30 Jahre wird das Gefangenen Info: „Tüchtig…Tüchtig… schuften gegen Knast und Krieg“

Redaktion

30 Jahre Sprachrohr der Gefangenen! 30 Jahre praktische Solidarität! Und seit über 27 Jahren dabei unser Freund und Genosse Wolfgang Lettow. Aus gegebenen Anlass führten wir mit unserem Komplizen Wolfgang ein Interview zur Geschichte des Gefangenen Info und seinen Erlebnissen in dieser Zeit. Weiterhin auch zu seinen persönlichen Beweggründen bis heute Aktivist im Dienste der politischen und sozialen Gefangenen zu sein.

Hallo Wolfgang zunächst zu dir, 1968 warst du 18 Jahre jung und bewegtest dich auf dem Hoheitsgebiet der BRD. Aus was für Verhältnissen stammst du und was hat dich damals politisiert?

Ich stamme aus einer kleinbürgerlichen Familie. Meine Generation selbst sind durchweg von Eltern und Einrichtungen erzogen worden, die durch die Nazizeit geprägt worden sind. Das bedeutete autoritäre Erziehung mit Schlägen, Sexualfeindlichkeit, Frauenunterdrückung. Kurzum wir sollten ein funktionierendes und entfremdetes Rädchen im Kapitalismus werden.
Politisiert, also mich zu wehren und zu organisieren, habe ich mich mit 16 Jahren. Das Schlüsselerlebnis war der 2. Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg von dem Bullen Kurras in West-Berlin erschossen wurde. Damals reiste vor 52 Jahren der Schah von Persien im Mai/Juni des Jahres 1967 als Gast der damaligen Bundesregierung unter dem ehemaligen Nazi Kiesinger in die BRD und nach West-Berlin.
Die damalige Journalistin Ulrike Meinhof, die 1970 die RAF mitgründete, kommentierte diese Ereignisse vom 2. Juni in einem Fernsehbeitrag: „Bevor der Schah von Persien in die BRD kam, wussten wir erst wenig über Iran, wenig über unser eigenes Land. Als die Studenten auf die Straße gingen, um die Wahrheit über Persien bekannt zu machen, auf die Straße, weil ihnen eine andere Öffentlichkeit als die Straße nicht zur Verfügung stand, da kam auch die Wahrheit raus, über den Staat, in dem sie selbst lebten. Da kam heraus, dass man einen Polizeichef nicht empfangen kann, ohne selbst mit dem Polizeistaat zu sympathisieren.“
Durch Demonstrationen in mehreren Städten gegen den despotischen Schah wurde die Kritik an ihm einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, ebenso wurde dadurch auch die Kooperation der hiesigen Bundesregierung mit ihm deutlicher.
Auf diese Tatsachen reagierte dieser „demokratische Rechtsstaat“ mit Repression und Mord. So gingen mit Duldung der hiesigen Behörden Agenten des Schah-Geheimdienst SAVAK brutal gegen Demonstrant*innen vor. Ein deutscher Polizist, Kurras, erschoss Benno Ohnesorg, einen Demo-Teilnehmer in West-Berlin am 2. Juni 1967. Benno wollte sich vor der angreifenden Polizei in Sicherheit bringen, flüchtete in einen Hinterhof und wurde erschossen, obwohl er niemanden bedroht oder angegriffen hatte. Dieser Mörder Kurras wurde nie verurteilt. Denn dieser Staat „sympathisierte mit dem persischen Polizeistaat“, wie es Ulrike Meinhof formuliert hatte.
Ich war damals 16 Jahre alt und verfolgte diese Ereignisse durch die Medien. Was mein Freundeskreis und ich überhaupt nicht verstanden haben, dass den Demonstrant*innen die Schuld für den Tod von Benno in die Schuhe geschoben und das Vorgehen von Kurras zusätzlich noch geleugnet und somit gerechtfertigt wurde.
Wir suchten nach Antworten auf die vielen Fragen und stellten fest, wir waren nicht alleine. Auch hatten wir schon selbst Erfahrungen mit Ausgrenzung und Repression gemacht: Wegen längeren Haaren bei den männlichen Jugendlichen wurde Druck ausgeübt durch das Elternhaus, Schule und Arbeit. Kommentiert wurde das noch durch homophobe, anti-kommunistische und faschistische Sprüche: „Siehst aus wie ein Mädchen! Gehe doch nach drüben! Vergasen!“. Es wurden auch Typen wegen ihrer Haartracht verprügelt.
Oder das Schweigen und das Verdrängen auf Fragen zur Nazizeit: „Du kannst die Zeit nicht beurteilen, weil Du nicht dabei warst!“. Uns empfahlen deshalb Freund*innen Artikel von Ulrike Meinhof aus der Zeitschrift Konkret zu lesen. Vieles war uns damals neu und unverständlich. Aber viele von uns, vor allem jüngere Menschen, begriffen jetzt, in was für einem Land sie lebten. Mit anderen Worten: sie politisierten sich und begehrten gegen dieses System auf.
Die Erschießung Ohnesorgs war ein Fanal für Viele der jüngeren Generation: sie begriffen, was für ein Staat die BRD ist – kein demokratischer Staat, sondern autoritär, der nie mit dem Faschismus gebrochen hatte, denn viele ehemalige Nazis wie Kiesinger (Bundeskanzler), Lübke (Bundespräsident), Globke (Bundeskanzleramt), Buback (Generalbundesanwalt) oder Schleyer (Kapitalistenfunktionär) übten wichtige Funktionen im sogenannten Rechtsstaat aus. Die Regierung der BRD war natürlich für das Folterregime Persien ein wichtiger Handelspartner.

