ABC Wien
Andreas hat (…) vor kurzem Nierenkrebs diagnostiziert bekommen. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich laufend und wir fürchten um sein Leben. Eigentlich hätte er schon vor Monaten operiert werden müssen, doch die italienischen Behörden weigern sich, ihn in ein Krankenhaus zu überstellen.
Meine Lieben! Nun versuche ich etwas meinen Hintern zu bewegen und schicke euch die Antworten auf eure Interview-Fragen. Es wird sicher einige Tage dauern, da es mir von der Psyche mit jedem Tag schlechter geht! Ich gehe also Punkt für Punkt durch.
Beschreibe bitte kurz das Gefängnis, in dem du dich befindest. (Anmerkung: Es ist das Carcere Di Secondigliano in Neapel/Italien. Dieses ist das zweitgrößte in Neapel und liegt im Stadtteil Scampia, einem der ärmsten Gegenden der Region.)
Das Gefängnis zu beschreiben ist sehr schwierig, denn es sind Betonblöcke, verdreckt und zum größten Teil verschimmelt. Jedes Haus ist von einer Standard-Mauer umgeben, in jedem Eck sind Türme, und die Beamten laufen auf der Mauer – wenn nötig – ihre Runden. Dazu in jedem Winkel Kameras.
Der Müll fliegt aus dem Fenster, und dementsprechend ist auch Ungeziefer ganz normal. Neben der Anstalt befindet sich eine große Kaserne, in der viele Beamte schlafen. Es ist fast unmöglich, die baulichen Seiten des Knasts zu beschreiben, da ich nur mein Haus kenne. Aber um eine winzige Vorstellung zu bekommen, hier eine kleine Skizze. (links) Ca. 1600 Gefangenen befinden sich hier in der Anstalt. Das rote sind Mauern, die Kreise sind Türme.
Welche Menschen werden hier eingesperrt?
Durchweg werden hier alle Menschen mit verschiedenen Delikten eingesperrt. Jedoch sind Camorra-Angehörige separat in einem Haus. Homosexuelle ebenfalls, Transsexuelle auch und auch Sexualdelikte sind in einem anderen Haus. Das heißt, alle sind strikt voneinander getrennt und keiner hat Kontakt zu einem der Häuser. Wären alle zusammen gemischt, wie in Deutschland, da kann ich euch garantieren, es käme jeden Tag mindestens zehn Tote.
Wie ist der bauliche Zustand? Ist Hitze oder Kälte ein Problem?
Die Hitze gerade jetzt ist kaum auszuhalten, und bei der Kälte verhält es sich ganz genauso. Im Winter geht die Heizung kaum und durch das anliegende Meer ist der kalte Wind noch viel schlimmer. Wenn mir nicht eine gemeinsame Freundin voriges Jahr eine Decke geschenkt hätte, so hätte ich nicht mal diese! Denn von der Anstalt gibt es NICHTS!!! Keine Kleidung oder Decken!
Hitze und Kälte ist fast unerträglich und an manchen Tagen kaum noch auszuhalten! Über die medizinische Versorgung wisst ihr ja schon einiges von mir. Keiner will mehr tun als nötig, alles, auch die Krankenhäuser sind verdreckt ohne Ende und nichts ist wirklich steril. Ich erschrecke immer wieder aufs Neue.
Was üblich ist, gerade in den Krankenhäusern, dass Menschen ein paar Scheine auf den Tisch legen, damit sie anständig behandelt werden. Wie läuft das mit dem Duschen? Mit Trinkwasser und Verpflegung? Kannst du selber kochen?
Duschen kann ich am Tag so oft ich will, weil die Station geöffnet ist. Jedoch gibt es von der Anstalt KEIN Trinkwasser. Man muss sich alles selbst kaufen! Ich kann in meiner Zelle mittels Campingkocher kochen, da ich mir dank euch allen Gas, Kocher, Topf und Pfanne und so weiter als Grundausstattung kaufen konnte. Die Sachen zum Kochen selbst sind sehr, sehr überteuert und eine Einkaufsliste habe ich euch ja einmal geschickt.
Meist ist es so, dass man immer wieder um Gelder betrogen wird, das war gerade am Anfang echt schlimm. Die Verpflegung der Anstalt an sich besteht täglich aus Pasta. Manches kann man nehmen, aber muss es etwas verfeinern. Andere Dinge sind zum Teil nicht wirklich genießbar, und zwei bis drei Mal in der Woche gibt es Fisch, den ich nicht anrühre. Im Allgemeinen esse ich kaum noch bzw. nehme von der Anstalt keinerlei Essen mehr an. Und das seit ein paar Monaten. Manche Essen vertrage ich auch gar nicht.
