Neues im ATIK-Verfahren

Mehmet Yesilcali ist frei / Der Prozess neigt sich dem Ende zu / Erklärung von Müslüm Elma

Arbeitskreis Solidarität

Das ATIK Verfahren, das seit nun mehr 1 ½ Jahren läuft, neigt sich nach ca. 90 Prozesstagen mehr und mehr dem Ende zu. Wir möchten hier einen kurzen Rückblick auf die letzten Ereignisse in diesem Verfahren werfen.

Mehmet Yesilcali

Das Verfahren war in letzter Zeit vor allem von Unterbrechungen und der Haftunfähigkeit von Mehmet Yesilcali geprägt. Durch seine kritische gesundheitliche Situation, die durch die erlittene schwere Folter in türkischer Haft hervorgerufen und durch die jetzige Haft verschärft wurde, mussten Prozesstage auf wenige Stunden abgekürzt werden. Erst am 1. Dezember hatte das OLG den Haftbefehl gegen Mehmet Yesilcali aufgehoben und damit der unerträglichen Situation für ihn zumindest ein wenig Besserung verschafft. Davor hatte der Senat noch versucht Kapital aus der schweren gesundheitlichen Situation von Mehmet Yesilcali zu schlagen und hatte ihm einen „Deal“ angeboten: Ihm wurde im Falle eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe von ca. 3 Jahren und damit indirekt eine Haftentlassung angeboten. Hierauf ist er nicht eingegangen.
Schließlich konnte auch durch div. Anträge der VerteidigerInnen und dem erhöhten Druck dann seine Freilassung und Aufhebung des Haftbefehls am 1. Dezember erreicht werden. An den Prozessen muss er dennoch teilnehmen und er darf München nicht verlassen.

Erklärung von Müslüm Elma

Am 15. Dezember, kurz vor der Winterpause, ergriff Müslüm Elma – der von der Anklage als „Rädelsführer“ behandelt wird – noch einmal das Wort und hielt eine Erklärung, die sich gegen eine Fahrzeugsinnenraum und Wohnrauminnenüberwachung richtete. Zuvor hatten seine Anwälte bereits Anträge eingereicht, die sich gegen die Verwertung der Überwachungsergebnisse richtete.
Wir möchten hier nicht all zu viele Worte vorneweg verlieren, sondern gleich Müslüm Elma zu Wort kommen lassen, der hier das wesentlichste sagt:
„Die Interessen der herrschenden Klassen sind niemals mit den Interessen der unterdrückten Völker zu vereinbaren. Aber die herrschenden Klassen bedienen sich bei jeder Gelegenheit der Lüge, dass die Gesetze dem Schutze der Interessen des gesamten Volkes dienen, dabei ist es vielmehr so – wie in dem obigen Beispiel auch von uns dargelegt –, dass die Gesetze auf den Schutz ihrer Interessen ausgerichtet sind. Was sie als Freiheit bezeichnen ist die Freiheit der grenzenlosen Ausbeutung und Plünderung. Jeder, der dagegen protestiert und für seine Arbeitskraft einen würdevollen Streit führt, ist ein “Terrorist” und jegliche unmenschliche Maßnahme hingegen, der man diese Menschen aussetzt, ist berechtigt und wird aus gesetzlicher und religiöser Sicht für zulässig gehalten.
Wir, Revolutionäre und Sozialisten haben diese Gesetze nicht anerkannt und erkennen sie nicht an. Diese Informationen, die durch das Anbringen von Observations- und Abhörgeräten in Fahrzeugen und Wohnräumen erlangt wurden, haben weder aus menschlicher noch aus ethischer Sicht eine Legitimationsgrundlage. Ja, wir wissen es. Die ethische Grenze des imperialistisch-kapitalistischen Systems ist auf den Schutz ihres existierenden Kapitals beschränkt. Deshalb erwarten wir in diesem System keine ethische Haltung. Unser einziges Anliegen und Bestreben liegt darin, diesen Schacht der Immoralität zu beleuchten und zu gewährleisten, dass die Augen, die es nicht sehen, es sehen.“