In welchen politischen Zusammenhängen hast du dich damals bewegt?

Am 10. April 1968 schoss ein durch die Springer-Presse, Berliner Senat und Bundesregierung aufgehetzter Arbeiter auf den bekanntesten Sprecher der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Rudi Dutschke und verletzte ihn lebensgefährlich. 1979 starb er an den Spätfolgen seiner Verletzungen.
Wichtig ist, dass ich dann nach dem Mordanschlag auf Rudi zum ersten Mal nicht alleine auf die Straße ging, sondern da schon Einige kannte, die ähnlich dachten wie ich. Erst durch unsere kollektive Rebellion fingen wir an zu begreifen, was für ein reaktionärer und faschistoider Staat die BRD ist. Ebenso erfuhren wir über die Aggressionen der USA – vor allem in Vietnam – und bekamen so ein Begriff vom US-Imperialismus.
Wichtig ist auch, dass der Aufbruch der „Außerparlamentarischen Opposition“ ein globaler und internationaler war. In vielen Staaten des reichen Nordens gab es ähnliche Aufstände. In Asien, Afrika und Lateinamerika gab es Befreiungsbewegungen mit sozialistischer und antagonistischer Tendenz gegen den USA-Imperialismus, denen wir uns verbunden fühlten. Uns ging es auch hier um einen revolutionären Umbruch im „Herzen der Bestie.“ Wir waren hier als Teil der APO organisiert, die sich nicht nur aus Student*innen, sondern auch Schüler*innen und Lehrlingen zusammensetzte.
Heute wird der Mord von Benno Ohnesorg von der herrschenden Klasse als „Ausrutscher“ dargestellt, obwohl er nicht der letzte Demonstrant war, der eine Demo nicht überlebte.
Ulrike Meinhof, die 1970 die RAF mit gründete, überlebte den Knast nicht. Sie war aber nicht die einzige Gefangene, denn acht weitere politische Gefangene überlebten den Knast nicht in der BRD.

Wie sieht deine politische Ausrichtung heute aus?

