Die Verfolgung linker Aktivisten aus der Türkei in der BRD

§129b-Prozesse, Knast und Repression gegen angebliche Mitglieder der DHKP-C

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Hamburg

Insbesondere linke Aktivisten aus der Türkei und Kurdistan werden in der BRD verfolgt und kriminalisiert. Dabei spielen „Organisierungsdelikte“ eine wesentliche Rolle: Es muss weder eine sogenannte konkrete Tat oder eine illegale Handlung nachgewiesen werden, sondern die alleinige Zugehörigkeit zu einer Gruppierung, die von geheimen Gremien als kriminell oder terroristisch eingestuft wird, reicht bereits zur Kriminalisierung aus.
Rechtliche Grundlage davon sind die §§ 129ff und insbesondere der 2002 – im Rahmen der Terrorhysterie nach dem 11.9.2001 – eingeführte § 129b („Mitgliedschaft /Unterstützung/Werbung in/für/einer terroristische Vereinigung im Ausland“). Die BRD hat dabei eine führende Rolle in der internationalen Aufstandsbekämpfung eingenommen. Nicht selten kommt es zu Auslieferungen von AktivistInnen aus anderen EU-Ländern, um diese in der BRD gerichtlich nach § 129b zu verurteilen.
Zur Motivation der BRD muss gesagt werden, dass die länderübergreifende Verfolgung politischer Oppositioneller aus der Türkei nicht nur den Interessen des türkischen Staates dient und die BRD als Handlanger fungiert, sondern sie dient in erster Linie den Interessen der internationalen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den EU-Staaten sowie den USA. Die Türkei ist aufgrund ihrer strategischen Lage ein wichtiger Partner für das expansive NATO-Bündnis.

Übersicht zu den § 129b-Verfahren wegen angeblicher „DHKP-C-Mitgliedschaft“

Mittlerweile wurden um die 20 migrantische Linke mit Hilfe dieses Paragrafen angeklagt und zu Haftstrafen bis zu 6 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Zusätzlich zu den Verhaftungen gab es hunderte Durchsuchungen von Vereinsräumen und Privatwohnungen in der BRD, mit dem Ziel, diesen Widerstand zu erfassen und einzuschüchtern.
Die DHKP-C ist eine marxistische Organisation, die in der Türkei für eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung kämpft. Geahndet wurden von den Repressionsorganen u.a. Vereinstätigkeiten, wie Veranstaltungen zu Gefangenen und Veranstaltung von Konzerten, wie z.B. von „Grup Yorum“. Seit kurzem haben Grup Yorum in Deutschland Auftrittsverbot. In den Verfahren werden all diese politischen Tätigkeiten einer politisch-militärische Organisation wie der DHKP-C zugeordnet. Alle Aktivitäten einem bewaffneten Zusammenhang zuzuordnen, ist nichts Neues in der Widerstandsbekämpfung.
In der BRD wurde z.B. in den achtziger Jahren das Engagement für die isolierten Gefangenen aus der RAF als „RAF-Tätigkeit“ durch den § 129a verfolgt. Viele, die die Weggesperrten aus der Guerilla kontaktierten oder Öffentlichkeit zu ihnen herstellten, kamen dafür jahrelang in den Knast.

Der erste Prozess in Stammheim

Im Jahre 2008 begann der erste § 129b-Prozess in Stuttgart-Stammheim wegen dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)“ gegen fünf migrantische Linke. Die fünf Genossen wurden zu 2 Jahren und 8 Monaten bis hin zu 5 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Dieses Pilotprojekt diente der Klassenjustiz als Grundlage zur drakonischen Verfolgung von weiteren progressiven Zusammenhängen – bis heute.
Im Juli 2016 wurden vier Mitglieder der Anatolischen Förderation in einem weiteren Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart zu vielen Jahren Knast verurteilt: 4 Jahre und 6 Monate für Özgür Aslan, 5 Jahre und 6 Monate für Sonnur Demiray, Yusuf Tas und Muzaffer Dogan jeweils 6 Jahre. Özgür Aslan und Yusuf Tas wurden 2015 von Österreich an die BRD ausgeliefert.

Verfahren in Düsseldorf

Gegen Nurhan Erdem und zwei weitere Genossen fand 2009 bis 2010 das zweite § 129b-Verfahren in Düsseldorf statt. Nurhan wurde zu 6 Jahren und 9 Monaten verurteilt.
Faruk Ereren war trotz seiner Haftunfähigkeit sieben Jahre lang in U-Haft weg gesperrt. Im ersten Prozess wegen „Mordes“ war er vom OLG Düsseldorf im September 2011 zu lebenslänglich verurteilt worden. Der 2. Prozess gegen ihn endete im Mai 2015 mit einem „Freispruch zweiter Klasse“, wegen Mangels an Beweisen. Bereits in der Türkei war Faruk während des Militärputsches 1980 für ca. 9 Jahre eingesperrt.
In einem weiteren Düsseldorfer Prozess wurde u.a. Sadi Özpolat Anfang 2012 zu 6 Jahren Haft verurteilt. Sadi wurde am 19. Mai 2010 im französischen Colmar aufgrund eines Festnahme-Ersuchens der Bundesanwaltschaft festgenommen und im Juli 2010 nach Deutschland ausgewiesen und in den Knast gesteckt. In der Türkei war Sadi insgesamt 17 Jahre im Knast. Er nahm am Todesfasten 1996 teil und war Anfang des Jahrhunderts Sprecher der hungerstreikenden Gefangenen. In einem 7 Jahre andauernden Kampf, der sich gegen die Einführung der Isolationsfolter „Made in Stammheim“ richtete, starben über 120 Menschen.
Anfang 2017 wurde Latife Adigüzel von dem OLG Düsseldorf zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, da sie Vorsitzender der Anatolischen Föderation gewesen ist.

