ICH HEISSE CARMEN

Carmen Förderer

Ich heiße Carmen, bin 55 Jahre alt und komme aus dem Städtchen Weingarten, das Richtung Bodensee liegt. Nach der 9. Klasse habe ich die Hauptschule vorzeitig verlassen. Die Lehrer dort legten mir zwar nahe, die 9. Klasse zu wiederholen, um wenigstens noch einen Hauptschulabschluß zu machen, aber davon wollte ich nichts hören, weil ich jedes Interesse an der Schule verloren hatte. Eigentlich wollte ich dann eine Ausbildung auf einem Bauernhof machen, aber nach zig Ablehnungen mußte ich einsehen, dass daraus wohl nichts werden würde. Eine Ausbildung als Hauswirtschaftlerin auf einem Bauernhof hätte ich bekommen, nur war das absolut nicht mein Ding. So nahm ich kurz darauf einen Job als Zeitungsausträgerin an, um ein bißchen Geld zu verdienen. Da war ich 16 Jahre alt. 1 Jahr später hatte ich das Glück, einen festen Arbeitsplatz in einem Tierheim zu bekommen, wo ich mich zuvor erst als Hundespaziergängerin betätigt und bei der Pflege der Igel im Winter ausgeholfen hatte. Etwas mehr als zehn Jahre lang hatte ich zwei Jobs, morgens Zeitungen austragen und anschließend Dienst im Tierheim bis zum Abend. Das war lange kein Problem für mich, bis die Arbeitsbelastung im Tierheim immer größer wurde, auch wegen Personalmangel. Meine diesbezüglichen Beschwerden behielt ich aber weitgehend für mich, aus Angst, die Arbeit zu verlieren. War eine Art Traumjob für mich. Und so kam der Tag, an dem ich nicht zur Arbeit gehen konnte. Ich fühlte mich einfach körperlich ausgebrannt, kraftlos und leer. Heute würde man es Burnout nennen, damals gab es diesen Begriff noch nicht. Trotz meiner Erklärung bekam ich darauf die fristlose Kündigung. Das war hart für mich. Den Zeitungsausträgerjob hatte ich noch, und ein ¾ Jahr später bekam ich eine Arbeit in einem anderen Tierheim, wo ich aber nur die Probezeit von drei Monaten überstand. Warum? Weil ich jemand war und bin, der freimütig seine Meinung sagt, auch gegenüber Arbeitgebern, und nicht nur ja und amen. Das stieß dem Vorstand des Tierheims mächtig auf, so dass ich nach der Probezeit nicht übernommen wurde. Viele kleine Mosaiksteinchen, die am Ende meine „Knastkarriere“ ab meinem 29. Lebensjahr beginnen ließ. Mitte 1995 wurde ich u.a. wegen Brandstiftung, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung zu 3 Jahren Haft verurteilt. 1997 kam ich erneut wegen schwerer Brandstiftung, Raub und Körperverletzung für 7 Jahre und 10 Monate in Haft, hinzu kamen noch weitere 1 ½ Jahre „Nachschlag“ wegen Körperverletzungen in der Haftzeit von Gefangenen und Bediensteten. Anschließend kam ich in die Sicherungsverwahrung. Warum ich zur Brandstifterin wurde? Keine Ahnung. Aber es waren nie Wohnhäuser dabei. Mittlerweile bin ich wieder seit 8 Jahren Gast in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd, davon 6 Jahre und 9 Monate in Strafhaft und seit 1 Jahr und 3 Monaten zum zweiten Mal in der Sicherungsverwahrung. Der Alltag bietet nicht gerade viel Abwechslung, aber ich habe den