Wir drucken zwei Statements zu G20-Gefangenen ab. Zum einen die Prozesserklärung von Fabio, die wir gut finden und hiermit verbreiten möchten. Zum anderen ein Statement von „Ein(em) wegen der Revolte von Hamburg Verurteilter“, der eine Einlassung gemacht hat, um rauszukommen. Für nicht einheimische Gefangene ist es erschwerend, in einem Knast eingesperrt zu sein, wo die Kommunikation gegenüber Knast und Gericht nur auf Deutsch möglich ist.
Wir kennen dieses Problem auch von türkischen und kurdischen Gefangenen, die wegen §129b (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) hier inhaftiert sind. Sie sind anfangs 24 Stunden isoliert (so wie früher die Gefangenen aus der RAF) und diese migrantischen Gefangenen werden bis zu 6.5 Jahren Knast verurteilt.
Die genannte Einlassung jetzt wirkt wie eine Distanzierung. Es wäre politisch wichtig gewesen, keine Einlassung zu machen. So wird sich von revolutionären und kämpfenden Linken hier vor Gericht nicht verhalten! Wir meinen, dass mensch vor einem deutschen Gericht so was wie ein Schuldeingeständnis nicht macht! Was soll so was vor der Klassenjustiz?
Zitat aus der Hungerstreikerklärung der Gefangenen aus der RAF von 1981:
„Der Kampf hört auch im Gefängnis nicht auf, die Ziele verändern sich nicht, nur die Mittel und das Terrain, auf dem die Auseinandersetzung (…) weiter ausgetragen werden,“
Redaktion
Erklärung von Fabio V. anlässlich der Sitzung am 07. November 2017 im Amtsgericht Hamburg-Altona
Fabio V., 8. November 2017
Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer,
Sie müssen heute über einen Mann urteilen. Sie haben ihn als „aggressiven Kriminellen“ und als „respektlos gegenüber der Menschenwürde“ bezeichnet. Mich persönlich kümmert es nicht, mit welchen Attributen Sie mich benennen. Ich bin nur ein Junge mit einem starken Willen.
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Herrschaften Politiker, Polizeikommissare und Staatsanwälte wahrscheinlich glauben, dass sie den Dissens auf den Straßen aufhalten können, indem sie ein paar Jugendliche festnehmen und einsperren. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass das Gefängnis ausreicht, um die rebellischen Stimmen aufzuhalten, die sich überall erheben. Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass die Repression unseren Durst nach Freiheit aufhalten wird. Unseren Willen, eine bessere Welt zu erschaffen.
Nun gut, diese Herrschaften täuschen sich. Sie liegen falsch, das beweist auch die Geschichte.
Denn wie ich mussten bereits unzählige junge Menschen Gerichtsverfahren wie dieses hier durchleben.
Heute ist es Hamburg, gestern war es Genua und davor wiederum war es Seattle.
Sie versuchen, die Stimmen der Rebellion, die sich überall erheben, mit allen „legalen“
Mitteln und „prozessrechtlichen Maßnahmen“ einzugrenzen.
Wie dem auch sei, wie auch immer die Entscheidung des Gerichtes lauten wird, sie wird nichts an unserem Protest ändern. Denn noch viele junge Männer und Frauen, die von den gleichen Idealen angetrieben werden, werden auch weiterhin überall in Europa auf die Straßen gehen, ohne sich dabei um die Gefängnisse zu kümmern, die Sie mühevoll versuchen, mit politischen Gefangenen zu füllen.
Aber kommen wir nun zum Punkt, Frau Richterin, Frau Staatsanwältin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Herr Jugendgerichtshelfer.
Kommen wir zum Punkt.
Wie Sie sich vorstellen können, werde ich heute in Bezug auf die Sache, wegen der ich angeklagt bin, von meinem Recht zu schweigen Gebrauch machen. Aber ich möchte etwas über die Beweggründe sagen, weswegen ein junger Arbeiter aus einer abgelegenen Stadt in den östlichen Voralpen nach Hamburg gekommen ist. Er tat dies, um sein Missfallen am G20-Gipfel zum Ausdruck zu bringen.
G20. Allein der Name an sich hat etwas Perverses.
20 Menschen, Männer und Frauen, welche die reichsten Industrieländer der Welt vertreten, versammeln sich um einen Tisch. Sie sitzen alle zusammen, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Ja, ich habe es richtig gesagt: „unsere“ Zukunft. Meine Zukunft, die Zukunft aller Menschen, die heute hier in diesem Saal sitzen, sowie die Zukunft weiterer 7 Milliarden Menschen, die auf unserer schönen Erde wohnen.
20 Menschen entscheiden über unser Leben und unseren Tod.
Selbstverständlich ist die Bevölkerung zu diesem netten Bankett nicht eingeladen. Wir sind nichts anderes als die dumme Schafsherde der Mächtigsten der Welt. Hörige Zuschauer dieses Theaters, in dem eine Handvoll Menschen die ganze Menschheit in der Hand hat.
Frau Richterin, ich habe lange darüber nachgedacht, bevor ich nach Hamburg gekommen bin.
