Interview mit Şadi Özpolat

Du warst lange Zeit im Knast. In der Türkei 17 Jahre und in der BRD wegen dem §129b sechs Jahre. Jetzt bist Du seit dem 12. Mai diesen Jahres wieder frei. Wie geht es Dir?

Danke, mir geht es sehr gut. Außerdem bin ich zusätzlich erfreut darüber, mich im Befreiungskampf der Völker zu befinden.

Gibt es Unterschiede zwischen türkischen und deutschen Knästen?

Durch die unterschiedlichen Verhältnisse in den beiden Ländern bestehen selbstverständlich auch Unterschiede hinsichtlich ihrer Haftbedingungen. Aber ich denke, dass diese Unterschiede nicht essenzieller, sondern eher formaler Natur sind. Gleichzeitig bestehen sehr wichtige Ähnlichkeiten zwischen den Haftbedingungen in der Türkei und in Deutschland. Ich denke, diese wären zu erwähnen. Ich zähle mal jene auf, die mir als erstes in den Sinn kommen.
In beiden Ländern existiert Isolationsfolter. Es ist sowohl wissenschaftlich als auch durch einige gerichtliche Entscheidungen erwiesen, dass Isolation eine Folterpraxis darstellt. Und sowohl in der Türkei als auch in Deutschland wird diese Praxis in erster Linie gegen revolutionäre Gefangene angewendet. Sie wird aber auch in einem nicht zu unterschätzenden Maße gegen Gefangene eingesetzt, die nicht aus politischen Gründen eingesperrt sind.
In beiden Ländern hat die Gefängnis-Logik eine ähnliche Funktionsweise. Es wird versucht, die revolutionären Gefangenen von ihren revolutionären Gedanken und Handlungen abzuhalten und sie durch Reue zur Aufgabe zu zwingen. Sogar das Lesen kann faktisch verhindert und verboten werden, was auch auf legale Lektüren zutrifft und dem bereits von mir genannten Zweck dient, die revolutionäre Identität zu vernichten. Ich beispielsweise war dazu gezwungen, einmal einen 18-tägigen und anschließend einen 44-tägigen Hungerstreik durchzuführen. Unter den im Gefängnis verbotenen Büchern und Zeitschriften befand sich sogar ein von mir selbst verfasstes Buch, zudem die in der Türkei legal erscheinende Zeitschrift „Yürüyüş“ und das in Deutschland legal erscheinende „Gefangenen Info“. Politische Publikationen und Musik-CD‘s von „Grup Yorum“ wurden verboten, als seien sie kriminell. Dabei wurden eben politische Inhalte als Vorwand genannt.
Eine ähnliche Praxis findet sich auch in der Türkei wieder. In beiden Ländern wird versucht, die Verbindungen und Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt zu unterbinden, um die Isolation der Gefangenen zu intensivieren. Aus diesem Grund wird sowohl in der Türkei als auch in Deutschland Briefverkehr unterbunden, Besuche werden willkürlich abgelehnt und die Kontakte zu nahestehenden Personen, Bekannten und Anwälten möglichst gering gehalten.
Sei es in türkischen oder in deutschen Gefängnissen; es existieren Angriffe gegen revolutionäre Gefangene mit dem Ziel, sie zur Verleugnung ihrer revolutionären Ideen zu zwingen. Der Unterschied besteht letztendlich nur in Art und Häufigkeit der Praxis.

Gefangene aus der Türkei, die in beiden Ländern inhaftiert waren, bezeichnen die Isolationsfolter in Deutschland als schlimmer als die blutige Folter. Siehst Du das genauso?

Es ist schwer zu entscheiden, welche Foltermethode schlimmer ist. Aber es ist offensichtlich, dass auch die Isolationsfolter körperliche und geistige Schäden hinterlässt. Auch sie dient der Vernichtung.

Du bist Sprecher der Todesfastenden1 in den Knästen der Türkei gewesen. Wie beurteilst Du diesen Kampf?

