WIR WOLLEN GERECHTIGKEIT!

TODESFASTEN FÜR EIN FAIRES VERFAHREN

Teilnehmerinnen des Symposium

Zwischen dem 02.-04 April 2021 fand das Symposium für Gerechtigkeit statt. Es steht in der Tradition der Symposien, die seit 2002 organisiert werden. Nächstes Jahr feiern die Symposien 20. Jubiläum.

Das allererste Symposium fand 2002 in Noordwijk Holland statt. Es stand im Zeichen des Todesfastens, dass bis 2007 durchgeführt wurde.

Die Symposien wollten das wahre Gesicht der Isolationsfolter aufgreifen und sichtbar machen, öffentliches Interesse erwecken. Die Diskussionen drehten sich um die Folgen, Gründe und niederschmetternden Langzeitwirkung der Isolationsfolter. Gleichzeitig versuchte man die Forderungen der Todesfastenden zu unterstützen. 2007 wurde das Todesfasten beendet. Die Forderungen der Gefangenen wurden akzeptiert und ein Protokoll unterzeichnet. Was natürlich nicht bedeutet, dass der türkische Staat sich immer daran hält.

Nach und nach griff man die Isolation als Gesamtpolitik des Imperialismus auf. Isolation gegen Länder (in Form von Sanktionen), Isolation gegen Organisationen (in Form von Terrorlisten), Isolation gegen Personen (Denunziation als Terrorist). Nach und nach reihten sich dem auch das Symposium gegen Imperialismus und für eine unabhängige vom Imperialismus befreite Türkei an.

Der Ansatz des Anti-Imperialismus war auch in diesem Symposium von Bedeutung. Aber geprägt war das Symposium 2021 vom Thema Gerechtigkeit.

Das Symposium wurde zum Ehrenvollen Gedenken an Mustafa Koçak, Helin Bölek, Ibrahim Gökçek und Ebru Timtik veranstaltet. Sie haben unter dem Einsatz ihres Lebens für Gerechtigkeit und gegen Vernichtung des revolutionären Kampfes gekämpft. Sie wurden zur Barrikade gegen die Angriffe des Faschismus und Imperialismus. In einer Zeit, wo die Parole, „gemeinsam Schulter an Schulter gegen den Faschismus“ in Vergessenheit geriet, wurden sie zum Anlass Solidarität neu zu definieren. Sie zeigten, dass Solidarität die stärkste Waffe der Völker ist. Der AKP-Faschismus versuchte mit Zensur, Isolation und Staatsterror ihre Stimme zu ersticken. Der Widerstand um Gerechtigkeit hat alle Hindernisse überwunden:

Weltweit wurden:

  • 7.865 Aktionen, Manifestationen durchgeführt, Erklärungen veröffentlicht.
  • 1881 Videoaufnahmen veröffentlicht.Haben 3000 Personen Solidaritätshungerstreiks durchgeführt.
  • Weltweit haben 2951 Revolutionäre, Parteien, Organisationen, KünstlerInnen, DichterInnen internationale Solidarität bekundet.
  • Sie Internationale Anwalts Union (UIA), welche in 110 Staaten über 2 Mio Anwälte vertreten.
  • Die Anwaltskammern Anwaltskanzleien in Europa (CCBE), welche Millionen von Anwälten in Europa vertreten.
  • In der Türkei forderten 39 von 79 Anwaltskammern ein gerechtes Verfahren und unterstützen die Forderungen ihre KollegInnen in der Türkei Ebru Timtik und Aytaç Ünsal.

Alle vier waren von unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Was die vier verbindet war eine große Ungerechtigkeit, die ihnen widerfuhr und die Forderung nach einem gerechten Verfahren. Dementsprechend wurde auch das diesjährige Symposium gestaltet.
Ein Tag galt Mustafa Koçak und es waren hauptsächlich RednerInnen des linken, militanten Spektrums anwesend. Der zweite Tag war Ebru Timtik, der Rechtsanwältin gewidmet. Der dritte Tag Helin Bölek und Ibrahim Gökçek, also Grup Yorum.

