Die Sicherungsverwahrung auf dem österreichischen Prüfstand

Thomas Meyer-Falk

Vergangenes Jahr erschien in dem österreichischen Verlag Mandelbaum ein rund 360 Seiten starkes Werk, welches sich mit der Verwahrung von hunderten von Menschen in der Alpenrepublik in praktischer, wie in theoretischer Hinsicht fundiert auseinandersetzt. Dem Herausgeber der Aufsatzsammlung, Markus Drescher, ehemals selbst von der Verwahrung betroffen, ist es gelungen namhafte ExpertInnen und Betroffene in dem Band zu Wort kommen zu lassen.
Kürzlich hatte ich das im selben Verlag erschienene Buch „Das Volk will es so“ besprochen; wo dort vieles nur angedeutet wurde, auch bedingt durch eine andere Konzeption und geringeren Seitenumfang, wird es im Buch „Maßnahmevollzug“ ausführlich aufbereitet sowie gut verständlich der LeserInnenschaft dargeboten, auch jener die nicht mit der Materie vertraut ist.
In sechs Kapiteln wird der österreichische Maßnahmevollzug, wie dort in Deutschland unter dem Begriff Sicherungsverwahrung bekannte, lebenslange Wegsperrpolitik bezeichne, analysiert.
Nun gleichen sich die Lebenslagen von Verwahrten in Österreich wie jenen in Deutschland in vielem (auch wenn die Haftbedingungen in Österreichs Gefängnissen, also die Größe und Ausstattung der Hafträume, aber auch das sozialarbeiterische, bzw. therapeutische Angebot aktuell immer noch wesentlich ungünstiger zu nennen sind, als die Lage in der BRD). Das Buch ist deshalb für hiesige Diskussion von ebenso hohem Interesse, wie für die Situation in der Schweiz, denn auch hier wie dort ist Dreh- und Angelpunkt der Verwahrung die sogenannte „Gefährlichkeitsprognose“ . Also die These (aus Sicht der Justizverwaltungen und Gerichte), wonach die Insassen/innen „hochgefährlich“ seien, weil sie über Störungen der Persönlichkeit in einem Maße verfügten, die die neuerliche (schwere) Straffälligkeit zumindest begünstigen, wenn nicht sogar wesentlich bestimmen würden.
Der von Drechsler herausgegebene Band beginnt mit einem „Allgemeinen Teil“, in welchem über die rechtlichen Hintergründe, sowie Reformbedarfe informiert wird und in welchem ferner auch rechtsphilosophische Fragestellungen erörtert werden. Hier versammeln sich als AutorInnen Professoren wie Herr Nowak und Schwaighofer, eine Journalistin, Frau Panzenböck, aber auch der Herausgeber selbst. Besonders zugespitzt äußert sich ein Kriminalsoziologe, Privatdozent Dr Kreissl. der das Einsperren von Menschen ohne Entlassungsdatum als „schwerste psychische Folter“ (Seite 90) und die Verwahranstalten als „Endlagerstätten“ bezeichnet. Der ehemalige Gefängnisdirektor Minkendorfer, bezeichnet die noch gesondert zu besprechenden Gefährlichkeitsprognosen über Gefängnisinsassen mit der Qualität „astrologischer Prognosen“.
Auf diese einleitenden Beträge folgt das Kapitel „Gutachten“, in welchem die im Grunde nicht lösbare Problematik der Prognostizierbarkeit menschlichen Verhaltens ausführlich dargestellt wird. Ein in Deutschland in einschlägigen Kreisen recht bekannter, andere meinen auch „berüchtigter“ Professor Nedopil (München) kommt zu der interessanten Erkenntnis, dass „etwa 60 bis 70%“ (Seite 188) der Gefährlichkeitsgutsachten, mit welchen den InsassInnen attestiert wird, sie seien hoch gefährlich, falsch seien. Hieraus zieht er jedoch keine Schlüsse für seine Arbeit, sondern kommentiert das Ergebnis lapidar mit den Worten, dies sei „gesellschaftlich so gewollt“. Der ehemalige Richter und heute als Rechtsanwalt tätige Schweizer Dr. Peter Zihlmann kritisiert gewohnt pointiert und kenntnisreich das Gutachterunwesen, spricht von „Expertokratie“ (Seite 169) und einem „pseudowissenschaftlichen Brimborium“ (Seite 170).