Ich habe an Herrn Trump gedacht und an seine Vereinigten Staaten von Amerika, die sich unter der Flagge der Demokratie und der Freiheit für die Polizisten der ganzen Welt halten. Ich habe an die vielen Konflikte gedacht, die der amerikanische Riese in jeder Ecke des Planeten anstiftet. Von Nahost bis nach Afrika. Alles mit dem Ziel, die Kontrolle über die eine oder andere Energiequelle zu erlangen. Nicht so wichtig, dass dann immer die gleichen sterben: Zivilisten, Frauen und Kinder.
Ich habe auch an Herrn Putin gedacht, den neuen Zaren Russlands, der in seinem Land systematisch die Menschenrechte verletzt und sich über jegliche Art von Opposition lustig macht.
Ich habe an die Saudis und an ihre auf Terror gründenden Regierungen gedacht, mit denen wir westliche Länder riesige Geschäfte machen.
Ich habe an Erdoğan gedacht, der seine Gegner foltert, tötet und einsperrt.
Ich habe auch an mein eigenes Land gedacht, in dem jede Regierung mit Gesetzesdekreten pausenlos die Rechte von Studenten und Arbeitnehmern beschneidet.
Kurzum, das sind sie, die Hauptdarsteller des prächtigen Banketts, das im letzten Juli in Hamburg stattgefunden hat. Die größten Kriegstreiber und Mörder, die unsere heutige Welt kennt.
Bevor ich nach Hamburg kam, habe ich auch an die Ungerechtigkeit gedacht, die unseren Planet zerstört. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass 1% der reichsten Bevölkerung der Welt genau so viel Reichtum besitzt wie 99% der ärmsten Bevölkerung zusammen. Es scheint mir schon fast banal zu wiederholen, dass die 85 reichsten Menschen auf der Welt genau so viel Reichtum besitzen wie 50% der ärmsten Bevölkerung der Welt zusammen. 85 Menschen gegenüber 3,5 Milliarden. Nur ein paar Zahlen, die ausreichen, um eine Vorstellung zu bekommen.
Und dann, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, bevor ich nach Hamburg kam, habe ich an meine Stadt gedacht: an Feltre. Das ist der Ort, an dem ich geboren wurde, an dem ich aufgewachsen bin, an dem ich leben möchte. Es ist ein kleines mittelalterliches Städtchen, das wie ein Juwel in die östlichen Voralpen eingelassen liegt. Ich habe an die Berge gedacht, die sich bei Sonnenuntergang rosa färben. An die wunderschönen Landschaften, die ich das Glück habe aus dem Fenster meines Zuhauses sehen zu können. An die umwerfende Schönheit dieses Ortes.
Und dann habe ich an die Flüsse in meinem schönen Tal gedacht, die von den vielen Unternehmern geschändet werden, die Genehmigungen haben wollen, um dort Elektro-Wasserwerke zu bauen, unbeachtet der Schäden, die sie der Umwelt und der Bevölkerung zufügen. Ich habe an die Berge gedacht, die vom Massentourismus befallen werden und zu einem grausigen Militärübungsplatz geworden sind.
Ich habe an den wunderschönen Ort gedacht, an dem ich lebe und der an skrupellose Geschäftemacher verscherbelt wird. Genauso wie viele andere Täler in jeder Ecke des
Planeten, in denen die Schönheit im Namen des Fortschritts zerstört wird.
Angetrieben von all diesen Gedanken hatte ich mich also entschieden, nach Hamburg zu kommen und zu demonstrieren. Hierher zu kommen, war für mich mehr eine Pflicht als ein Recht.
Ich habe es für richtig gehalten, mich gegen diese gewissenlose Politik zu erheben, die unsere Welt in den Abgrund treibt.
Ich habe es für richtig gehalten zu kämpfen, damit zumindest etwas auf dieser Welt ein
bisschen menschlicher, würdevoller, gerechter wird.
Ich habe es für richtig gehalten auf die Straße zu gehen, um daran zu erinnern, dass die Bevölkerung eben keine Schafsherde ist und dass sie in Entscheidungsprozesse involviert werden muss.
Die Entscheidung, nach Hamburg zu kommen, war eine parteiische Entscheidung. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite von denen zu stellen, die um ihre Rechte kämpfen. Und gegen die, die sie ihnen wegnehmen wollen. Es war die Entscheidung, mich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Und gegen die Unterdrücker. Es war die Entscheidung, gegen die kleineren und größeren Mächtigen zu kämpfen, die unsere Welt behandeln, als wäre sie ihr Spielzeug. Und denen es dabei egal ist, dass immer die Bevölkerung ihren Kopf dafür hinhalten muss.
Ich habe meine Entscheidung getroffen und habe keine Angst davor, wenn es einen Preis geben wird, den ich ungerechterweise dafür zahlen muss.
Nichtsdestotrotz gibt es noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte, ob Sie mir es glauben oder nicht: Gewalt mag ich nicht. Aber ich habe Ideale und ich habe mich entschieden, für sie zu kämpfen.
