Aus einem Brief von Muzaffer Doğan

Passagen aus diesem Brief wurden am 17. Juni 2017 beim „Fest der Völker“ in Fulda vorgetragen.

Muzaffer Doğan, 12. Juni 2017

Lieber …, neulich las ich, dass die Zahl der Drogentoten in diesem Jahr gestiegen ist. Was unternehmen die europäischen Staaten dagegen? Die kleinen Drogendealer und die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammenden User werden eingesperrt. Diese Menschen kommen in eine Therapie und werden oft rückfällig . So lange die Ursachen der Drogensucht nicht bekämpft werden, nämlich das unmenschliche Leben im Kapitalismus, wird es für die Abhängigen keine humane Lösung geben.
In der Zeitung habe ich gelesen, dass das Festival gegen Rassismus in Fulda mit Grup Yorum verboten worden ist. Das ist wieder mal ein Beispiel dafür, dass es in der BRD keine freiheitliche Kunst gibt.
Allein im ersten Halbjahr des Jahres 2016 gab es 100 faschistische Konzerte. Auf Nachfrage teilten die Sicherheitsbehörden mit: „Wir konnten diese Veranstaltungen nicht verhindern, weil wir unsere Quellen schützen mussten“. Auch die NSU-Morde konnten aus demselben Grund nicht verhindert werden, weil der Schutz der Spitzel und somit das angebliche Staatswohl Vorrang hatten.
Rassistische Musikgruppen unter Polizeischutz, Konzerte und Liederabende mit Hass gegen Ausländer sind erlaubt, aber anti-rassistische Kultur wird kriminalisiert oder verboten. Das zeigt uns, das Rassismus hier und in Europa Ausdruck von staatlicher Politik ist.
In der Türkei werden Mitglieder von Grup Yorum festgenommen, verhaftet und gefoltert. Hier in Deutschland werden auch ihre Konzerte behindert und untersagt. Das ist eine sehr gute Zusammenarbeit von staatlichen Organen hier mit den türkischen Folterknechten!
(Muzaffer ist wegen der Organisierung eines Konzerts zusammen mit Özgür Aslan, Sonnur Demiray und Yusuf Tas verurteilt worden, Red.)
Egal was die Herrschenden auch unternehmen, sie können nicht verhindern, dass wir unsere Lieder singen, tanzen und uns für unsere Rechte einsetzen.
Über Erfolge der Widerständigen erfreuen wir uns im Gefängnis ganz besonders. Yusuf Tas hat mit seinem 65 tägigen Hungerstreik seine Forderungen durchgesetzt. Der 70 Jahre alte Kemal Gün hat in der Türkei nach 90 Tagen erreicht, dass der Leichnam seines Sohnes, der von den türkischen Militärs ermordet wurde, ihm endlich ausgehändigt wurde.
Die ebenfalls hungerstreikenden Nuriye Gülmen und Semih Özakca sind inzwischen in Ankara verhaftet worden, setzen ihren Streik aber im Knast fort und werden auch siegen.
Seit über einem Jahr gibt es Proteste und Widerstand gegen das G20-Treffen in Hamburg. Die Polizei hat deswegen in großen Teile der Hansestadt Demonstrationen verboten. Das wird in der Türkei anlässlich des Ausnahmezustandes auch praktiziert.
All diese Kämpfe geben den Gefangenen Mut und Hoffnung.
Am 26. Mai hatte ich vor dem OLG Stuttgart eine nicht öffentliche Anhörung wegen 2/3. Es war keine „faire“ Anhörung , sondern ein Ketzergericht, ein Tribunal. Was ich damit meine, wird durch die Fragen deutlich. Einige Beispiele:
„Erzählen Sie uns, was Sie über die Ziele der DHKP-C und über Mitglieder wissen?“
„Haben Sie für Gülafert Ünsal im Jahre 2015 einen Hungerstreik gemacht?“
„Ist Gülaferit Ünsal ein DHKP-C Mitglied?“
„Was ist ihre Verbindung zu DHKP-C?“
„Wie beurteilen Sie ihr Urteil heute?“ usw.
Ich wusste seit der Ablehnung meiner Haftbeschwerde vor einem Jahr, dass das Gericht und die Bundesanwaltschaft (BAW) meine Haftentlassung nach 2/3 ablehnen würde. Mit diesem Wissen bin ich dahin gefahren, um das zu sagen, was ich sagen wollte. Deswegen war für mich die Anhörung gut.
Die Klassenjustiz bekam nicht das zu hören, was sie gerne hören wollten. Sie haben nach der Anhörung einen achtseitigen Beschluss verfasst, der zum größten Teil aus Gefasel besteht.
Der wichtigste Satz ist dieser:
„Diese Vorgänge und Einlassungen belegen, dass sich der Verurteilte von der Zielsetzung der DHKP-C und deren Vorgehen,… in der Türkei und deren doktrinärer Haltung nicht gelöst, sondern eine hinreichende Auseinandersetzung mit seiner Tat, deren Ursachen und Folgen bislang vermieden hat. Die weltanschauliche Einstellung, auf deren Grundlage die in vorliegender Sache geahndete Tat begangen wurde, besteht beim Verurteilen offenkundig uneingeschränkt fort.“ . …
Das Ergebnis dieses Beschlusses bedeutet, solange ich an meiner sozialistischen Gesinnung festhalte, werde ich bis zum letzten Tag der Haft im Knast bleiben.
Özgür Aslan hatte ebenfalls Anhörung. Das Ergebnis war bei ihm genauso negativ. Wir waren 4 Tage zusammen.
Ich überlege, ob ich gegen diesen Beschluss Rechtsmittel einlegen werde. Das daraus sich nichts Positives ergeben wird, weiß ich.

Grüße an alle, die mich kennen und die ich kenne.!
Herzlich Grüße