(R)evolution!?

Seit März gibt es in Frankreich Widerstand gegen die geplanten Arbeitsrechtsreformen, welche an die in Deutschland eingeführte Agenda 2010 angelegt sind und unter der „Sozialistischen Partei“ PS nun auch in Frankreich die Rechte von Arbeiter*innen deutlich einschränken sollen. Kündigungen, Arbeitszeiterhöhung und Überstunden sollen der hohen Arbeitslosigkeit, vor allem bei den Jugendlichen, entgegenwirken. Es ist ein Gesetz, welches nach bester wirtschaftsliberaler Logik, die Rechte der Konzerne und Betriebe stärkt und nicht den Interessen der Arbeiter*innen entspricht. Unter dem Vorwand, die kränkelnde Wirtschaft zu beflügeln, werden drastische Einschnitte vorgenommen. In Deutschland hat die Agenda 2010 unter anderem die soziale Spaltung innerhalb der Bevölkerung stark vorangetrieben.

Zurück zu Frankreich und zurück zum Widerstand; während die CGT¹, die zweitgrößte Gewerkschaft Frankreichs, zum Streik aufruft und seit Wochen versucht, Druck auf die Politik auszuüben, gibt es noch die Bewegung Nuit Debout.²

Zwar ist diese mittlerweile fast eingeschlafen, doch ist die von Occupy, Gezi und Tahrir inspirierte, außerparlamentarische Bewegung dennoch interessant. Menschen trafen sich jeden Abend an Plätzen in verschiedenen Städten und organisierten sich in Komitees und Gremien zu bestimmten Themen. Fast alle Themen waren vor Ort zu besprechen. Eine Atmosphäre hierarchiefreier Grundsatzdiskussionen wurde geschaffen. Univorlesungen wurden bspw. auf den Place de la République verlegt. Teilnehmer*innen berichteten von einem herzlichen und solidarischen Austausch und spürten einen Hauch davon, wie eine demokratische Gesellschaft aussehen könnte.

Revolutionär? Ideen wurden entwickelt, diskutiert und niedergeschrieben. Es gab den Eindruck, dass dies die Vorstufe zur Gründung einer Partei sein könnte.

Dieselbe Frage wie bei Occupy und den anderen Bewegungen kommt auf. Kann eine System, welches verantwortlich für solch neoliberale Ausuferungen ist, auf diese Art und Weise bekämpft werden. Es ist die alte, stets neue Frage. Ist eine friedliche Revolution möglich? Ist die Evolution erstrebenswert? Für radikale Kapitalismuskritiker*innen und militante Linke ist die Antwort ganz klar. Sie starten ihre „Streifzüge“ und Aktionen von den Demos und von den Kundgebungen aus. Ihre Parolen sind klar antikapitalistisch und revolutionär. Der Austausch zwischen diesen beiden Formen des Widerstands nötig, aber schwierig. Der linksliberale Flügel kann sich mit der Militanz der Guerilla-Demos nicht identifizieren. Gleichzeitig versuchen die Medien und die Politik, die Nuit Debout-Bewegung zu „dämonisieren“, indem sie mit den Militanten gleichgesetzt wird. Dass die systemkritischen Gruppen ein Dorn im Auge der Politik sind, wurde von Anfang an klar. Bestimmten Gruppen und Menschen wurde die Teilnahme an Demonstrationen von vornherein verboten. Ihre Haltungen gegenüber der Politik und ihren Kollaborateuren ist nicht so leicht zu zähmen oder zu vereinnahmen wie z.B. die Nuit Debout-Proteste oder die Gewerkschaft. Das ist auch eines der Hauptprobleme bei der Zusammenführung der Interessen. Weder die Nuit Debout-Bewegung noch die CGT wollen eine soziale Revolution, so ist es auch nicht überraschend, dass die Demo-Ordner*innen der CGT mit der Polizei zusammenarbeiten. Immerhin hat die CGT 2012 für die PS gestimmt. Aus Mangel an Alternativen – wie sie selbst sagt. Stimmen werden laut, die der CGT auch eine Zusammenarbeit mit der Politik zuschreiben, um die Aufstände so langsam zu beenden. Die Forderungen von der anderen Seite lauten, dass die CGT die Streiks und Arbeitskämpfe nun an die Arbeiter*innen abgeben sollte. Ein Generalstreik ist gewünscht, nicht ein generalisierter Streik.Frankreich_2

Verschiedene Kämpfe, welche alle einen Ursprung haben. Werden die Probleme nicht am Ursprung gepackt und verändert, was bleibt dann noch? Alle paar Jahre Streiks, Demonstrationen und Aufstände?

Eine kompromisslose Kritik an den herrschenden Zuständen ist notwendig. Die Idee einer neuen demokratischeren Gesellschaftsform wie sie auf den Plätzen entwickelt wird, ist ebenso notwendig wie der militante Widerstand. Die Ideen sollten uneinnehmbar von der Politik sein und diese Uneinnehmbarkeit sollte verteidigt werden.


¹ Confédération générale du travail (Allgemeiner Gewerkschaftsbund)
² Soziale Bewegung in Frankreich, die im Anschluss an den Protest vom 31. März
entstand