Ich bin noch nicht fertig.
In einer historischen Zeit, in der überall auf der Welt neue Grenzen entstehen, neue Zäune mit Stacheldraht aufgebaut und von den Alpen bis zum Mittelmeer neue Mauern errichtet werden, finde ich es wundervoll, dass Tausende junger Menschen aus jedem Teil Europas bereit sind, gemeinsam in einer einzigen Stadt für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen. Über jede Grenze hinaus. Mit dem einzigen Ziel, die Welt etwas besser zu machen als wir sie vorgefunden haben.
Denn, Frau Richterin, Frau Schöffin, Herr Schöffe, Frau Staatsanwältin, Herr Jugendgerichtshelfer, wir sind nicht die Schafsherde von zwanzig mächtigen Herrschaften. Wir sind Frauen und Männer, die das Recht haben wollen, über ihr eigenes Leben selbst zu entscheiden.
Dafür kämpfen wir. Und dafür werden wir weiterkämpfen.
—
„Ein wegen der Revolte von Hamburg Verurteilter“
„Hier bin ich!
Bei mir alles gut. Ich bin seit ein paar Tagen wieder in Genua und habe mich gleich erkältet. Ansonsten geht‘s mir gut. Ich möchte mich noch einmal bei euch bedanken für die Unterstützung und die Möglichkeit des Austauschs, der mir sehr geholfen hat. Der Briefwechsel mit den Genossen, die mir nahe stehen, war für mich sehr wichtig, vor allem in den schwierigen Momenten, als die interne Diskussion zwischen uns „G20ern“ sich etwas auf die Prozessparanoia verengt hat.
Ich möchte die Art und Weise erklären, wie mein Prozess und meine diesbezüglichen Entscheidungen gelaufen sind. Nicht, weil ich mich für etwas rechtfertigen oder jede meiner Entscheidungen erklären will, sondern weil es Menschen gibt, die sehr solidarisch mit mir waren (wie ihr), mit denen ich im Laufe meiner Knastzeit oft meine Gedanken geteilt habe und ich es auch weiterhin tun will.
Ich hatte eine Erklärung zum Vorlesen geschrieben, hatte aber schon beschlossen, wenn es der einzige Weg wäre, eine Bewährung zu bekommen, ich zugeben würde, wessen ich beschuldigt war. So ist es dann auch gelaufen. In meinem Fall hatten sie Fotos, Videos, zusammen mit den Aussagen des eingeschleusten Polizisten und die Kleidung aus dem Gebüsch. Es gab keine Möglichkeit, als „nicht schuldig“ zu gelten.
Außerdem wäre es die Strategie des Anwalts (der sich – das ist mir wichtig – mir gegenüber immer korrekt verhalten hat) gewesen, mildernde Umstände im gewalttätigen Verhalten der Polizei und dem vermutlichen Verstoß des vor dem G20 verabschiedeten Gesetzes gegen die Verfassung zu suchen. Diese Positionen haben nichts mit mir zu tun und der Prozess hätte mehrere Sitzungen mit Argumentationen verbracht, an denen ich keinerlei Interesse habe. So habe ich nichts gesagt und bestätigt, einen Stein und eine Flasche in Richtung Polizei geworfen zu haben. Das hat die Befragung er Polizisten verhindert und hat es mir erlaubt, Bewährung zu bekommen. Der Richter hat sich eher der Forderung des Staatsanwalts angenähert (1 Jahr und 10 Monate), als er sagte, ich hätte nicht bereut oder mich entschuldigt. Das hätte ich auf keinen Fall getan, auch wenn ich dafür als Gegenleistung Bewährung bekommen hätte.
Die Tatsache, als nicht vorbestraft zu gelten, ist zeitlich eher zufällig, da ich in Italien 7-8 Verurteilungen in der ersten Instanz habe, die aber noch nicht endgültig sind. Darauf habe ich auch kalkuliert, und was mir am meisten Probleme gemacht hat, war die Tatsache, dass ich darauf verzichtet habe, den Prozess zu benutzen, um weiter zu „kämpfen“ (auch wenn ich schon einen Brief veröffentlicht hatte, der zu den Akten genommen wurde).
Ich gebe zu, so wie ich bin, ist es mir schon etwas unangenehm, ein – sagen wir – passives Verhalten zu zeigen … aber das wusste ich schon und ich habe eine rationale Entscheidung getroffen. Sie haben mich geschnappt und sie hatten Beweise. Ich habe den Mechanismus des Prozesses benutzt, so wie ich es in Italien mit dem verkürztes Verfahren gemacht hätte, um nicht in Deutschland im Gefängnis bleiben zu müssen, während die Verurteilungen in Italien endgültig werden. Also, es tut mir nur leid wegen meiner Moral, dass ich nichts davon vor Gericht gesagt habe, aber es ist ein Kompromiss, den ich mir gegenüber gemacht habe.
Es freut mich, dass ihr den Text auf der Internetseite veröffentlicht habt.
Für heute verabschiede ich mich.
Noch einmal vielen Dank und eine dicke Umarmung