Brief eines G20-Gefangenen aus dem Gefängnis Billwerder, Hamburg , Sommer 2017

Hier bin ich, hier bleib ich.

Quelle: Indymedia Nantes

Es sind fast anderthalb Monate vergangen, seitdem ich während des zwölften G20 Treffens in Hamburg festgenommen wurde. In einer Stadt, die von den Sicherheitskräften belagert und als Geisel genommen wurde, die aber auch zu dieser Gelegenheit einen bedeutenden Protest vor Ort hervorgebracht hat.
Zehntausende, wenn nicht mehr, aus ganz Europa und sogar darüber hinaus, sind gekommen, haben sich in einer großen Welle der Solidarität getroffen, aneinander angenähert, organisiert, debattiert und für mehrere Tage zusammen demonstriert. Sie waren sich zu jeder Zeit der Möglichkeit bewusst, Gewalt und Repression der Polizei ausgesetzt zu sein. Von Algeco wurde zu diesem Anlass sogar ein riesiges Polizeigericht (*aus Containern, samt Gefangenensammelstelle) errichtet, um jeden Protest gegen diesen Gipfel so schnell, wie möglich bestrafen zu können.
Meine Verhaftung basiert, so wie die von vielen anderen Gefährt*innen ebenfalls, alleine auf das unantastbare Wort der Polizei. Von einer Einheit, die die Aufgabe hat, zu infiltrieren, observieren und ihrer „Beute“ zu folgen (über 45 Minuten in meinem Fall, aufgrund eines vermuteten Wurfgeschosses). Wenn sie einen erst einmal isoliert haben, gibt es die Möglichkeit zur Verhaftung, indem sie Kolleg*innen schicken, die schnell und gewalttätig eingreifen und keine Möglichkeit zum Entkommen lassen.
So, hier bin ich, eingeschlossen an diesem für das reibungslose Funktionieren einer globalen Gesellschaftsordnung wichtigen Ort. Diese Orte dienen als Werkzeug für die Kontrolle und Steuerung von Armut und sind notwendig für die Aufrechterhaltung ihres „Sozialen Friedens“. Die Gefängnisse entfalten die Wirkung eines Damokles-Schwertes, das über jedem Einzelnen hängt, so dass alle davor “in Erstarrung” Abstand halten, von den Codes und dem Diktat einer etablierten Ordnung „zu arbeiten, konsumieren, schlafen“ abzuweichen, denen kein beherrschtes Individuum entkommen kann. Dadurch entfremden sie sich selbst bei der Arbeit und vom mit ihr einhergehenden Leben. „Pünktlich zu sein, ohne jemals aufzumucken“ und das nicht nur während der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, wo von uns gefordert wurde, „in Bewegung“, “en march“ zu sein. (Die Parole von Macrons und der Name der Partei an der Macht) oder zu krepieren, aber vorzugsweise lautlos und langsam.
Da die Gesetzgebung weder allgemeinem Interesse dient, noch bestimmt ist neutral zu sein, ist sie stattdessen der Ausdruck einer von den Mächtigen zunehmend eingesetzten Herrschaft. Sie wird eingesetzt, um ihr Eigentum und ihre Sicherheit zu gewährleisten und dadurch alle, die die Dinge anders sehen oder die sich dem nicht unterwerfen wollen, zu lähmen, sanktionieren und marginalisieren.
Jenseits der Fälle von bekannten und unterstützten Aktivist*innen, die eingesperrt sind, gibt es auch und vor allem, diejenigen Männer und Frauen, die der Brutalität und Unmenschlichkeit der Gefangenschaft vollkommen ausgesetzt sind. Hier beträgt der Stundenlohn für die Arbeit einen Euro, wovon die Hälfte erst bei Entlassung ausgezahlt wird. In meinem Flügel werden Gefangene in Untersuchungshaft oder zu kurzen Strafen (zwischen sechs Monaten bis zu vier Jahren) Verurteilte, hauptsächlich nur aufgrund ihrer sozialen Bedingungen und Herkunft festgehalten. Außer der Bediensteten, sind wenige aus dem “Aufnahmeland”. Alle anderen sind Ausländer, Flüchtlinge und / oder prekär, arm, durch das Leben geschwächt. Ihr Verbrechen: Sie haben sich mehrheitlich nicht den Spielregeln unterworfen, indem sie sich alleine oder in der Gruppe organisiert, am Drogenhandel beteiligt, Diebstähle oder Betrügereien begangen haben.
Haft ist eine primäre Säule dieses Systems. Sie kann aber nicht kritisiert werden, ohne die Gesellschaft, die sie produziert, anzugreifen. Das Gefängnis funktioniert nicht in Autarkie, es ist das perfekte Kettenglied zu einer auf verschiedenen Formen von Ausbeutung, Herrschaft und Trennung basierenden Gesellschaft.
Arbeit und Gefängnisse sind zwei primäre Eckpfeiler für soziale Kontrolle. Die Arbeit ist die bessere Polizei und die Wiedereingliederung eine ständige Erpressung.
Meine Gedanken sind bei den italienischen Gefährt*innen, die einer weiteren Repressionswelle ausgesetzt sind. Insbesondere, die beschuldigt werden, vor einer Buchhandlung von Casapound einen „Sprengsatz“ hinterlassen zu haben. Der extremen Rechte ist mit organisiertem, öffentlichen und offensiven Gegenangriff zu begegnen. Sie ist den Staaten nützlich und komplementär und nährt sich von ihren Bestrebungen und ihrem Wahn nach Sicherheit sowei einwe fortwährend geschürten Stigmatisierung von Ausländer*innen. .
Die Gedanken sind auch bei den Gefährt*innen, die für das Anzünden des Polizeiautos am 18. Mai letzten Jahres in Paris, während der Bewegung (*gegen das Arbeitsgesetz)“Loi Travail” im September vor Gericht stehen. Viele Leute waren im Gefängnis und zwei sind immer noch eingesperrt. Ihnen viel Kraft.
Dank den lokalen Aktivist*innen, die Kundgebungen vor unserem Gefängnis organisieren. Eine Initiative, die hier sehr wertgeschätzt wird, weil sie die Routine und den Zustand der Lethargie durchbricht, der uns aufgezwungen wird.
Dank an alle, die uns hier und überall unterstützen.

An Bro’, 161, MFC, OVBT, Jeunes Sauvages, denen von BLF und andere Freund*innen, Gefährt*innen, Kraft !

Befreien wir die G20 Gefangenen und alle anderen. Wir sind nicht allein.

Ein Eingesperrter unter anderen.