Wer „Terrorist*innen“ verurteilen will, muss sie sich schaffen

AZADÎ, Januar 2021


Über die moderne Hexenjagd auf kurdische Aktivist*innen nach §§ 129, 129a, 129b StGB

Wer einen Strafprozess vor einem bundesdeutschen Gericht gegen kurdische Aktivist*innen besucht und nicht weiß, worum es geht, kann regelmäßig den Eindruck bekommen, es mit ganz gefährlichen Menschen zu tun zu haben, gegen die dort verhandelt wird. Seit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) die Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) verboten wurde – seit 1993, wird zwar ein Großteil der politischen Strafverfahren nach dem Vereinsgesetz verfolgt, also wegen Zuwiderhandlung gegen bestehende Verbote, aber das Bild von den gefährlichen Kurd*innen, das Ende der 80er gezeichnet wurde und immer wieder in den buntesten Farben ausgemalt wird, wirkt bis heute fort.
Der Düsseldorfer Prozess von 1989, das erste Großverfahren gegen die PKK in der BRD, das bis dahin größte Strafverfahren in der BRD überhaupt, ist eine wichtige Wegmarke für den Verlauf der Kriminalisierung. Eigens für den Prozess wurde ein unterirdischer Gerichtssaal in eine Polizeikaserne gebaut. Allein die Baukosten betrugen 8,5 Mio DM. Die Angeklagten saßen von ihren Verteidiger*innen getrennt hinter deckenhohen Scheiben – im sog. „Kurden-Käfig“. Das Gericht bestellte Zwangsverteidiger, da es den Wahlverteidiger*innen misstraute. Es war der erste Versuch, die PKK als „terroristische Vereinigung“ nach § 129a Strafgesetzbuch (StGB) zu verurteilen. Trotz massiv betriebener PR-Kampagne und immensem materiellen Aufwand scheiterte der Versuch: 1994 wurden von den 19 Angeklagten letztlich nur vier verurteilt, allerdings wegen anderer Vorwürfe. Die Gleichung „Kurd*innen = PKK = Terror“ wirkt aber seitdem weiter und wird von den Sicherheitsbehörden ohne Unterlass bemüht.
Ein Beispiel für dieses Bemühen ist ein Verfahren, dessen Hauptverhandlung im April 2019 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart eröffnet wurde und bis heute dauert. Angeklagt sind fünf Kurd*innen denen neben Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ vorgeworfen wird. Die Anklageschrift liest sich wie ein Kapitel aus dem Drehbuch eines Bruce Willis-Films. Die Staatsanwaltschaft (StA) hat ihre Vorwürfe allerdings zum Großteil auf den umfänglichen Aussagen eines Kronzeugens aufgebaut, der mittlerweile kaum noch glaubwürdig ist, da er in den wesentlichen Anklagepunkten gelogen hat. So sitzen zwei der Angeklagten bereits nicht mehr in Untersuchungshaft und es wird sich zeigen, was von den Vorwürfen der Anklage bleibt. Doch anders als im Düsseldorfer Prozess werden die Vorwürfe, Mitglieder in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ zu sein oder diese unterstützt zu haben, aller Voraussicht nach trotzdem zu Verurteilungen führen, denn 2002 nach den Anschlägen vom 11. September und dem Beginn des weltweiten „Krieges gegen den Terrorismus“ wurde der § 129b StGB eingeführt.
Diese Vorschrift ist politisch motiviertes Feindstrafrecht, nichts anderes, und kaum ein § 129b-Verfahren wird angeklagt, ohne dass es zu einer Verurteilung führen würde. Die §§ 129, 129a, 129b StGB stellen die Gründung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“, eine mitgliedschaftliche Beteiligung an ihr, ein Werben von Mitgliedern oder Unterstützer*innen für sie oder ihre Unterstützung unter Strafe. Geschützt werden sollen die öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung. Für den Staat gefährlich ist die Vereinigung, weil sie eine Eigendynamik entwickelt, die nicht der staatlichen Kontrolle unterliegt. Es geht also nicht um Gewalttaten oder andere Verbrechen, die die*der Angeklagte selbst begangen haben muss oder von anderen in der BRD begangen wurden. Stattdessen reicht es, wenn sie*er Mitglied einer Organisation ist oder diese unterstützt. Allein die Mitgliedschaft oder Unterstützung wird ihr*ihm vorgeworfen. Um sie zu belegen werden ganz legale, ja sogar eigentlich wünschenswerte Tätigkeiten wie das Organisieren von öffentlichen Versammlungen oder Schulungen, das Sammeln von Spenden oder das Schlichten von Streit herangezogen. Weil das natürlich überhaupt nicht dem Bild einer „Terroristin“ oder eines „Terroristen“ entspricht, es aber um eine „terroristische Vereinigung“ geht, muss das Gericht den Beweis führen, dass deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag oder Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder erpresserischen Menschenraub oder Geiselnahmen zu begehen.