Ich bin schon so oft beklaut worden, zum größten Teil von Gefangenen, das ist einfach nicht mehr normal.
Wie schaut deine Zelle aus?
Meine Zelle ist in etwa wie in Deutschland. Toilette ist abgetrennt, nur das ein Bad vorhanden ist und es ab 7 Uhr morgens heißes Wasser gibt. Der Zelleneingang hat ein Gitter, das ab 20 Uhr verschlossen wird und davor noch eine richtige Stahl-Zellentüre.
Gibt es einen Gefängnis-Seelsorger? Einen sozialen Dienst? Einen Pfarrer? Einen Arzt? Einen Psychologen?
Katholische Anstaltsgeistliche gibt es, aber das ist gerade in meinem Fall sehr schwierig, mich mit ihnen zu unterhalten, weil ich kaum an etwas glaube und auch allen sehr misstraue. Einen sozialen Dienst bekam ich nie zu Gesicht und was die Psychologin betrifft, naja, ohne Worte… Sie sind zwar ständig präsent, aber sie machen nicht wirklich etwas außer Psychopharmaka verschreiben.
Ein nichtsnutziges Pack! Wer will schon ernsthaft seiner Arbeit nachgehen? So gut wie keiner und darum werden die Gefangenen sich selbst überlassen! Die Beamten sitzen zum größten Teil in ihren Büros und sehen den ganzen Tag TV oder kommen einfach nicht zum Dienst, weil sie den Vortag draußen die Sau rausgelassen haben. Und das sage ich nicht nur so, sondern höre es direkt von den Beamten, wenn sie untereinander ihre Gespräche führen!
Gibt es eine Tagesbeschäftigung für die Gefangenen? Die Möglichkeit Sport zu machen? Eine Bibliothek?
Zum Thema Tagesbeschäftigung möchte ich einiges sagen. Bis auf die Observationsstation, die ständig zu ist, sind hier alle Abteilungen von früh morgens 8 Uhr bis abends kurz vor 20 Uhr geöffnet. Es gibt einen Kicker auf jeder Station, den ich am liebsten zusammenhauen würde und nur gewisse Gefangene dürfen zwei bis drei Mal in der Woche ohne Aufsicht in den total versifften Kraftsportraum. Warum nur gewisse Gefangene kann ich nicht nachvollziehen. Dass ich von 7 Uhr morgens bis ca. 10 Uhr trotz meiner gesamten Verfassung für sie arbeiten soll, kann ich genauso wenig nachvollziehen.
Die Bibliothek umfasst vielleicht großzügig gerechnet 300 Bücher, die entweder von der Kirche handeln oder Gesetzesbücher, die jedoch schon mindestens 30 Jahre alt sind, meist noch älter. Teilweise ALLES in Italienisch. Ich habe diese verschissene Bibliothek mehrfach in Augenschein genommen, daher kenne ich sie nicht nur vom Hörensagen.
Hofgang ist getrennt für jede Abteilung. Der Hof hat etwa 50 m² und ist von einem Käfig aus Beton mit sechs Meter hohen Mauern umgeben. Man kann nur hin und her laufen. Alles ist verschmutzt und verschimmelt. Ich ging nie zum Hofgang, denn ich bin ein Mensch und kein Tier. Selbst im Tierheim haben es die Tiere schöner und einen ausgiebigeren Auslauf.
Hofgang ist von 9 bis 10 Uhr und von 13 bis 14 Uhr. Aber wie gesagt, das ist einfach nur menschenunwürdig.
TV-Programme gibt es nur in Italienisch, nichts in anderen Sprachen oder aus anderen Ländern. Und was für eine Scheiße da kommt. Nur Morde, Korruption und EU-Probleme. Wie oft sagte man mir „Aber Krebs, wir sind hier in Italien!“, und ich darauf „Und weiter? Wir sind in der EU, solche Zustände dürften nicht sein!“. Als Antwort bekomme ich dann nur ein Schulterzucken.
Faul sind die meisten der Beamten. Seit drei Wochen versuche ich Post abzusenden, immer wieder wird dies sabotiert, dies und jenes passt nicht mit der Frankierung und ständig kam sie zurück. Nun hoffe ich, dass es diesmal klappt und alles ankommt. Reine Provokation, vielleicht um zu sehen, wie weit man bei mir gehen kann?
In deinen Briefen schreibst du viel über die Gewalt im Knast. Die Gefangenen werden mehr oder weniger sich selbst überlassen. Gibt es dennoch auch Akte der Solidarität?
Solidarität gibt es nur vereinzelt unter den Gefangenen. Im Großen und Ganzen kann ich nicht behaupten, dass sich in meiner Zeit hier – etwas über ein Jahr – Leute zusammengeschlossen hätten, um gegen das System oder allgemeine Ungerechtigkeiten etwas zu unternehmen. Der Grund liegt offen auf der Hand: Denn jeder Gefangene, der sich gut führt, bekommt alle sechs Monate 45 Tage der Haft erlassen. So hat man sie unter Kontrolle.