Die Lebensbedingungen in der „3. Welt“ haben sich für die überwiegenden Teile der Bevölkerung verschlechtert, aber auch in den reichen Staaten des Nordens, den Metropolen, in den letzten 50 Jahren teilweise verschlimmert.
Die RAF intervenierte politisch und bewaffnet mit anderen Stadtguerillagruppen aus der BRD wie z.B. der Bewegung 2. Juni, in Westeuropa z.B. mit Action Directe aus Frankreich und Nordamerika in den kapitalistischen und imperialistischen Staaten, in den „Herzen der Bestie“. Sie führten diesen Kampf aber auch zusammen für die Befreiung aller Unterdrückten mit militanten Bewegungen aus Lateinamerika (Tupamaros aus Uruguay), Naher Osten (Volksfront für die Befreiung Palästina (PFLP)) und Asien (Vietkong aus Südvietnam) u.a.
Es gibt immer noch Genoss*innen, die aus den Befreiungskämpfen der sechziger und siebziger Jahre kommen und die immer noch inhaftiert sind. Stellvertretend sind hier genannt: Mumia-Abu-Jamal (Black Panther Party (BPP), Journalist und Bürgerrechtler), Leonard Peltier (American Indian Movement (AIM)) in den USA sowie Georges Ibrahim Abadallah (marxistischer, antiimperialistischer Kämpfer für ein freies Palästina) in Frankreich.
Damals kämpften wir für eine kommunistische Gesellschaft und heute steht der Kampf um Befreiung natürlich weiterhin an!

Wie kamst du zur Anti-Repressions Arbeit und was bedeutet diese für dich?

Zum ersten Mal waren einige von uns selbst mit Knast konfrontiert, als wir 1973 nach einer militanten Hausbesetzung in der Hamburger Ekhofstraße geräumt wurden. Nach der Erstürmung durch das MEK (Mobiles Einsatzkommando) waren drei Genoss*Innen bis zu 16 Monaten eingesperrt. Praktische Solidarität war angesagt, die sich neben der Kommunikation mit ihnen in Prozessarbeit und auch in so banalen Tätigkeiten wie Wäschewaschen für die Eingesperrten ausdrückte.
Zu dieser Zeit gab es einen Hungerstreik von Gefangenen aus der RAF, an denen sich auch die Gefangenen aus der Ekhofstraße beteiligten. Für uns draußen war es auch selbstverständlich, Solidarität mit den Gefangenen aus der RAF zu praktizieren. Auch sie strebten wie wir eine freie Gesellschaft auf kommunistischer Basis an, deshalb wurde gegen diese Weggesperrten die Isolationshaft exekutiert, die auch „weiße Folter“ genannt wird, weil sie keine sichtbaren Spuren am Körper hinterlässt: Neben 23 Stunden allein auf der Zelle wurden sie hermetisch von allen Inhaftierten und von allen Gemeinschaftsveranstaltungen abgesondert. Die Isolation fand in abgesonderten Bereichen und oft in Hochsicherheitstrakten statt. Die soziale und die sensorische Isolation führt zur Aushungerung der Sinnesorgane der Gefangenen und kann dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen. Ziel dieser Folter ist es auch, Inhaftierte zum Sprechen bzw. Abschwören zu bringen oder zu versuchen, sie als entpolitisierte Kretins vorzuführen.

Seit wann hast du Kontakt mit politischen und „sozialen Gefangenen“, wie kam es dazu?

Seit Mitte der siebziger Jahre, weil ich mich immer wieder in Kämpfen gegen Knäste, Heime und Psychiatrien engagierte.
Es ist daher richtig mit den Eingekerkerten zusammenzuarbeiten und unsere Praxis auch nach ihren Bedürfnissen auszurichten. Es muss uns darum gehen, die Stimme der Eingesperrten nach draußen zu tragen und ihnen einen Raum zu schaffen, wo sie sich artikulieren können. Das heißt aber nicht, dass wir alles schlucken, was Gefangene so von sich geben. Wir müssen sie kritisch und solidarisch hinterfragen, so wie es in „Freiheit“ unter uns eigentlich auch laufen sollte.

Zu Beginn des 10. Hungerstreiks inhaftierter Genoss*innen der RAF vom 1. Februar bis zum 12. Mai 1989 beschlossen Angehörige der Inhaftierten, eine Informationsschrift über den Verlauf des Streiks und den gesundheitlichen Zustand sowie die Ziele der Gefangenen herauszugeben, es erschien das Hungerstreik Info. Wie sah das konkret aus und wie verlief die Entwicklung?

Ausgangspunkt des Gefangenen Infos war der Hungerstreik der Gefangenen der Roten Armee Fraktion, des antiimperialistischen Widerstands und von einigen sozialen Gefangenen im Februar 1989. Am Rande sei angemerkt, dass das der 10. kollektive Hungerstreik der RAF Gefangenen war. Zur Vorgeschichte muss gesagt werden, dass es in den 80er Jahren eine recht große und breite Solibewegung gab zu den Gefangenen des antiimperialistischen Widerstands, was auch auf das damalige Frontkonzept zurückzuführen ist. Gefangene und Angehörige der Inhaftieren beschlossen, eine Informationsschrift über den Verlauf des Streiks und den gesundheitlichen Zustand, sowie über die Ziele der Gefangenen herauszugeben. Das erklärte Ziel lautete „unzensiert über die Situation der Gefangenen zu berichten und die Solidaritätsarbeit zu unterstützen“. Das Hungerstreik Info – das als Produkt dieser Diskussion entstand – unterstützte ab der 1. Ausgabe am 16. Februar 1989 die Gefangenen durch die Verbreitung der Infos und Erklärungen der Gefangenen. Teilweise in tausendfacher Auflage.
Das Hungerstreik Info setzte die Arbeit auch nach dem Hungerstreik fort und benannte sich in der Folge ab der Nr. 15 (vom 25. Mai 1989) in Angehörigen Info um und dokumentierte auch einige Ausgaben danach noch die Briefe zum Hungerstreik und die Einschätzungen der Gefangenen. Das Angehörigen Info erschien dann auch „nur noch“ 2-wöchentlich.
Die Solidarität mit den RAF Gefangenen und den Gefangenen aus dem Widerstand war weiterhin ein wesentliches Thema. Jedoch beschäftigten sich die Artikel auch mit der internationalen Situation: Sei es mit der Situation der Militanten der Black Panther oder des Weather Undergrounds in den Knästen der USA, der Roten Brigaden in Italien, der Action Directe in Frankreich oder anderen Gefangenen.
Als Folge des Ausscheidens vieler Angehöriger der RAF-Gefangenen (aufgrund gesundheitlicher Gründe) wurde das Angehörigen Info dann 2005 mit der Ausgabe 305 in Gefangenen Info umbenannt. Das GI erschien jedoch weiterhin beim GNN-Verlag. Da nach und nach die Gefangenen aus der RAF entlassen wurden, beschloss der GNN-Verlag, mit der Freilassung von Christian Klar im Dezember 2008, das Gefangenen Info einzustellen.
In der Zwischenzeit arbeitete ich im „Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen“ mit. Da wir im Gefangenen Info eine Kontinuität des Widerstands und der Repression wieder erkennen, sowie die Notwendigkeit einer Gefangenenzeitung in der heutigen Zeit weiterhin wahrnehmen, wollten und konnten wir das Eingehen der Zeitung nicht zulassen und haben ab Januar 2009 die Veröffentlichung und Herausgabe übernommen.
Das ist mittlerweile jetzt auch wieder über 10 Jahre her. Seither hat sich das Layout verändert, aber die Ausrichtung ist im Grunde dieselbe geblieben: Eine unabhängige Zeitung für Gefangene, die aus einem Klassenstandpunkt und aus dem Blickwinkel des revolutionären Widerstands authentische Informationen liefern möchte, um die Isolation zu durchbrechen und ein Mittel für die Kommunikation von drinnen nach draußen zu liefern, aber auch zur Vernetzung von Gefangenen beizutragen.
Wir streben eine freie Gesellschaft an, wo jedes Lebewesen sich frei entwickeln kann. Der Kapitalismus funktioniert nur, wenn das Individuum unterdrückt, fremdbestimmt wird. Das ist das genaue Gegenteil von freier Entfaltung der Persönlichkeit. Nur so kann das kapitalistische System funktionieren. Wie bei mir der Bruch mit diesem System gelaufen ist, habe ich ja schon erläutert.

Wie hat sich progressive Anti-Repressionsarbeit im Laufe der Zeit gewandelt?

Ich muss ein bisschen ausholen. Die Gefangenen aus der RAF waren bis zu 28 Jahre weggesperrt und wehrten sich in zehn kollektiven Hungerstreiks. Für uns draußen ging es darum, das Leben dieser Inhaftierten zu sichern. Deutlich wurde uns in der Auseinandersetzung mit der Justiz und dem Staat, dass nur durch die Kommunikation allein die Isolation nicht aufhebbar ist. Um materiell was an der Haftsituation zu ändern, musste Öffentlichkeit hergestellt werden. Deshalb wurden Flugblätter, Veranstaltungen und Demonstrationen mit bis zu 10.000 Menschen in der damaligen Hauptstadt Bonn 1989 gemacht, sowie militante Interventionen. Dank dieser unterschiedlichen Aktionen konnten wir besser mit den Gefangenen in Kontakt treten, aber abschaffen konnten wir diese Haftbedingungen nicht und neun Weggesperrte aus diesen politischen Zusammenhängen wurden im Knast ermordet.
Die Lage heute: Der historische Rückblick macht deutlich, dass sich nichts Positives an der Situation der Inhaftierten geändert hat. Damals wurden vor allem gegen die Gefangenen aus der RAF diese drakonischen Haftbedingungen exekutiert. Später wurde dieses Foltermodell „Made in Stammheim“ in diverse Länder exportiert. Heute haben sich diese Bedingungen eher noch verschärft, weil die Bewegung, die zu Gefangenen beziehungsweise gegen Knäste arbeitet, schwächer geworden ist. Die Isolation besteht folglich weiter, davon sind vor allem migrantische Gefangene betroffen, die wegen §129b inhaftiert sind, aber auch alle anderen Eingesperrten, die sich gegen die drakonischen Zustände wehren.
Auch heute überleben viele den Knast nicht. So besagen offizielle Zahlen der Justiz der BRD, dass sich über 100 Gefangene jährlich das Leben nehmen, weil der Knast so hart ist.
Die Population in den Kerkern hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, so kommen 60 Prozent der Gefangenen nicht von hier. Allein durch diesen Umstand treten einige Veränderungen auf. Die Kommunikation wird zusätzlich durch kulturelle oder politische Unterschiede mit diesen Inhaftierten erschwert. Oft sprechen diese Gefangenen nicht oder kaum Deutsch, was für sie auch eine zusätzliche Isolation im Knastalltag bedeutet, denn Anträge müssen immer auf deutsch gestellt werden. Oder die migrantischen Inhaftierten haben auf Grund ihrer Herkunft eine andere politische Orientierung als die hiesige Linke. Hinzu sind diese Eingesperrten rassistischen Diskriminierungen vor allem durch die Justiz ausgesetzt.
Das herrschende System spaltet und zerstört Zusammenhänge, um sie besser ausbeuten und unterdrücken zu können. So gibt es folglich im Knast zur Zeit keine Gefangenenkollektive. Auch der Zusammenhalt innerhalb der Linken ist schwach entwickelt, viele unserer Kämpfe sind von Niederlagen geprägt. Mensch muss sich natürlich vergegenwärtigen, dass Großdeutschland die wichtigste europäische Macht ist und 9000 Bundeswehrsoldaten in Afrika, Asien und Europa stationiert sind. Außerdem wird starker Druck auf die unterdrückte Klasse, durch zum Beispiel die Agenda 2010 ausgeübt, die das Überleben beeinträchtigt.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich nach 1989 viele militante und bewaffnete Zusammenhänge aufgelöst haben. Dazu zählen nicht nur die RZ und die RAF, sondern auch viele autonome und anti-imperialistische Gruppen. Das geschah nicht nur hier, sondern das ist auch international festzustellen. Oft lief das auch still und leise, also ohne Vermittlung, was sehr schlecht ist für die, die weiter kämpfen oder anfangen zu kämpfen.
Die politischen Koordinaten haben sich nach rechts verschoben, aber es sollen an dieser Stelle auch keine staatliche Omnipotenz und der Sieg des Kapitalismus verkündet werden, denn die Geschichte zeigt immer wieder: Wo sich Widerstand gegen diese Unterdrückung organisiert, gibt es immer wieder Hoffnung auf Befreiung.
Das zeigte sich im Juli 2017, als es gelang, den G20-Gipfel in Hamburg durch zahlreiche unterschiedliche Initiativen bis zu 100.000 Demonstrant*innen zu stören und somit politisch als Ganzes in Frage zu stellen. Die herrschende Klasse reagierte auf diesen Angriff mit Hetze und Repression. Es wurden zirka 50 Gefangene wegen der Proteste gegen G20 in Hamburg verhaftet. Davon kommen etwa die Hälfte der Eingesperrten aus anderen Ländern. Auch wird weiterhin öffentlich nach angeblichen NO G20 Aktivist*innen gefahndet.

