Gesinnungsjustiz gegen linke Aramäer in Deutschland

In Deutschland sehen derzeit mehr als ein halbes Dutzend Aktivisten von der Aramäischen Volksbewegung Revolutionäre Suryoye Prozessen wegen ihrer politischen Tätigkeit entgegen. Das Gerichtsverfahren richtet sich dabei gegen drei Männer und sechs Frauen aus Bayern und Baden-Württemberg.

Revolutionäre Suryoye

Zum 100-Jährigen Gedenken an den Völkermord an den Aramäern 1915 (auf aramäisch: Sayfo) in der Türkei haben sich intellektuelle Aramäer aus Tur Abdin zusammengeschlossen und 2015 in Midyat die Aramäische Volksbewegung Revolutionäre Suryoye (aramäisch: Suryoye Qauwonye) gegründet.

Bei ihnen handelt es sich um die Aktivisten, die am 2. Oktober 2018, nur drei Tage nach dem Staatsbesuch Erdogans in Deutschland, von bundesweit durchgeführten Razzien betroffen waren.

Diesen Akteuren wird vorgeworfen, auf der Augsburger 1. Mai-Demonstration 2018 gegen das Vereinsgesetz verstoßen zu haben. Nach Auffassung der Behörden führten sie Fahnen der in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachteten marxistisch-leninistischen Organisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit sich, tatsächlich handelte es sich in allen Fällen um Flaggen der Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens (aramäisch; Suryoye Gawonoye d´Bethnahrin, SGB) mit einem Stern als auch einen Hammer und Sichel auf rotem Grund.

Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens

Bei SGB handelt es sich um einen Zusammenschluss, der im Jahr 2017 zum 100-jährigen Gedenken an die sozialistische Oktoberrevolution 1917 durch die Aramäischen Volksbewegung Revolutionäre Suryoye gegründet wurde. Die SGB ist seit 2019 Mitglied in der AIF (Antiimperialistischen Front) und seit 2020 in der ICOR (Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen).

Hauptangeklagter in diesen Verfahren ist Sami Grigo Baydar. Der 28-Jährige ist Theologe in der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien. Als linker politischer Aktivist setzt er sich für die Rechte der Aramäer in der Türkei ein. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe hat gegen Baydar zudem ein Prüfungsverfahren eingeleitet. Sie wirft dem Theologen und Journalisten nach § 129b StGB die „Bildung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland“ vor.

Eine Aktivistin der Revolutionäre Suryoye wurde am 05.06.2020 vom Amtsgericht Augsburg zu einer Geldstrafe in Höhe von 1800,00 € bereits verurteilt. Das Urteil wurde von der Richterin damit begründet, dass die aramäische Aktivistin als Revolutionäre Suryoye ein Solidaritätskonzert der sozialistischen Musikband Grup Yorum, welches 2013 in Syrien stattgefunden hat, in Facebook veröffentlichte und dass damit angeblich eine sogenannte Sympathie für die DHKP-C nachgewiesen wäre. Die aramäische Aktivistin und ihr Rechtsanwalt Mathes Breuer sind gegen dieses Urteil in Berufung gegangen.

Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz

Zwei weitere aramäische Aktivisten hatten nun am Donnerstag den 09.07.2020 beim Augsburger Amtsgericht von 13:30 bis 14:30 und von 14:30 bis 15:00 Uhr ebenfalls jeweils eine Gerichtsverhandlung. Bei der ersten Verhandlung wurde neben einem Staatschutzpolizisten aus Schwaben auch ein Mitarbeiter des Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz als Zeuge eingeladen. Der Staatschutzpolizist machte vor Gericht die Aussage, dass die Flagge der Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens die gleiche wäre wie die Flagge der DHKP-C und deswegen verboten sei.

Wohingegen der Mitarbeiter des Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz in seiner Aussage betont hatte, dass die Flagge der Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens der SGB zugeordnet werden kann, aber nicht klar sei, in welcher Beziehung sie zur DHKP-C steht und dies noch weiter ermittelt wird.

So führt der Mitarbeiter des Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz weiter aus, dass die Flagge der Kommunistischen Aramäer Mesopotamiens eine Kombination aus der verbotenen DHKP, DHKC und der Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) sei und die SGB Mitglied seit 2019 in der Anti-Imperialistischen Front ist, die angeblich eine Nähe zur DHKP-C haben soll.