Also eine wirkliche Konsequenz seitens der Gefangenen etwas durchzusetzen, gibt es nicht. Ich sah es am besten Beispiel, als ich meinen Hungerstreik durchführte. Die reden hier mit den Beamten, als wären sie beste Kumpels und sowas habe ich noch nie gesehen. Ich rede kaum, und wenn, dann nur, was für ein Dreckssystem das hier ist. Ich sage immer nur die Wahrheit zu ihnen, und wie meine Sicht und Einstellung ist, wenn ich überhaupt was rede.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie oft ich schon von Gefangenen beklaut wurde oder man meine Gutmütigkeit ausnutzte, was ich Jutta (Anmerkung: Jutta ist mit Andreas verheiratet.) schon einige Male in meinen Briefen schrieb.
Glück habe ich mit meiner aktuellen Station, die wirklich von den Gefangenen her in Ordnung ist. Man respektiert, was ich mache und ich erhalte einiges an Zuspruch! Wie bereits einmal erwähnt, ist diese Station eine Art Vorzeigestation und aus ganz Italien kommen Bewerbungen von Gefangenen zum Studieren, die dann nach Auswahlverfahren hierher verlegt werden. Naja, aber die meisten wollen hier gar nicht in den Süden von Italien, weil es eben vom System her so schlimm ist.
Warum glaubst du ist es so schlimm hier?
Die Zustände in italienischen Gefängnissen liegen klar auf der Hand, es ist kaum Geld vorhanden. Und warum? Weil alle korrupt sind, die Gelder in die Taschen der Politiker wandern und jeder nur noch die Hand aufhält. Jeden Tag wird in den italienischen Nachrichten darüber berichtet, aber gemacht bzw. geändert wird nichts.
Es sind einfach Zustände die mich jeden Tag wirklich alles in Frage stellen lassen.
Der Knast hier ist sowas von verdreckt und voller Schimmel, da braucht man sich nicht mehr wundern, dass Menschen krank werden oder, noch schlimmer, sterben.
Du berichtest in deinen Briefen auch immer wieder vom Rassismus gegenüber afrikanischen Gefangenen…
Den täglichen Rassismus sehe und erlebe ich ständig. Besonders betrifft es Menschen aus Nord- oder Südafrika. Offene Gewalt ist etwas eingeschränkt, wird aber in Duschen oder den Zellen praktiziert.
Es gibt hier keinen Imam, so sind alle gezwungen einen auf katholisch zu machen. Was ich gerade bei den afrikanischen Gefangenen erlebe, ist, dass andere Gefangene kaum mit ihnen reden. Nicht alle Beamte, doch schon einige, machen über den ein oder anderen Späße, die nicht angebracht sind oder sie machen sich lustig. Der Gefangene lächelt nur und lässt es einfach über sich ergehen. Was soll er auch schon sagen? Er hat doch eh nichts zu melden.
Ich habe unter den ausländischen Gefangenen verbreiten lassen, falls irgendetwas sein sollte, können sie sich jederzeit an mich wenden und ich schreibe das sofort raus.
Es gibt Stationen, auf die man niemals einen schwarzen Gefangenen verlegen könnte, wie ich schon einmal schrieb, und was sie mit einem Schwarzen veranstaltet haben – das könnt ihr gerne so übernehmen.
Ein weiterer extremer Rassismus zeigt sich darin, dass sich kein Ausländer – auch ich nicht – Essen aus der Heimat bringen oder schicken lassen kann, nur italienische Lebensmittel. Zum anderen kommt noch dazu, dass ein Ausländer zwar Telegramme versenden kann, aber nur auf Italienisch. Wie soll das gehen? Einer will nach Ghana ein Telegramm schicken oder ich nach Deutschland, jedoch nur auf Italienisch?! Was für eine Schweinerei! Post nach Afrika dauert drei Monate, aber von dort hierher nur fünf Tage. Keine Sau will also arbeiten und das nennt sich dann EU. Das liegt jetzt nicht einmal an der Anstalt, sondern an der Post selbst! Denn Briefe können ja auch unzensiert und verschlossen abgegeben werden. Zwei Wochen bzw. fast drei habe ich darum gekämpft, dass ich meine Unterlagen an euch schicken kann und jedes Mal kam alles wieder an mich zurück, bis ich endlich durch Einsatz eines neuen Zuständigen alles verschicken konnte. Jedoch sind die Original-Unterlagen vom Gericht bis heute verschwunden.