Wie können die Auseindersetzungen zwischen Drinnen und Draußen aussehen?

Ich will jetzt auf Fragen und Unsicherheiten von Menschen eingehen, die anfangen wollen, die Mauern der Knäste zu durchbrechen. Oft werden Briefe von Gefangenen veröffentlicht oder es gibt Berichte von festgenommenen Aktivist*innen, die auch als Aufforderung verstanden werden können, mit ihnen in Kontakt zu treten. So wird es vielleicht auch einfacher Inhaftierten zu schreiben, die einem persönlich nicht bekannt sind oder von denen wenig oder fast nichts bekannt ist. Die Frage, warum ich schreibe, ist natürlich immer eine grundsätzliche Frage. Etwa, weil es Freund*innen oder Genoss*innen sind, die inhaftiert sind, oder/und weil ich generell gegen Knast bin. Was ich damit meine: Es gibt Menschen, die sich aus humanistischen Gründen engagieren, andere eher aus politischen Gründen. Wir finden, dass beides kein Widerspruch ist, um nach drinnen zu kommunizieren. Persönlich ist für uns die Trennung von Menschlichkeit und Politik auch falsch, denn wir streben ja die Aufhebung dieser Spaltung an. Viele draußen wissen wenig über den Knast. Ganz einfache Dinge zum Beispiel, dass Gefangene keinen Internetzugang haben. Generell sind Informationen für Gefangene Mangelware, das heißt, dass vor dem Prozess das Gericht und während der „Strafhaft“ der Knast entscheiden, was durchkommt. Dazu sind die Eingekerkerten vom alltäglichen Leben abgetrennt, ihre Besuchszeit ist auf zirka zwei bis vier Stunden monatlich beschränkt. Ihre Kommunikation nach draußen läuft in der Regel überwiegend durch überwachte Briefe. Das Nicht-Wissen, was Gefängnis bedeutet, hat viel mit Verdrängung zu tun, Angst vor dem scheinbar allwissenden Staat, der alles erfasst. Vor der Allmacht des Systems weichen Viele zurück, weil dieser versucht, den Menschen rund um die Uhr zu überwachen und zu erfassen. Repression und Überwachung gehen natürlich über den Knast hinaus. Aber es ist natürlich Intention der Herrschenden, die Knastbedingungen zu verschleiern und nur Horror zu verbreiten, damit soll jegliches Aufbegehren im Keim erstickt werden. Das Kommunizieren nach drinnen ist nicht primär eine Technik, sondern ein Akt der Solidarität und damit des Widerstands gegen die Gefängnisse. Es ist eine persönliche und auch organisierte Auseinandersetzung, die Mauern durchlässiger zu machen und eine Gesellschaft ohne Unterdrückung zu schaffen. Wenn einem das bewusst ist, ist es leichter, den Kontakt nach drinnen herzustellen. Gut ist es, sich vorher auszutauschen mit Anderen, die damit schon Erfahrung haben. Seien es solche, die selber schon mal im Knast waren oder solche, die schon nach drinnen kommuniziert haben. Der gemeinsame Austausch nach der Kontaktaufnahme ist eine Möglichkeit einer gemeinsamen Organisierung gegen das herrschende System, um die systematische Vereinzelung drinnen wie draußen zu überwinden.
Ähnliche Vorstellungen haben z. B. die Gefangenengewerkschaft oder der wegen § 129b inhaftierte Musa Aşoğlu in einem Brief vom 22. 6. 2017 geäußert. (GI 409)
Auch kann eine gemeinsame Auseinandersetzung mit Gefangenen dazu beitragen, dass wir Kontakt bekommen zu denen, deren Angehörige, Freund*innen und Bekannte auch im Knast sind. Betroffen ist eher die unterprivilegierte Klasse der Bevölkerung, die von der herrschenden Klasse in die Knäste gesteckt wird. Somit ist es auch eine Möglichkeit, unsere Isolation gegenüber der Bevölkerung zu überwinden. Also raus aus dem „Szeneghetto“, um eine Kraft gegen die Gefängnisse zu entwickeln.
Auch Thomas Meyer-Falk hat in seinem Text „Solidarität” viel zu der heutigen Problematik aus der Sicht eines Gefangenen dazu geschrieben, der in dieser Ausgabe des GI veröffentlicht wird. (Seite 35)

