Beitrag des Gefangenen Thomas Meyer Falk zur Digital-Veranstaltung Corona und das Knastsystem

Beitrag des Gefangenen Thomas Meyer Falk zur Digital-Veranstaltung Corona und das Knastsystem, die am 10.5.2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Corona und die linke Kritik(un)fähigkeit“ stattgefunden hat. Thomas war eingeladen, hatte aber keine Erlaubnis von der Knastverwaltung. Hier kann die Veranstaltung online gehört werden: (https://vimeo.com/547847108)
Teilgenommen hatten u.a. Aktivisten der Gefangenengewerkschaft und des Gefangenen Infos.

Herzliche Grüße aus Freiburg. Ich danke Peter Nowak und den anderen Veranstalter*innen auf diesem Weg, aus Gefangenenperspektive ein paar Bemerkungen zum heutigen Thema machen zu dürfen.
Die Corona-Pandemie hat hinter Gefängnismauern massive Auswirkungen auf das Leben der eingesperrten Menschen. Vor rund einem Jahr wurden alle Besuche verboten, sämtliche Freizeitgruppen wurden gestrichen. Teilweise wurden auch Arbeitsbetriebe über Wochen geschlossen. Alles unter dem Eindruck der sich ausbreitenden Pandemie. Kam es zu einem Infektionsfall in einem Gefängnis, wurde dieses fast vollständig von der Außenwelt abgeriegelt. Die Gefangenen blieben dann dauerhaft in ihren Zellen eingesperrt. 24 Stunden am Tag. Hier in Freiburg, im Südbadischen kam zu solch einem Vorfall. Erst nach drei Tagen wurde man dann zumindest aus der Zelle gelassen, um alleine duschen gehen zu können.
Das Verbot der Besuchskontakte war ist für viele der Gefangenen, deren Familien und auch Freund*innen ganz besonders schmerzhaft. Auch der gefangene Mensch lebt von dem „In-Beziehung-Sein“, und das erfordert die Gegenwart des Anderen. Noch 2020 wurde dann bundesweit Skype eingeführt, um die Besuchsverbote zumindest partiell zu kompensieren. Wenn man also der Pandemie irgendetwas positives abgewinnen möchte, so hat sie dem technologisch in vielen Bereichen rückständigen Justizvollzug, einen Schub ins 21. Jahrhundert verliehen. Nur zur Erläuterung: der Zugang zum Internet ist verboten. Die Telefonmöglichkeiten sind strikt kontrolliert und reglementiert, weshalb ich heute auch hier nicht per Telefon zugeschaltet sein kann. Ohne die Pandemie wäre das Skypen sicher noch nicht in den Haftanstalten etabliert.
Die so wichtigen Freizeitmöglichkeiten wurden zusammengestrichen. Insbesondere jene, die von externen Kräften betreut und angeleitet werden. Ob sich all diese Gruppen nach der Pandemie jemals wieder im selben Umfang etablieren lassen, ist unsicher. Auch finanziell gab es erhebliche Einbußen, nämlich dort wo Knastbetriebe geschlossen oder hinsichtlich der Arbeitenden ausgedünnt wurden. In Hessen wurde dann zumindest eine „Corona-Hilfe“ in Höhe von 40 Euro im Monat als Zugabe eingeführt. Etwas, von dem die Gefangenen in anderen Bundesländern nur träumen können. So dürfen sich in Baden-Württemberg zwar die Inhaftierten nun höhere Beträge von außerhalb der Anstalten überweisen lassen. Jedoch setzt das finanzkräftige Unterstützer*innen voraus. Nun rekrutiert sich jedoch der Großteil der Inhaftierten aus einer sozial besonders prekären Schicht, so dass es viele Insassinnen und Insassen gibt, die diese Gelder nicht erhalten.
Der seelische Druck, der auf den Gefangenen lastet, entlud sich immer wieder in Gewalt. Hier unterscheidet sich der Justizvollzug wohl nicht sonderlich, bis er dann sukzessive wieder aufgenommen wurde. Hier in Freiburg beispielsweise können Sicherungsverwahrte nun via Videokonferenz mit Menschen des psychologischen und sozialen Dienstes sprechen. Dazu gehen sie in den Keller der Anstalt, werden vor einen Monitor platziert, der Rechner ist gut gesichert weggeschlossen. So können sie dann via Videoschaltung ein Gespräch führen.
Vielerorts mangelt es an Desinfektionsmittel für die Gefangenen. In den ersten Monaten wurden aus Knastbettlaken Mund-Nase-Schutzmasken genäht. Wer medizinische Masken haben wollte, musste sie auf eigene Kosten beim Gefängnishändler Massak einkaufen.
Nun werden Gefangene mit der Einlieferung in den Haftanstalten darauf getrimmt, sich zu beschränken. Zahllose Restriktionen kleinlichster Art beherrschen den Haftalltag. Von der Zahl der Fotos die mensch besitzen darf, den Unterhosen, den Büchern oder der Topfpflanzen. Alles ist zahlenmäßig exakt bestimmt. Die Zeit der Besuche ebenso, wie deren Anzahl im Monat.
Vor diesem Hintergrund ist folgende Frage zu stellen:
Bedeuten durch Corona bedingten Einschränkungen einen gleichermaßen existenziellen Freiheitsverlusts, wie ihn die Menschen vor den Mauern erleben? Oder handelt es sich lediglich um ein paar zusätzliche Einschränkungen des von Hause aus in einer Realitätstiefe reduzierten Haftalltags?
Auf Gefangenensicht sind die coronabedingten Maßnahmen als existenziell einschneidend zu klassifizieren. Sie treffen die gefangenen Menschen in ihren Innersten. Die Maßnahmen haben schädliche Auswirkungen auf diese selbst, aber auch deren Familien und Freundinnen und Freunde. Selbst auf die Dauer der Inhaftierung hat die Pandemie einen Einfluss.
Zwar wurden zu Beginn insbesondere jene zu Geldstrafen Verurteilte, frei gelassen. Aber die ganzen Therapiemaßnahmen, ebenso die Vollzugslockerungen wie das bewachte oder unbewachte Verlassen der Haftanstalten vielfach ruhten, führt dies dazu, dass vorzeitige Haftentlassungen ausbleiben oder sich zumindest wesentlich verzögern. Denn Therapien konnten nicht fortgeführt oder abgeschlossen werden. Und die für eine Entlassung auf Bewährung notwendigen Vollzugslockerungen entfielen.
Insofern wurden und werden die Gefangenen in nahezu allen Facetten ihres Daseins von den Maßnahmen betroffen und getroffen.
Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in die Probleme der Welt hinter Gittern vermitteln, der im Zusammenhang mit Corona relevant erscheint. Nun wünsche ich den Teilnehmenden und Zuhörenden eine spannende und gute Veranstaltung.

Thomas Meyer Falk,
Justizvollzug Freiburg