Zum Tod von Wienke Zitzlaff

Wolfgang vom Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und der Redaktion des „Gefangenen Info“

Wienke, die ältere Schwester von Ulrike Meinhof, ist am 4 März im Alter von 85 Jahren gestorben. Am 9. April fand ein gemeinsames Verabschieden und Erinnern in Hannover statt. Gekommen waren zirka 200 Menschen. Dort wurden auch die Texte von Ralf und Wolfgang vorgetragen.

Persönlich bin ich Wienke zum ersten Mal im Sommer 1974 in Hannover auf einer Jahresversammlung von Amnesty International (AI) begegnet. Sie versuchte mit einer Rede für die „Angehörigen der politischen Gefangenen in der BRD“, AI zu einer humanitären Intervention für die Gefangenen aus der RAF zu bewegen.
Zu dieser Zeit war ich im bundesweiten „Komitee gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD“ organisiert. Beide, das Komitee und die Angehörigengruppe, kämpften dafür, dass die Folter an den politischen Gefangenen in der BRD, betroffen waren davon überwiegend Inhaftierte aus der RAF, beendet wird.
Die Isolationsfolter wird auch „weiße Folter“ genannt, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlässt: Sensorische Deprivation und soziale Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane abzielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Ziel dieser Folter ist auch, Inhaftierte zum Sprechen bzw. Abschwören zu bringen oder zu versuchen, sie als entpolitisierte Kretins vorzuführen.
AI bewegte sich damals nicht, was aber auch nicht verwunderlich ist, denn sie ist eine im „Kalten Krieg“ von westlichen Geheimdiensten gegründete Organisation, die sich ursprünglich nur um Dissidenten in den sozialistischen Staaten kümmern sollte. Heute verfasst sie Analysen zur Menschenrechtslage in verschiedenen Ländern, die dann zur Grundlage für Kriege der Nato-Staaten dienen. Ein Teil des deutschen Führungspersonals von AI übernahm später bei den Grünen Bundestagsmandate. Diese Vereinigung steht bekannterweise für solche Menschenrechtskriege.
Gegen die verschwiegene Folter in den Knästen und damit für das Leben dieser Gefangenen, wurde deshalb im Oktober 1974 die AI-Zentrale in Hamburg besetzt. Durch diese Aktion wurde auch der Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF gegen die Isolation bekannter gemacht, was auch immer einen Schutz für sie bedeutete. Es konnte aber nicht verhindert werden, dass Holger Meins am 9.11.74 an systematischer Unterernährung im Streik starb.
Wienke begegnete ich in den nächsten vier Jahrzehnten immer wieder, wenn es um die Gefangenen ging. Sei es wegen der Haftbedingungen oder wegen der Verteidigung ihrer Geschichte.
Sie arbeitete auch nach dem Tod ihrer Schwester Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976 in der Angehörigengruppe weiter.
Sie versuchte, die staatlich verordnete Selbstmordthese zu widerlegen. „… die Erkenntnisse der Internationalen Untersuchungskommission, die 1979 in Paris bekanntgemacht wurden, haben so viele Ungereimtheiten in dem von staatlicher Seite veranlassten Todesermittlungsverfahren offengelegt, dass es bis jetzt fast nur Bemühungen gegeben hat, diese unter den Teppich zu kehren. Ich will sie nicht noch mal alle aufzählen, aber Ulrike soll sich an einem Fenstergitter aufgehängt haben, das von einer Platte aus feinmaschigem Fliegengitter bedeckt war. Polizeifotos in den Ermittlungsakten zeigen, dass der linke Fuß noch auf einem Stuhl abgestützt war, als sie gefunden wurde. Die Schlaufe, in der sie hing, war so lang und so zerbrechlich, dass bei einem Sprung der Kopf hätte rausrutschen oder der Strick hätte reißen müssen. Das Fehlen von Blutungen in den Augenbindehäuten und ähnliche Merkmale deuteten eher auf Fremdeinwirkung, und die Untersuchungskommission kam dann auch zu dem Schluss, dass meine Schwester tot gewesen sein muss, als sie aufgehängt wurde.“ (junge Welt 7./8. Mai 2016)