In der Geschichte des Gefangenen Infos war die Zeitung immer wieder mit Repression konfrontiert. Kannst du auch dazu noch etwas sagen?

In den 30 Jahren seit Bestehen des Gefangenen Infos hat es knapp 30 Versuche seitens des Staates gegeben, die Zeitung mundtot zu machen. In Anbetracht der Tatsache, dass linke Medienprojekte wie das Gefangenen Info keine kommerziellen Ziele verfolgen und somit nicht über ein dickes Finanzpolster verfügen, gleicht jeder Strafbefehl und jede Geldstrafe einem massiven Angriff, der die Existenz der Projekte gefährdet. Von den knapp 30 Verfahren endeten mindestens vier im Gerichtssaal, verurteilt wurden mindestens zwei Redakteur*innen.
Ich möchte exemplarisch ein paar Kriminalisierungsversuche herausgreifen:
a) Im „Hungerstreik Info“ Nr. 4 vom 09.03.1989 wurde der Brief von Rolf Heißler, einem Gefangenen aus der RAF, zum Anlass genommen ein Verfahren wegen §90a einzuleiten. Der §90a stellt die „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ unter Strafe.
Rolf Heißler befand sich zu diesem Zeitpunkt auch im Hungerstreik und schrieb in seinem Brief, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) ihre Forderungen von Anfang an ablehnte und auch tote Gefangene einplante. Das war dann „Staatsverleumdung“ nach Meinung der Herrschenden. Der §90a begleitete das Gefangenen Info über die komplette Zeit seiner Existenz. Immer wieder kam es zu Verfahren, teilweise gleich mehreren parallel.
b) Ein Verfahren wegen „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ gab es wegen eines Briefes von Andrea Sievering, einer Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand. Anlass war, dass sie sich für die Zusammenlegung der Gefangenen aussprach: „Die Zusammenlegung ist für mich auch mehr, als die Isolation zu durchbrechen, um unsere Möglichkeit zu kämpfen, zusammen zu sein. Ich will die Zusammenlegung in große Gruppen von RAF und Widerstand.“
Im selben Brief heißt es weiter: „für mich ist der Kampf zentral, weil Isolation (…) nichts ist, was ich aushalten will, jetzt für lange Jahre im Beton eingebunkert zu werden, jeden Tag neu den Kampf gegen Zerstörung, gegen den Entzug von Menschen, um die Beziehungen, reduziert auf die Schreibmaschine, nie direkt und nah gelebt. Mit deinen ganzen Gefühlen, politischen Gedanken, Überlegungen, mit allem was dich beschäftigt, immer allein, und immer neu der Kampf gegen die Mauern durchzukommen (…) so kann und will kein Mensch leben.“
Auf Grund des Briefes wurde das Info kriminalisiert, weswegen Behörden in München versuchten die Ausgabe zu beschlagnahmen, was ihnen nur bedingt gelang.
c) Auch nach dem Ende des Hungerstreiks hagelte es Verfahren: Es wurden Texte von Gefangenen, aber auch von Rechtsanwälten inkriminiert. Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag des verstorbenen Anwalts Gerd Klussmeyer, der zum Ergebnis gekommen war, dass die Haftbedingungen Ergebnis der Folterlogik des Staates sind, die sich als Kontinuum bis heute durchzieht.
d) Zahlreiche Verfahren wurden wegen dem Abdruck von Erklärungen der RAF-Gefangenen eingeleitet: Meist mit Hilfe des §129a, die aber fallen gelassen werden mussten. In Verfahren nach §90a wurden zum Beispiel Aussagen, wie, dass es eine Kontinuität staatlicher Verfolgung seit 1945 gibt, die sich zum Ziel gesetzt hatte jeglichen Widerstand zu zerschlagen, kriminalisiert.
