Politisches Engagement in Untersuchunghaft

Martin Eickhoff

Politisches Engagement hinter Gittern ist für viele Menschen ein absolutes Fremdwort.
Viele Insass*innen sind verzweifelt, resignieren und wundern sich über die mangelnde Logik im Knastsystem und akzeptieren diese Missstände.
Jedoch dürfen wir nicht von einer deskriptiven Logik im Gefängnissystem ausgehen, sondern von individuellen Verhaltensmustern.
Als Knastinsass*in muss mensch sich erstmal klarmachen, dass meine Logik nicht die Logik des Systems ist.
Wichtig hierzu ist, sich erstmal über seine Rechte zu informieren, sich die Hausordnung und die aktuelle Fassung des Untersuchungshaftgesetzes (sind Ländergesetze) zu besorgen.
Dieses kann über die Anstalt, Antirepressionsgruppen oder durch den*die Rechtsanwält*in geschehen.
Anschließend dieses ausführlich durcharbeiten.
Fragen mit Dritten klären und sich eigene Axiome aufstellen.
Wenn mir diese Axiome und Forderungen bekannt sind oder Sachen sich im Knastalltag entwickeln, muss ich schauen, ob es sich um ein individuelles Anliegen, also ob es mich persönlich betrifft, oder ein gruppenspezifisches (Mitinsass*innen, gesamte JVA oder das ganze System) Anliegen handelt.
Wenn ich nun im Knastalltag Anträge stellen will, sollte ich diese möglichst allgemein halten, einen Vermerk, z.B. „Nähere Einzelheiten im persönlichen Gespräch“ hinzufügen.
Beschwerden über Bedienstete, medizinische und/oder psychologische Anliegen immer in einem verschlossenen Umschlag abgeben.
Wichtig ist eine klare Beachtung der Knasthierarchie, d.h. bei Beschwerden über Beamt*innen zunächst ein persönliches Gespräch suchen, dann schriftlich an den entsprechenden Beamten, danach an die Bereichsleitung und dann an die Anstaltsleitung.
Am besten Zeug*innen benennen und diese auf dem Antrag unterschreiben lassen.
Sollte dieses alles nicht funktionieren, eigene*n Anwält*in informieren und diese*n bitten, einen Brief an die Anstaltsleitung zu schicken.
Sollte dies alles nicht funktionieren, einen Brief an die Staatsanwaltschaft und das Justizministerium schicken.
Diese gehen den Beschwerden nach und nun müssen die entsprechenden Beamten „Farbe bekennen“ und eine schriftliche Stellungnahme abgeben.
Auch kann es helfen, sich an Abgeordnete zu wenden, denn Briefe an Abgeordnete wie auch Ministerien fallen nicht unter die „Briefzensur“ und dürfen nicht von Dritten gelesen werden.
Geht es um größere Anliegen, kann mensch auch Petitionen an Parlamente und Parlamentsausschüsse stellen, dies habe ich bspw. wegen der erhöhten Telefonkosten gemacht.
Generell ist es wichtig: Probleme erkennen -> Wissen aneignen -> Verbündete suchen -> Handeln -> Öffentlichkeit schaffen
Auch Verhaltensweisen immer begründen lassen, jedoch muss uns auch klar sein, dass nicht auf grundlegende Veränderungen zu hoffen ist.
Kritik wird spätestens an der Grundstruktur des Systems scheitern und das System ist nicht krisenfest und deprivationsfrei, allerdings kann nur am „Gefühl der Schranke“ (vgl. Marx, Hegel) gerüttelt werden.
Trotzdem sollten Knastphänomene in die breite Masse der Gesellschaft getragen werden, nicht nur innerhalb der Szene. Das sollte eine wichtige Aufgabe von Gruppen wie dem Netzwerk oder Zeitschriften wie GI sein.
Sich auch weiterhin für einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus einzusetzen, dazu gehört auch das Knastsystem. Jedoch mit klugen Methoden und nicht mit blindem Aktionismus und auch nicht mit einem Kuschelkurs.


Martin Eickhoff
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart