„Einige Betroffene“
Zu „linken“ Gefährder*innen und Repression am Beispiel der Rigaer Straße
Die Richtung ist klar, eigentlich schon seit Jahren, eigentlich schon immer, seit es Bullen und andere Repressionsbehörden überhaupt gibt: immer mehr und weiterreichende Befugnisse und Gesetze für den Sicherheitsapparat. Was vor einigen Jahren noch ganze soziale Bewegungen mit ausgelöst hat – Stichwort Volxzählungs-Boykott – machen heute die meisten von uns freiwillig jeden Tag, jeden Moment mit ihrem Handy.
In der jüngsten Zeit gab es, wie o.g., erfreulicherweise große Proteste gegen die Verschärfungen der unterschiedlichen Länderpolizeigesetze. Den Wenigsten ist dabei aber bekannt, dass schon vor den neuen Polizeiaufgabengesetzen in Bayern und Co. in jenen Ländern schon weitreichende Befugnisse eingeführt wurden, die den Bullen schon heute enorme Möglichkeiten bieten. So ist es beispielsweise in Berlin möglich, eine längerfristige Observation anzuordnen, ohne sie von einem Richter genehmigen lassen zu müssen (ASOG §27). Möglich macht dies der bewusst schwammig gehaltene Bereich der präventiven Polizeiarbeit zur Gefahrenabwehr.
Wir wollen im Folgenden aus dem Text „Gefährder Leaks – Konstruktionen des LKA Berlin am Beispiel der Rigaer Straße“ einige für uns relevante Punkte herausstellen, an denen sich die Entwicklung der Repression gegen widerständige Strukturen ablesen lässt. Kernthese des Textes ist, dass es zusehends zu einer Verschiebung der Polizeiarbeit weg von Strafverfolgung hin zum präventiven Bereich gibt, da sich so u.a. Richtervorbehalte umgehen lassen. Die Folgen davon werden spürbarer und in absehbarer Zeit auch immer mehr Menschen betreffen. Dadurch werden auch die Fragen, die sich aus der Melange des allgemeinen Rechtsruck und der Verschärfungen des Polizeirechts ergeben, zusehends drängender – für alle:
Was die Polizeigesetze schon heute hergeben:
In den letzten Jahren gab es mitnichten ein ideologisches Umdenken bei Staat und Behörde, sondern es hat vielmehr ein Paradigmenwechsel in den Rechtsgrundlagen stattgefunden. Während mit dem Paragraphen 129 eine strafprozessuale Verfolgung stattfindet, deren Maßnahmen fast immer von Gerichten „kontrolliert“ und beschlossen werden, oder wenn nicht, dies immer wieder Anlass vieler Skandale war, arbeiten die Bullen heute viel öfter nach dem Gefahrenabwehrrecht, also präventiv. Grundlage ist dann nicht mehr die Strafprozessordnung, sondern das Polizeirecht (also das Gesetz, das jedes Handeln der Bullen regelt). In Berlin zum Beispiel das ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz), in Bayern das bekannte Polizeiaufgabengesetz und auf Bundesebene das BKA-Gesetz. Denn während Maßnahmen, zum Beispiel Observationen, Überwachungen von Telefon und/oder Fahrzeugen, Wohnungen, usw., die nach der Strafprozessordnung umgesetzt werden aus einem Gesetzesverstoß resultieren und damit die Bullen also nach einer Straftat eine*n Verdächtige*n finden oder konstruieren müssen, ist dies bei Prävention nicht mehr nötig, da ja die Person schon gefunden ist. Ihr muss nun nur noch eine gewisse Gefährlichkeit unterstellt werden, was sich einfacherer konstruieren lässt als die Beteiligung an einer Straftat, um dann schlussendlich die gleichen Maßnahmen anwenden zu können. So regelt bspw. in Berlin das ASOG die Möglichkeit, eine Person für ein Jahr zur polizeilichen Beobachtung auszuschreiben.
