„Die Häuserkämpfe der 70er Jahre zeigen auf, daß es auch in dem Reproduktionsbereich möglich war, neue radikale Kampfformen zu entwickeln, die trotz ihres bewußten Durchbrechens von legalistischen Politikformen zu teilweise breiten Solidarisierungen innerhalb der Bevölkerung führten.“
(aus dem Buch “Feuer und Flamme” zur Geschichte der Autonomen von 1988)
Die Besetzung in der Ekhofstraße für 6 Wochen im Frühjahr 1973 und die anschließende Räumung mit Spezialeinheiten hatte für die Hamburger radikale Linke einschneidende Bedeutung und beschäftigte sie noch Jahre später.
Eine Rückschau in die Geschichte verleitet oft dazu, Situationen zu verklären und soziale Kämpfe aus dem Kontext gerissen zu betrachten. Starke Bilder sind überliefert, behelmte Linksradikale, die sich hinter Barrikaden im Haus verschanzen und heftige militante Aktionsformen ausführen, wie sie heute nur noch selten üblich sind. Dabei haben sich nicht nur die technischen und medialen Bedingungen verändert und ließen zur Zeit der Ekhofstraßen-Besetzung andere Aktionsformen zu, die heute ganz anders kriminalisierbar wären – auch die radikale Linke hatte Anfang der 70er Jahre einen anderen gesellschaftlichen Stand, der weitreichendere Ziele als heutzutage möglich erscheinen ließ.
“Es soll für alle da sein, für Jugendliche, für Gastarbeiter, für entlassene Strafgefangene. Wir wollen hier kein linkes Ghetto schaffen” (Hausbesetzer aus der Ekhofstraße 1973 im Interview mit der Hamburger Morgenpost)
Leute aus verschiedenen Gruppen und Organisationen wie Ehemalige aus der GIM (Gruppe internationale Marxisten), Rote Hilfe und Proletarische Front aber auch Linke, die den noch jungen bewaffneten Gruppen politisch verbunden waren oder Spontis hatten die Frage revolutionärer Gewalt im Vorfeld ausgiebig diskutiert, sowie die konkrete Besatzung auch unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen im Frankfurter Häuserkampf vorbereitet. Ziele waren unter anderem, praktische Konsequenzen aus den oft eher intellektuellen Ansätzen der 68er Revolte zu ziehen und neben der Gründung eines politischen Zentrums auch Randgruppen einzubinden, medizinische Selbsthilfe und eine “Vermassung” mit der Bevölkerung zu erreichen. Das Spektrum der Besetzer*innen lehnte das Konzept des “Marsches durch die Institutionen” ab und riskierten auch durch die gerade von den Sozialdemokraten 1972 durchgesetzte Berufsverbots-Gesetzeslage den Bruch mit bürgerlichen Karrieren. Viele hatten aber von vorneherein keine Ambitionen in diese Richtung und sahen darin daher das geringste Problem. Der Aufrüstung des Staatsapparates sollte offensiv begegnet werden.
Die am Ende recht erfolgreiche Strategie des Staates gegen die Ekhofstraßen-Besetzung war, sich nicht direkt auf eine rein polizeilich-militärische Überlegenheit zu verlassen, sondern zunächst die etwa 200 Besetzer*innen gesellschaftlich zu isolieren und über mehrere Wochen ein mediales Bild von “Kriminellen” und “Politrockern” aufzubauen. Hierzu wurden auch durch Polizeipräsenz und Kontrollen Zwischenfälle provoziert, die zu einem Ablenken der Öffentlichkeit von politischen Fragen beitrug und den Ruf nach einem “Durchgreifen der Staatsmacht” unterstützen sollte.
Die Räumung wurde abschließend überraschend mit massiver Gewalt der Bullen und einer militärischen List mit zivilen Fahrzeugen durchgeführt. Eine im Haus bekannte Person kooperierte mit den Cops oder war selber einer, dieser kam unter einem Vorwand an die Tür und hinter ihm stürmte das mit Schußwaffen bewaffneten MEK (Mobilen Einsatzkommando) das Haus. Dieses hatte hier seinen ersten Einsatz und wurde im Anschluss in Medien wie dem “Hamburger Abendblatt” für ihren effektiven Zugriff gelobt. Der Termin der Räumung war durch befreundete Journalistinnen den Besetzerinnen bekannt geworden, nicht aber der genaue geplante Ablauf. Insgesamt waren über 600 Cops im Einsatz, 73 Personen wurden im Haus verhaftet. Das Haus war nach wenigen Stunden verloren und wurde sofort abgerissen, die Idee eines kulturellen und politischen Zentrums war damit zerstört worden und viele Gruppen und Zusammenhänge in den nächsten Jahren vor allem mit der Verarbeitung der Repression beschäftigt. Noch knapp zwei Wochen vor der Räumung täuscht ein Polizeisprecher in einem Artikel der “Zeit” eine liberale Haltung vor: “wenn die BEWOBAU keine rechtlichen Schritte verlangt, könnte dieser latente Zustand, so Polizeisprecher Hermann Wöhrle, „bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern“. ” Die staatliche Strategie war also, die Besetzung auf jeden Fall zu zerschlagen aber eine Duldung vorzutäuschen, um die Räumung effektiver und mit weniger Verlusten durchzusetzen.
