Free Leonard Peltier – Free them all!

Bis kurz vor seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag am 12. September 2016 verbrachte Leonard Peltier wieder einmal längere Zeit täglich 24 Stunden im Lock Down des Hochsicherheitsknasts in Coleman, Florida. 24stündiger Einschluss bedeuten keine Teilnahme an Freizeitangeboten, kein Hofgang, keine Dusche, keine Möglichkeit zu arbeiten, kein Telefon- und Emailkontakt zu Freunden und Verwandten, kein Besuch, keine Mahlzeiteinnahme mit Mithäftlingen, eingeschränkte ärztliche Versorgung –  und dies alles auf ca. 6 Quadratmetern Raum. Zwar richtete sich die Maßnahme nicht persönlich gegen Peltier, sondern galt aufgrund permanenter Gewalt-, Korruptions- und sonstiger Konflikte für alle Gefangene. Doch Leonard Peltier betrifft der Rund-um-die Uhr-Einschluss in mehrfacher Hinsicht ganz besonders, denn er verschärft die Lage des 72jährigen indianischen politischen Langzeitgefangenen. So wurde Peltier in den vergangenen Jahren in der Haft selbst Opfer gewaltsamer Übergriffe durch Mitgefangene. In Coleman ist der indianische politische Gefangene seit 2011 aufgrund der großen Entfernung weitestgehend isoliert von Besuchen durch Freunde, Angehörige und Anwälte. Frühere Freizeitmöglichkeiten, wie zum Beispiel sein Malen, ein wichtiges Ausdrucksmittel seiner kulturellen Verbundenheit zum indianischen Amerika, wurde ihm über lange Zeit verweigert. Verweigert wurde und wird ihm aber auch eine adäquate medizinische Versorgung. 2011 mehrten sich die Anzeichen einer Erkrankung, deren Symptome denen von Prostatakrebs ähnelten. Diagnose und Behandlung der Erkrankung entsprachen keinesfalls den medizinischen Notwendigkeiten. Die medikamentöse Versorgung im Kontext seiner Diabetes-, Herz- und Kreislauferkrankung wurde mit Hinweis auf Einsparungszwänge eingeschränkt. Seit Anfang des Jahres ist bei Peltier ein Bauchaorta-Aneurysma diagnostiziert. Die Größe der Aorta-Aussackung würde hierzulande eine sofortige Operation bedeuten. Aufgrund seines Status als Hochsicherheitstrakt-Gefangener wird die überlebenswichtige  OP permanent verzögert. Die Gefahr, dass Peltier aufgrund eines Aortarisses innerlich verblutet ist somit tagtäglich gegeben. All dies lastet auf ihn zusätzlich zu dem enormen Druck, der sich aktuell aus der Gewissheit ergibt,  dass eine Begnadigung durch Obama wahrscheinlich die letzte Chance ist nochmals in Freiheit zu kommen. Seit über 40 Jahren ist Leonard Peltier in Haft und diese 40 Jahre hat Peltier bislang ungebrochen überlebt.  Doch aufgrund seines Alters ist die Auseinandersetzung mit dem möglichen Tod in der Haft auch gegenwärtig. Es klingt durch in Gesprächen und Schreiben. Es verbittert ihn nicht, doch es belastet. Und in dieser Situation macht das FBI auch 2016 wieder erbarmungslos klar, dass die US-amerikanische Bundespolizei wie bereits bei der großen weltweiten Begnadigungskampagne  im Jahr 2000 sich mit aller Macht gegen eine Begnadigung und Haftentlassung Peltiers einsetzen wird.