Dies hat zur Folge: Eintragung der Ausschreibung in polizeiliche Systeme (jedes Mal, wenn diese Person nun kontrolliert wird, ergeht eine Meldung über den Umstand der Kontrolle an das Landeskriminalamt – LKA); Erfassung aller Verkehrsmittel der Person (jedes Mal, wenn ein dieser Person zugeschriebenes – auch nicht auf sie zugelassenes – Fahrzeug – kontrolliert wird, ergeht ebenfalls eine Meldung an das LKA); Möglichkeit zur längerfristigen Observation auch mit technischen Mitteln (konkret: ein Haufen Schlapphüte rennen mit Kameras der jeweiligen Person hinterher, wann immer und wie oft sie wollen). Auch wenn das in Berlin allseits bekannte und unbeliebte, als PMS(1) bezeichnete, Einsatzkommando an dieser Person vorbei fährt, ergeht ein sogenannter Tätigkeitsbericht an den Staatsschutz beim LKA. Dabei werden zudem alle Kontaktpersonen der*s Ausgeschriebene*n erfasst. Um eine Erlaubnis für diese Maßnahmen zu bekommen, bedarf es einer Gefahrenanalyse durch eine*n Mitarbeiter*in der zuständigen Fachdienststelle (in Berlin: LKA 5). Dazu reichen meist ein paar Seiten wer, wie, warum, auf welcher Demo rumspringt und die Unterschrift der Polizeipräsidentin. Ein Jahr später wird die ganze Geschichte einfach verlängert. Noch einfacher sind konkrete Maßnahmen, wie eine längerfristige Observation, umsetzbar. Hier schreibt die zuständige Dienststelle ebenfalls einen kleinen Text und die Unterschrift kommt vom direkten Vorgesetzten beim LKA. Fertig.
Konstruktionen und Gefahreneinschätzungen
Grundlage für die Rückgriffe auf das ASOG und die daraus „legitimierten“ Maßnahmen, sind vor allem sogenannte Gefahreneinschätzungen. Diese oftmals nur ein paar Seiten langen „Analysen“ stützen sich auf Kontrollen oder Beobachtungen des sogenannten PMS. Wie weit weg sich die Bullen dabei mittlerweile von der Strafverfolgung befinden zeigt eine Kontrolle am 19. März 2013 in Berlin. Dabei wurden sechs Menschen im Treptower Park von Zivilbeamten kontrolliert. Daraus resultierend wurde ein Vermerk geschrieben, dass „Hinreichende Anhaltspunkte zur Einleitung eines Strafverfahrens/ von strafprozessualen Maßnahmen nicht vorlagen“. Trotzdem sollen diese Personen einen Brandanschlag auf das in der Nähe befindliche Polizeigebäude in der Bulgarischen Straße geplant haben, weil einer von ihnen Jahre zuvor dort inhaftiert wurde bzw. vielleicht auch auf das angrenzende Bezirksamt. Was noch mehr die Wahl- und Planlosigkeit der Bullen in ihrer Bewertung widerspiegelt.
Zitat aus Ermittlungsakte:
„[…]bei den genannten Personen der beiden zitierten Kontrollen handelt es sich um Angehörige der linksextremistischen Szene, die alle Repressionsorgane, Personen und Einrichtungen, die diese unterstützen oder denen nahe stehen als klar definierte Angriffsziele sehen, die es gemäß Sprachgebrauch der linken Szene “zu beseitigen gilt”. Zum Ausdruck kommt dies durch verschiedene Straftaten gegen Repressionsorgane und / oder -objekte, die auch nach einer Verurteilung und Ermittlung weiter begangen werden. Eine Verurteilung führt hier nicht zu einer Entwicklung von Unrechtsbewußtsein, sondern unter Umständen zu einer stärkeren Radikalisierung. […]“
Man beachte: Diese Analyse bezieht sich auf zwei Kontrollen. Die Gefährlichkeit wird also konstruiert, auch aus der Kontaktschuld derer, die sich in Parks treffen. Die – nicht nur – daraus folgende Repression, Verfahren und Maßnahmen bleiben nicht unbemerkt. Immer wieder tauchen Einschätzungen in Ermittlungsakten auf. Einige Menschen, die wiederkehrend Repression erfahren, haben daher schon vor Jahren Behördenauskunftsanfragen gestellt, welche in Teilen bis heute verweigert werden. Dennoch gibt es darüber einen gewissen Erkenntnisgewinn. Bekannt geworden ist: Alle zu dem Konstrukt „Rigaer94 / militante Linksextremisten“ gespeicherten Personen sind zur polizeilichen Beobachtung / Meldefahndung ausgeschrieben. In der Datei „Gewalttäter Links“ werden die Betreffenden deshalb zu dem Delikt „gefährliche Körperverletzung“ geführt, mit dem Zusatz: „Fiktives Delikt, da Ausschreibung sonst technisch nicht möglich“. Außerdem wurde durch eine undichte Stelle im Sicherheitsapparat bekannt, dass eine Person aus dem Umfeld der Rigaer Straße als „Gefährder“ in den polizeilichen Informationssystemen gespeichert ist und eine weitere Person, als „Relevante Person – Kontaktperson zu einem Gefährder“ bzw. mit dem Merker „BRPTGEFLINKS“, was soviel bedeutet wie: „Berlin Potentiell Gefährder Links“, aufgeführt wird.
