Skandalöse Justiz und die Gründung der Internationalen Unabhängigen Kommission im Fall von Oury Jalloh

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh

Ein Mensch, angekettet an Händen und Füßen, verbrennt in einer Polizeizelle. Der Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die schwer entflammbare Matratze zerbröselt…

Wie die meisten von Euch wissen, wurde seitens der Ermittler sofort behauptet, dass Oury Jalloh die Matratze selbst angezündet und damit seinen Tod selbst verschuldet haben soll. Ein Zündmittel wurde am Tatort aber nicht gefunden. Erst drei Tage später tauchte ein Feuerzeugrest auf, der angeblich im Brandschutt der Zelle 5 gelegen haben soll. Ein „tragisches Unglück“, erklärte die Staatsanwaltschaft Dessau und unternahm infolge eine Reihe von manipulativen Brand- und Bewegungsversuchen, die der Öffentlichkeit zeigen sollten, dass ein an Händen und Füßen fixierter Mensch in der Lage ist ein derart starkes Feuer selbst zu verursachen. Die Aufklärung der Brand- und Todesursache wurde auch von zwei Landgerichten in Sachsen-Anhalt verweigert. Mord wurde kategorisch ausgeschlossen.
Über zwölf Jahre hat es gedauert, bis die Staatsanwaltschaft Dessau am 4. April 2017 in einem 9 – seitigen Vermerk eingestand, dass Oury Jalloh von Polizistenhand mit Brandbeschleunigern übergossen und angezündet wurde. Der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann hatte sogar konkrete Polizeibeamte namentlich benannt und darüber hinaus eingeräumt, dass das in den Asservaten befindliche Feuerzeug, die Spur 1.1.1, nur theoretisch zum Entzünden des Feuers verwendet worden sein kann. Dies erfuhren wir allerdings erst im November 2017, als die entsprechenden Akten endlich vorlagen. Zuvor wurden wichtige Entscheidungen der Justizbehörden hinter verschlossenen Türen getroffen. Seit dem letzten Brandversuch der Staatsanwaltschaft Dessau am 18. August 2016 in Schmiedeberg hatten die Anwältinnen der Familie von Oury Jalloh über ein Jahr lang keinen Einblick in die Ermittlungsakten. Die Behörde hatte auf Anträge bezüglich der Akteneinsicht nicht reagiert.
Am 16. August 2017 gab die Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt in einer Pressemitteilung bekannt, dass sie die Ermittlungsleitung im Fall von Oury Jalloh der Staatsanwaltschaft Halle übertragen habe. Dieser Schritt wurde mit einer angeblichen Überlastung der Staatsanwaltschaft Dessau begründet. Mehrmals wurde betont, dass „eine irgendgeartete Kritik an der Arbeit der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau“ nichts mit dieser Entscheidung zu tun haben würde. Weiter heißt es, „Die von Aussenstehenden kürzlich vorgebrachte Kritik, die Staatsanwaltschaft verschleppe das Verfahren und mache Ermittlungsergebnisse nicht publik, wird zurückgewiesen.“.
Das war der Moment, als wir uns entgültig dazu entschlossen haben, selbst eine Internationale Unabhängige Untersuchungskommission zu organisieren. In der langjährigen Geschichte der Initiaive in Gedenken an Oury Jalloh waren bereits mehrere Anläufe dafür unternommen worden, zuletzt bevor das Revisionsverfahren gegen den damaligen Dienstgruppenleiter Andreas Schubert vor dem Landgericht Magdeburg (2011/2012) begann. Die für die Kommission angedachten Mitglieder wurden allerdings zu Prozessbeobachter*innen im Verfahren gegen Schubert und so rückte das Vorhaben wieder in den Hintergrund. Durch die Brandversuche des irischen Brandsachverständigen Maksim Smirnou und weiteren Sachverständigengutachten von internationalen Experten aus England und Kanada konnten wir in den vergangenen Jahren weitere Fakten und Beweise zusammentragen, welche die Selbstentzündungsthese