Am 22.04.2021 begann in Stuttgart ein Strafprozess gegen Martin E. und Nicole G., denen vorgeworfen wird, Briefe u.a. mit Patronen an PolitikerInnen versandt zu haben.
Mittlerweile hat die Rote Hilfe e.V. bekannt gemacht, dass Martin E. zuvor unter anderem Namen in der Nazi-Szene unterwegs gewesen sei.
(https://www.rote-hilfe.de/news/bundesvorstand/1140-erklaerung-zum-mieze-prozess-rote-hilfe-e-v-leistet-keine-unterstuetzung).
Prozessverhalten von Martin E. und Nicole G.
In einer zuvor als „politisch“ angekündigten Erklärung vor Gericht letztlich Reue zu bekunden und das eigene Handeln zur bloßen „Provokation“ zu erklären, inklusive des staatlicherseits immer gerne gehörten Topos, man sei ja gegen jede Form von Gewalt, mag dann dazu führen, dass das Gericht eine geringere Strafe auswirft.
Es entpolitisiert zugleich auf krude Weise das eigene Leben.
Noch am 20.03.2021 (vgl. Gefangenen Info 3/21, Seite 35) grüßt Martin E. „revolutionär“, deutet aber schon an, wohin der Weg gehen würde, denn man habe ihm „ein Gespräch mit einer Ausstiegsstelle aufdrücken“ wollen. Wieso das?
Laut RH war Martin E. zuvor in der Nazi-Szene aktiv
Den Recherchen der RH ist es zu verdanken, dass die Vergangenheit von Martin E. aufgedeckt worden ist. Nun ist es sicherlich sehr wünschenswert, wenn Menschen sich aus der Nazi-Szene lösen und ihre Liebe zu einer emanzipatorischen politischen Bewegung entdecken, aber dann müssten sie offen damit umgehen. Offenbar hatte E. an einem Aussteigerprogramm teilgenommen, deshalb wohl auch sein eigener Hinweis vom 20.03.2021, es sei ihm ein solches Gespräch versucht worden in Stammheim aufzudrücken.
Einmal Aussteiger – immer Aussteiger?!
Jedenfalls beobachtet der Verfassungsschutz Baden-Württemberg sehr genau die Reaktionen der linken Szene auf das Prozessverhalten von Martin E. und Nicole G.. (https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/RAZ_MIEZE_+Linksextremistisches+Netzwerk+entzieht+Angeklagten+die+Unterstuetzung)
Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack
Die beiden erfuhren einiges an Solidarität, moralisch, politisch, materiell. Und das ist erstmal auch richtig so, denn alle AktivistInnen müssen darauf vertrauen können, dass sie im Falle der Verhaftung unterstützt werden.
Niemand ist davor sicher, einem geschickten Aussteiger wie Martin E. aufzusitzen.
Es ist deshalb ebenso konsequent, sämtliche Solidarität zu beenden und auch die ganzen Hintergründe offenbar zu machen.
Was bleibt ist ein galliger Nachgeschmack und vielleicht auch die Sorge mancher, was Martin E. und eventuell auch Nicole G. im Zuge der Verständigungsgespräche mit dem Gericht berichten werden. Nicht in der öffentlichen Verhandlung, sondern wenn LKA, VS und Staatsschutz ihnen gegenüber sitzen.
In der Nachbereitung der Geschehnisse ist sicherlich noch zu klären, ob es im Vorfeld schon subtile Anzeichen gegeben haben könnte.
Aber Anlass für ein generelles Misstrauen sollte dieser Fall, so ärgerlich er auch ist, nicht sein, denn ein buntes, vielfältiges Leben braucht Vertrauen, auch wenn dieses von Zeit zu Zeit erschüttert werden mag.
Thomas Meyer-Falk
z.Zt. JVA
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