Prozess in Berlin

Nach 10 Monaten Prozessdauer wurde Gülaferit am 16.05.2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Im Juli 2011 wurde sie aufgrund eines Festnahme-Ersuchens der Bundesanwaltschaft in Griechenland festgenommen. Am 21.09. des selben Jahres wurde sie von dort an die BRD ausgeliefert.

Schikanen und Widerstand im Knast

Im Knast selbst sind die Gefangenen mit Schikanen konfrontiert: Die Post wird gelesen und dauert – sofern sie ankommt – mehrere Wochen, Bücher und CDs werden nicht ausgehändigt, sie werden streng voneinander isoliert, sind oftmals 23 Stunden alleine auf der Zelle und haben 1 Stunde Hofgang. Dabei sind sie zum Großteil einer strengen Isolation unterworfen, die es zum Ziel hat sie zu zermürben.
Einige der Beschuldigten wehren sich gegen die Haftbedingungen v.a. mit Hungerstreiks. So waren Yusuf Tas und Özgür Aslan vor ihrer Auslieferung von Österreich nach Deutschland 50 Tage im Hungerstreik – unter deren Folgen sie heute noch leiden. Ein weiterer Angeklagter Sadi Özpolat hat bereits drei Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen bzw. gegen die Nichtaushändigung von Post durchgeführt und war damit erfolgreich.
2015 war Gülaferit Ünsal für 54 Tage in einem Hungerstreik. Nach 54 Tagen konnte sie dank Solidarität von ebenfalls 6 Hungerstreikenden § 129b-Gefangenen und von draußen durchsetzen, dass das Mobbing eingestellt wurde und sie freien Zugang zu Zeitschriften erhält. Vom 5. – 11.2016 Oktober befand sie sich in einem weiteren diesmal einwöchigen Warn-Hungerstreik, um wieder gegen die Zensur zu protestieren.
Auch die Gefangenen Sadi Özpolat und Özkan Güzel waren letztes Jahr für 43 und 48 Tagen im Hungerstreik und konnten sich schlussendlich mit ähnlichen Forderungen durchsetzen. Özkan der im Sommer 2013 wegen des Verkaufs von „Grup-Yorum-Tickets“ zu 26 Monaten Haft nach dem Terrorparagrafen 129b verurteilt worden war, trat in der JVA Gelsenkirchen erfolgreich in den Hungerstreik und konnte so erreichen, dass er eigene Kleidung tragen konnte. In der Türkei beteiligte er sich am Todesfasten und wurde auf Grund seines angegriffenen Gesundheitszustandes frühzeitig aus dem Knast entlassen.
Bislang hat dies aber nicht zur Gründung von Gefangenenkollektiven geführt, da auch der Kontakt unter den Gefangenen stark reglementiert wird.

Fazit

Hier in der BRD werden türkische GenossInnen wegen ihrer politischen Arbeit verhaftet und in Isolationshaft gesteckt. Faruk Ereren bezeichnet das umfassende Isolationsprogramm als „Weiße Folter mit dem Ziel, uns zu zermürben“.
All das hat Ähnlichkeit mit den drakonischen Maßnahmen, denen die Gefangenen aus der RAF vor allem in den siebziger und achtziger Jahren ausgesetzt waren. Die Anklagen gegen die anatolischen AktivistInnen basieren häufig auf Foltergeständnissen aus der Türkei. Die Staatsschutzsenate in Stuttgart und Düsseldorf haben durchweg keine Probleme, „Früchte vom vergifteten Baum“, wie es der stellvertretende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum ausdrückte, zu verwerten.
Die länderübergreifende Verfolgung politischer Oppositioneller aus der Türkei dient nicht nur den Interessen des türkischen Staates, sondern sie dient in erster Linie den Interessen der internationalen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den EU-Staaten sowie den USA. Die Türkei ist aufgrund ihrer strategischen Lage ein wichtiger Partner für das expansive NATO-Bündnis.

Das heißt für uns, draußen wie drinnen wird einem nichts geschenkt von den Herrschenden. Leben mit Würde ist folglich nur im solidarischen Kampf gegen diese Verhältnisse möglich!

So lange es also Elend, Unterdrückung, Hunger und Kriege gibt, wird diese Auseinandersetzung andauern.

Venceremos!