Gibt es die Möglichkeit der Selbstorganisation im Knast?
Zu mir selbst sind alle sehr höflich, doch liegt vieles sicher auch daran, weil von außen Druck gemacht wird. Eine Selbstorganisation, wie etwa eine Gefangenengewerkschaft oder eine Knastzeitung, gibt es hier nicht und wird es auch NIEMALS geben.
Welchen Einfluss hat die Mafia im Knast?
In dem Haus, in dem die Camorra bzw. deren Angehörige sitzen, haben diese den größten Einfluss, da fast alle Beamten Angst haben.
Es gibt ein sehr gutes Beispiel: Ein Beamter, der Gefangene schikanierte, wurde eines Tages vor der Anstalt von Unbekannten erschossen.
So tragen also fast alle Beamten vor der Anstalt eine Waffe und ich hörte einmal, dass sich einer nicht traute, einen Gefangenentransport vor der Anstalt zu parken.
Bis vor einigen Jahren muss es hier noch wesentlich schlimmer zugegangen sein, aber durch gewisse Vorfälle durch die Camorra hat sich doch alles etwas beruhigt und die meisten Beamten verhalten sich höflich. Aber hier gilt das Sprichwort: Wie man in den Wald hinein schreit, so kommt es zurück! Auf meiner jetzigen Station ist es relativ ruhig und die Gefangenen gehen untereinander sehr höflich miteinander um. Ich bin einzeln untergebracht, was nicht üblich ist. Doch durch den Schaden, den ich durch die deutsche Haft erlitten habe, geht man in einigen Dingen auf mich ein. Ich brauche meine Ruhe und bin es leid und müde, mich noch großartig zu unterhalten.
Wie schaut dein durchschnittlicher Tag aus?
Meinen Tag verbringe ich sehr trist. Ab 7 Uhr früh muss ich unentgeltlich putzen und das bis ca. 10 oder 11 Uhr. Dann (ich kann mich in dieser Zeit frei bewegen) gehe ich auf die Station, duschen und anschließend hänge ich in meiner Zelle ab, schreibe ein wenig, lese und esse um ca. 17 Uhr mit ein paar Leute zusammen, die täglich kochen und an deren Unkosten ich mich beteilige. Ansonsten lehne ich den ganzen Tag am Gitter und an die Zellentüre an, und man respektiert es.
Zurzeit kann ich nicht einmal in meiner Zelle etwas Sport machen, weil ich solche Schmerzen in den Beinen habe und Stechen und Klopfen in den Nieren.
Was magst du noch sagen?
Ich will und kann mich damit nicht abfinden, was mit mir passiert ist und auch weiter noch gemacht wird.
Ich würde euch gerne so viel schreiben, aber es gelingt nicht richtig. Durchhalten! Wie? Zum ersten ist da die Gesundheit und dann kommt einfach dazu, dass ich viel an Selbstmord denke, so beschissen geht es mir.
Ach ja, vorhin bekam ich meine Brille und dafür und für alles andere sage ich immer wieder wahnsinnig lieben Dank! Auch für die Spenden – ich habe mir einen Wunsch erfüllt und einen CD-Player gekauft.
Ich schaffe es nicht, jedem zu schreiben. Manchmal kommt Post, bei der ich den Absender nicht mehr lesen kann, dank Beamten.
Ich hoffe sehr, ich habe eure Fragen so gut es ging beantwortet.
Wir danken Andreas für das Interview. <3
Unterstützt Andreas!
Unser Freund und Gefährte Andreas ist zurzeit in Neapel (Italien) inhaftiert. Andreas ist seit seiner Haft in Deutschland als rebellischer Gefangener bekannt.
Im April 2019 wurde er in Italien zu 24 Jahren Knast verurteilt. Andreas hat darüber hinaus vor kurzem Nierenkrebs diagnostiziert bekommen. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich laufend und wir fürchten um sein Leben. Eigentlich hätte er schon vor Monaten operiert werden müssen, doch die italienischen Behörden weigern sich, ihn in ein Krankenhaus zu überstellen.
Seid solidarisch und schreibt ihm!
Zeigt Andreas, dass er nicht vergessen ist!
Das Schreiben von Briefen ist eine Waffe!
…gegen Vereinzelung, Vereinsamung, Stagnation, Resignation und Isolation…
…gegen die auf Zerstörung angelegte Natur des Knast-Systems…
…gegen die Kontrolle des Lebens durch das Knastregime…
Seine Adresse:
Andreas Krebs
Sez. 4 Stz. 5
Sez. Mediterraneo (CASA CIRCONDARIALE SECONDIGLIANO)
Via Roma Verso Scampia, 250,
Cap 80144 Napoli (NA),
Italy
Zeigt Andreas, dass er nicht vergessen ist!