Thomas Meyer-Falk
Kürzlich fragten Ulla Jelpke (Die Linke, Bundestagsabgeordnete) und weitere Abgeordnete die Bundesregierung nach der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2011 im Bereich der Sicherungsverwahrung. Mit Schreiben vom 17.3.2020 antwortete die Bundesregierung.
Statistisches Material
In der Bundestagsdrucksache 19/18038 (online aufrufbar unter dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/180/1918038.pdf ) stellt die Regierung die Entwicklung der Zahl der Sicherungsverwahrten seit 2009 dar. Gab es damals bundesweit 512 Verwahrte (darunter 3 Frauen), sind es mit Stichtag 30.09.2019 schon 574 (darunter 1 Frau). Ein Anstieg von rund 12%. Der insofern bemerkenswert ist, weil in Folge von Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte 2009/2010 und des Bundesverfassungsgerichts 2011 die Zahl der Insass*innen Ende 2012 auf 465 Verwahrte (davon 3 Frauen) sank. Seitdem also um satte 23,44% stieg.
Schaut man sich noch die Zahl jener Verwahrten an die es in den Offenen Vollzug schaffen, melden die meisten Bundesländer regelhaft die Zahl Null! Mit Stichtag 30.9.2019 befanden sich bundesweit nur 6 Verwahrte in dieser Vollzugsform. In Baden-Württemberg beispielsweise ein Mann. Dort war man schon weiter, im Jahr 2015 befanden sich alleine in Baden-Würtemberg 8 Männer im offenen Vollzug. Ein Rückgang also um fast 90%!
Ausweichende Reaktionen ansonsten
Fragen zu konkreter Ausgestaltung des Haftalltags weicht die Bundesregierung unter Hinweis darauf, der Vollzug sei Sache der Bundesländer aus, mithin sei man nicht zuständig.
Private Umfragen haben ergeben, dass sich die materiellen Haftbedingungen von Bundesland zu Bundesland eklatant unterscheiden: angefangen bei der Größe der Zellen (von 14 qm bis zu fast 25 qm. Manche Bundesländer haben Herde und Dusche in die Zellen eingebaut, andere nur ein Waschbecken), über Zellenöffnungszeiten, Paketempfang, Ausstattung der Zellen, und so weiter. Aber auch das therapeutische Angebot differiert erheblich, so dass es letztlich vom Zufall abhängt, ob Verwahrte entsprechend umfängliche Angebote erhalten oder aber in größeren Zellen leben dürfen, als ihre Verwahrtenkolleg*innen in anderen Bundesländern.
Völlig unterbelichtet
Gar nicht thematisiert wird das Problem der Langzeitverwahrten, jene zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe von Verwahrten, die schon über 10 Jahre in der SV festgehalten werden. Hat das Bundesverfassungsgericht schon 2004, und danach 2011, eine Verwahrung über 10 Jahre hinaus nur in absoluten Ausnahmefällen für zulässig gehalten, scheint sich für nicht wenige Verwahrte die 10 Jahresgrenze nur „Mindestdauer“ mit offener Grenze nach oben darzustellen. Alleine in Freiburg sitzen mehr als 10% der Verwahrten über 10 Jahre in der SV, einer steuert auf die 20 zu! Ein Großteil auf die 10 Jahre.
Sicherungsverwahrung wurde von den Nationalsozialisten eingeführt
Dankenswerterweise weisen Jelpke und Kolleg*innen in ihrer Vorbemerkung zur kleinen Anfrage auf die Genese der SV hin. Dass es nämlich die Nationalsozialisten warn, die anno 1933 die Sicherungsverwahrung in das Strafrecht aufgenommen hatten.
Zu ergänzen wäre noch, das in den 50er Jahren das Oberste Gericht der DDR die Sicherungsverwahrung für unvereinbar mit der Rechtsordnung dort beurteilte, weil die SV insbesondere „nationalsozialistischen Ungeist“ atme.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
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Zum Autor: Nach Vollstreckung von 16 Jahren 9 Monaten Freiheitsstrafe (1996-2013), befindet er sich seit 8. Juli 2013 im Vollzug der Sicherungsverwahrung