Tag für mich durchstrukturiert. Stehe morgens recht früh auf, den Vormittag über betreibe ich viel Zellensport, in meiner Zelle steht auch ein Trimmrad. Danach stehe ich in der Küche, um mir mein Mittagessen zuzubereiten. Diese Entscheidung zur Selbstversorgung bedeutet für mich, wieder ein Stück weit Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zurückerlangt zu haben in meinem Haftleben, das aus Fremdbestimmung und Abhängigkeit besteht. Selber zu entscheiden, was, wie und wann ich kochen und essen möchte, auch wenn ich natürlich weiter vom Angebot des Lebensmittellieferanten abhängig bleibe. Der Nachmittag gehört der Freizeit, in der ich entweder viel lese oder meine Post beantworte oder einfach nur faul auf der Couch liege und mich durch die Fernsehkanäle zappe. Viele Jahre lang hatten sich die inhaftierten Frauen darüber beschwert, dass immer wieder irgendwelche Programme tagelang ausgefallen sind und die Tonqualität mehr als miserabel ist, und das bei einem monatlichen Mietpreis von fast 25,00 €. Nun ist der Preis für Mietfernseher, Kabelanschluß und Strom auf knapp 10,00 € im Monat gesunken; ein neuer Anbieter wurde gefunden. Seit Juli 2021 hat der Anbieter nun das Antennensystem umgestellt, es gibt jetzt fast 130 Programme, darunter auch viele ausländische Kanäle und das alles in HD. Privatradio oder Fernsehgeräte, die von außerhalb hier reinkommen, müssen von einem Geschäft, das hier Radios und Fernseher zum Verkauf anbietet, erstmal verplombt werden. Das Radio kostet über 70,00 €, das Fernsehgerät über 80,00, also das Verblomben.
Und so vergehen die Tage in monotonem Rhythmus, aber ohne die psychische Belastung wie bei meiner ersten Sicherungsverwahrung, die ich damals nachträglich bekam.
Die JVA Schwäbisch Gmünd ist die einzige große Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg für Frauen, in der ich von Ende 1999 bis Mitte Juli 2008 in Strafhaft war. Nach ein paar körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen Insassinnen kam ich in Absonderungshaft. Es hieß nur für kurze Zeit, am Ende war diese „kurze Zeit“ über 8 Jahre lang.
Die erste Zeit in der Absonderungshaft war für mich sehr hart, da ich immer dachte, ohne Arbeit nicht leben zu können. Und ich war 23 Stunden bis auf 1 Stunde Hofzeit eingeschlossen, ohne Arbeit und nur mit mir alleine. Manche Tage wurde ich schier verrückt, an manchen Tagen war ich voller Unrast, an manchen Tagen wußte ich nicht mehr, wo oben und unten ist. Ich mußte diese schwierige Zeit alleine bewältigen.
Aber ich hatte es geschafft, mich der Situation anzupassen und damit klarzukommen. Fing an, viel zu lesen, und ich erkannte, dass das wichtig war, meinen Tag durchzustrukturieren, was mir die Absonderung leichter machte. Wann ich morgens aufstand, was ich danach bis zum Mittagessen machte und dann bis zur Schlafenszeit. Und nach dieser Methode richte ich mich bis heute. Und ich reagierte und reagiere aggressiv darauf, wenn man meinen Tagesablauf stört und durcheinanderbringt.
