Drei Gefangene wurden erneut inhaftiert und dann doch wieder freigelassen.
AktivistInnen der Kampagne
Das Verfahren gegen zehn türkisch- und kurdischstämmige Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München hat schon einige Skandale geboten und bleibt weiterhin eine Farce. Nachdem schon problematische Unterlagen aus der Türkei in den Prozess eingeführt wurden, Dolmetscher falsch übersetzten und ein traumatisierter Angeklagter von Sicherheitskräften geschlagen wurde, greifen die Ermittlungsbehörden jetzt auf „Erkenntnisse“ von rechten Fake-News-Webseiten zurück. Mit diesen Falschinformationen sorgten sie dafür, dass drei Angeklagte kurzzeitig wieder eingesperrt wurden, deren Haftbefehle eigentlich außer Vollzug gesetzt worden waren.
Was war passiert? In dem Verfahren wird zehn kommunistischen AktivistInnen aus der Türkei vorgeworfen, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein und das Auslandskomitee der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) gebildet zu haben. Sie sind nach § 129 b StGB angeklagt („Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“). Und das, obwohl die TKP/ML in Deutschland gar nicht verboten ist und sie hier keinerlei strafbare Handlungen begangen haben. Im Juni 2016 begann vor dem Oberlandesgericht München der größte Staatsschutzprozess in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre, nachdem die Linken im April 2015 verhaftet worden waren und eine überlange Zeit in Untersuchungshaft verbringen mussten. Nachdem in der Zwischenzeit die Haftbefehle gegen acht der zehn Angeklagten aufgehoben beziehungsweise außer Vollzug gesetzt wurden, folgte im Juni 2019 der nächste Hammer. Gegen drei der Angeklagten wurden die Haftbefehle wieder aktiviert und sie landeten erneut im Knast. Betroffen waren Dr. Sinan Aydin, Dr. Banu Büyükavci und Sami Solmaz. Der Hintergrund: Angeblich sollen sie entgegen der Auflagen Deutschland verlassen haben und nach Griechenland gereist sein. Dort sollen sie an einem Kongress ihrer Partei teilgenommen haben. Eine „Wiederbetätigung“ also, ein erneutes „straffällig werden“.
Die Unterlagen, die der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt zur Begründung der erneuten Inhaftierung der Drei präsentierten, basierten jedoch aus Sicht des Verteidigungskollektivs allein auf Spekulationen und Unwahrheiten. Verschwiegen wurde seitens der Ermittlungsbehörden unter anderem ein wichtiger Fakt: Man kann im Internet nachlesen, dass sich die Organisation gespalten hat und dass es nun eine „TKP/ML“ und eine „TKP-ML“ gibt. Dabei geht es nicht nur um Schreibweisen und Bindestriche, sondern um politische Konzepte. Die Ermittlungsbehörden ließen auch unter den Tisch fallen, dass auf der Website, die bisher der Vereinigung zugerechnet wird, ein Parteikongress im „Januar“ verzeichnet steht. Trotzdem behauptete das BKA, die Drei hätten im April 2019 an einem solchen Kongress teilgenommen. Das Gericht erfuhr die anderen Fakten von den beiden verschiedenen Gruppierungen und dem Januar-Termin nicht, als der Haftantrag gestellt wurde. Erst als die Verteidigung vehement darauf hinwies, traten diese Widersprüche klar zu Tage. So sah das Gericht sich gezwungen, die Haftbefehle wieder außer Vollzug zu setzen. Seit dem 17. Juli 2019 befinden sich die drei GenossInnen nun wieder in Freiheit, nachdem sie erneut aus ihrem Leben herausgerissen waren und wieder mal einen harten Einschnitt verkraften mussten.
Besonders bedenklich finden die AnwältInnen, dass sich die „Beweisführung“ auch auf Berichte des rechten Think Tanks „Gatestone Institute“ bezieht und so tut, als seien dessen „Erkenntnisse“ allgemein gültig. Die Neue Rechte benutzt das „Gatestone Institute“ gerne als vermeintliche Quelle. Es zeichnet sich vor allem durch die Verbreitung von Falschmeldungen und islamfeindliche Hetze aus. Mit Empörung weist das Verteidigungskollektiv die Verwendung von rechten Fake-News-Webseiten zurück. Diese Arbeitsweise werfe ein erschreckendes Bild auf Generalbundesanwalt und Bundeskriminalamt.
Somit sind nun also derzeit wieder acht Angeklagte auf freiem Fuß und zwei in Haft: Deniz Pektas und Müslüm Elma. Durch das ganze Hin und Her ist damit zu rechnen, dass sich das Mammut-Verfahren jetzt noch länger hinzieht, bis ins nächste Jahr 2020 hinein.