisten.

Dieser Hungerstreik soll eine Barrikade gegen die Angriffe des deutschen Imperialismus auf alle Linken und Revolutionären mit Hilfe von Paragraph 129a/b sein. So habe ich, am 18. März (am Tag der politischen Gefangenen), den unbefristeten Hungerstreik gestartet. Seit 26 Tagen bin ich im Hungerstreik für Gerechtigkeit (12.04.23). Während dem Hungerstreik nehme ich nur Salz, Zucker (auch in Form von Gummibären), Wasser, Tee und Vitamin B1 zu mir. Bis jetzt habe ich 7 Kilo abgenommen und wiege nun nur noch 45,5 Kilo.
Während dem Widerstand befinde ich mich in Berlin. Wir sind in der Woche jeden Tag von 11:00 bis 18:00 Uhr vor dem Bundesministerium der Justiz in Berlin (Jerusalemer Str. 27) und werden den Widerstand zumindest bis zu dem Verfahren dort fortsetzen. An Wochenenden organisieren wir Kundgebungen in Kreuzberg oder Neukölln. Ziel des Hungerstreiks ist es natürlich in erster Linie Öffentlichkeit zu schaffen und die Menschen in Deutschland auf diese Ungerechtigkeiten und willkürlichen Repressionen aufmerksam zu machen. Dazu kann jeder etwas beitragen. Sei es Anrufe und Emails an die Behörden, sei es Druck der Presse machen, damit sie von dem Widerstand berichten, oder sei es ein Post auf social media von dem Widerstand.
Natürlich freuen wir uns auch, wenn Leute uns besuchen kommen und ihre Solidarität mit uns und dem Widerstand zeigen. Dafür haben wir einen Programm veröffentlicht, wo auch die Zeiten stehen wann wir wo sind und was wir machen. Wir bleiben über Nacht im Yorum Kultur Haus in Kreuzberg, wo man uns auch bis spätestens 22:00 Uhr besuchen kommen kann. (Dresdener Str. 27, 10999 Berlin)

Wir haben außerdem einen Aufruf für einen Solidaritätshungerstreik gemacht für jeden Samstag. Das heißt, wir rufen alle dazu auf, unseren Hunger von morgens bis abends jeden Samstag zu teilen. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir auch von diesem Soli-Hungerstreik mitbekommen und uns per E-Mail, social media oder Telefon Bescheid gegeben wird.

Jeder der unsere Forderungen teilt sollte mit uns gemeinsam kämpfen. Wir möchten nicht nur Solidarität, sondern wir sagen, „Der Kampf gegen Paragraph 129 muss unser gemeinsamer Kampf sein.“ Unsere Forderungen sind legitim. Im Allgemeinen fordern wir die Freiheit für unsere Genossen und Gerechtigkeit für alle antifaschistischen und revolutionären Gefangenen.

Wir fordern:
1- Die Untersuchungshaft gegen die revolutionären und antifaschistischen Gefangenen Özgül Emre, İhsan Cibelik, Serkan Küpeli und Hasan Unutan soll aufgehoben werden!
2- Digitale Dateien sollen nicht als Beweismittel bei politischen Gerichtsverfahren benutzt werden, da diese in ihrem Grundwesen jeglicher Form von Abänderung, Neuverfassung, Löschung etc. ausgesetzt sind!
3- Die Berichte des Verfassungsschutzes über Antifaschisten sind nicht legitim und sollen deswegen nicht als Beweismittel bei politischen Gerichtsverfahren benutzt werden!
4- Generalbundesanwalt Deutschlands, Peter Frank, muss erklären, was er in der Türkei mit dem faschistischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan besprochen hat und wofür er in der Türkei geehrt wurde, nachdem er den Haftbefehl der drei Antifaschisten, Özgül, İhsan und Serkan angeordnet hat.
5- Die Forderungen von dem italienischen Anarchisten Alfredo Cospito, der sich seit dem 20.10.2022 im Hungerstreik gegen das 41bis Regime und Isolationshaft befindet, sollen erfüllt werden!- Isolationshaft ist Mord, Isolationshaft ist Folter!
6- Der faschistische §129 a und b soll aus dem Gesetz gestrichen werden.
7- Alle antifaschistischen und revolutionären Gefangenen müssen auf der Stelle freigelassen werden.

Wir fordern nicht nur Gerechtigkeit für Özgül, İhsan, Serkan und Hasan, sondern diese Forderungen sind Forderungen von allen Antifaschisten.
Wir kämpfen nicht nur für unsere Genossen, sondern „hungern“ auch für die Freiheit von politischen Gefangenen aus Palästina, Türkei, Italien, Frankreich, USA und etc.
Dieser Kampf muss unser gemeinsame Kampf sein. Der deutsche Imperialismus will unsere Identität berauben. Wir schützen mit dem Widerstand unsere Identität.
Wir sagen, und das soll mein Schlusssatz werden, „Revolutionär oder Antifaschist zu sein ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht!“

Ich danke euch für das Interview und schicke solidarische und kämpferische Grüße an alle politischen Gefangenen.

Kontakt:
Social media- Facebook und Twitter: Umut Tv deutsch
Website: antiimperialiststruggle.noblogs.org
E-Mail: ozgulihsanserkan129@gmx.de oder freegrupyorum@gmail.com