Wurde aber dann immer aggressiver, auch da ich sehr geräuschempfindlich wurde, laute Musik, Geschrei am Fenster, Türenschlagen, etc. etc. All das brachte mich immer noch zur Weißglut, bin regelrecht explodiert und u.a. flog der Plastikstuhl durch die Gegend. Und dann wurde ich auch immer mal wieder gegenüber den Bediensteten aggressiv, was bis zu körperlichen Übergriffen führen konnte und dann zu Absonderungshaft führte. Absonderungshaft bedeutet große Abhängigkeit. Man ist total auf die Bediensteten angewiesen, in jeder Situation. Als Gefangene steht man sehr hilf- und machtlos da. Dadurch wurde ich dünnhäutiger und empfindlicher. Und all das wurde von Tag zu Tag extremer, und nach einer Tätlichkeit an einer Beamtin durfte ich die Zelle nur noch mit Handschellen verlassen, später kam für einige Zeit noch die Fußfessel hinzu, auch beim Hofgang. Und wegen dieser Veränderung und „Gefährlichkeit“ bekam ich die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Ich war die einzige Frau in SV in Baden-Württemberg und hatte keine Ahnung, was da jetzt wirklich auf mich zukam, selbst für die Beamten war das Neuland. War weiterhin in Absonderungshaft, in derselben Haftzelle untergebracht, auch sonst lief alles so wie immer. Und all das und der Gedanke, dass ich nun wegen „nichts“ weiterhin in der SV bleiben mußte, obwohl ich meine Strafhaft bis zum letzten Tag abgesessen hatte, brachte eine gewisse Ungeduld mit sich, aber auch die Hoffnung, dass ich bei dem alle 2 Jahre anstehenden Haftprüfungstermin ja wohl entlassen werden würde, bis die Fortdauer der SV beschlossen wurde. Psychisch war es für mich recht anstrengend, dieses Warten, diese Ungewißheit. Da ich dann kein Vertrauen mehr zu meinem Anwalt hatte, half mir ein Briefkontakt-Bekannter, einen neuen Anwalt zu finden. Er kontaktierte RA Dr. Ahmed und fragte, ob er mich vertreten würde, und so nahm sich Dr. Ahmed meiner Sache an. Ende 2012 mußte die SV-Gesetzeslage neu überarbeitet werden, aber bei dem anstehenden Prüfungstermin kam es für mich noch schlimmer, weil der Gutachter zu der Überzeugung kam, dass ich in eine Psychiatrie nach Bayern verlegt, und, um meine Therapiewilligkeit zu wecken, notfalls unter Medikamente gesetzt werden sollte. Bis dahin hatte ich mich konsequent gegen eine Therapie entschieden, sah erstens keinen Sinn darin und zweitens nutzt eine Therapie nur, wenn man selbst wirklich will, und nicht, weil es andere wollen. Das Gericht fand diesen Vorschlag richtig gut, mein Anwalt und ich überhaupt nicht, und wir legten Beschwerde gegen den Beschluß ein. Nach einer gefühlten Ewigkeit gab das OLG uns recht. Was für eine Erleichterung, kaum zu beschreiben. Dr. Ahmed forderte dann meine Entlassung, auch da die neue Gesetzeslage gerade über die nachträgliche SV das hergab, doch das Gericht lehnte ab. Die Beschwerde ans OLG und dieses Warten war psychisch hochanstrengend. Nicht zu wissen, was nun kommt. Bis Ende November die Anstaltsleiterin zu mir kam mit dem Beschluß in der Hand und zu mir sagte, das ich noch heute entlassen würde. Boah, Freude und pure Erleichterung! Die Auflagen wurden mir dann erläutert, u.a. das Tragen einer elektronischen Fußfessel. Ausgangsverbot von 22 bis 6 Uhr, bei einer polizeilichen Personenkontrolle konnte ich jederzeit durchsucht werden, da mir das Mitführen von Feuerzeug und Messer verboten war, und ich stand unter Führungsaufsicht etc. etc.
Dann hieß es für mich packen. Mit einiger Verspätung, da mein Bruder mich nun doch nicht abholen würde, mußte die Frage geklärt werden, wie ich zu meinem Bruder kam, bis sich letztendlich die Psychologin anbot, mich dorthin zu fahren. In den Effekten wurde dann ausgecheckt, in einem andern Raum wartete ein Herr auf mich, um mir die elektronische Fußfessel anzulegen, danach kamen noch 2 Kripoleute, die nun für mich zuständig waren, z.B. wenn es Probleme mit der Fußfessel gäbe oder Probleme mit der Polizei, etc. etc. Nach über 14 Jahren verließ ich endlich die JVA.