Gegen einige der Betroffenen läuft dabei mindestens seit 2013 ein umfangreiches Programm zur Observation und technischer Überwachung. Das ASOG bildet hier die Grundlage, sodass keine der Maßnahmen einer richterlichen Kontrolle unterliegen. Laut Medienberichten gibt es gegenwärtig in der BRD zwei „linke“ Gefährder*innen und ca. 100 relevante Personen // Kontaktpersonen zu einem Gefährder*in…
Was tun?
Allen sollte klar sein, dass die Auslegungen der Gesetze und Begrifflichkeiten gesellschaftlichen Debatten unterliegen. Die immer selbstbewusster und offener auftretende Rechte im Sicherheitsapparat wird dabei den Diskurs zusehends mitbestimmen. Aber nicht nur in der Diskussion, sondern auch im Alltag sind die Begrifflichkeiten in den Gesetzen oftmals bewusst schwammig gehalten, um größere Auslegungsmöglichkeiten zu generieren.
Es ist klar, dass die hier genannten, verdeckten „Maßnahmen“ und Konstruktionen der Bullen nur einen kleinen Teil dessen darstellen, was noch so in den Aktenschränken der Behörden vor sich hin wuchert. Die Gefährderleaks-Broschüre beschreibt, wie aus einzelnen unterschiedlichen polizeilichen Fäden, ein ganzes Spinnennetz an polizeilichen „Erkenntnissen“ entsteht. Wer einmal in diesem Netz gefangen ist, wird dieses so schnell nicht mehr verlassen.
Alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzend, baut sich der Sicherheitsapparat so seine eigene Arbeitsgrundlage. Die andauernde Anwendung des Polizeirechts bzw. der Gefahrenabwehr muss als Verselbstständigung der Behörden wahrgenommen werden.
Das Ausmaß der Bereitschaft der Bullen und deren politischer Führung, ihre eigenen Regeln und Gesetze zu brechen und zurecht zu biegen ist nicht überraschend. Schließlich liegt in der Bereitschaft, die eigene Existenzgrundlage, also ihre selbst verfassten Dogmen, über den Haufen zu werfen, der offenkundigste Widerspruch der Herrschenden. Allerdings spiegeln sich in der Erzählung die Alpträume der Antiüberwachungsbewegungen wider. Die bürgerliche Angst vor einem Polizeistaat ist schon lange keine Dystopie mehr, sondern Alltag im hier und jetzt und ganz real. Gerechte Justiz und Rechtssicherheit wird es außerdem immer nur für die geben, die besitzen und herrschen.
Auch ist die Repression die logische Antwort des Staates auf Attacken gegen die existierenden Verhältnisse. Politiker*innen und Behörden suchen sich immer Gegner*innen, die als Sinnbild für ihre Propaganda herhalten sollen und auf die sie ihren Groll projizieren können. In Hamburg, im Nachgang des G20, waren es die internationalen Gewalttäter*innen, Franzosen, Spanier, Griechen,… in Berlin soll es seit 2013 die Rigaer Straße sein und auch die Kurd*innen sind immer wieder im Fokus der Behörden. Eine gewisse Ansprechbarkeit bzw. Sichtbarkeit ist es, was den staatlichen Angriff auf der einen Seite begünstigt, aber eben auch für eine Basis sorgen kann, auf der unsere Ideen und Vorschläge weiter wachsen können. Nach den erfolgreichen Momenten, die in den letzten Jahren im Umfeld der Rigaer Straße, beim G20, aber auch weit darüber hinaus geschaffen wurden, kann das Agieren von Politik & Polizei nicht überraschen. Dennoch müssen Konzepte gefunden werden, um auch mit dieser Phase der Auseinandersetzung umgehen zu können.
Es bleibt zu hoffen, dass sich von Erzählungen wie diesen niemand abschrecken lässt, sondern der Einblick in die Machenschaften der Sicherheitsbehörden dabei hilft, sich auf die Art und Weise der Repression vorzubereiten, aber auch um Unterstützung und Positionierung einzufordern. Dem personalisierten, permanenten Angriff der Bullen kann nur eine permanente Solidarität entgegengesetzt werden.
(1) PMS ist eine Einheit der Bullen: „Politisch Motivierte Straßengewalt“