Warum war die Besetzung dem Staat und reformistischeren linken Gruppen ein Dorn im Auge? Ein Ort des Austausches und der längerfristigen Organisierung von radikalen Linken untereinander und zusätzlich offen für unangepasste Jugendliche und soziale Randgruppen war bis dahin kaum möglich gewesen und hat dort, wo Hausbesetzungen erfolgreich waren dazu beigetragen, allgemein radikale linke Bewegungen zu stärken. Der Ansatz, sich auch im reproduktiven Bereich, also im Alltag und auf persönlicher Beziehungsebene politisch zu organisieren und gegenseitig zu stärken war und ist eine Provokation und ein Angriff gegen die gesellschaftliche Norm, sich mit Kleinfamilie und Lohnarbeit über Wasser zu halten und damit abhängiger im kapitalistischen System verfügbar zu sein.
“Das Haus ist ein echtes Kommunikationszentrum, hier kommt man in Kontakt mit Leuten und damit Gedanken und Problemen, die man sonst nicht so einfach kennen lernt.” (ein Besetzer aus der Ekhofstraße im Rückblick)
Was können wir heute aus diesen Ereignissen lernen und wie können wir die Erfahrungen nutzbar machen? Die gesellschaftlichen Bedingungen sind andere, aber es gibt politische Parallelen.
Auch wenn die Auseinandersetzungen bei Räumungen heftig, teuer oder mit Imageverlust der Herrschenden einhergeht – wenn ein Haus oder ein Ort des Widerstandes verloren geht, bricht damit auch ein Teil der Bewegung zusammen. So war es auch bei den zahlreichen Räumungen seit der Ekhofstraßen-Besetzung, vor allem in den 80er und 90er Jahren. Besetzte Häuser und/oder soziale Zentren, die Raum für linke und linksradikale Aktivitäten bieten sind eine Infrastruktur durch die eine linke Strömung wachsen kann und Anknüpfungspunkte zum mitmachen entstehen.
So wie in der Ekhofstraße zwischenzeitlich “Randgruppen” ein Zuhause und unangepasste Jugendliche einen Unterschlupf fanden, so sind auch heute Orte wichtig, die nicht zum Konsum zwingen, die den staatlichen Zugriff erschweren oder “Freiräume” bieten, Alltag anders zu gestalten. “Freiräume” ist relativ zu sehen, die Gesellschaft lässt sich schließlich nicht aussperren und es bleiben immer Widersprüche. Aber zumindest wird in vielen autonomen Zentren, selbstverwalteten Jugendzentren oder linken Kollektivorten versucht, anders miteinander umzugehen und Kommerzielles steht nicht im Vordergrund. Gerade am Stadtrand, in der Kleinstadt oder in der Provinz sind solche Orte die vielleicht einzige Chance für unangepasste Jugendliche und andere, nicht ganz so isoliert dazustehen und sich zusammenzufinden und zu politisieren. Räume sind also wichtig und um ihren Erhalt muss gekämpft und gestritten werden.
Nicht nur Häuser sind Räume für utopische Praxis und praktische Utopien gegen eine Gesellschaft der Herrschaft. Früher wie heute ist klar, es gibt kein gutes Leben für Alle im Kapitalismus.
Lützerath wurde gerade im Januar 2023 geräumt, trotz verhältnismäßig großer Mobilisierungen und guter logistischer Verteidigung. Es sollte nicht der Mythos genährt werden, dass allein eine militantere oder kompromisslosere Haltung der Beteiligten zum Ziel geführt hätte. Auf der militärischen Ebene werden wir in absehbarer Zeit unterlegen bleiben. In den 70er Jahren war die radikale Linke deutlich stärker, auch in ihrer Anzahl. Auch zehnmal oder hundertmal so viele Aktivist*innen alleine bringen nicht den Erfolg, das zeigt die Geschichte, in der die radikale Linke deutlich stärker war. Das heißt nicht, dass es nicht sinnvoll ist, sich zu wehren und eine Räumung geschickt zu verlangsamen, wie in den letzten Jahren immer wieder eindrucksvoll von der Klimabewegung gezeigt. Es liegt wohl an der Mischung der Aktionsformen und solidarischer Akzeptanz, an der gesellschaftlichen Verankerung und dem gesellschaftlichen Druck unserer Kampagnen, der in einer Kosten-Nutzen Abwägung der Verantwortlichen im Staatsapparat dazu führen sollte, dass wir uns durchsetzen.
Es muss also darum gehen, zu gewinnen und sich durchzusetzen, so schlicht das klingt.
Vermutlich ist es die Mischung aus Konfrontation und Verhandlung, die Mobilisierungsfähigkeit und Entschlossenheit gleichermaßen, die es uns ermöglicht, Brüche im kapitalistischen System durchzusetzen. Es braucht keine schlichte Zuspitzung, sondern eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse, bevor zugespitzt werden kann. Dafür müssen wir Menschen begeistern, mitnehmen,zuhören und unsere Praxis selbstkritisch miteinander reflektieren, mehr werden und uns umeinander kümmern und bemühen. Hierfür brauchen wir Organisierung und Pluralität.
Vorbereitungsgruppe zu 50 Jahre Ekhofstraße, Hamburg im März 2023
ekhofstr50jahre.blackblogs.org