In der Haft ist das Todesfasten eine effektive Kampfmethode. Weltweit gibt es Beispiele hierfür. Ein Beispiel war das Todesfasten der IRA-Gefangenen2, welcher mit einem Sieg endete. In unserem Land haben vor allem wir Gefangene aus der DHKP-C3 mehrfach das Todesfasten als Widerstandsmittel eingesetzt und dadurch Siege errungen. Das Todesfasten ist dadurch als eine Widerstandsform bekannt geworden. In Anbetracht der staatlichen Angriffe gegen die revolutionäre Identität der Gefangenen war diese Form des Widerstandes auch notwendig.
Im Gefängnis wurden diverse Widerstandsformen diskutiert. Insbesondere wir Gefangenen aus der DHKP-C haben uns dafür eingesetzt, dass diese Methode umgesetzt wurde. Die Diskussion drehte sich auch nicht darum, ob das Todesfasten als Widerstandsform in Frage kommt oder nicht, sondern darum, ob Widerstand geleistet wird oder ob kein Widerstand geleistet wird. Zu den Widerstandsformen zählten Appellverweigerung, die Errichtung von Barrikaden in verschiedenen Teilen des Gefängnisses und die Geiselnahme von Personal und Direktoren.
Es existieren solch effektive Methoden und sie kamen auch zum Einsatz. Das Todesfasten trat allerdings als effektivste und stärkste Widerstandsform auf den Plan. Dursun Karataş4 erläuterte damals kurz und bündig, dass das Todesfasten eine wirkungsvolle Aktionsform sei, welche plötzlich zum Einsatz kommen könne – aber auch monate- und jahrelang als Widerstandsform beibehalten werden könne. Es zielt u.a. darauf ab, die Bevölkerung zu politisieren, sie in den Widerstand einzubinden, den Staat zu entlarven, die Reihen der Revolutionäre zu stärken oder um revolutionären Willen und revolutionäre Ideologie unter Beweis zu stellen. In vielerlei Hinsicht ist dies eine wirkungsvolle Methode. Sie spielt eine wichtige und entscheidende Rolle in der Widerstandsgeschichte unseres Landes. Unserer Ansicht nach stellt sie zudem ein Widerstandsschema dar, welches die revolutionären Bewegungen der Welt analysieren sollten.

Wie ist die allgemeine Situation der Gefangenen in der Türkei?

Die revolutionären Gefangenen in der Türkei sind einer permanenten Politik der Repression und Folter ausgesetzt. Aber als Folge des Widerstandes wurden die Angriffe seitens des Staates unwirksam und die Gefängnisse – anstatt eines Ortes, wo der oligarchische türkische Staat der Revolution kräftige Schläge austeilen konnte – zu Orten, wo sich revolutionärer Wille und revoltionäre Identität stärkten. Dadurch wurden Revolutionäre für den Kampf draußen geschaffen. Dies ist ein Willenskampf und in diesem hat unser Parteichef Dursun Karataş vor Jahren erfolgreich Ziele für unsere revolutionären Gefangenen gesetzt. Er hat es nicht zugelassen, dass der Staat die Gefängnisse dazu nutzen konnte, die revolutionäre Identität zu zerstören. Stattdessen wurden sie zu Schulen der Revolution.

Am Beispiel von Stammheim sollten die EU und Deutschland eine wichtige Rolle bei der Einführung der F-Typ Gefängnisse5 spielen. Stimmt das?

Wir glauben, dass das stimmt. Das imperialistische System schliesst Partnerschaft bei Experimenten und sie beeinflussen einander. Dies gilt auch für die Gefängnispolitik. Die Isolation in der Türkei wird durch die Isolationspraxis in der Welt genährt. Wir glauben ganz konkret, dass die EU und Deutschland die F-Typ Isolationsgefängnisse der Türkei funktionell in Kraft gesetzt haben.

Warum gibt es heute hier keine Gefangenenkollektive?

Dass es in Deutschland keine Organisation unter den Gefangenen gibt, bewerte ich als einen Mangel. Eine intakte Organisation entwickelt sich aus einem Kampf heraus. Die Erweiterung des Kampfes gegen die Zustände in den Gefängnissen würde ein Organisieren mit sich bringen. Ein Kampf würde eine Notwendigkeit auslösen, was zur Lösung des Mangels führen würde.


Fußnoten:

[1] Das Todesfasten in der Türkei dauerte von 2000 -2007. 122 Gefangene, Angehörige und AktivstInnen starben  im Kampf gegen die Einführung der Isolationstrakte nach Stammheimer Vorbild. Todesfasten wird im Gegensatz zum Hungerstreik  bis zu einem Ergebnis geführt.
[2] Im Hungerstreik von 1981 starben sieben Mitglieder der Provisional IRA und drei der INLA (Irish National Liberation Army). Da die zentrale Forderung des Hungerstreiks 1980 nach Tragen der Zivilkleidung und die damit verbundene Anerkennung als politische Gefangene nicht erfüllt wurde, traten im März 1981 die Gefangenen in den Hungerstreik. Der Streik war gestaffelt, um ihn möglichst lange durchhalten zu können. Vorausgegangen waren ab 1976 die Blanket Protests, welche in die Dirty Protests über gingen.
[3] Devrimci Halk Kurtuluş Partisi – Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei – Front)
[4] Dursun Karataş (1952 – 2008.) Wurde während des Militärputsches 1980 in der Türkei inhaftiert und konnte 1989 fliehen. Er beteiligte sich als Gefangener am Todesfasten 1984 gegen die Einheitskleidung und war später Vorsitzender der DHKP-C.
[5] Im Jahr 2000 in der Türkei nach Stammheimer Modell eingeführte Isolationsgefängnisse.