Obwohl ich von heute auf morgen von der Absonderung plötzlich zum Tor der JVA hinausfuhr, verspürte ich weder Angst noch ein Unwohlsein. Ich genoß die Autofahrt und sah die Psychologin bei einem Supermarkt anhalten. Und ich betrat den Laden mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte ich das erst gestern getan, nur bei der riesengroßen Auswahl an Produkten kam ich ins Straucheln. Ich hatte mich voll überfordert, und an der Kasse zu bezahlen, war eine Herausforderung, da ich bis dahin noch nie Euro-Geld gesehen hatte.
Dann gab es die erste Aufregung, da ich bei meinem Bruder nun doch nicht unterkommen konnte, und am Ende war ich froh, daß die Psychologin bei mir war. Sie hatte die Situation der Kripo und der Bewährungshelferin erklärt, die vor der Haustür standen, und ich hatte meinen Anwalt angerufen, um ihm die neue Situation zu erklären. Und am Ende schaffte er es, das mit der Kripo abzuklären. Es ging darum, den Sender der Fußfessel irgendwie umzustellen, da ich nun auch erstmals in einem Hotel unterkommen würde. Beim Einchecken fragte mich die Hotelbesitzerin, ob ich WLAN-Anschluß möchte. Die Psychologin antwortete mit einem Nein, da ich keine Ahnung hatte, was damit gemeint war. Wie unwissend ich war, zeigt sich auch an einem anderen Beispiel, als ich die Chefin fragte, was das für ein flaches Gerät sei, was auf dem Tisch meines Hotelzimmers stand. Dachte, es sei ein Computer, aber sie erklärte mir, dass das Gerät ein Flachbildfernseher sei. Ohhh…
In der ersten Nacht in Freiheit gab es dann die nächste Aufregung. Als ich ins Bett ging, hatte ich das Kabel der Fußfessel zum Aufladen über Nacht in die Steckdose gesteckt, aber nicht bemerkt, dass durch meinen unruhigen Schlaf der Magnet vom Kabel des Magnetbands an der Fußfessel abgegangen war, und so läutete irgendwann das Handy vom Überwachungsdienst und eine Frauenstimme sagte irgendwas, was ich aber nicht kapierte in meinem vernebelten Gehirn wegen der Einnahme einer halben Schlaftablette. So grunzte ich irgendwas zurück und beendete das Gespräch. Kurze Zeit später wurde ich wegen dem Lärm draußen auf dem Gang wach und wußte sofort, dass dieser Tumult etwas mit mir zu tun hatte. Beim Aufstehen sah ich dann, dass die Fußfessel bzw. der Akku völlig leer war. Kein Blinken mehr. Und da klopfte es schon an der Tür, und die Hotelbesitzerin stand da und bat mich rauszukommen. Zwei von der Polizei würden mit mir reden wollen. Die blafften mich gleich an, ich müßte dafür sorgen, dass die Fußfessel immer aufgeladen wäre und so weiter, und dann gingen sie wieder. Was wäre gewesen, wenn mich die Hotelbesitzerin wegen dieses Auftritts der Polizisten auf die Straße gesetzt hätte morgens um 2 Uhr 35?! Aber sie kam dann zu mir und fragte mich, was eigentlich los sei, und ich erzählte ihr, daß ich gerade erst aus der Haft entlassen worden sei und nun die Fußfessel tragen müßte und so. Und von da an entstand zwischen uns eine Freundschaft. So vergingen die Tage, ich erkundete meine Heimat, die mir total fremd war, und ich hatte das Gefühl, nirgends mehr hinzugehören. Ich hielt mich immer in Gegenden auf, wo viele Leute waren, den Bus zu nehmen etwa, kam für mich nie in Frage. Von Anfang an hatte ich einen starken Drang zu laufen, so ging ich meistens zig Kilometer im Wald spazieren, und dabei fing nicht selten die Fußfessel an zu piepen, weil der Akku fast leer war. Nur im Wald gibt es keine Steckdose, und bis ich dann im Hotel war, war der Akku leer, ein Polizeiwagen stand vor dem Hotel, und das Handy von der Überwachungsfirma klingelte, um mir zu sagen, ich müsse die Fußfessel aufladen. Eines Tages hatte mal wieder die Polizei vor dem Hotel gewartet, nur diesmal wurde ich verbal aggressiv, was mir eine Anzeige wegen Beleidigung einbrachte. Diese Probleme mit dieser Fußfessel und der Polizei gingen mir langsam auf die Nerven. Die von der Kripo hielten mich für „dämlich“ wegen des Fußfesselproblems.
