Bericht von Latife zu ihren in der Türkei verhafteten Töchtern

Latife Cenan-Adigüzel

Guten Tag, mein Name ist Latife Cenan-Adigüzel, ich bin als Tochter eines Gastarbeiters im Jahr 1983 nach Deutschland gekommen und habe mich bis heute für die Rechte der Menschen, der Frauen, der Migranten in Deutschland eingesetzt.
Ich war schon immer politisch aktiv, aufgrund meiner kurdischen Abstammung und meiner linken Einstellung. Aufgrund meiner politischen Aktivität wurde ich gerichtlich zu drei Jahren und drei Monaten verurteilt und kam im Juli 2018 ins Gefängnis. In der Zeit befand sich meine Tochter bereits in der Türkei, um ihre 2. Heimat besser kennen zu lernen und entschied sich schlussendlich dort zu leben.

Ende 2017 wurde meine Tochter Sevcan Adigüzel in der Türkei verhaftet, aufgrund ihrer staatskritischen politischen Einstellung. Meine jüngere Tochter Seher Adigüzel wollte sie im Gefängnis in der Türkei besuchen und gleichzeitig stieg das Interesse meiner jüngeren Tochter, die politische Band Grup Yorum zu unterstützen und schließlich wurde sie ein Teil dieser Protestband, die immer wieder staatlicher Repression ausgesetzt ist.

Auch meine jüngere Tochter Seher Adigüzel, wurde nach kurzer Zeit in der Türkei festgenommen, obwohl sie bis dahin nicht mal die Möglichkeit hatte sich politisch zu engagieren. Seher Adigüzel war ein Jahr lang inhaftiert, ohne jeglichen Grund und einer leeren Akte. Nach einem Jahr wurde sie freigelassen und ihr wurde ein Ausreiseverbot ausgehändigt. Somit durfte bzw. darf sie das Land nicht verlassen und ihre Eltern seit dem nicht in Deutschland besuchen.

Zurück zu meiner Tochter Sevcan Adigüzel, wegen ihrer politischen Anschauung und auch wegen meiner Akte bzw. meinem Prozess, als auch durch politische Aktionen, wie Teilnahme an Protesten und Kundgebungen, wurde sie von einem der bekanntesten Richter (Akin Gürlek) im Lande, zu 28 Jahren Haft verurteilt.

Die AKP-Regierung, die sich an der Macht hält, ist bekannt für die Verletzung der Menschenrechte und die Manipulierung von Akten, als auch Verleumdung. Des weiteren gibt es kein faires Verfahren und Menschen werden ohne Recht auf Verteidigung, sowie durch verdeckte Zeugen, zu mehreren Jahren bzw. lebenslänglich verhaftet.

Die Türkei beschützt Menschen mit kriminellen Machenschaften, wie Alaattin Cakici, ein Straftäter, aus dem Bereich der organisieren Kriminalität, der mit dem Deckmantel der Corona Krise freigelassen wurde, während politischen Häftlingen jede Art der Freiheit entrissen wird.

Meine jüngere Tochter Seher Adigüzel wurde Ende Oktober 2020 erneut verhaftet und ist im Gefängnis von Silivri seitdem inhaftiert, auch diesmal mit einer leeren Akte und durch einen verdeckten Zeugen. Ihr Prozesstermin ist am 30. März 2021, ohne jegliche Aussicht auf eine Freilassung.

Beide meiner Kinder sind in Deutschland geboren, da ich selber in meiner Heimat, durch meine kurdische-alevitische Identität unterdrückt wurde, habe ich meine Kinder offen erzogen und ihnen beigebracht sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen. Als die Gezi-Proteste im Jahr 2013 in der Türkei ausgelöst wurden, wurde ein 14-jähriger Junge (Berkin Elvan), durch eine abgefeuerte Gaskartusche der Polizei, am Kopf getroffen und umgebracht. Dieses Ereignis hat meine große Tochter Sevcan Adigüzel emotional sehr berührt und war einer der Auslöser, sich in die Türkei zu begeben und unter anderem der Familie von Berkin Elvan solidarisch beizustehen. Sie war bei der Beerdigung von Berkin
Elvan beteiligt, eine Tatsache, die ihr zum Verhängnis wurde und sich in ihrer Akte befindet.

Junge Menschen haben ein natürliches Recht ihre demokratischen Rechte zu nutzen. Sie aufgrund ihrer aktiven politischen Teilhabe zu kriminalisieren und zu verhaften ist menschenverachtend. Ich gehe davon aus, dass der deutsche Staat, seine Staatsbürger versucht zu beschützen und alle Möglichkeiten ausschöpft, bzw. seine Macht einsetzt für eine sofortige Freilassung.

Ich weiß, dass Deutschland politisch als auch wirtschaftlich Macht auf die Türkei ausüben kann, dies nicht nur wörtlich, sondern auch in der Praxis. Hiermit fordere ich nicht nur den deutschen Staat auf zu dieser notwendigen Problematik eine Stellung einzunehmen und sofort zu handeln, sondern auch alle demokratischen Parteien, wie Kreise und Institutionen, sich aktiv für die sofortige Freilassung meiner Töchter einzusetzen.