Der Prozess neigt sich dem Ende zu

Seit nunmehr 31 Monaten sind die 10 Angeklagten, Erhan Aktürk, Sinan Aydin, Haydar B., Dilay Banu Büyükavci, Musa Demir, Müslüm Elma, Deniz Pektas, Sami Solmaz, Seyit Ali Ugur inhaftiert. Mehmet Yesilcali befindet sich, wie oben erwähnt, seit dem 1. Dezember auf freiem Fuß.
Laut Einschätzungen der Anwälte und BesucherInnen der Prozesse wird im Frühjahr oder in der ersten Hälfte 2018 der Prozess zu Ende gehen. Was dann kommt ist mehr als nur wahrscheinlich: Die Angeklagten sollen verurteilt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden.
Umso notwendiger ist es dieser Repression unsere Solidarität entgegenzusetzen und den legitimen Kampf für eine befreite Gesellschaft zu verteidigen. Einerseits muss es uns darum gehen praktische Solidarität aufzubauen, andererseits gilt es auch öffentlichen Druck aufzubauen, um die Gefangenen zu unterstützen und eine Verurteilung zu erschweren.

Solidarisieren wir uns mit den Gefangenen und verteidigen wir gemeinsam das wofür sie angeklagt werden!

Erklärung von Müslüm Elma:
https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/15-12-2017-erklaerung-muesluem-elma/


Hintergrund des Verfahrens

Am 17. Juni 2016 beginnt vor dem Oberlandesgericht München der größte Staatsschutzprozess in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre. Angeklagt sind zehn türkische KommunistInnen, denen vorgeworfen wird, das sogenannte Auslandskomitee der TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) gebildet zu haben.
Die TKP/ML ist nur in der Türkei eine verbotene Organisation. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten ist sie mit einem Verbot belegt und befindet sich auf keiner der nationalen und internationalen Terrorlisten. Die TKP/ML soll laut Verfassungsschutzberichten seit Jahrzehnten in Deutschland aktiv sein. Seit 2006 ermittelt das BKA gegen die Organisation. Doch erst im April 2015 werden mit den Verhaftungen der Angeklagten erstmals Personen wegen der angeblichen Unterstützung der TKP/ML strafrechtlich verfolgt.

129b Verfahren

Seit 2008 sind 15 angebliche Mitglieder der DHKP-C – der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front – aus der Türkei mit Hilfe der §§129 mit Haftstrafen bis zu 6 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Aktuell sind 14 kurdische Aktivisten mit Hilfe des selben Vorwurfs inhaftiert und zum Großteil bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Seit Juni 2016 findet vor dem OLG in München der bislang größte §129b Prozess statt, bei dem 10 Angeklagten vorgeworfen wird Mitglieder der TKP/ML, der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxistisch-Leninistisch, zu sein – und das obwohl die TKP/ML in Deutschland nicht verboten ist.
Diese Angriffe müssen auch vor dem Hintergrund der deutsch-türkischen Beziehungen betrachtet werden und haben angesichts der aktuellen Situation in der Türkei eine gewisse Brisanz:
Denn während in der Türkei ein Krieg gegen die kurdische Bevölkerung geführt wird, alle zivilgesellschaftlichen Strukturen zerstört werden, gegen Arbeiter und Gewerkschaften mit Streikverboten vorgegangen wird, 150.000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen werden, jeder oppositionelle Widerstand mit Waffengewalt erstickt wird, die Medien gleichgeschaltet werden, die Türkei in Nachbarländer einfällt und die Wiedereinführung der Todesstrafe anstrebt – werden in der BRD AktivistInnen vor Gericht gestellt und ihnen wird vorgeworfen, dass sie gegen dieses Regime und für eine befreite Gesellschaft gekämpft haben.