Hatte aber eine echt gute Bewährungshelferin und guten Bewährungshelfer, die immer Zeit und ein offenes Ohr für mich hatten. Versuchten immer zu vermitteln und die Spannung aus der Situation rauszunehmen.
Hatte dann einen Termin bei dem Richter der Führungsaufsichtsstelle mit meiner Bewährungshelferin zusammen. Ich erklärte ihm das Problem mit dem Aufladen der Fußfessel, diesen ständigen Polizeibesuchen. Er hatte dafür wohl Verständnis, aber letztendlich müsse ich mit diesem Gerät klarkommen. Die Polizei von Weingarten und Ravensburg würden darauf drängen, diese Verstöße gegen die Führungsaufsichtsauflagen endlich zu ahnden. Er habe mir bis jetzt eine Schonfrist gewährt, die aber ab heute vorbei sei. Nochmals eine Meldung wie ‚Akku leer von der Fußfessel’ etc., wäre eine Straftat, die geahndet würde. Für mich würde das heißen: Ab in den Knast!, was mir klar war, als der Richter mir das sagte. Ich fragte nur noch, ob ich jetzt die Sklavin dieser Fußfesseln wäre. In der darauffolgenden Nacht, ich achtete sehr darauf, ruhig liegenzubleiben und dass der Magnetstecker auch an seinem Platz blieb, wurde ich zum ersten Mal wach, weil die Fußfessel beim Aufladen richtig heiß wurde, so dass es an der Haut schon wehtat. Also zog ich den Stecker von dem Gerät, in der Hoffnung, dass der Akku genug Zeit gehabt hatte, sich aufzuladen. Später wurde ich von dem Brummen des Geräts zum zweiten Mal wach. Kurz darauf klingelte das Überwachungshandy und eine Frau blaffte mich an, dass ich sofort zurück ins Hotel gehen sollte, ich hätte draußen um diese Uhrzeit nichts mehr zu suchen etc. etc. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich im Hotel und im Bett sei und nicht draußen, aber das glaubte sie mir nicht. Das Gerät und die zwei Satelliten würden nicht lügen, und sie würde jetzt bei der Polizei anrufen, wenn ich nicht sofort ins Hotel gehen würde.
Das Brummen hörte plötzlich auf, ich bekam auch keinen Besuch von der Polizei, aber den ganzen Vormittag fuhr ein Streifenwagen am Hotel vorbei, und da war mir klar, dass es keinen Sinn mehr macht und ich mit Sicherheit jetzt nicht darauf warten würde, bis sie mich verhaften. Ich packte meine Sachen, am Bahnhof schnitt ich das Fußfesselband durch und stieg in den Zug. Tolle Zeit, und es war sehr befreiend!