Insgesamt nahmen aus 25 Ländern 77 TeilnehmerInnen teil. Technisch gesehen war das Symposium wesentlich von der Pandemie und der deshalb entstandenen Einschränkungen geprägt. Aber nichtsdestotrotz wurde sogar in dieser schweren Zeit ein Symposium durchgeführt. Denn Armut, Ausbeutung und Unterdrückung machen kein Lockdown, im Gegenteil. Die Bevölkerung leidet noch stärker an Repressionen, Unterdrückung sowie Hunger und Elend.

Das diesjährige Symposium sollte eigentlich ursprünglich in einem Saal der Gewerkschaft stattfinden. Aber die örtlichen Vorschriften waren ständigen Schwankungen unterworfen. Daraufhin wollte man es in einem extra dafür angemieteten Studio durchführen.

Internationale Gäste, zumindest aus dem EU-Raum wurden erwartet und dementsprechend Vorbereitungen getroffen. Aber nur 10 Tage vor dem Symposium verhängte die französische Regierung einen erneuten Lockdown. Somit war eine physische Zusammenkunft ausgeschlossen.
Aber wo ein Wille da ein Weg. Somit wurde das Symposium eben Online über Zoom durchgeführt. Die TeilnehmerInnen haben sich körperlich nicht gesehen, sondern die ganzen Redebeiträge fanden über das Internet statt. Ansehnlich waren auch die vorhandenen Sprachen. Es fanden insgesamt Übersetzungen in 6 Sprachen statt, also insgesamt 7-sprachig.

Der erste Tag war Mustafa Koçak gewidmet.

Seine Eltern und Schwester nahmen gleich nach der Eröffnungsrede teil. Mustafa Koçak kann ohne Übertreibung mit Sacco und Vanzetti verglichen werden. Es gibt viele Parallelen: Sacco und Vanzetti waren italienische Migranten, somit eine Minderheit, Mustafa Koçak ein Kurde und Alevite, somit von der unterdrückten Minderheit in der Türkei. Sacco und Vanzetti waren Arbeiter aus bescheidenen Verhältnissen, Mustafa Koçak war auch ein einfacher Mensch, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte. Und alle beide wurden in einem Schauprozess zu Tode verurteilt.

Mustafa Koçak wurde zu „doppelter erschwerter lebenslanger Haft“ verurteilt, was anstelle der Todesstrafe eingeführt wurde. Und in der Tat Gefängnis bis zum Tod bedeutet. Es gibt für diese Verurteilten keine Möglichkeit der Amnestie oder anderweitiger Freilassung.

Aber Mustafa Koçak hat noch eine ganz andere Bedeutung. Ihm wurde nämlich die Kooperation mit dem Staat angeboten. Was er ohne eine Sekunde zu zögern, abgelehnt hat. Die Polizei legte ihm Dokumente vor und forderte belastende Aussagen, Falschaussagen gegen politische Gegner zu machen. Man bat ihm eine Kronzeugenregelung an.

Auf der anderen Seite wurde Mustafa Koçak schwer gefoltert, man drohte ihm seine schwangere Schwester zu vergewaltigen, sollte er nicht kooperieren. Er lehnte entschieden ab. Nein sagte Mustafa, ich kann keine Menschen belasten, die ich nicht kenne. Ich kann niemanden denunzieren. Daraufhin sagte man ihm: Dann wirst du nie mehr wieder das Tageslicht erblicken. Und so geschah es auch.

Mustafa Koçak selber wurde aufgrund einer Falschaussage von Berk Ercan verhaftet. Der ihm lediglich vorwarf, eine Waffe beschaffen zu haben. Selbst das war erstunken und erlogen. Aber die Waffenbeschaffung wäre nach türkischem Recht maximal mit 5 Jahren geahndet gewesen. Aber Mustafa Koçak wurde zu doppelter erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Der zuständige Richter Akin Gürlek begründete das Urteil als „ein Urteil seines Gewissens“.

Warum dieser Hass der faschistischen AKP-Regierung gegen Mustafa Koçak? Er hat die gerade gängig angewendete „Denunzierungspolitik“ der AKP ins Leere laufen lassen. Mustafa Koçak ist aber erwähnenswert, weil er nicht dem Typus des Menschen entspricht, den der Imperialismus schaffen möchte. Der Imperialismus möchte, dass die Menschen egoistisch, individualistisch sind und keine Werte vertreten. Mustafa hat diesen Typus Mensch zum Scheitern verurteilt. Er verkörpert mit seiner ehrenvollen Haltung den revolutionären Menschen.

