Redebeitrag zu den G20-Gefangenen auf der Knastkundgebung am 26. Januar 2019 vor dem UG Holstenglacis

United We Stand !

Hallo liebe FreundInnen und GenossInnen drinnen und draußen! Erstmal solidarische Grüße an die G20-Gefangenen, an Can und Halil aus Frankfurt, an Loic aus Frankreich und an alle anderen politischen und sozialen Gefangenen!
Die massive Repression des Staates nach den Aktionen während des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg hält an. Eine, mehrfach als Öffentlichkeitsfahndung inszenierte, Menschenjagd in ganz Europa sowie zahlreiche Hausdurchsuchungen zeigen einerseits den Verfolgungseifer des Staates, andererseits die Willkür und Schwäche der staatlichen Behörden. Das Verbot der Nutzung der Gesichtserkennungssoftware durch den Datenschutzbeauftragten wird von der Innenbehörde weiterhin ignoriert. Andererseits können medial verbreitete Erfolgsmeldungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Freispruchquote in den G20-Verfahren mit 10% weit über dem bundesweiten Durchschnitt von 2% liegt. Einige GenossInnen sitzen mit absurden Urteilen im Gefängnis oder werden erst auf Bewährung entlassen, nachdem sie einen Großteil der Strafe bereits in Untersuchungshaft abgesessen haben. So unser Freund und Genosse Peike, der am 21.1.19 in der Berufungsinstanz zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 9 Monaten mit Bewährung verurteilt wurde, aber schon ein ganzes Jahr in Untersuchungshaft war.
Am 18.12.2018 begann der Prozess gegen Can, Halil und Loic sowie 2 Jugendliche aus dem Rhein-Main-Gebiet, denen die Anwesenheit im militant agierenden Protestzug am Morgen des 7.Juli 17 in der Elbchaussee vorgeworfen wird. In diesem Zusammenhang gab es in mehreren Städten, auch in Frankreich, Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen, so auch eine kraftvolle Demo am Vorabend des ersten Prozesstages in Hamburg mit ca. 500 Teilnehmern. Vor und an den ersten Verhandlungstagen gab es auch im Gericht deutlich wahrnehmbare Solidaritätsbekundungen. Unsere Solidarität ist ungebrochen, unser Protest geht weiter, auch wenn das Gericht die Öffentlichkeit zwischenzeitlich ausgeschlossen hat. Wir lassen uns weder spalten noch abschrecken! Die Angeklagten haben einen langen Prozess vor sich, bis jetzt sind 30 Verhandlungstage bis Anfang Mai angesetzt. Can und Halil sitzen seit Ende Juni in Haft, die beiden Jugendlichen erhielten Haftverschonung, mussten ihre Pässe abgeben und sind verpflichtet, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Loic wurde aufgrund eines internationalen Haftbefehls im August in Frankreich festgenommen und im Oktober nach Deutschland ausgeliefert.
Can und Halil hatten am 9.11.2018 eine Haftprüfung. Sie erhielten Haftverschonung und konnten das Gefängnis verlassen, aber leider nur für kurze Zeit. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Schon nach 2 Stunden Freiheit bestätigte das Oberlandesgericht Hamburg den Haftbefehl und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Auf Rat ihrer Anwälte gingen die beiden zurück ins Gefängnis, was die angebliche Fluchtgefahr widerlegt. Inzwischen wird die Haft mit der angeblichen besonderen Schwere der Tat begründet.
Die Anklage ordnet die Beschuldigten willkürlich dem Komplex Elbchaussee zu, um in der Öffentlichkeit „Schuldige“ präsentieren zu können und die Rechtsbrüche und die massive Polizeigewalt gegen DemonstrantInnen während der G20-Protestwoche zu kaschieren. Die harten Urteile, die bislang nach G 20 gefällt wurden, reihen sich ein in die Faschisierung der Staatsapparate, am deutlichsten sichtbar in den neuen Präventiv- und Polizeigesetzen. Hinzu kommen die innere Aufrüstung und immer ausgedehntere Überwachung, die politische Repression wie die Verbotsdrohung gegen die Rote Hilfe sowie die harten Strafen gegen alle, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse wehren.
Angesichts der verhältnismäßigen Stille, ja Gleichgültigkeit, bei Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte ist es dennoch nicht verwunderlich, welche Empörung ein paar zerstörte Scheiben und Autos hervorrufen. Noch immer gilt: „Scheiben klirren und ihr schreit, Menschen sterben und ihr schweigt!“ Den Geschädigten wurde eine Zahlung von bis zu 40 Millionen EUR zugesichert, den Angehörigen der Opfer des NSU insgesamt eine Million Entschädigung gewährt. Dies verdeutlicht die massive Diskrepanz bei der Wahrnehmung des Wertes von Menschenleben im Vergleich zu Waren und Konsumgütern. Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind!