Wer ist Leonard Peltier und weshalb sitzt er seit über 40 Jahren in Haft? Ausführlich nachzulesen sind der gesamte Lebensweg, der „Fall“, das Verfahren und seine Haftsituation in dem 2016 erschienenen Buch „Ein Leben für die Freiheit – Leonard Peltier und der indianische Widerstand“ (Autoren:  Michael Koch/Michael Schiffmann, Herausgeber: Tokata-LPSG RheinMain im Traumfänger-Verlag): Daher an dieser Stelle nur in Kürze: Leonard Peltier, Anishinabe-Lakota, schloss sich 1972 als 28jähriger dem American Indian Movement an, einer indianischen Selbstverteidigungs- und Widerstandsgruppe, die 1968 analog zu den Black Panthers in den Großstädten Minnesotas entstand. Politisiert wurde Peltier bereits in seiner Kindheit und Jugend aufgrund eigener rassistischer Diskriminierungserfahrungen und das Miterleben tödlicher Folgen einer Zwangsumsiedlungspolitik von Reservationsbewohnern sowie brutaler Polizeiübergriffe gegen indigene Fischer. In den frühen 70ern war Peltier in zahlreichen sozialen Projekten engagiert, nahm aber auch an spektakulären Protest- und Besetzungsaktionen teil. Mitte der 70er Jahre wurde er dann zum Sicherheitsverantwortlichen für AIM – Mitgründer Dennis Banks. In dieser Funktion begleitete er Banks und eine Gruppe weiterer AIM-Aktivisten in die Pine Ridge Reservation in Süd Dakota. Hier terrorisierte ein indianisches Todesschwadron im Auftrag einer korrupten Stammesregierung die eigene Bevölkerung, vornehmlich traditionelle Lakotafamilien und junge Aktivisten und Sympathisanten von AIM oder anderer indianischer Bürgerrechts- und Protestbewegungen. In diesen Jahren des Schreckens starben über 60 Lakota, hunderte wurden misshandelt, verletzt, schikaniert und vergewaltigt. Der Terror richtete sich gegen Alte, Jugendliche, Kinder und Frauen gleichermaßen und dies alles unter den Augen des FBI und der BIA-Polizei (Bureau Of Indian Affairs), die die Terrorgruppe (Goons – Guardians of Oglala Nation) mit Whiskey, Waffen und Geld versorgten. In dieser bürgerkriegsähnlichen Situation baten Stammesälteste und zahlreiche Häuptlinge und spirituelle Führer das AIM um Hilfe. In eines dieser AIM – Schutzcamps rasten am Morgen des 26.6.1975 die FBI-Agenten Coler und Williams bewaffnet in zwei ungekennzeichneten Wagen. Bei dem anschließend ausbrechenden Schusswechsel wurden der junge AIM – Aktivist Joe Stuntz und die beiden FBI – Agenten getötet. Als Hauptverantwortliche wurden vier Personen zur Fahndung ausgeschrieben, unter ihnen Leonard Peltier, der letztlich als einziger für die Vorkommnisse am 26.6.1975 verurteilt wurde – zu zweimal lebenslänglich, obwohl er immer wieder seine Unschuld beteuerte.
Seitdem kämpfte Peltier aus der Haft für eine Wiederaufnahme des Verfahrens und später auch für seine Begnadigung. Er kämpfte aber auch für die Rechte indigener Gefangener in den American Gulags und engagierte sich für zahlreiche soziale, humanitäre, ökologische Belange die vor allem Native Americans betreffen.  Er koordinierte aus dem Knast heraus Lebensmittelkonvois für die Zapatisten oder Spielzeug- und Kleidersammlungen für Reservations-Kids. Aktuell solidarisiert er sich aus der Haft heraus mit den Protesten gegen die Dakota Access Oil Pipeline in Nord Dakota, wie u.a. ein Telefongespräch  mit dem Standing Rock Spirit Resistance Radio an seinem 72sten Geburtstag zeigt.

Immer wieder betonte Peltier, dass der Kampf um seine Freiheit nur ein Teil des Kampfes um indigene Rechte, gegen Kolonialisierung und Rassismus, gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur, für Selbstbestimmung und ein Wiedererlangen von Würde und Selbstachtung ist. „Als der Terror der Goons kaum mehr zu ertragen war, da kamen er und andere AIM – Aktivisten. Er kümmerte sich um die Jugend und half den Alten. Er war bereit sein Leben und seine Freiheit für uns zu geben – deshalb lieben wir ihn. Er ist unser Nelson Mandela.“, so ein älterer Oglala zum Autor dieses Artikels. Und tatsächlich, der Name Leonard Peltier steht für die anhaltenden Kämpfe der Indigenen Amerikas – er hat sich in 40 Jahren Haft nicht brechen lassen, hat aber auch seine tiefe Menschlichkeit nicht verloren.  Der Kampf für Leonard Peltiers Freiheit ist daher immer auch Kampf für die Rechte der Native Americans.