Solidarität wird kriminalisiert

Die Solidarität mit Kundgebungen, Demonstrationen und mit einem europaweiten Soli-Hungerstreik für die sozialistische Musikband Grup Yorum wurde ebenfalls als ein angeblicheres Indiz zur DHKP-C eingestuft. Die Staatsanwaltschaft begründete in ihrem ersten Plädoyer das die Flagge der SGB tatsächlich geringfügige Abweichungen zur DHKP-C habe, aber angeblich eine Nähe zur politischen Ideologie festgestellt wurde und deswegen dies so zu bewerten wäre, dass die SGB Flagge in Wirklichkeit die der DHKP-C ist und damit verboten sei.

Rechtsanwalt Mathes Breuer entgegnete der Staatsanwaltschaft, dass „Ideologien nicht strafbar wären in Deutschland, sondern das die Tätigkeiten einer politischen Organisation entscheiden, ob sie strafbar ist oder nicht und die SGB als eine linke aramäische Organisation in Bezug auf ihre Flagge sich nicht strafbar gemacht haben.“

Die zwei Aktivisten der Revolutionäre Suryoye wurden zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 2600,00 € vom Amtsgericht Augsburg verurteilt. Die aramäischen Aktivisten und ihr Rechtsanwalt Mathes Breuer haben das Urteil nicht akzeptiert und sind in Berufung gegangen.

Bayern weitet Kriminalisierung aramäischer Aktivisten aus

Am 16.02.2020 erhielt eine 38-Jährige aramäische Aktivistin von den Revolutionäre Suryoye aus Bayern, für ihre politische Berichterstattung in den Sozialen Medien einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 3600,00 € in Höhe von 90 Tagessätzen.

Die aramäische Aktivistin hatte seit der Invasion in Afrin regelmäßig bei Facebook über den Widerstand gegen die drohende Annexion nordsyrischer und vor allem aramäisch besiedelter Gebiete durch die Türkei und von Kriegsverbrechen der Besatzungstruppen an der Zivilbevölkerung berichtet. Die betroffene Aramäerin hat mittlerweile Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Es laufen aktuell gegen neun Aktivisten der Revolutionäre Suryoye Ermittlungen mit einer Gesamtgeldstrafe von fast 16.000,00 €.

Am Donnerstag den 24.09.2020 um 13:00 Uhr findet im Augsburger Amtsgericht ein weiterer Prozess gegen eine aramäische Aktivsten statt. Zu diesem Gerichtstermin wird ein Vertreter des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat aus Berlin als Zeuge erscheinen.

Der Volksrat der Aramäer aus Europa fordert das Ende der Interessenpolitik mit der Regierung in Ankara und die Einstellung der Verfahren gegen seine Mitglieder.

In einer Stellungnahme kritisiert der Dachverband dieses Urteil des Augsburger Amtsgerichts gegen die aramäischen Aktivisten und bewertet diese Verfahren als Pilotprozess, welches als ein Exempel statuiert werden soll gegen Revolutionäre, Sozialisten, linke, kämpferische migrantische, demokratische als auch fortschrittliche Strukturen in Deutschland.

Die hundertjährige wirtschaftliche, militärische und politische Zusammenarbeit des deutschen Imperialismus mit der faschistischen Staatsregierung der Türkei, die gekennzeichnet ist von Massakern und Völkermorde setzte sich weiterhin fort.

Der Völkermord an den Aramäern, Armenier und Griechen wurde von deutschen imperialistischen Offizieren mit vorbereitet. Die Chemiewaffen für das Massaker an den Aleviten und Zazas in Dersim wurden im faschistischen Deutschen Reich hergestellt. Bei der Zerstörung der aramäischen und kurdischen Dörfer und Städte in den neunziger Jahren wurden von der türkischen Armee hauptsächlich deutsche Waffen eingesetzt, welche von der Bundesregierung an die Türkei geliefert wurden. Und aktuell sind es deutsche Waffen, die verwendet werden von der faschistischen Türkei, bei der Besatzung von Nordsyrien. Dieser Politik muss ein Ende gesetzt werden, deshalb fordert der Volksrat der Aramäer aus Europa:

Die Beendigung dieser imperialistischen Interessenpolitik mit der faschistischen Regierung der Türkei als auch eine Einstellung der Prozesse und den Ermittlungsverfahren gegenüber den Aktivisten der aramäischen Volksbewegung Revolutionäre Suryoye!