der Staatsanwaltschaft faktisch klar widerlegte. Dadurch haben wir eine große Medienaufmerksamkeit erreicht und die Staatsanwaltschaft so stark unter Ermittlungsdruck gesetzt, dass sie den Brandversuch im August 2016 veranlasste. Dieser Versuch ist ihnen jetzt auf die Füße gefallen, da er trotz des realitätsfernen Versuchsaufbaus gezeigt hat, was wir schon 2013 bewiesen hatten: ohne die Verwendung von Brandbeschleunigern ist eine Rekonstruktion des Brandbildes nicht möglich. Die Leitende Oberstaatsanwaltschaft musste sich den wissenschaftlichen Meinungen der selbst einbestellten Sachverständigen beugen: Oury hat das Feuer nicht selbst gelegt.
Der daraus resultierende Vermerk von Bittmann wurde dem Generalbundesanwalt vorgelegt. Dieser lehnte seine Zuständigkeit, trotz der „neuen“ Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Dessau, ab. Am 24. April 2017 sendete er ein entsprechendes Schreiben an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Die Belange des Staatsschutzes seien noch nicht in einer Weise berührt, welche die Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt rechtfertigen würde. Insbesondere fehle die rassistische Motivlage, die zum Anzünden des Oury Jalloh geführt habe.
Am 19. Mai 2017 übertrug der Generalstaatsanwalt von Sachsen – Anhalt der Staatsanwaltschaft Halle das von Bittmann eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Mordes an Oury Jalloh. Halle bekam die Akten am 7. Juni 2017 und sichtete angeblich in nur kürzester Zeit tausende Seiten Zeugenaussagen, Gutachten und Urteile, um bereits am 30. August 2017 die Einstellung aller Ermittlungen im Fall Oury Jalloh zu verfügen, da sie nicht genug Anhaltspunkte für die Beteiligung Dritter sehen könne. Öffentlich bekannt wurde die Einstellung allerdings erst am 12. Oktober 2017. Auch zu diesem Zeitpunkt hatten die Anwältinnen keine Akteneinsicht erhalten. Diese gab es erst Anfang November 2017, knapp drei Wochen später.
Faktisch betrachtet hat die Staatsanwaltschaft Dessau, die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg und die Staatsanwaltschaft Halle, die Anghörigen der Familie von Oury Jalloh über ein Jahr lang jede Information zum Brandversuch in Schmiedeberg, zur Aufgabe der Selbstentündungshypothese der Staatsanwaltschaft Dessau und auch die internen Wechsel der Zuständigkeiten vorenthalten, um am Ende die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass alles eingestellt wurde.
Erst danach wurden die Akten geschickt, erst dann konnten wir verstehen, was die Staatsanwaltschaften in Sachsen – Anhalt im Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt inszeniert haben, um den Fall entgültig zu den Akten zu legen.
Doch auch das ist ihnen nicht gelungen. Im Gegenteil, die skandalösen Vorgänge in den Behörden und die plötzliche Einstellung der Ermittlungen haben eine große Solidarisierung mit unserem Kampf für Aufklärung zur Folge. Jetzt haben wir einen, auch für Zweifler nachvollziehbaren Punkt erreicht, an welchem die Gründung und Arbeit einer staatlich unabhängigen Kommission keinen Aufschub mehr bedarf.
Am 27./28. Januar 2018 hat sich die Kommission in Berlin gegründet. In der Gründungserklärung heißt es: „Mit Sorge beobachten die Mitglieder der Kommission eine sich international häufende Anzahl von – teils tödlichen – Übergriffen auf People of Colour, Migrant*innen, sowie gesellschaftlich benachteiligte Personen durch Angehörige der Polizei. Der Fall Oury Jalloh scheint dafür symptomatisch zu sein, eine zivilgesellschaftliche Kontrolle polizeilichen Handelns ist dringend erforderlich.“

Aufklärung braucht Fakten, Protest und Kontinuität!

Oury Jalloh – Das war Mord!