Auch Artikel, die die staatlich verordnete Selbstmordvariante zum 18.10.1977, also zum Tod von Baader, Raspe und Ensslin, in Zweifel zog, sowie Artikel zu Wolfgang Grams wurden kriminalisiert. Darüber hinaus gab es weitere Verfahren mit Hilfe des §187 (Verleumdung).
e) 2005 gab es eine Medienkampagne durch den Hamburger Verfassungsschutz mittels Zeitungen und Fernsehen gegen die damalige Herausgeberin des Gefangenen Info.
f) Während unserer „Schaffenszeit“ gab es bislang nur ein öffentliches Verfahren gegen das Gefangenen Info: 2010 wurde der „Verantwortliche im Sinne des Presserechts“ (ViSdP) des Gefangenen Infos vor das Berliner Amtsgericht beordert, da in einem Artikel, zum §129b Prozess gegen Faruk Ereren, die Beugehaft gegen den blinden Nuri Eryüksel kritisiert worden war. Im Artikel hieß es: „Besonders zynisch bemerkte der Vorsitzende Richter des 2. Strafsenates, für Nuri (Eryüksel) sei die Beugehaft wohl ein wirksames Mittel, um sich zu besinnen, denn er sei ja erblindet.“
Da der Senat bestritt diese Aussage getroffen zu haben, wurden Anzeigen gegen die Veröffentlichung dieses Artikels gestellt. Dies betraf das Gefangenen Info und die Online-Zeitung scharf-links, gegen die Strafbefehle in Höhe von 2800 Euro (GI) und 12.000 Euro (sl) beantragt worden waren. Im Prozess wurde dann der ViSdP schließlich freigesprochen.
Ab 2010 waren Aktivist*innen des „Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen“, nicht zuletzt durch das §129 Verfahren (wegen RAZ/RL/radikal), stark im Fokus der Repressionsbehörden. Dies hatte natürlich auch Auswirkungen auf das Gefangenen Info. Bei diversen Hausdurchsuchungen in den letzten Jahren wurde die Infrastruktur des Infos immer wieder stark angegriffen.
Immer wieder haben wir auch damit zu kämpfen, dass die Gefangenen Infos nicht in den Knast kommen bzw. den Gefangenen nicht ausgehändigt werden. Als Grund wurde z.B. angegeben, dass das Gefangenen Info die „Sicherheit und Ordnung“ gefährde.
Darüber hinaus hatte ich als ViSdP vom Gefangenen Info ein Besuchsverbot bei Ahmet Düzgün Yüksel bekommen, da wir einen Bericht über die Zustände in „seinem“ Knast veröffentlicht haben. Soviel vielleicht zu der Repression gegen uns. Ich könnte natürlich noch tiefer in den Schubladen kramen, aber wir denken, dass wir mit unseren Ausführungen doch einen ganz guten Eindruck vermitteln konnten.
Die Repression gegen unsere Zeitschrift ist auch immer eine Reaktion auf unsere Arbeit, denn wir stellen Gegenöffentlichkeit her, mit dem Ziel, diese Verhältnisse ändern.
Das hat sich bis heute nicht geändert, denn wir müssen häufig Artikel, bevor wir sie veröffentlichen, unseren Anwält*innen zeigen, ob sie evtl. von strafrechtlicher Relevanz sein könnten. Die Zensur bleibt hier weiter wachsam!

Findest du in Sachen Anti-Repression könnte sich hier zu Lande mehr tun?

Ja, das wird aus meiner Antwort auf die letzte Frage deutlich.

Wenn du nach 30 Jahren Gefangenen Info drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?

Dass die Arbeit des Infos überflüssig geworden ist, weil wir eine freie und kommunistische Gesellschaft erkämpft haben!