Unterstützer*innen aus Nürnberg
Der 7. Strafsenat des Oberlandesgericht (OLG) München hat unter Vorsitz von Richter Dr. Manfred Dauster zehn kommunistische Aktivist*innen aus der Türkei und Kurdistan wegen so genannter „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Sie liegen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und fünf Jahren sowie ganzen sechs Jahren und sechs Monaten für den Hauptangeklagten Müslüm Elma. Er wurde auch wegen des Vorwurfs der „Rädelsführerschaft“ verurteilt. Nach mehr als fünf Jahren überlanger Untersuchungshaft wurde der Haftbefehl gegen ihn nun endlich aufgehoben und er ist draußen. Mit dem Strafmaß blieb das Gericht etwas unter der Forderung der Bundesanwaltschaft. Diese hatte für den Hauptangeklagten Müslüm Elma sechs Jahre und neun Monate Haft und für die übrigen Angeklagten zwischen dreieinhalb und fünf Jahre Haft gefordert.
Es ging dabei konkret um den Vorwurf der Mitgliedschaft in der TKP/ML. Die zehn Angeklagten sollen das Auslandskomitee der türkischen kommunistischen Partei / marxistisch-leninistisch gebildet haben. Im Spiel ist also der berüchtigte Paragraf 129 b. Damit ist nun eines der längsten politischen Verfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beendet. Dieser absurde Mammutprozess dauerte mehr als vier Jahre und nahm 234 Hauptverhandlungstage in Anspruch. Die Zehn Genoss*innen wurden im April 2015 verhaftet und kamen in U-Haft. Im Juni 2016 startet dann der Riesen-Prozess in München, der sich als größtes Verfahren gegen Kommunisten seit Jahrzehnten entpuppte. Neun Betroffene kamen nach und nach frei (wir berichteten) und mussten jeweils zu den Terminen nach München pendeln. Nur Müslüm blieb bis zuletzt in Haft. Von ihm stammt der Satz: „Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden“.
Die Anwält*innen sehen das Verfahren im Resümee stark als eine Auftragsarbeit für die Türkei und werden das Urteil anfechten. Es wird also Revision eingelegt. Die Angeklagten hatten nämlich hierzulande nicht gegen Gesetze verstoßen. Sie hatten nur ganz legale Vereinstätigkeiten ausgeübt wie zum Beispiel Spenden zu sammeln oder Veranstaltungen zu organisieren. Und die TKP/ML ist in Deutschland auch gar nicht mal verboten, nur in der Türkei. Die für solche Polit-Verfahren nötige Verfolgungsermächtigung hatte das Bundesjustizministerium extra erteilt. Das war ein Fehler, erläutern die Anwält*innen. Das Verfahren hätte direkt eingestellt werden müssen. So sieht das auch die Unterstützer*innen-Bewegung, die den Prozess von Anfang an solidarisch begleitete. Aber die Genoss*innen aus der Türkei und Kurdistan sind eben standfeste Kommunist*innen und als solche unliebsam. Die BRD hat zusätzlich ein eigenes Interesse, Linke zu verfolgen und in die Enge zu treiben. Da war es ein schlauer Schachzug, mit einer migrantischen Gruppe zu beginnen, um später je nach Bedarf auf andere Linke losgehen zu können. Deshalb erließ der Bundesjustizminister diese Ermächtigung – aus rein politischen Beweggründen. Der türkische Staat ist nun wahrlich kein so genanntes „Schutzgut“ im Sinne des deutschen Strafrechtsparagrafen 129 b. Dazu müsste er die nämlich die Würde des Menschen achten und sich einem friedlichen Zusammenleben verschreiben. Alle Welt weiß, dass Erdogan genau das Gegenteil tut.
Dieses Verfahren produzierte reichliche Skandale. „Highlights“ waren grotesk falsche Übersetzungen aus dem Türkischen und Verteidigerpost, die von einem Kontrollrichter gelesen wurde. Die Bayerische Justiz schickte sogar sensible Verteidigerpost zum Übersetzen in die Türkei. Proteste erregten die Kameras im Saal, die alles filmen konnten, vor allem aber die Glasscheiben, die die Anwält*innen von ihren Mandant*innen trennten. Im Januar 2017 wurde der Angeklagte Mehmet Yesilcali in der JVA misshandelt. Er wurde 24 Stunden unbekleidet in eine Überwachungszelle gesperrt und erhielt Fausthiebe. Stammheim ließ rundum grüßen.
Und die Unterstützer*innen draußen? Die mussten nicht nur die übliche Arbeit wie Prozessbeobachtung, Unterstützung der Angeklagten, Information der Öffentlichkeit, Organisation von Veranstaltungen etc. leisten, sondern waren zudem auch noch mit einer Spaltung konfrontiert. Die TKP/ML gibt es jetzt mit und ohne Bindestrich oder Querstrich, es existieren ferner die Gruppierungen ATIK und PARTIZAN. Auf die internen und politischen Gründe soll hier nicht weiter eingegangen werden, sie sind bei Interesse in Stellungnahmen nachzulesen. Die Solidaritätsarbeit wurde dadurch jedoch vor einige Herausforderungen gestellt. Am augenfälligsten war dies, als es zur Urteilsverkündung in München tatsächlich zwei verschiedene Kundgebungen gleich nebeneinander gab. Unter den Teilnehmenden fielen böse Worte und heftige Vorwürfe. Dass so ein Vorgehen schwächt, ist klar. Selbst die Gefangenen im Gerichtssaal riefen ihre traditionellen revolutionären Abschlussparolen getrennt in zwei Gruppen. Die kommunistische Bewegung in der Türkei und Kurdistan hat schon viele Spaltungen und harte Kämpfe hinter sich – nun ist eine neue Bruchlinie dazu gekommen. Auch Prozess-Soli-Komitees mussten diskutieren, wie sie sich nun nennen sollten. Trotzdem konnte viel auf die Beine gestellt werden, es gab zahlreiche Kundgebungen, internationale Prozessbesuche, Symposien, Filme, Erklärungen, Veranstaltungen, Flugblätter und mehr. 1972 war die TKP/ML von einer Gruppe um den Revolutionär Ibrahim Kaypakkaya mit einer maoistischen Ausrichtung gegründet worden. In der Türkei war und ist sie schon immer verboten. Bereits im Zuge des Militärputsches von 1980 mussten viele Mitglieder ins Ausland fliehen. Grund genug für Zusammenhalt also. Nun gilt es, die anstehenden Aufgaben gemeinsam anzupacken: Die Revision, die Unterstützung der Betroffenen und teils den Kampf um ihr Recht, in Deutschland zu bleiben, damit es nicht zu Abschiebungen kommt. Berufliche Probleme haben alle Angeklagten schon genug, gesundheitliche und persönliche kommen fallweise hinzu. Solidarität ist also wie immer Trumpf. Wir geben nicht auf!