Brief von Raier Loehnert vom 10. Mai 2022

An das Gefangenen Info

Lieber,
vielen Dank, für das, was Du für uns Gefangene im Knast immer tust.
Heute war es wieder soweit: Risperidon-Arznei- Depot.
Nachmittags sitze ich hier in der Zelle und die alte Olympiamaschinie schreibt.
Update: Morgen, 11.05.2022, Überprüfung der Haft durch das Landgericht.
Um 11 Uhr könnt Ihr mal an mich denken.
Hier wird jeden Morgen ein Corona-Test gemacht.
Anders kommt hier keiner rein oder raus.
Endlich habe den 36 Winter in der Forensik überstanden!!!.
Ich hoffe, morgen in die Freiheit zu kommen. Ich hatte jetzt 6 mal Ausgang und es gab keine Schwierigkeiten.
Das linke Handgelenk wird wohl auf ewig kaputt bleiben.
Ich fresse Schmerztabletten und habe in der Arznei, nach der ich süchtig bin: … Novalgin (???).
Ich bin nikotin- und tablettensüchtig und will Euch sagen, dass ich euch alle von Andreas Krebs grüßen soll.
Er lebt im Knast in Neapel und er ist solidarisch mit mir.
Im Leben hat man nicht viele Genossen und ich bin froh, dass Andreas und ich Genossen sind. Er ist schwer krank, hat aber eine Ansichtskarte aus Neapel geschickt.
Gestern war der 09.05.
Ulrikes Todestag und die Feier in Moskau wegen der Befreiung von Hitler-Deutschland.
Ich bin froh, dass es das GI gibt, denn es gibt uns politischen Häftlingen eine Stimme.
Von G. in Bedburg-Hau weiß ich nichts. Ein sehr, sehr rebellischer Gefangener, der eine Gummizelle „bewohnt“.
Er klopfte morgens um 4 Uhr gegen sein Fenster. Da machten sie ein Plexiglas vor die Scheibe. Er ist ein Guter.
G. kennt Abdullah Özalan. Er kommt aus dem Dorf, aus dem auch Apo kommt.
Mir geht es nicht so gut. Ich spüre das Risperidongift schon arg.
Heute fresse ich nichts mehr, auch gehe ich früh zu Bett und wache dann nachts auf.
Da kann ich dann auch nicht schreiben, liege die Nacht wach und gucke Musiksender und nehme Schnupftabak.
Die Depotspritze verursacht starkesSchwitzen..
Eine Totalrazzia steht wieder an, und es wurde mir gesagt, dann kommt alles ‚raus: CD’s, Bücher, Schreibmaschine, Nachtschrank und es wird alles durchsucht, um Drogen, Feuerzeuge oder Waffen zu finden.
Aber vielleicht komme ich morgen ‚raus in eine Wohneinheit in Düsseldorf oder Duisburg und dann liegen 36 Jahre Knastfolter und Knast hinter mir.
Sonst berichte ich Euch noch weiter.
Ich bin Anarchist und kämpfe.
W., Dir zigfachen Dank. Du bist auch nicht mehr der Jüngste.
70 Jahre Widerstand; kennst die Gefangenen seit langem.
Die Zeitungen kommen ein bis zwei Mal die Woche wie die junge Welt. u
Es können in die Psychiatrie auch Lebensmittelpakete geschickt werden.
Hunger ist hier echt ein Problem und zusammen kochen verbindet ja.
Auch Pommes oder Fleisch sind sehr gefragt, weil der Träger mittags nur Tabletts mit spärlichem warmen Essen bringt, das oft nicht schmeckt.
Der Gutachter gab mir Ausgang und die Staatsanwaltschaft stimmte zu.
Hier heißt das „Benehmen“ und jetzt war ich 6 mal vor der Pforte und bin immer wieder mit der Pflegekraft ‚rein gegangen in die Forensik.
Ich habe Chancen, denn es wird höchste Zeit.
Mein Körper droht zu sterben, wenn ich weiter Arznei nehme. Im Knast darf man nicht krank werden.
Aber als alter Anarchist und Schöneberger Straßenkämpfer, streetfighting man, weiß ich, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wenn die Hoffnung auf Freiheit weg ist, ist alles weg.
Ein Anarchist ohne Freiheit ist wie ein Rabe ohne Flügel.
Danke, ABC Wien.
Ich hoffe, bald draußen bei Euch Anarchisten und Sozialrevolutionären zu sein.
Dann erzähle ich und bin frei nach 37 Jahren.
Grüße auch nach Frankreich. Die Pariser Anarchisten können schon mal Tee kochen.
Förderation Anarchist Paris, da, wo auch Jules Bonnot tätig war.
Jules Bonnot war mit Garnier ein Anarcho. Der hatte schon vor dem ersten Weltkrieg vor der Armee TNT.
Liebe Genossen, in Gedenken an die Toten der RAF, besonders Holger (Meins) und Gudrun (Gudrun Enslin) bin ich noch voll Hoffnung.
Grüße an die Gefangenen in den Löchern in Chile, besonders Tamara Sol und die Mapuche.
Anarchistische Grüße, Rainer Löhnert
Es lebe die Anarchie!
Anmerkung: Die Haftentlassung wurde abgelehnt. Er erhält aber Lockerungen und hofft dann endlich bessere Bedingungen wie betreutes Wohnen in der Nähe seiner Angehörigen zu erhalten.