Besonders düster ist das darauf folgende Kapitel „Zwangsbehandlung“ , in welchem die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten im Rahmen des Haftvollzugs thematisiert wird. Rechtsanwältin Dr. Prutsch schildert ausführlich und eindringlich den Fall ihres Mandanten Freidrich Goll, dem 2010 zwangsweise eine Depotspritze mit Psychopharmaka verabreicht werden sollte, sich dagegen wehrte und dem Rippen, sowie die Wirbelsäule gebrochen wurden, so dass er den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt war. Erst 2013 fand man es für nötig, ihn aus der Haft zu entlassen, wo er kurze Zeit später starb. Von den vor Gericht erkämpften 160.000 Euro Schmerzensgeld hatte er nichts mehr.
Die drei abschließenden Kapitel handeln von der „Entlassung“ aus rechtlicher Sicht, sowie den damit verbundenen enormen Beschwernissen, den „Persönlichen Geschichten“ von betroffenen Verwahrten oder Ex-Verwahrten. Dort kommt auch die Mutter eines Insassen zu Wort, die beschreibt, wie verzweifelt vielfach die Angehörigen der InsassInnen sind und mit ihren eingesperrten Familienmitgliedern mitleiden, um schließlich mit der „Sicht von Aussen“ das Buch abzurunden. Dort beschreiben Menschen, welche Untergebrachte unterstützen, wie sie die Situation erleben.
Nun ist die Situation in Österreich in einem Punkt von der in Deutschland wesentlich zu unterscheiden: dort gelangen selbst Minderjährige in die potentiell lebenslang dauernde Verwahrung, also in die „Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher“ (die nicht zu verwechseln sind mit den Psychatrien!). So beschreibt Dr. Stephanie Krisper den Fall eines 16-jährigen, aus Afrika adoptierten Mädchens, welches wegen „gefährlicher Drohung“ zu einer mehrmonatigen Haft, mit Unterbringung in der Verwahrung verurteilt wurde (Seite 150 ff).
Es finden sich in dem Buch auch Stimmen, die die Existenz eines Instituts wie das der (Sicherungs-)Verwahrung für notwendig erachten, jedoch zeigen die Aufsätze in ihrer gesamten Bandbreite letzlich auf, wie sinnlos das Wegsperren letztlich ist und bleibt. Freilich reden die meisten AutorInnen gegen den Zeitgeist an, der Zeitgeist fordert ein „Wegsperren – für immer“ (wie es vor einigen Jahren der damalige deutsche Bundeskanzler Schröder, heute im Dienste Russlands tätig, formulierte).
Um so erfreulicher ist es, wenn sich ein Verlag eines solchen Buchprojekts annimmt, damit die innenpolitische Diskussion in Österreich befruchten dürfte und auch über Grenzen hinaus gelesen werden sollte, weil es viele sachliche, wie auch emotionale Gründe gebündelt und gut übersichtlich darstellt, die für die Abschaffung der Verwahrung, aber auch von Gefängnissen ansich, sprechen. Einer etwaigen Neuauflage wäre allenfalls noch ein Stichwortverzeichnis zu wünschen, denn das Buch ist durchaus auch als Nachschlagewerk geeignet und eine Erschließung des Inhalts würde so verbessert.

Markus Drechsler (Hrsg.)
Massnahmevollzug- Menschenrechte, Weggesperrt und Zwangsbehandelt
Mandelbaum Verlag (Österreich), 120
ISBN: 978-3-85476-527-1
24.90 Euro