Wer der staatlichen Version des Selbstmords widersprach, wird bis heute strafrechtlich verfolgt. So gab es deshalb gegen unsere Zeitung diverse Verfahren.
Nach dem Tod ihrer Schwester hat Wienke sich weiterhin für die Gefangenen aus der RAF eingesetzt, die sie auch soweit es ging bis zu ihrer Freilassung besuchte.
Mitte der 80er Jahre war sie in New York. Ein Anwalt, Angehörige und sie erreichten, dass vor dem UN-Menschenrechtsausschuss der Vertreter der BRD wegen der Isolationshaft öffentlich gerügt und kritisiert wurde, wovon auch hiesige Zeitungen und Radios berichteten.
Im September 2014 strahlte der WDR ein kurzes informatives Rundfunk-Interview mit Wienke anlässlich des 80. Geburtstages von Ulrike Meinhof aus.
Ich wollte auch ein mehrstündiges Radio-Interview mit ihr unter unserem Motto „Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen“ führen. Mit derselben Intention hatte ich auch die bis zu ihrem Lebensende ungebrochenen linken Schriftsteller Christian Geissler und Peter O. Chotjewitz befragt. Zuerst sträubte sich Wienke gegen mein Anliegen und später ließ es leider ihre Gesundheit nicht mehr zu. Bis zu ihrem Tod trafen wir uns fast immer monatlich. So lernte ich sie folglich auch besser kennen.
Ulrike und sie waren beide vor 60 Jahren in der Anti-Kriegsbewegung aktiv. Bekanntlich opponierte dieser Zusammenhang gegen Aufrüstung und die Wiederbewaffnung der BRD.
Dazu erwähnte sie, dass es in ihren Gesprächen auch Überlegungen gab, Kriegswaffen unbrauchbar zu machen. Überlegungen also, die schon Anfang der 1960er Jahre den üblichen pazifistischen Rahmen sprengten.
Wienke meinte, dass die RAF später umsetzte, was damals schon überlegt worden war. So wurden 1972 die US-Headquarters in Heidelberg und Frankfurt angegriffen, um den Terror gegen die vietnamesische Bevölkerung zu stoppen.
Die Computer dort, die Angriffe auf Vietnam koordinierten, waren durch die Explosion außer Kraft gesetzt und so einige Tage nicht einsatzfähig. Zu dieser Zeit war Ulrike in der RAF organisiert.
Wienke war es aber auch wichtig, dass der 9. Mai 2016, der 40. Todestag ihrer Schwester, nicht vergessen wird. Deshalb gab sie der „jungen Welt“ auch ein Interview, was am 7.5.16 erschien. Wir diskutierten gemeinsam über Initiativen zu diesem Datum. Ihr war es auch wichtig, dass die Aktivitäten zu Ulrike sich nicht nur auf den Monat Mai beschränkten. Erfreulicherweise fanden im gesamten Jahr dazu acht Veranstaltungen in dieser Republik statt, was sie auch sehr freute.
Sie konnte leider aus gesundheitlichen Gründen an diesen Aktivitäten persönlich nicht mehr direkt teilnehmen, da sie außerhalb ihres Wohnorts Hannover stattfanden. Aber auf Veranstaltungen in ihrer Stadt war sie noch in diesem Jahr präsent.
Wienke setzte sich trotz ihrer Blindheit mit vielen Problemen auseinander, wie z.B. mit dem Älterwerden, wozu sie auch einen Text verfasste. Da sie selbst nicht mehr lesen konnte, ließ sie sich was vorlesen und fing an, die Blindenschrift zu lernen.
Bis zu ihrem Lebensende nahm sie Stellung gegen das militaristische Großdeutschland, das heute in 16 Staaten Truppen stationiert hat. Oder dagegen, dass die Folter „made in Stammheim“ in den Knästen weiter hier praktiziert wird, sei es hauptsächlich gegen türkische und kurdische Gefangene, die wegen §129b (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) und den Export von Isolationsfolter z.B. in die Türkei.
Dagegen müssen wir den Kampf weiter führen!

Wienke, wir vermissen Dich!