Wenn Mustafa eine Kooperation mit dem Staat eingegangen wäre, hätte man ihn freigelassen. Aber statt seine Haut zu retten und zig Menschen zu belasten, hat er den Tod vorgezogen. Mustafa verkörpert auch den entschlossenen Kampf um Gerechtigkeit. Gegen das Urteil des Gerichtes hat er zunächst einen Hungerstreik und dann das Todesfasten durchgeführt. Mustafa hatte nichts zu verlieren. Er war so oder so dem Tode geweiht. Er wählte einen ehrenvollen Tod, anstatt ein erbärmliches Leben.

Da der Imperialismus und Faschismus im Kampf gegen revolutionäre Kräfte am meisten die Waffe der Repressionen und Gefängnisse einsetzt, waren zahlreiche Vertreter dieser Themen anwesend. Auch die Herausgeber des „Gefangenen Info“ waren als Redner auf dem Symposium anwesend. Sie haben über den Fall und Prozess von Musa Aşoğlu berichtet. Auch der Fall Mustafa Koçak wurde von seiner Anwältin detailliert geschildert. Ebenso wurde George Ibrahim Abdallah, Mumia Abu Jamal, Gefangene in Palästina usw. thematisiert.

Der zweite Tag war Ebru Timtik gewidmet.

Der AKP-Regierung ist diese Art der Anwaltschaft ein Dorn im Auge. Es ist wohl allseits bekannt, dass die Anwälte der „Kanzlei des Volkes“, gesellschaftlich kritische Prozesse vertreten haben. Sei es Berkin Elvan oder die Familien der 301 Minenarbeiter in Soma, die ihr Leben verloren haben … sie verteidigen die Opposition, die Revolutionären.

Die Anwälte haben ein weit verbreitetes Schicksal geteilt, was sie nun einmal haben, wenn sie sich um politische Prozesse kümmern: Sie werden gleichgesetzt mit ihren MandantInnen.

Ebru Timtik hat sich dagegen gewehrt und hat mit ihrem Kollegen Aytaç Ünsal ein Todesfasten begonnen. Sie verlor ihr Leben am 27.08.2020 und hat ganz neue Maßstäbe für eine Anwaltschaft gestellt.

Eine Anwaltschaft, die es in Deutschland momentan nicht mehr gibt. Ebru hat unter dem Einsatz ihres Lebens gekämpft. Die Anwälte in Deutschland dagegen sind total eingeschüchtert auf der einen Seite und bestochen durch das viele Geld, was bei Strafprozessen gezahlt wird auf der anderen Seite.

Der 2. Tag gehörte den Juristinnen. Er war geprägt von dem Kampf von Ebru und Aytaç und endete mit dem Beschluss eine internationale Untersuchungskommission zu gründen, um den Schau-Prozess der Anwälte der „Anwaltskanzlei des Volkes“ zu untersuchen. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet.

Der dritte Tag war Helin Bölek und Ibrahim Gökçek gewidmet

Helin Bölek und Ibrahim Gökçek wollten eigentlich nur wieder ihre Kunst ausüben dürfen. Sie wollten wieder vor einem Massenpublikum Konzerte geben. Sie wollten aus den Terrorlisten entfernt werden. Und das İdil Kulturzentrum sollte nicht ständig gestürmt und ihre Instrumente zertrümmert werden. Sie forderten die Freilassung der inhaftierten Grup Yorum Mitglieder. Beide sind gefallen für die Ausübung der freien Kunst.
Am 3. Tag des Symposiums wurde dessen gedacht und mit Nachdruck gefordert, eine „internationale Organisierung der Künstler“ durchzuführen.

Auch die Anwältin von Pablo Hasel sprach am 3. Tag und überreichte eine Grußbotschaft aus dem Gefängnis.

Insgesamt war es ein politischer Erfolg. Es war ohnehin ein Erfolg für sich, das Symposium unter den Bedingungen der Pandemie durchgeführt haben zu können.