Aus zwei Gründen entschied ich mich dann, zurück nach Weingarten und Umgebung zu gehen, sollte nur für 2 – 3 Tage sein. Aber ein Grund erwies sich als schwieriger. Deshalb blieb ich länger, als gut war, und letztendlich war diese Entscheidung fatal. Eines Morgens ging ich nachts aus dem Hotel, stieg aufs Fahrrad und fuhr zu dem Supermarkt, wo ich in einem Vorraum voll mit Kartonagen einen Brand legte und danach zurück zum Hotel fuhr. Ein Teil des Supermarkts brannte ab oder wurde schwer beschädigt. Am Nachmittag fand mich die Polizei im Hotel auf meinen gepackten Sachen. Wurde verhaftet und kam in U-Haft. War schon sehr deprimierend, auch weil mir klar war, dass ich mit Sicherheit SV oder den 68er bekommen würde. War in Absonderungshaft, strukturierte meinen Tag wieder durch und wartete auf meinen Prozeß. Dr. Ahmed war mein Anwalt, und er gab sein Bestes, mehr als sein Bestes. Meine Bewährungshelferin wollte als Zeugin aussagen, aber das Gericht hatte sie nicht auf der Zeugenliste stehen, so rief sie beim Richter an, dass sie als Zeugin gerne aussagen würde, doch der Richter lehnte ab, doch dann gab er doch noch nach. Als sie dann beim Prozeß aussagte, sprach sie die Probleme mit der Fußfessel an, das ständige Auftauchen der Polizei etc. etc. Und als der Gutachter dann der Bewährungshelferin Fragen stellen durfte, zerpflückte er sie regelrecht. Jedes positive Wort, das sie für mich eingelegt hatte, wurde auseinandergenommen. Der Richter sah dabei sehr zufrieden aus. Vor dem Gerichtsaal sagte die Bewährungshelferin dann zu der Hotelbesitzerin, dass sie so etwas noch nie erlebt hätte, dass das Gericht nur den negativen Aspekten Beachtung geschenkt hätte, alles andere nicht hören wollte. Der Urteilspruch mit der anschließenden Sicherheitsverwahrung war für mich keine Überraschung, aber was würde es am Ende für mich bedeuten? Sollten diese 6 Wochen in Freiheit meine letzten gewesen sein?
Wieder zurück in der JVA Schwäbisch Gmünd kam ich 6 Wochen später, nach einer Tätlichkeit gegenüber zwei Beamtinnen, in Absonderungshaft, was aber mittlerweile für mich kein Problem mehr war und ist. Auf der Abteilung wurde u.a. nun auch die sozialtherapeutische Abteilung für unbestimmte Zeit untergebracht, und eine Gefangene von dort versuchte irgendwann per Hauspost Kontakt mit mir aufzunehmen, worauf ich einging. Einige Monate später beantragten wir, dass wir uns zu Kaffee und Kuchen treffen wollten, was von der Anstalt genehmigt wurde. 1 mal im Monat für 1 Stunde trafen wir uns dann auf dem Flur der Abteilung. Tisch und zwei Stühle wurden aufgestellt. Wieder einige Monate später wollten wir mehr, und die Anstalt unterstützte auch dies, und so konnten wir uns dann 1 mal in der Woche für 3 Stunden sehen. Ich nutzte auch diese Zeit, mir mal was in der Küche zu kochen und zu backen. Das wurde dann ausgebaut, so dass ich dann 2 mal in der Woche für 3 Stunden Aufschluß hatte.
Meine Geräuschempfindlichkeit wurde deswegen aber nicht weniger, was immer wieder zu Problemen führte, aber ansonsten verliefen die Strafhaftjahre „relativ“ ruhig.
Die Hotelbesitzerin kam mich in der U-Haft, dann die ersten Jahre in Strafhaft regelmäßig besuchen. Aber dann wurde es immer weniger, auch der Briefkontakt, und irgendwann brach der Kontakt ganz ab. Andere Außenkontakte waren eher selten.
Meine Stimmung mit der SV vor Augen glich manchmal einer Berg- und Talfahrt, aber ich konnte die SV auch gut ausblenden. Ständig darüber nachzudenken, hätte an der Situation nichts geändert, denn ich hatte nicht wirklich daran geglaubt, nach der Strafhaft entlassen zu werden.
Und hier möchte ich ein paar Infos über die JVA Schwäbisch Gmünd aufschreiben.
