Briefe von Musa Aşoğlu (Sept./Okt. 2018)

Musa Aşoğlu, 19. September 2018

(Der Brief benötigte zehn Tage, bis er durch die Postkontrolle kam. Red.)

Merhaba sevgili …,
60 Menschen auf einer Knastkundgebung ist eine gute Beteiligung. Von allem habe ich nichts hören und sehen können, aber ein afghanischer sozialer Gefangener hat was davon gesehen.
Seit einer Woche kann ich den Hofgang mit diesem Inhaftierten machen. Zellenumschluss habe ich mit einem anderen Eingesperrten. (Somit hat der zuständige Senat mit der Vorsitzenden Richterin Tauebner, die auch den Prozess gegen Musa führt, die Isolation nach 20 Monaten beendet. Red.) Ich hab heute auch Post von Rainer Loehnert erhalten.

Über Isolationsfolter und Zerstörung von
Gefangenen
Natürlich kann Isolation die Gesundheit des Gefangenen beeinträchtigen. Sie kann aber nur Erfolg haben, wenn ein Revolutionär selbst schwach ist. Natürlich können revolutionäre Weggesperrte durch die Folter auch körperliche Probleme bekommen. Sonnur Demiray befindet sich in einer anderen Situation. (Sie ist durch die Isolationsfolter krank geworden und muss sofort aus den Knast entlassen werden! Red.)
Wichtig ist es festzuhalten, dass Revolutionäre Gefangene keine hilflosen Wesen und bedauernswerte Opfer sind. Es gibt zwar einige humanistische Menschen, die sich dadurch angesprochen fühlen, aber kämpfende Menschen werden durch den Widerstand mobilisiert.
Freie Gefangene haben die Aufgabe, ihre eigene, revolutionäre Moral, Identität hochzuhalten, welche verhindert, dass Unterdrückung uns etwas anhaben kann. Die Mobilisierung zu den Prozessen kann nicht allein über die Haftsituation und die Solidarität mit den Gefangenen laufen, sondern muss auch ihre Moral und Kämpfe berücksichtigen.
Was die Gefangenen aus Stammheim vor 40 Jahren zu Isolation geschrieben haben, dass „Folter kein Kampfbegriff“ sei, habe ich aufgrund meiner fehlenden Deutschkenntnisse nicht verstanden.

Musa Aşoğlu, 3. Oktober 2018

(Dieser Brief erreichte den Empfänger nach „nur“ sechs Tagen. Red.)

(Erdals) Migräneanfälle kommen wahrscheinlich durch das Wernicke-Korsakoff-Syndrom. Durch die Isolation können sich die Symptome noch potenzieren.
Die Knastkundgebung vom 22. September haben ich hören können. Danke an alle, die daran teilgenommen haben.
Beim nächsten Prozesstag am 16. Oktober werden neue Termine ausgemacht, die wohl bis Anfang 2019 angesetzt sind. Ich war da wohl ein bisschen zu optimistisch, denn ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass der Prozess im November/Dezember enden wird.
Da ich noch viel zu meiner Verteidigung zu sagen habe, finde ich weniger Zeit, Briefe zu beantworten. Für diese Verteidigungsvorbereitungen benötige ich noch Anwält*innen, die sich mit dem Verbot von Yürüyüş und der DHKP-C auskennen.
Ich habe gehört, dass die meisten Anwält*innen vom HHB (Anwaltsbüro des Volkes) und dem CHD (Fortschrittliche Anwaltsvereinigung) wieder verhaftet worden sind. Ich weiß nur von Selcuk Kozağaçlı.

Zu Erdoğans Besuch in der BRD
Die bürgerlichen Medien schreiben, dass der Besuch des faschistischen Regimes aus der Türkei erfolglos sei. Aber es gibt eine geheime Kollaboration zwischen den beiden Regierungen. Die Ergebnisse seines Besuches werden, neben Milliardengeschäften für deutsche Monopole, neue Repression gegen die migrantische Linke bringen.
Merkel erhielt von Erdoğan in Berlin eine Liste von 69 Oppositionellen aus der Türkei und Kurdistan. Als Erdoğan wieder in der Türkei war, forderte er von Merkel die Auslieferung von 166 Aktivist*innen.

Kampftradition
Während des Todesfastens 1984 in der Türkei ergab sich folgenden Kommunikation zwischen den Widerständigen:
Auf die Frage hin „Wie geht es dir?“ (Nasılsın?) lautete die Antwort immer „Ich fühle mich wie ein Drache.“ (Canavar gibi)
Diese Unterhaltung ist inzwischen zur Tradition geworden.
Ich fühle mich ebenfalls gut und kräftig wie ein Drache. Du hoffentlich auch…

Ich beende meinen Brief mit revolutionärer Liebe und Grüßen

Selamar, sevgiler…
Musa