Im Falle der PKK bezeugen Beamt*innen des Bundeskriminalamts (BKA), dass ihre Guerilla in der Türkei in Gefechte mit dem Militär oder der Polizei verwickelt war oder Anschläge begangen wurden. Dabei berufen sich die Zeug*innen auf Berichte türkischer Medien oder Internetquellen, ohne nachprüfen zu können, ob die Tatsachenbehauptungen zutreffen oder gar selbst in der Region gewesen zu sein. Die Gerichte stellen die Zeugenaussagen nicht infrage. Sie wollen sich mit dem Konflikt um Kurdistan und den politischen Dimensionen nicht auseinandersetzen. Sie wollen nicht über das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverteidigung, imperialistische Interessen und die Rolle der BRD am Krieg im Mittleren Osten sprechen. Ohne weitere Diskussion erkennen sie sogar teilweise an, dass die Angeklagten bereits jahrelang in türkischen Gefängnissen inhaftiert waren, selbst vor dem Krieg oder den AKP-Regime geflohen sind. In Hamburg und Berlin wurden kurdische Politiker*innen und Wissenschaftler*innen als Zeug*innen gehört, die über die Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan berichtet haben. Die Gerichte zweifeln diese Aussagen gar nicht an, aber tun sie mit der Bewertung ab, die Lage vor Ort rechtfertige keinen bewaffneten Widerstand. Dass diese Einschätzung nicht geteilt werden muss, zeigt die Entscheidung des Belgischen Kassationshofs vom Januar 2020, die PKK nicht als „terroristische Organisation“ zu verfolgen, sondern als Partei in einem bewaffneten, innerstaatlichen Konflikt anzuerkennen. Das führt dazu, dass die PKK in Belgien nicht länger als „terroristische Vereinigung“ verfolgt wird.
In der BRD werden hingegen seit einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs 2010 und einer erforderlichen Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium 2011 Mitglieder der PKK nach § 129b StGB verfolgt. Eine Abkehr von dieser Rechtsprechung ist derzeit nicht in Sicht. Allein beim Generalbundesanwalt wurden seit 2010 bis zum Sommer 2020 insgesamt 861 Ermittlungsverfahren gegen 970 betroffene Personen geführt, von denen durch die Bundesanwaltschaft allerdings nur 11 Verfahren mit 16 Beschuldigten zur Anklage gebracht wurden. Diejenigen Urteile, die bisher in den 11 Verfahren gesprochen wurden, waren ausnahmslos Verurteilungen. Viele Verfahren werden mittlerweile von den Generalstaatsanwaltschaften der Länder geführt oder an diese abgegeben und zur Anklage gebracht. Vor den OLG werden dann die Prozesse nach dem immer selben Muster abgespult: Anklageschrift aus Textbausteinen, „sachkundige“ Zeug*innen vom BKA, Darstellung der PKK als böse, ein paar Worte zur*zum Angeklagten, Verurteilung. Die Verteidigungen versuchen mit immer wieder neuen Ideen und Anträgen, diese Routine zu durchbrechen, aber es ist nicht verkehrt, wenn zynische Stimmen von Urteilen am Fließband sprechen. Als AZADÎ haben wir seit 2010 45 Personen unterstützt, die mit einem § 129b-Vorwurf konfrontiert waren oder sind – das sind alle drei Monate ein*e neue*r Betroffene*r.
Nur in Ausnahmefällen sitzen die Beschuldigten während des Gerichtsprozesses nicht in Untersuchungshaft. Die Haftbedingungen sind hingegen häufig noch verschärft, so werden bestimmte politische Bücher nicht genehmigt, Besuch findet nur in Anwesenheit des BKA statt, Briefe unterliegen der Zensur, was bei Übersetzungen nochmal länger dauert. Eine Verurteilung auf Bewährung ist eine wirkliche Seltenheit. Dabei hätte die StA zumindest rechtlich die Möglichkeit, auch ein Verfahren nach § 129b StGB wegen Geringfügigkeit einzustellen, wenn die begangenen Beteiligungshandlungen von untergeordneter Bedeutung sind oder sich auf die bloße Mitgliedschaft beschränken (§ 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO). Aber wie gesagt, handelt es sich um Feindstrafrecht und wer sich „Terrorist*innen“ schafft, muss sie auch verurteilen.