Hier in der JVA gibt es auch ein Mutter-und-Kind-Haus. Da die Kinder nur bis zu ihrem 3. Lebensjahr dort bleiben dürfen, kommen nur Frauen, die nicht mehr als 3 ½ Jahre Haft haben, dorthin. Es heißt, dass die Kinder bis zu ihrem 3. Lebensjahr noch nicht wirklich verstehen, dass sie in der JVA sind. Schwangere Frauen, die eine längere Haftzeit absitzen, müssen das Kind nach der Geburt abgeben, zu Familienangehörigen, zu einer Pflegefamilie. Denke, jede Frau, die Mutter ist, wird wissen, wie es einer Frau geht, die ihr Kind abgeben muss. Dieser Fall trifft aber nur ganz selten ein.
Frauen, die zur Entbindung ins Krankenhaus kommen, werden mit einer Fußfessel ans Bettgestell gekettet, auch bei der Geburt.
Schwangere Insassinnen bekommen von der Anstaltsküche zum Abendbrot eine Schwangerschaftszulage, aber schwangere Frauen haben ja so seltsame Gelüste wie Essiggurken mit Eis oder andere Spezialitäten, die sie hier in der Haft nicht ausleben können. Ist mit Sicherheit nicht immer eine einfache Zeit.
Gynäkologische Untersuchungen werden nicht immer problemlos ermöglicht. Die Frauen sind vom Spital abhängig, mit dem sie einen Termin ausmachen müssen. Aus welchen Gründen auch immer, klappt es nicht reibungslos.
Die Versorgung mit Binden, Tampons, Taschentüchern, Klopapier etc. etc. wird hier 1 mal in der Woche mal mehr, mal weniger großzügig gehandhabt. Viele Frauen besorgen sich beim Einkauf diese Artikel, sobald sie arbeiten gehen.
Wenn Frauen ihre Periode haben, wird keine Rücksicht darauf genommen. Wenn z.B. eine Frau wegen Unterleibsschmerzen nicht zur Arbeit gehen kann, muß sie ins Spital, um sich krankschreiben zu lassen.
Solidarität unter Frauen ist eher selten. Es wird mehr von oben nach unten getreten, heute Freundin, morgen Feindin. Schwächere Gefangene werden gemobbt, ausgenutzt oder ausgegrenzt. Und für jeden Vorteil, der sich eventuell ergeben könnte, wird bespitzelt, verraten etc. Zur Freude der Anstalt.
Mein Vollzug in SV unterscheidet sich nicht wirklich groß von der Strafhaft. Bin immer noch in Einzelhaft, den Aufschluß habe ich so gut wie aufgegeben. Mein Interesse an den anderen Gefangenen, an das Miteinander ist und wurde durch die vielen Jahre in Absonderungshaft immer weniger. Mittlerweile bevorzuge ich es, mit mir alleine zu sein. Zellenhaft fand und finde ich ich recht reizlos, da ich ja nun gelernt habe, sehr gut ohne Arbeit zu leben.
Meine Zelle ist sicher 2 mal größer als üblich. Habe eine eigene Küche und Dusche hier in der Zelle. Auch eine Couch steht hier, und es gibt links ein großes Fenster und rechts ebenso, sodass der Raum hell ist. Aber ansonsten ist die Ausstattung ähnlich wie in der Strafhaft. Ist nicht immer einfach, aus dieser „verwahrten Zeit“ das beste zu machen.
Da ich für keine Therapie zu haben bin, was eh kein Garant dafür ist, mal aus der SV entlassen zu werden, werde ich die nächsten Jahre darauf achten, nicht in Hoffnungslosigkeit zu verfallen und mich nicht aufzugeben.
Vielleicht ändert sich nochmals was an der SV-Gesetzeslage oder die SV wird ganz abgeschafft. Die Zeit wird es zeigen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Quelle: „DreckSack – Lesbare Zeitschrift für Literatur“, April 2022, 13. Jahrgang, Heft 2