Der Zynismus von Polizei und Justiz ist in Anbetracht der Vorwürfe unerträglich. Am frühen Morgen des ersten Gipfeltages machten einige hunderte AktivistInnen ihrer Wut über die bestehenden Verhältnisse Luft und verdeutlichten ihre Unversöhnlichkeit mit dem kapitalistischen System durch das Entglasen von Konsulaten, Banken, Geschäften und Ämtern und das Anzünden von Autos in der im Villenviertel gelegenen Elbchaussee. Ohne konkrete Beweise werden die 5 Angeklagten als vermeintliche Täter präsentiert. Die Vorwürfe – Brandstiftung , schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung – basieren auf einem „Bewegungsprofil“, das die Polizei erstellt haben will. Konkrete Taten werden ihnen nicht vorgeworfen, außer dass sie vor Ort gewesen sein sollen. Auf diese Weise konstruiert die Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Mithaftung für Alles. Bereits die bloße Anwesenheit auf einer Demo, aus der heraus strafbare Aktionen stattfinden, soll für jeden Teilnehmer strafbar sein, selbst wenn er erst später hinzugekommen ist oder sich vorzeitig entfernt haben sollte. Es ist offensichtlich, dass es hier darum gehen soll, Menschen von künftigem politischen Protest abzuhalten und eine ganze Bewegung einzuschüchtern, indem einzelne drakonisch bestraft werden. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen nach 1 ½ Jahren Arbeit der eigens eingerichteten SoKo „Schwarzer Block“ endlich Ergebnisse vorweisen, „Schuldige“ präsentieren und mit Hilfe der Gerichte ein Exempel statuieren. Machen wir es den Inhaftierten leichter im Knast und erzeugen wir unsererseits Druck auf die Behörden! Der Show-Prozess Elbchaussee muss begleitet und kritisiert werden.
Am ersten Prozesstag wurde die Anklageschrift verlesen, die weitgehend aus der Beschreibung von beschädigten Autos und einer Handvoll Indizien besteht, dass die Beschuldigten irgendwie vor Ort gewesen sein sollen. In Gegenerklärungen griff die Verteidigung das Konstrukt der strafrechtlichen Mithaftung ohne jeden individuellen Tatnachweis an und monierte, dass die unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende Demonstration zu keinem Zeitpunkt aufgelöst wurde, dies für den Fall, dass die Angeklagten überhaupt anwesend waren. Der Zuhörerraum war überfüllt, einige kamen nicht rein. Die Angeklagten wurden mit minutenlang anhaltendem Beifall, Victory-Zeichen und erhobenen Fäusten begrüßt und verabschiedet.
Am 3. Prozesstag wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit für die gesamte Dauer der Beweisaufnahme ausgeschlossen, dies gilt bis zu den Plädoyers und der Urteilsverkündung. Der beabsichtigte „Geisterprozess“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist ein Angriff auf die kritisch-solidarische Prozessbegleitung, ein Angriff auf uns als Solidaritätsbewegung insgesamt. Der Ausschluss erfolgte gegen den erklärten Willen der – auch jugendlichen – Angeklagten und ihrer Verteidiger. Zur Begründung wurde doch tatsächlich behauptet, Solidarität sei „erziehungsschädlich“, die Jugendlichen könnten nicht frei und unbeeinflusst entscheiden, ob sie aussagen und Reue zeigen wollen, dies unter anderem aufgrund der Empfehlung zur Aussageverweigerung durch die Rote Hilfe und die Unterstützung durch „United we Stand“ sowie infolge der Solidaritätsbekundungen aus dem Publikum. Was für ein reaktionäres Menschenbild der Unmündigkeit! Was für eine Kompetenzüberschreitung einer Richterin, die sich zur allwissenden Pädagogin aufschwingt! Was für eine Fehleinschätzung! Die zur Tatzeit jugendlichen und inzwischen volljährigen Angeklagten können und werden sich auch ohne Öffentlichkeit über ihre Rechte informieren bzw. dies längst getan haben. Der wahre Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit ist das kämpferische Verhalten der solidarischen Bewegung, die sich weder distanziert, noch einschüchtern lässt und dies auch deutlich zum Ausdruck bringt. Die Angeklagten pfeifen auf die „Fürsorge des Gerichts“, sie wollen und brauchen weiterhin unsere volle Solidarität.
Can, Halil und Loic sind nun vorerst ohne Möglichkeit, ihre FreundInnen und solidarische Menschen im Gerichtssaal zu sehen. Aber sie wissen, dass sie nicht allein sind.
Wir werden weiterhin Kundgebungen machen, zu den Prozessterminen beim Gericht und auch hier am Knast. Zeigen wir den Angeklagten, dass sie nicht alleine sind. Schreibt massenhaft Postkarten und Briefe. Lasst uns die Isolation durchbrechen !
Wir lassen uns nicht spalten in „Gut“ und „Böse“, der Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg war legitim.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Solidarität ist eine Waffe!
United We Stand!

MIT POWER DURCH DIE MAUER
BIS SIE BRICHT!